9. Kapitel, 9. Dezember

Wir schreiben Montag, den neunten Dezember und es ist viel zutun. Doch zuerst überrascht mich Leano ein weiteres Mal mit einer Pfannkuchen-Kreation in der Küche und einem Kaffee.

Dieses Mal sind es drei Pfannkuchen übereinander aufgestapelt. Er hat dem Schneemann aus unseren verschiedenen Müslisorten, die wir für Jules daheim haben, ein Gesicht geformt. Zwei Augen aus großen Schokodrops, einen Mund aus kleinen Schokodrops und eine Nase aus einem Drop, den ich nicht identifizieren kann. Der Schneemann hat außerdem noch Knöpfe, ebenfalls aus Schokodrops und eine Mütze aus einer Erdbeere. Daran ist ein Bommel mit Schlagsahne befestigt, ebenso wie der Schneemann einen Sahneschal trägt.

"Ich liebe ihn"

"Aber dann kannst du ihn doch nicht töten" , sagt Leano theatralisch, als ich mit Messer und Gabel in den Schneemann piekst und etwas von ihm abschneide.

"Zu spät" , grinse ich. "Wie auch in den letzten Tagen köstlich. Ich kann es nicht fassen, dass du mir das Rezept nicht verraten willst. Du bist unglaublich.."

"Unglaublich talentiert?" , frage ich mit einem schelmischen Grinden im Gesicht. "Gutaussehend? Charmant? Schön? Ich kann so weitermachen"

"Gehen wir nach dem Frühstück ins Zimtschneckenküsse?" , fragt er mich grinsend,als wir gemeinsam essen.

"Wir können nicht direkt nach dem Frühstück schon wieder ins Café gehen. Wieso wirst du eigentlich nicht dick?" , frage ich. "Bei dem ganzen Gebäck, welches du inhalierst"

"Ich hab da so meine Methoden" , sagt er.

"Und die wären?" , frage ich.

"Staatsgeheimnis" , erwidert er. Jul hat er schon frühstück zubereitet, der ist schon in die Schule gegangen. Seitdem Leano da ist, hat Jul wieder viel mehr Routine in seinem Alltag, was ihm zu helfen scheint. Er scheint viel weniger die Schule zu schwänzen, soweit ich das beurteilen kann. Ich habe immerhin in den letzten Tagen keine Beschwerde mehr vom Direktor erhalten, was ich als ein gutes Zeichen sehe.

"Außerdem muss ich heute echt viel erledigen" , füge ich noch zu meiner Begründung hinzu, weshalb wir nicht schon wieder sofort das Café meiner Freunde aufsuchen können.

"Du hast es gestern versprochen" , sagt Leano schmollend und ich sehe momentan in ihm das kleine Kind.

"Ja, nachher. Am Nachmittag. Aber nicht direkt nach dem Frühstück. Deine Sucht ist echt nicht mehr normal"

"Hallo? Hast du das Gebäck der beiden probiert?" , fragt er und schaut mich mit aufgerissenen Augen an, als hätte ich einen Alien entführt.

"Ja, aber das Gebäck kann bis heute Nachmittag auf mich warten" , erkläre ich. "Oder du gehst eben alleine"

"Ich will nicht alleine gehen" , sagt er.

"Dann musst du eben auf mich warten" , sage ich. Nach einer weiteren Diskussion sieht er schließlich ein, dass er verloren hat und verkriecht sich in sein Zimmer. Ich bleibe in der Küche und brainstorme für anstehende Events, die ich im Christmas Inn stattfinden lassen will. Ich will auf jeden Fall einen Weihnachtsball veranstalten. Dadurch, dass die meisten Gäste auch über Weihnachten hier sind, will ich den am 24. Dezember veranstalten und alle sind herzlich eingeladen. Jeder der kommen möchte, ist willkommen. Dafür schreibe ich mir schon einmal eine To do Liste, denn es ist wirklich viel zutun bis dahin und viel zu organisieren, wenn ich all das rechtzeitig schaffen möchte. Ich will schließlich, dass der Ball perfekt ist. Ich brauche bis dahin auf jeden Fall einen Tannenbaum und ich frage mich, wann ich diesen besorgen soll, dass er schon einige Tage steht, denn das ist eine Sache, die ich schon vorher besorgen kann. Ich will aber auch, dass der Baum noch schön aussieht. Ich recherchiere ein bisschen zu Tannenbäumen und entscheide mich schließlich für eine Edeltanne, die ich mir für nächsten Montag auf meine To do Liste setze. Dann brauche ich auf jeden Fall die richtige Musik und etwas zu Essen für meine Gäste. Ich brauche natürlich auch ein wenig Dekoration, wobei ich wohl das meiste von meiner Einweihungsfeier des Hotels widerverwenden kann. Mit dem Tannenbaum im Ballsaal, wo wir auch die Einweihungsfeier gefeiert haben, müsste es himmlisch aussehen. Ich freue mich schon jetzt total auf den Ball und kann es kaum abwarten, mit der Planung zu beginnen. Im Hintergrund trudelt die Weihnachtsmusik und immer, wenn ein Lied mir besonders auffällt, füge ich es meiner Playlist hinzu, die später auf dem Ball laufen soll. Ich überlege, ob ich auch noch einen DJ besorgen soll, entscheide mich aber schließlich dagegen. Es soll so viel wie möglich aus dem Christmas Inn in dem Ball stecken. Kein Schnickschnack, reines Christmas Inn Gefühl. Außerdem wären das alles weitere Kosten, die ich nicht decken kann. Ich würde so gerne so viele Veranstaltungen planen und umsetzen, doch auch all das kostet Geld. Geld, welches fast aufgebraucht ist. Ich würde so gerne eine Veranstaltung für Obdachlose starten, auch wenn unsere kleine Stadt nur wenige Obdachlose beinhaltet. Zum Glück. Dennoch gibt es genug Obdachlose auf der Welt, die dankbar sind für solche Veranstaltungen, bei denen sie im warmen sind und etwas zu Essen bekommen. Gerade Weihnachten ist ein guter Anlass dafür, denn es ist immerhin das Fest der Liebe. Auch wenn man sich im Rest des Jahres auch um seine Mitmenschen kümmern sollte. Ich schreibe die Idee auf meinen Zettel. Vielleicht kann ich es ja in den nächsten Jahren umsetzen, wenn mein Hotel schon ein wenig am Laufen ist. Jetzt ist es vielleicht doch noch etwas zu viel des Guten. Jetzt ist es vielleicht noch ein bisschen zu viel von mir verlangt. Ich seufze. Ich plane noch ein bisschen, bis ich schließlich zu müde und erschöpft bin und an Leanos Zimmertür klopfe.

"Herein" , kommt es zurück. Ich schiebe die Tür vorsichtig weiter auf und schaue in sein Zimmer hinein. Er sitzt an seinem Schreibtisch vor dem Laptop und scheint ziemlich beschäftigt zu sein.

"Entschuldige, ich wollte dich nicht stören. Ich hätte jetzt bloß Zeit für einen Kakao und eine" , sage ich, doch ich kann meinen Satz nicht beenden, denn er redet dazwischen.

"Zimtschnecke" , beendet er meinen Satz grinsend. "Das lasse ich mir nicht zweimal sagen" , sagt er und klappt den Laptop zu. "Gib mir fünf Minuten" , sagt er und ich verschwinde aus seinem Zimmer, um mich umzuziehen. Nach fünf Minuten treffen wir uns im Foyer und ziehen uns die dicken Sachen an. Wir quatschen eine Weile auf dem Weg ins Zimtschneckenküsse und werden dort auch schon freudig erwartet, als wir eintreffen.

"Ich habe mich schon gefragt, wann ihr wieder auftaucht" , sagt meine Freundin grinsend.

"Wir haben wohl einen neuen Stammgast" , sagt Oma Holly, die heute auch wieder im Geschäft hilft. Sie kann es einfach nicht lassen. Ich setzte mich zu Oma Holly an den Tresen und rede ein wenig mit ihr. Sie ist zu einer echten Vertrauensperson für mich geworden. Zumindest eine Erwachsene Person in meinem Leben, denn auch wenn ich vierundzwanzig und somit erwachsen bin, fühle ich mich kein Stück weit erwachsen. Da ist es immer gut eine Oma an seiner Seite zu haben, die einen guten Rat parat hat. Wir setzen uns an einen der Tische und studieren den Buchtipp der Woche, der an einem der Plakate klebt, während wir genüsslich unser Gebäck verspeisen.

"Ich dachte, du willst dich durchs Sortiment testen" , sage ich lachend, als die Zimtschnecken ankommen, die wir bestellt haben.

"Ich kann einfach nicht anders" , sagt er schmatzend, als er in sei hineinbeißt . "Das Café trägt seinen Namen zurecht"

"Hab ich ja gesagt" , erwidere ich.

Als er die Zimtschnecke aufgegessen hat, bestellt er noch ein anderes Gebäck.

"Echt jetzt? Du musst doch schon platzen"

"Ich habe extra nicht so viel zum Frühstück gegessen." , sagt er grinsend. "Ich will mich doch durch das ganze Sortiment testen, und da ich nicht keine Zimtschnecke bestellen kann muss ich eben danach noch etwas bestellen, damit ich meinen Plan in die Tat umsetzen kann" , sagt er beschwichtigend.

"Ich verstehe, Herr Zimtschneckenmann" , sage ich grinsend und nehme noch einen Schluck meines Kakaos.

"Den Kakao haben sie hier aber auch echt drauf"

"Hey, es geht aber doch kein Kakao über meinen, oder?" , frage ich. Kakao ist meine Spezialität. Das ist etwas, was ich richtig gut kann. Er zeigt mit seinen Fingerspitzen und einem verzerrtem Gesicht eine kleine Lücke.

"Hey" , sage ich und boxe ihm gegen den Arm. "Ich muss aber schon zugeben, dass die beiden es echt drauf haben" , gebe ich zu. Wir beide essen auf und bezahlen schließlich mit einer ordentlichen Menge Trinkgeld.

"Wenn das so weitergeht, kann ich aber nicht immer so viel Trinkgeld geben" , sage ich, als wir aufstehen und den Laden verlassen.

"Nächstes Mal lade ich dich ein" , erwidert er.

"Nein, so war das nicht gemeint" , sage ich.

"Aber was, wenn ich es möchte?"

"Dann darfst du das natürlich auch." , sage ich und versuche dann einen Erklärungsansatz zu finden. "Ich meine nur, weil das Hotel mich fast mein ganzes erspartes aufgebraucht hat. Ich brauche irgend eine Idee, wie ich an Geld komme. Klar, es kommen bald die ersten Gäste, aber ich würde auch so so gerne so viele Events planen. Doch die kosten natürlich alle Geld", gebe ich zu.

"Was ist, wenn du Eintritt verlangst?" , fragt er. "Für die Veranstaltungen?"

"Ich möchte eigentlich, dass jeder kommen kann. Auch wenn er nicht so viel hat, weißt du?" , frage ich.

"Verstehe. Und was, wenn du einfach Eintritt per Spende machst? Also, diejenigen, die nichts haben, müssen auch nicht bezahlen. Aber das einfach jeder kommen kann und spenden soll, wie viel er eben kann?" , fragt Leano.

"Das ist eigentlich gar keine so schlechte Idee" , überlege ich laut und mache mir eine gedankliche Notiz, dass ich es für den Weihnachtsball so halten möchte.

"Hey, das ist eine super Idee" , beschwert Leano sich.

"Okay, es ist eine super Idee" , gebe ich ihm recht. Im nächsten Moment schaue ich den Himmel.

"Es hat angefangen zu schneien" , sagt Leano und schaut ebenfalls in den Himmel. Wir beide strecken reflexartig die Zunge aus und versuchen, den Schnee aufzufangen. Wir beide müssen lachen, als wir uns wieder ansehen.

"Zwei doofe, ein Gedanke" , sagt er grinsend und schaut wieder in den Himmel, wo die Schneeflocken immer dichter werden.

"Ich liebe Schnee, auch wenn ich dann nicht mehr so gut vorankomme" , sagt Leano.

"Oh, sollten wir uns lieber beeilen?" , frage ich.

"Nein, nicht nötig. So schnell geht das nicht. Ich will den Schnee lieber noch ein bisschen genießen"

Wir bleiben eine ganze Weile so stehen. Das muss ein super dämliches Bild abgeben. Zwei Erwachsene, die im Schnee stehen geblieben sind, die Köpfe in den Himmel recken und die Zungen ausstecken, um die Schneeflocken so zu fangen. Mit Leano vergesse ich die Welt um mich herum. Es ist mir völlig egal, was die anderen denken.

"Na, ihr Idioten" , höre ich da auf einmal eine Stimme, es stört mich aber nicht und ich lasse die Augen weiterhin geschlossen und halte den Kopf weiterhin in den Nacken.

"Das sieht echt dämlich aus" , sagt die gleiche Stimme da noch einmal.

"Stört uns nicht" , höre ich da Leanos Stimme. "Probiere es auch aus"

Als ich die Augen öffne, sehe ich meinen Bruder. Der sechzehnjährige, dem momentan wirklich alles peinlich ist. Doch kaum, dass ich mich verstehe, stellt er sich tatsächlich zu uns.

"Du hast echt eine Superkraft" , flüstere ich Leano zu und so stehen wir drei mitten auf der Straße und fangen den Schnee mir unseren Zungen auf, bis mir zu kalt wird.

"Ich würde jetzt gerne nach Hause. Mir wird echt kalt" , sage ich und die beiden geben sich geschlagen. Wir machen noch kurz einen Abstecher zum Einkaufsladen, weil die Jungs heute Abend wieder etwas kochen wollen und machen uns schließlich auf den Rückweg ins Hotel. Die beiden verschwinden in die Küche und ich setzte mich mit meinem Tagebuch in den Sessel im Wohnzimmer. Ich mache mir den Kamin ab und beginne zu schreiben, was in den letzten Wochen passiert ist. Dabei kann ich immer gut abschalten und ich mag es, meine alten Tagebücher durchzusehen, auch wenn ich kaum etwas davon wieder lese. In dem Moment tut es mir einfach gut, all meine Sorgen, Ängste und Gefühle niederzuschreiben. Oder eben auch einfach nur meinen Tag aufzuschreiben. Nach kurzer Zeit schaue ich wieder aus dem Fenster, wo es noch immer schneit und es sieht wirklich magisch aus. Es hat sich schon eine dünne Schneeschicht gebildet. Ich hoffe darauf, dass der Schnee über Nacht liegen bleibt und morgen eine dicke Schneeschicht unseren Rasen bedeckt. Nach einer Weile rufen die beiden Jungs zum Essen und das ganze Hotel riecht wieder himmlisch. Am heutigen Tag haben sie eine Gemüsepfanne gezaubert. Jul scheint Dads Kochbuch wieder rausgeholt zu haben, denn es schmeckt verdammt ähnlich und ich muss meine Tränen zurück halten. Ich hätte nicht gedacht, dass ich jemals wieder eines von Dads Gerichten schmecken würde und doch tue ich es jetzt. Ich bin unendlich dankbar dafür, dass Leano in unser Leben getreten ist. Ich danke meiner besten Freundin, dass sie diese bescheuerten Vlogs von der Renovierung gemacht hat, denn nur so hat Leano von unserer Existenz erfahren. Und all die anderen Gäste, die in ein paar Wochen zu uns stoßen werden. Völlig Fremde, die mit uns Weihnachten und Silvester verbringen werden, die uns aber schon auf gewisse Weise kennen. Es ist irgendwie ein verrücktes Gefühl und ich schreibe meiner besten Freundin direkt nach dem Essen, wie dankbar ich ihr für ihre Existenz bin. Wir verabreden uns für morgen zum Kekse backen, was sie natürlich für ihren Vlogmas filmen will, den sie momentan dreht. Nach dem Abendessen verkrieche ich mich auf mein Zimmer, nachdem ich unser Hotel abgeschlossen habe und finde endlich die Zeit, die ersten Vlogmas-Videos von Nur zu schauen, die sie in den letzten Tagen hochgeladen hat. Ich liebe meine beste Freundin und ihre Videos. Besonders gerne schaue ich eben die Vlogmasvideos, wofür es die letzten Tage einfach zu wenig Zeit gab. Als Leano in dem ersten Video auftaucht, streiche ich über sein Gesicht und versuche es heran zu zoomen. Mir wird jetzt schon ganz flau im Magen bei dem Gedanken, dass er wieder abreisen muss und uns hier alleine zurück lässt. Mich und vor allem Jul, der ihn so sehr ins Herz geschlossen zu haben scheint. Jul, dem es seit Leanos Ankunft endlich wieder besser geht. Der sowas wie eine Vaterfigur in Leano gefunden hat, irgendwie auf verdrehte und seltsame Weise. Jul, der endlich wieder lächelt.

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