Alles kommt wohl oder übel wieder

Mein Gegner wich nach links aus und ich versetzte ihm einen Haken mit meiner Hand.

Er keuchte auf und taumelte nach hinten.

Von irgendwo klatschte jemand. Der Junge vor mir wischte sich die schwarzen Haare aus dem Gesicht und seine Augen fixierten mich.

Sie waren unergründlich tief und zerrten an mir, wie ein unendlicher Sog.

»Komm zu mir«, flüsterte er und trat einen Schritt auf mich zu.

Er war zweieinhalb Köpfe kleiner als ich, noch ein Kind.

Seine grüne Uniform hing in Fetzen von seinen schlaksigen Gliedern und eine tiefe Schnittwunde, welche ich ihm nicht zugefügt hatte zog sich von seiner rechten Augenbraue schräg bis zum Kinn.

»Du kannst mich nicht schlagen Solves«, verkündete er und streckte mir seine kleine Hand entgegen.

Sie war so weiß wie die eines Toten.

Keuchend trat ich einen Schritt zurück und stelle mich breitbeinig hin, bereit erneut gegen ihn zu kämpfen.

»Du bist mir ausgeliefert«, flüsterte er mit röchelnder Stimme und lächelte.

»Hier bist du nichts von all dem was du draußen zu scheinen seinst. Täuschung funktioniert hier nicht.«

Ich schluckte und versuchte mich von seinen Augen loszureißen. Er hatte keine Pupillen, sie waren glühend schwarz, doch gleichzeitig gleißend rot.

»Du hast Angst Solves«, flüsterte er.

Seine schritte hallten auf dem weißen Boden, welcher seltsame braune Flecken hatte. Der Raum schien immer kleiner zu werden.

»Wenn ich du wäre hätte ich auch Angst«

Mein Herz klopfte und ich wusste, dass er es wahrnahm, meinen Schrecken aufsaugte und mich damit in den Wahnsinn treiben würde. Seine grüne Jacke glänzte an seiner Brust rot, doch er schien die Wunde gar nicht wahrzunehmen. Einen halben Meter von mir entfernt blieb er stehen und lächelte. Seine Zähne waren die kleinen eines Kindes und doch wirkten sie wie die einer Raubkatze.

»Es gibt kein Entkommen«

Doch! Es muss einen Weg geben.

Ich machte einen Schritt nach hinten und prallte gegen die kühle Wand. »Ich hätte nicht gedacht, dass es so einfach wäre dich in die Knie zu zwingen«

Mein Kopf pochte, es gab einen Ausweg, er war irgendwo und ich kannte ihn, aber ich konnte mich nicht von den Augen des Junges losreißen. Sie waren so schön und schrecklich gleichzeitig. Sie verhießen den qualvollsten Tod und gleichzeitig ein baldiges Ende.

»Du bist schwach«

Wie ein Echo hallten die Worte in mir wieder und meine Knie gaben nach, während ich ihm in die Augen starrte.

»Hilf mir«, krächzte ich panisch und versuchte mich mit meinen Händen vor den Augen zu beschützen.

»Hier ist niemand der dir helfen könnte«

Ich riss meinen Blick von den Augen los und fühlte mich sofort wieder befreit, mit gesenktem Kopf suchte ich verzweifelt nach der Lösung.

Etwas tropfte mir vom Kinn und der kleine durchquerte den letzen Meter mit einem großen Schritt. Seine Hand schloss sich wie Metall um meinen Kiefer und er zwang mich ihm direkt ins Gesicht zu sehen.

»Ne- Neta«, krächzte ich. Sie war die Lösung, meine Rettung vor ihm.

»Dieses Mal nicht Solves, dieses Mal ist niemand da um dich zu retten. Dieses Mal bist du mir ausgeliefert. Denn es gibt niemanden mehr dem du genug bedeutest, als das er dich aus diesem Schrecken holen könnte«

Seine Hand drückte fester zu und Schmerzen durchflossen meinen gesamten Körper. Es war als würde pure Lava durch mich hindurchfließen und mich von innen zerfressen.

»Soll es aufhören?«

Ich brachte keinen Ton über die Lippen. Die Lippen des Jungen verzogen sich zu einem hämischen Grinsen. »Weißt du, jedes Mal endet es langweilig mit dir.« Jedes Mal? Wie meint er das? Ich kenne ihn nicht... oder etwa doch.

»Du denkst darüber nach. Gut so«, flüsterte er, als wäre er nicht in der Lage lauter als ein wispern zu sprechen. »Irgendwann wirst du es vielleicht verstehen. Wenn du dann nicht schon längst tot bist. Wir werden sehen«

Seine Finger bohrten sich in mein Kinn und drehten mein Gesicht von links nach rechts und wieder zurück. Schließlich hob er seine andere Hand und strich mir damit eine schwarze Strähne aus dem Gesicht. »Vielleicht bist du doch nicht so perfekt«

Seine kalten Finger hinterließen glühende Spuren auf meiner Haut und ich schrie innerlich. Ich war nicht in der Lage meine Lippen zu bewegen. »Merkst du etwas Solves? Alles kommt irgendwann zurück. Gut oder schlecht, alles holt dich wohl oder übel wieder ein.«

Ich blinzelte, ich kannte diesen Satz. Tief in mir löste sich etwas und ich starrte ihn fassungslos an.

»Du?« Es war als wäre irgendetwas in mir gelöst worden, meine Lippen fühlten sich rau an und ich hatte das Bedürfnis zu husten. »Überraschung«, murmelte er und schloss zum ersten Mal seine Augen.

»Aber wie?«

»Du denkst du verstehst alles Solves. Aber das tust du nicht, du verstehst rein gar nichts«

Ich musste schlucken und blickte ihn panisch an.

»Du bist tot«

»Wie man es nimmt. Vielleicht bist du auch der jenige der tot ist. Es kommt immer auf den Betrachter an.«

Meine Finger kribbelten und ich merkte erst jetzt, dass ich sie die ganze Zeit verkrampft ineinander geschlungen hatte.

»Solange du an mich glaubst werde ich nicht sterben Solves. Solange du mich ab Leben erhältst wirst du tot sein«

»Was soll das heißen? Das ergibt keinen Sinn...«, meine Lippen verkrampften sich und ich konnte nicht weiter sprechen.

»Vielleicht hättest du damals lieber Neta genommen.«

Netas hübsches Gesicht blitze vor mir auf, sie schrie und wand sich während er sie in die Luft hielt.

»Erinnerst du dich überhaupt noch? Oder dachtest du, wenn du es verdrängst wird es besser. Was du – was ihr – getan hast war abstoßend. Erinnerst du dich?«

Weitere Bilder stürzen auf mich ein und ich versuchte dicht zu machen. Er durfte nicht so nah an mich heran kommen. »Und im Nachhinein hast du geweint. Du hattest Panikattaken, du warst die Person welche sich wie das Opfer dargestellt hat. Lustig oder?«

Ein weiteres Bild trat vor meine Augen. Es war wie eine Fotografie von mir selbst. Meine Hände waren schwarz und mir wurde schlecht. Wie hatte er es geschafft so nah an mich heranzukommen?

»Denkst du, es ist unfair, dass du leiden musst? Das ich derjenige sein sollte, der hier auf dem Boden liegt und vor Schmerzen schreit? Schmerzen, welche nur durch ein paar Erinnerungen geweckt werden«

Ich schüttelte den Kopf und es war als würde mich ein tiefer Nebel umfangen. Ich fiel tief in ihn und er umfing mich weich. »Du kannst dem hier nicht entkommen Solves!«, brüllte er nun plötzlich mit einer erschreckend lauten Stimme.

Der Nebel verschwand und ich sah wieder sein verzerrtes Gesicht. Seine Haare hingen ihm ins Gesicht und er lächelte schmerzerfüllt. »Du hast es nicht anders verdient Missgeburt!«, zischte er. »Erinnerst du dich?«

Ich biss die Zähne zusammen während ich wahrnahm, dass Tränen über meine Wangen strömten.

»Es – Es tut mir leid«, krächzte ich und versuchte mich aufzurichten. Meine Füße schienen am Boden zu kleben und als ich meine Hände bewegen wollte zog der Boden sie in einer Welle zurück an sich.

»Diese Erkenntnis ist rührend, wenn auch etwas zu spät, denkst du nicht?«

»Sa...«, wieder stockte meine Stimme und ich schaffte es nicht weiter zu sprechen. Er lächelte und ließ endlich mein Gesicht frei.

»Das ist echt zuckersüß, du kannst es nicht aussprechen Solves. Und ich, ich kann dich so nennen wie ich will. Solves Theodor Night«

Weitere Tränen rannen mir übers Gesicht und ich starrte auf den Boden. Auch wenn er losgelassen hatte spürte ich seine Finger. »Ich muss zugeben, dass ich angenommen hatte, dass du ein bisschen stärker bist.«

Der kleine Junge machte eine ausladende Geste und trat von mir weg. »Nach all dem was passiert ist.« Die Handbewegungen passten nicht zu ihm. Sie wirkten zu erwachsen und erinnerten nicht an einen kleinen Jungen. Seine harten Gesichtszüge stachen mir nun, da mir klar war wer er war wie Messer ins Auge. Die hohen Wangenknochen, das spitze Kinn und die schmale Nase.

»Ich denke manchmal, dass ihr alle so dumm seid. Und gleichzeitig fühlt ihr euch so schlau und überlegen, vor allem du Solves.«

Langsam richtete ich mich auf, darauf bedacht keine hektischen Bewegungen zu machen, welche dem Boden auffallen könnten.

»Du bist jetzt ein Star. Beliebt. Alle schlagen sich um dich und doch versteht dich keiner«, säuselte er.

Ich schloss die Augen und zwang mich, ein Teil der Schmerzen zu vergessen. Ich konnte ihn besiegen, ich hatte genug Training absolviert. Ich war einer der besten Kämpfer an der Schule.

»Du bist kein guter Kämpfer. Die Magie in dir ist es, aber hier kannst du nichts gegen irgendjemanden ausrichten. Schon gar nicht gegen mich.«

»Wie ist es möglich, dass du meine Gedanken lesen kannst Sa...« Wieder brach meine Stimme an dem Wort. »Ich kann deine Gedanken nicht lesen Solves. Ich weiß was du denkst, aber ich kann sie nicht lesen. Das brauche ich auch nicht. Ich kenne dich besser als jeder andere Mensch in diesem Universum, ich kenne dich besser als jede andere Kreatur welche denken kann.«

Wieder durchzuckten mich Erinnerungen in form von Bilder wie Messerstiche. »Du bist leicht zu durchschauen«

Er drehte sich wieder zu mir um und seine Augen hatten sich verändert. Es war eine Pupille zu erkennen, welche rot in der Schwärze leuchteten. Sie verliehen ihm jedoch trotzdem keinen Funken Menschlichkeit.

Ich schaffte es mich auf seine Haare zu konzentrieren und richtete mich weiter auf. Nur noch meine Füße berührten den Boden. Unkontrollierter Schmerz durchfloss mich in Strömen und am liebsten wäre ich auf der Stelle zusammengebrochen und hätte mich dem unweigerlichen tot gestellt.

»Sa...« Er lachte. »Warum kann ich nicht Sa... sagen?«, zischte ich und setzte einen Fuß nach vorne. Eine Sekunde taumelte ich in meiner neuen Position ehe ich mein Gleichgewicht wieder im Griff hatte.

»Weil ich es nicht will. Wenn ich es wollte wärst du schon längst tot, wahrscheinlich hätte man dich schon gefunden und vergeblich versucht dich wiederzubeleben«, erklärte er gelangweilt und schritt vor mir wie ein Tier auf und ab. Das ich es geschafft hatte aufzustehen schien ihn kalt zu lassen. »Wenn ich wollte würdest du schreiend am Boden liegen. Wenn ich wollte würdest du kein Wasser weinen sondern dein eigenes Blut. Hörst du? Ich kann deine eigene Gabe gegen dich einsetzen.«

Ich fuhr mir mit einer Hand über das tränennasse Gesicht aber ich schaffte es nicht den Salzwasserstrom zu stoppen. Als wäre ich nicht mehr Herr meines Körpers.

Er trat wieder nah an mich heran. Nur eine Handbreit trennte unsere Nasen.

»Warum tust du das?«, fragte ich und starrte ihm in die Augen. Der Sog, welcher von ihnen ausging war so stark, dass ich spürte wie meine Knie zitterten während ich mich gegen ihn wehrte.

»Rache wäre nicht der richtige Ausdruck oder?«, murmelte er und starrte zurück. »Weißt du, ich bin es satt, dass du alle Vorzüge des Lebens auskostest und mich einfach vergisst.«

Mein Herz beschleunigte weiter in einem Höllentempo. »Und mir hat deine Angst gefehlt Solves, wie du es versuchst zu unterdrücken, den Drang wegzurennen.«

»Ich habe keine Angst mehr vor dir«, log ich knurrend und bohrte meine kurzen Fingernägel in die andere Hand.

»Oh doch, du hast vor mir mehr Angst als vor jedem anderen Menschen«, lachte er und holte wieder aus. Reflexartig wich ich aus und packte seine Hand im Schlag. Ich riss mich von seinen Augen los und drehte seinen Arm soweit, dass er aufkeuchte. Gerade als ich ihn etwas nach unten gedrückt hatte machte er sich in einer fließenden Bewegung los und schleuderte mich über den Boden.

Es war als würde ich für ihn nichts wiegen. »Du siehst überrascht aus, dass ich dich immer noch durch die Gegend schmeißen kann«, kommentierte er und knackte mit den Fingerknöcheln.

»Größe spielt keine Rolle«

Ich schluckte und rappelte mich wieder auf, dann ging ich auf ihn los. Versuchte seine Nase mit meiner Faust zu treffen, doch er fing sie wieder ab und verdrehte meine Hand so lange bis etwas knackte. Unfassbarer Schmerz durchfloss mich und ich schaffte es nur knapp einen Schrei zu unterdrücken. »Gebrochen ist sie nicht«

Ich schnaufte und holte mit dem Fuß aus. Gelangweilt tänzelte er zur Seite, packte meinen Fuß, welcher auf der Höhe seines Kopfes war und wischte ihn wie ein nerviges Insekt weg. Ich prallte schmerzhaft auf den Boden auf und alle Luft wurde aus meiner Lunge gepresst.

»Leg dich nicht mit mir an«

Schmerzgepeinig stand ich mich wieder auf, darauf bedacht die pochende Hand und den Fuß nicht so sehr zu belasten. »Ich habe noch eine Hand und einen Fuß«, knurrte ich.

»Und ich habe noch genug Zeit um dir jeden Knochen in deinem Körper zu zertrümmern wenn du nicht aufhörst«

Er schaute zu mir hinauf und doch kam es mir so vor als wäre ich der kleine und nicht er.

»Vielleicht ist es gut, dass du klein bist. Dann...«

»Bin ich dir nicht in allem überlegen?«, schnaubte er und lehnte sich gegen die Wand.

Ich rieb mir den Handballen und schluckte. »Wie komme ich hier hinaus?«

»Wieso denkst du, das es einen Ausweg gibt?«

Es muss einen Ausweg geben! Irgendwie bin ich hier doch auch hineingekommen... Wie bin ich hier überhaupt hineingekommen?

Mein Kopf schwirrte, ich erinnerte mich nur noch, dass ich gegen ihn gekämpft hatte ehe er zu ihm geworden war.

»Es ist wirklich reizend dir beim Grübeln zuzusehen aber etwas langweilig für mich, oder gibst du schon auf?«, lachte er. Sein raues Lachen klingelte mir in den Ohren und wieder brach ein Schwall Erinnerungen über mich hinein.

»Ich frage mich, warum dich so viele nicht durchschauen, du bist ein offenes Buch«

Wieder schluckte ich und fuhr mir über die Lippen, wie konnte es sein, dass er mich immer noch verstand während ich nur kalte Leere spürte wenn ich ihn ansah?

»Du hast dich nicht verändert, ständig bist du auf der Suche nach Antworten auf Fragen welche du nicht beantworten kannst. Denn nur ich kenne sie und ich verspüre gerade nicht unbedingt ein Wohltätigkeitsgefühl«

»Hast du jemals etwas Gutes Empfunden Sa...«, sein Name blieb mir wie Feuer im Mund stecken.

»Oh ja, Solves Black. Ich habe mich wirklich für dich gefreut, als du eine Familie gefunden hattest. Wenn auch etwas armselig die erstbeste aufzusuchen.« Er schnaubte und spielte an einem dünnen schwarzen Ring welcher er um seinen Zeigefinder der rechten Hand trug. Sofort trugen mich meine Gedanken zu dem Gegenstück welches in meiner Schublade des Schreibtisches lag.

»Selbst den Ring hast du abgelegt.«

Zum ersten Mal umfing mich eine angenehme ruhe. »Ja«

»Es tut mir in der Seele weh, dass du so bist Solves Theodor«

»Hör auf mich so zu nennen!«, brüllte ich und stürzten wieder nach vorne. Der kleine Junge lächelte sein perfektes Lächeln und bewegte sich dann so schnell auf mich zu, dass ich es nicht einmal schaffte zu blinzeln. Die Faust traf mein Kinn und ich wurde zurückgeschleudert.

Mein Kopf knallte hart auf den Boden und alles drehte sich um mich herum.

»Genug geredet Solves«, zischte er nah an meinem Ohr, auch wenn ich ihn nicht sehen konnte.

»Ich denke wir sehen uns bald wieder Bruder«

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