deine Zeit läuft!

Schweißgebadet wachte ich in meinem Bett auf. Ich hörte seine Stimme noch in meinen Ohren hallen.

Mir wurde schlecht und ich kletterte benommen aus dem Bett. Es war vier Uhr in der Nacht und kein Lichtstrahl traf in mein Zimmer. Die dunkeln Schemen des Schreibtischstuhls welcher mitten im Raum stand und ein paar Klamotten welche auf dem Boden lagen waren alles was ich ausmachen konnte.

Benommen taumelte ich ins Bad und schaltete das Licht ein. Aus dem Spiegel schaute mir ein weißes Gesicht mit tiefen Ringen unter den Augen und einem roten Fleck, welcher sich langsam violett färbte, am Kinn.

Ich spritze mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht und sofort wurde ich etwas wacher.

»Wie kann das sein«, murmelte ich und betastete mein Kinn. Es war nur ein Traum gewesen, er war nicht wirklich da gewesen, er war tot!

Trotzdem spürte ich seine kalten Finger, welche sich in meine Haut bohrten nur zu gut. So wie er es früher immer gemacht hatte bevor er mich durch das Zimmer geschleudert hatte.

All dies hatte er nur zum Spaß gemacht.

Mum und Dad hatten zu viel Angst vor ihm gehabt um ihn zu stoppen und ich war nicht stark genug gewesen.

Langsam nahm das Pochen in meinem Kinn ab und ich erkannte mich wieder ein bisschen besser im großen Spiegel.

Am liebsten wäre ich in den Trainingsraum gegangen und hätte trainiert. Es hatte mir schon immer geholfen all meine Sorgen zu verdrängen und mich perfekter zu fühlen.

Doch es war viel zu früh um durch die Gänge der Schule zu wandern und erwischt werden wollte ich nicht.

Mein Herz raste immer noch und ich hatte das Gefühl, dass er mich immer noch beobachtete.

»Er ist tot«, zischte ich meinem Spiegelbild zu. Irgendwie musste ich mich beruhigen.

Meine Hände begannen wieder zu zittern und auch meine Augen brannten verdächtig. Wie konnte es sein, dass er immer noch so große Auswirkungen auf mich hatte?

Ich verließ das Bad und zog mir die erstbesten Sachen an, welche ich in die Hände bekam. Ich konnte nicht mehr länger in diesem Raum bleiben, auch wenn ich erwischt wurde war es das Risiko wert.

Ich öffnete die Tür und trat in den dunkeln Flur, als ich eine Gestalt an der anderen Seite der Wand lehnen sah. Sie beobachtete mich gelangweilt und ihre grünen Augen glitzerten auch in der Dunkelheit.

»Was machst du denn schon um so eine Uhrzeit hier draußen?«, fragte Jasmin und schaltete das Licht an.

Sofort wurde der komplette Flur weiß geflutet und ich stellte erstaunt fest, dass sie nicht an der Wand lehnte.

Sie saß auf einem Stuhl, mit einem Buch in der Hand.

»Du fragte lautet wohl eher was du um vier Uhr nachts vor meinem Zimmer machst«, konterte ich und sofort kehrte ich den Traum und alles, was so schwer auf mir lastete weit in mich hinein und funkelte Jasmin böse an.

»Ich bin nur zufällig hier«

»Mit einem Stuhl und einem Buch?«

Sie grinste und legte es beiseite. Der Umschlag des Buches war komplett weiß und kein Wort stand auf ihm.

»Ich denke, du solltest wieder in dein Zimmer gehen Solves. Ich würde deiner Schwester nur ungern ausrichten, dass du dein Zimmer mitten in der Nacht verlassen hast«

Erstaunt starrte ich sie an. Doch verwundert stellte ich fest, dass ich nicht wütend war. Fast als hätte mir der Traum alle starken Emotionen geraubt.

»Neta?«

»Ja, sie denkt dass du nachts heimlich Leute umbringst oder so«, spottete Jasmin und fuhr sich durch die dunkeln Haare. Das weiße Tatoo an ihrem Arm war noch größer geworden. Es zog sich jetzt bis zu dem Ärmel ihres T- Shirts .

»Wie lange beobachtetest du mich schon nachts?«, fragte ich sie und versuchte wieder mehr ich selbst zu werden.

»Seit sie hier ist. Und leider konnte ich ihr bislang nichts Spannendes berichtigen. Und es wird heute Nacht auch so bleiben, wenn du mir sagst warum du Mitten in der Nacht hier bist.«

Ich schnaubte und meine Hände begannen zu kribbeln. Zum ersten Mal dachte ich wieder daran Jasmin mit einer Handbewegung zum schweigen zu bringen. Warum hatte ich ihn nicht einfach so im Traum besiegt?

»Ich höre?«

»Es geht dich nichts an Jasmin«, knurrte ich und machte einen Schritt in Richtung des Ausgangs.

»Wirklich? Denkst du Doktor Pillms wird das genauso sehen?«

»Willst du mich erpressen oder was?«, erwiderte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.

Sie zuckte mit den Schultern und mein Blick fiel auf ihre rechte Schulter, als ihr graues T-Shirt etwas verrutschte.

Eine lange rötliche Narbe zog sich über sie und bildete einen interessanten Kontrast zu ihrer dunkleren Haut.

Kaum hatte das Mädchen meinen Blick bemerkt zog sie das Shirt wieder zurecht und musterte mich wütend.

»Hab ich etwas falsch gemacht?«, lachte ich gekünstelt, während mein Inneres immer noch gegen die Panik des Traumes kämpfte.

»Geht es dir gut Solves?«, fragte sie nachdenklich und machte einen Schritt auf mich zu. Sofort fühlte ich mich unwohler. Ich hasste es wenn Menschen nah genug an mir dran waren um mich zu berühren.

»Mir geht's gut«, schnaubte ich und drehte mich dann wieder um in Richtung meiner Zimmertür.

»Bist du dir sicher? Du benimmst dich ganz anders als sonst«

Langsam spürte ich die Wut wieder in mir, fast erleichtert über sie funkelte ich Jasmin an ehe ich zurück in mein Zimmer verschwand und die Tür zuschlug.

Neta stand vor meiner Zimmertür. Sie blickte mich fragend an ehe sie sich an mir vorbei schob und sich mitten in den Raum stellte. »Was hast du mitten in der Nacht draußen gesucht?«, fragte sie und musterte mich fast besorgt.

»Wie kommst du darauf, dass es dich oder gar Jasmin etwas angeht?«, zischte ich und schaffte es dieses Mal alles zurück zu drängen.

Meine große Schwester musterte mich weiter, zog die Augenbrauen hoch und deutete dann auf mein Bett.

»Erst wenn du mir eine passable Erklärung geliefert hast lasse ich dich wieder gehen«

Gespielt genervt ließ ich mich auf mein Bett sinken und lehnte mich an das Rückenteil aus Metall.

In meinem Inneren breitete sich weiter Panik in mir aus. Neta kannte mich besser als jeder andere Mensch, abgesehen von ihm.

»Es ist nichts. Ich bin nur aufgewacht und wollte ein bisschen spazieren gehen«, erwiderte ich und blickte knapp an ihr vorbei auf die Wand.

»Und was ist dann das?«, zischte sie, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und berührte mein immer noch schmerzendes Kinn.

Sofort schlug ich ihre Hand weg und funkelte sie wütend an. »Fass mich nicht an«

Ihre dunkeln Augen ruhten auf mir, doch sie machte sich nicht die Mühe etwas zu erwidern.

»Ich bin in der Nacht aus dem Bett gefallen«, log ich.

Sie lachte. »Mit dem Kinn zuerst?«

Genervt zuckte ich die Schultern während sie mich weiter musterte. »Und was ist das?«

Verwundert folgte ich ihrem Blick auf meinen Arm. Vier rote Striemen umschlossen ungefähr zehn Zentimeter über dem Handgelenk. Mir waren die Spurten von seiner Hand gar nicht aufgefallen.

»Was weiß ich denn«, fauchte ich und wollte aufstechen, doch Neta drückte mich mit Hilfe ihrer Gabe an die Wand.

»Du weißt genau was das ist Solves. Ich will mich nicht in deine Bettgeschichten einmischen, aber das sieht echt übel aus«

Ich schnaubte: »Du bist ja lustig Neta«

»Wenn du mir nicht sagst was du gemacht hast, muss ich mir halt selbst etwas ausdenken. Und so was kommt dann dabei heraus«, erwiderte sie grinsend.

»Ich hab doch gesagt, es ist nichts«

Sie lächelte und lehnte sich dann neben mir ans Bett. »Für nichts sieht es ziemlich schmerzhaft aus. Fast als hättest du jemanden verprügelt« Ich kniff die Lippen zusammen. »Oder jemand dich«, murmelte Neta und zog die Augenbrauen hoch.

»War jemand in deinem Zimmer?« Genervt schüttelte ich den Kopf und schloss die Augen. Die Panik in meinem Inneren wurde immer größer, Neta durfte nicht herausfinden was passiert war.

Denn dann würde sie Doktor Pillms dazu bringen mein Training aufzugeben und ich hätte meine einzige Chance Clares Mörderin zu töten verloren.

»Ich komme nach dem Frühstück wieder Solves. Und dann will ich alles wissen«, seufzte Neta schließlich und ging in Richtung Tür.

Erleichtert stelle ich fest, dass der Druck auf meiner Brust nachließ und ich wieder freier atmen konnte.

Kaum war die Tür hinter ihr zugefallen rappelte ich mich auf und ging zu meinem Schreibtisch. Wie besessen öffnete ich die obere Schublade und warf alle Papiere welche in ihr lagen auf den Boden. Dann tastete ich nach der kleinen Schachtel, welche ich seit ich sie nach meinem Unzug in die Schublade gelegt hatte nicht mehr angefasst hatte.

Als ich die harte Pappe spürte griff ich mir die Schachtel, welche nicht größer als meine Handinnenfläche war.

Ohne nachzudenken nahm ich den Deckel ab und blickte auf den schwarzen Ring welcher in ihr lag.

Er glitzerte unheilvoll und am liebsten hätte ich ihn sofort wieder so weit wie möglich von mir weggeschafft.

Trotzdem hob ich ihn aus der Schachtel um die Worte, welche auf der Innenseite eingraviert waren, zu lesen. Nocte Saltator. Die lateinische Innenschrift, welche ich noch nie verstanden hatte.

Nachdenklich drehte ich den Ring zwischen meinen Fingern ehe ich in mir an den Zeigefinger steckte.

Sofort durchfloss mich das Kribbeln, welches ich nicht mehr verspürt hatte seid er tot war. Damals hatte ich den Ring direkt davor abgenommen und ihn seit dem nicht mehr angesteckt.

Wieder quollen Bilder aus der Kiste über.

Verzweifelt versuchte ich sie wieder zurück zu drängen ehe sie mich übermannen konnten.

Panisch riss ich mir den Ring vom Finger und sofort ging es mir wieder etwas besser. Mit viel Mühe zwängte ich die Bilder zurück und ließ mich auf meinen Stuhl fallen.

Das Schmuckstück warf ich auf den Schreibtisch und starrte es dann wütend an. Wie konnte es sein, dass immer noch so viel Macht von ihm ausging?

»Suche nach Solves Theodor Night«, sagte ich dann und sofort ging mein elektronischer Helfer an.

»Suche gestartet«, verkündete er monoton und das Ladezeichen erschien auf einer der Wände.

»Keine Ergebnisse für Solves Theodor Night«, verkündete er wenig später. Erleichtert lehnte ich mich zurück. Ich hatte diesen Namen nicht mehr benutzt, seid ich neun war. Und er war immer penibel achtsam gewesen, dass unsere Namen nicht irgendwo auftauchten.

Endlich schaffte ich es wieder mich etwas zu beruhigen, ehe ich den Ring zurück in die Schachtel packte und diese so weit wie es ging in die Schreibtischschublade schob. Ich würde dieses Ding nie wieder in meinem leben anfassen!

Die Tür zu meinem Trainingsraum öffnete sich lautlos und das Licht ging schnell an. Erfreut ging ich zu einem der Boxsäcke, welche ordentlich von der Decke hingen. Neben ihnen hingen die Bandagen. Geübt befestigte ich sie und stellte mich dann breitbeinig auf. Der Boxsack schien mir ein gutes Ziel für den Tag.

Er war schwer, aber kein Lebewesen. Von Menschen hatte ich entschieden genug.

Ich holte aus und fing an auf ihn einzuschlagen bis meine Knöchel pochten.

Ich trat einen Schritt zurück und schüttelte meine Schultern aus, ehe ich erneut einen Angriff startete. In diesem Moment schien er sich schneller zu bewegen als je zuvor. Der Sack knallte gegen meine Schulter und warf mich zu Boden. Es war als würde alles um mich herum schneller laufen. Meine Ohren rauschten.

Tick Tack.

Ich drehte mich um und rappelte mich auf als ein Mädchen vor mir stand. Der Raum um mich herum verschwamm und ich konnte nur noch sie sehen.

Ich kannte sie.

Auch wenn ihr Gesicht keinen großen Wiederkennungswert hatte erkannte ich sie sofort. Ihre dunkelblonden Haare hingen ihr locker ins Gesicht und ihre Hände deuten ausgestreckt auf mich. Ihre blauen Augen durchbohrten mich und meine Knie geben nach. Deine Zeit läuft! Hallte es in meinem Kopf und mir wurde schwindeliger.

Vor mir tauchte Neta auf, sie war mit schreckensgeweiteter Miene erstarrt während sie langsam zu Staub zerfiel. Dann tauchten weitere mir nicht bekannte Personen auf und erstarrten alle, ehe sie zerfielen und nichts weiter als einen lautlosen Schrei hinterließen.

Deine Zeit läuft Solves! Fürchte die Dunkelheit! Sei auf der Hut! Hallte es wieder in meinem Kopf. Die Stimme war viel zu hoch und ich presste mir die Hände auf die Ohren.

»Stopp«, keuchte ich.

Ein hoher Piepston setze ein und mir wurde übel.

Um mich herum drehte sich alles und ich konnte nichts mehr klar erkennen.

Nun drang ein Kreischen an meine Ohren und ich schloss schmerzgepeinigt die Augen. Vor meinen inneren Lidern tanzte das Mädchen, während um sie herum alle zu Staub zerfielen.

Tick. Tack.

Ein dumpfer Schlag ertönte und ich riss wieder die Augen auf. Clare lag vor mir, die Augen verdreht und eine tiefe Wunde in der Brust. Ihre weißen haare bildeten eine Fächer um sie und sie lächelte.

Selbst im Tod war sie wunderschön.

Deine Zeit läuft! Fürchte die Dunkelheit! Sei auf der Hut! Brüllte es wieder in meinem Kopf, ehe Clare ebenfalls zerfiel.

»Nein!«

Das Mädchen trat an Clares Stelle und betrachtete mich abschätzig. Ich wusste wer vor mir stand, es war ihre Mörderin. Eine von ihren Freundinnen welche Clare sich auf Agrunus gesucht hatte.

Luna, Dawn und Loura.

Das Mädchen lachte und verblasste dann.

Alles um mich herum wurde schwarz und Panik wie ich selbst in der letzten Nacht nicht empfunden hatte packte mich.

Ich kämpfte gegen die Schwärze an, doch sie wollte nicht verschwinden.

Fürchte die Dunkelheit!

»Solves«, rief irgendeine Stimme von weit entfernt. Jemand berührte meine Schulter und packte mich unsanft.

»Solves, kannst du mich hören?«

Mein Kopf pochte, meine Hände fühlten sich taub an und irgendetwas war in meinem Hals. Wie rief die Stimme nach mir, doch die Dunkelheit wollte mich nicht freigeben.

Wieder sah ich das Mädchen, welches sich um sich selbst drehte. Ihre nichts sagendes Gesicht grinste und verschwand dann wieder.

Irgendjemand hob mich hoch und ich hörte eine weitere Stimme, welche verdächtig nach Doktor Pillms klang: »Was hat er gesagt?«

Die andere Person erwiderte: »Irgendetwas mit Dunkelheit, dann ist er einfach umgekippt, ich habe ihn von draußen Beobachtet.«

»Endlich«, zischte Doktor Pillms. Verwirrt wollte ich die Augen öffnen, doch ich war nicht in der Lage meinen Körper zu bewegen.

Wieder ergriff mich die Panik und ich kämpfte gegen die Schlingen der Hilflosigkeit an. »Bring ihn in mein Büro«, kommandierte Doktor Pillms.

»Sollte er nicht in die Krankenstation?«

»Nein. Bring ihn in mein Büro wenn du noch weiter an dieser Schule bleiben möchtest. Und ich würde dir raten kein Wort über diesen Vorfall zu verlieren. Meine Ohren sind überall.«

Die mir unbekannte Person schnaubte und dann verlor ich endgültig den Draht zur richtigen Welt.

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