8. Kapitel, 8. Dezember


An diesem Morgen hat Leano eine weitere Pfannkuchen Kreation für mich auf meinen Platz gestellt und begrüßt mich mit einem Fröhlichen "Guten Morgen". Ich schaue auf meinen Platz und schmelze dahin. Auf meinem Teller liegt ein Pfannkuchen. Dieser Pfannkuchen hat zwei Marshmallows mit Blaubeeren als Augen, eine Himbeernase, sowie einen Bananenbart. Außerdem hat er auch eine Himbeermütze auf, die Leano mit ein bisschen Schlagsahne noch verziert hat.

"Santa Claus begrüßt dich herzlich" , sagt Leano und stellt mir noch einen Becher Kaffee dazu.

"Eigentlich müssten diese Pfannkuchen ein Markenzeichen vom Christmas Inn werden" , überlege ich laut und schreibe es mit auf meine Ideenliste.

"Jetzt aber mal halb lang. Es ist noch nicht einmal sieben Uhr. Hier wird noch nicht gearbeitet" , sagt Leano und setzt sich zu mir an den Tisch. Er hat keine besondere Kreation auf seinem Teller liegen, sondern bloß ein paar Pfannkuchen, die er sich mit Nutella bestrichen hat. Wir essen gemeinsam und genießen den Start in den Tag.

"So, und jetzt einen Ausflug ins Café, oder was?" , fragt er grinsend, als wir die Teller in die Spülmaschine räumen.

"Du spinnst ja wohl. Ich bin jedenfalls satt" , gebe ich zurück. "Aber wenn du unbedingt willst, machen wir heute Nachmittag einen Ausflug ins Café" , gebe ich mich geschlagen, nachdem er einen Schmollmund zieht.

"Und was haben wir heute sonst noch vor?" , fragt er mich. Da ich gestern den Großteil meiner Aufgaben erledigt habe und noch kein großer Ansturm in Sicht ist, sollte ich wohl meine freie Zeit noch genießen und mich um meinen einsamen Gast kümmern. Ich sollte es genießen, die Zeit mit ihm zu verbringen, denn ich mag ihn wirklich sehr.

"Ohh, ich habe eine Idee" , sagt er da auf einmal und kramt Stifte und ein Blatt Papier aus seinem Rucksack hervor, den er immer am Rollstuhl hängen hat.

"Was zur Hölle hast du da alles drinnen?" , frage ich lachend. "Du bist wie diese Ente aus Petzi"

"Alles, was ich eben so brauche" , sagt er schulterzuckend und beginnt zu malen. Ich schaue ihm schweigend dabei zu, weil es mich irgendwie beruhigt. Als er fertig ist, bin ich beeindruckt.

"Ich wusste nicht, dass du so gut malen kannst" , sage ich.

"Das wissen die wenigsten. Also, das ist unsere Christmas Bucket List. Was muss alles da drauf? Was müssen wir alles erleben?" , fragt er und ich überlege. Schlittschuh laufen habe ich jedes Jahr mit meinen Freundinnen gemacht, aber ich weiß nicht, ob das mit Rollstuhl irgendwie möglich ist. Wahrscheinlich nicht. Schlitten fahren? frage ich mich und merke, wie eingeschränkt man ist, wenn man im Rollstuhl sitzt. Kurz bin ich dankbar, dass ich gesund bin und dann weise ich mich zurecht. Leano hat ein tolles Leben. Und sein Rollstuhl ist keine Bestrafung, er gibt ihm Freiheit. Wenn es den Rollstuhl nicht gäbe, dann würde Leano viel weniger Freiheit haben.

"Fjolla?" , fragt Leano mich und holt mich aus meinem Gedankenstrudel heraus.

"Ganz wichtig. Oberster Punkt" , sage ich. "Eine Rentierfarm besuchen"

"Oh ja, sehr wichtig" , sagt er und schreibt es nach ganz oben auf unsere Liste. Wir haben es uns vor ein paar Tagen vorgenommen, unsere Unternehmung bisher aber eingach noch nicht geschafft, umzusetzen. Leano fügt noch etwas hinzu.

"Schlitten fahren und eine Schneeballschlacht" , liest er vor, was er geschrieben hat. "Falls es hier nochmal schneien sollte. Aber der Name euer Stadt schreit nach Schnee. Ich bin ehrlich gesagt enttäuscht, wenn es hier keine unmengen an Schnee geben sollte. Wenn ihr eure Stadt schon Snowmount nennt, dann müsst ihr auch was zu bieten haben."

"Kekse backen"

"Lebkuchenhaus bauen"

"Einen Tannenbaum kaufen"

"Einen Tannenbaum schmücken"

"Weihnachtsfilme gucken"

"Einen Weihnachtsmarkt besuchen"

"Heißen Kakao trinken" , sagt Leano. "So einen könnte ich jetzt auch brauchen" , sagt er und macht sich an unserer Küche zu schaffen. Er bereitet uns beiden einen heißen Kakao vor.

"Ein paar der Dinge konnten wir schon erledigen. Meinst du, wir schaffen es diese Liste abzuarbeiten, bevor deine ganzen Gäste kommen und ich dich nicht mehr sehen kann, weil du zu beschäftigt bist?" , fragt er.

"Du wirst mich noch sehen" , widerspreche ich.

"Da bin ich mir nicht so sicher"

"Dann lass uns jetzt direkt mit einem Punkt der Liste anfangen" , sage ich. "Heute ist Sonntag, arbeitsfreie Zone" , sage ich. "Deshalb könnten wir eventuell heute einen kleinen Ausflug machen" , sage ich und recherchiere nach der Rentierfarm in der Nähe und wie man dort am besten hinkommt. Als ich sie wiedergefunden habe schreie ich das Haus nach Jul zusammen. Ich freue mich, dass er Lust hat, mitzukommen, denn in den letzten Jahren haben wir in der Weihnachtszeit nie Dinge gemeinsam gemacht. Er scheint endlich aufzutauen und das genieße ich.

"Ich fahre" , schreit Leano.

"Du hast ein Auto?" , frage ich.

"Was meinst du, wie ich hergekommen bin?" , fragt er mich verdutzt.

"Stimmt. Keine Ahnung. Aber wo hast du es abgestellt?" , frage ich.

"Na, auf deinen Parkplätzen. Hinter dem Hotel"

"Leano. Das sind nicht meine Parkplätze" , sage ich und die Panik in seinen Augen wird riesig.

"Scheiße, sag nicht, es kann sein, dass mein Auto abgeschleppt wurden ist. Ich hab da all mein Herzblut reingesteckt. Ich werkle da immer dran rum und es ist eine Spezialanfertigung."

Als wir nach draußen gehen, haben wir Glück. Das Auto ist noch da und uns allen fällt ein riesiger Stein vom Herzen.

"Nachher parkst du am besten hier" , sage ich zeige ihm einen meiner Parkplätze, die ich bauen lassen habe.

"Ich hätte geheult, wenn Paige was passiert wäre"

"Du hast deinem Auto einen Namen gegeben?" , frage ich lachend.

"Machst du das etwa nicht?" , fragt er.

"Ich habe kein Auto" , sage ich schulterzuckend. "Hier kommt man auch überall zu Fuß hin"

"Und wenn du mal einen Tannenbaum kaufen musst?" , fragt er. Ich schaue seinen roten Truck mit Ladefläche und dann ihn an.

"Dafür habe ich ja jetzt dich" , sage ich grinsend und steige auf der Beifahrerseite ein.

"Bitte alles einsteigen" , sagt Leano, nachdem wir seinen Rollstuhl verstaut haben, den man erstaunlich klein klappen kann. Er erklärt mir, dass er so selbstständiger ist, weil er alles selbst machen kann und niemanden um Hilfe bitten brauch. Jul steigt hinten ein und es dudelt sofort Weihnachtsmusik durchs Auto. Ich schaue Jul im Rückspiegel an. Es scheint ihm gut zu gehen. In den letzten Jahren hat er keine Weihnachtsmusik ertragen, hat um sich geschlagen, wenn doch einmal welche aus versehen lief und ich ihn nicht davor schützen konnte, doch jetzt wippt er sogar mit. Auch Leano und ich singen ausgelassen und äußerst schief mit, bis wir bei der Rentierfarm ankommen. Dort erklärt uns einer der Mitarbeiter, dass dies Tiere sind, die nicht mehr arbeiten können und hier ihr Lebensende verbringen. Sie sind unglaublich süß und wir können sie sogar streicheln. Sie sind wirklich sehr lieb und zutraulich. Der Mitarbeiter erzählt uns eine menge spannender Dinge über die Tiere, die mein kleiner Bruder aufsaugt. Zwei der Tiere stecken ihren Kopf durch den Zaun und ich mache ein Selfie von uns fünf. Es sieht zuckersüß aus. Jul will noch mehr über die Tiere wissen und quetscht den Mitarbeiter förmlich aus, doch der scheint seine Freude daran zu haben, jemandem sein Wissen vermitteln zu können.

"Weißt du, Rentiere gehören zu der Familie der Hirsche und leben im hohen Norden. Sie können bis zu 300 kg schwer werden" , sagt der Hüter. Mein Bruder macht große Augen. "Sie können bis zu zwanzig Jahre alt werden"

"Fjolla, wärst du ein Rentier, wärst du schon tot" , sagt Jul lachend und ich liebe es, dass er drüber wieder Scherze machen kann. Eine Zeitlang hat er jeden makabreren Scherz über den Tod zurück gehalten, dabei habe ich genau das an meinem Bruder so sehr geliebt. Daran merke ich, dass es ihm deutlich besser geht und es erleichtert meine Brust um einen weiteren Stein.

"Leider sind die Rentiere weltweit gefährdet" , sagt da der Hüter und es macht mich traurig. Es sind so schöne, majestätische Tiere. Daraufhin stellt mein Bruder unzählige Fragen.

"Warum haben alle Rentiere Geweihe? Sind das alles Männchen?" , fragt Jul. Er erinnert mich oft noch an ein kleines Kind, aber wahrscheinlich dauert es auch einfach länger, wenn deine Eltern quasi sterben, wenn du noch kleiner bist. Dann wirst du eben nicht so schnell erwachsen, oder gerade dann geht alles viel schneller.

"Nein, es sind Männchen und Weibchen. Wenn du genau hinsiehst, siehst du, dass die Männchen größere Geweihe haben, als die Weibchen. Aber alle haben Geweihe" , erklärt der Hüter ihm.

"Cool" , gibt mein Bruder zurück und schießt direkt mit der nächsten Frage hinterher.

"Schmeißen die auch ihr Geweih ab, so wie andere?" , fragt Jul.

"Ja, manchmal laufen sie auch nur mit einem Geweih rum. Das sieht ziemlich lustig aus. Siehst du das bei ihm? Männchen werfen ihre Geweihe im Herbst ab, Weibchen erst im Frühjahr. Im Oktober pflanzen sie sich fort. Siehst du das, bei ihr kann man schon ein kleines Bäuchlein sehen? Unsere Dame hier ist schwanger"

"Oh, wie schön" , mische ich mich in das Gespräch ein.

"Naja, in der Natur ist das meist nicht so schön. Die Paarungszeit kann ganz schön heftig sein"

"Warum?" , fragt Jul neugierig.

"Die Männchen kämpfen. Sie suchen sich gleich mehrere Weibchen aus und scharen bis zu 15 Rentierdamen um sich. Mit sogenannten Brunftschreien werben sie dann um die Weibchen. Meist kommt es dabei eben zu Kämpfen unter den Männchen. In den schlimmsten Fall bleiben sie mit dem Geweih aneinander hängen und müssen verhungern" , erklärt der Hüter.

"Wie schrecklich" , sage ich.

"Das ist aber zum Glück nur selten der Fall" , beruhigt mich der Hüter. "Und hier bei uns kommt es sowieso nicht vor" , sagt er lächelnd. Ich muss an all die Tiere draußen denken, die verhungern mussten. Auch wenn es nicht viele sein mögen, ein paar werden es bestimmt gewesen sein. Kein schöner Tod, denke ich und habe Mitleid mit ihnen, bis der Hüter mich mit seinen weiteren Erzählungen aus meinen trüben Gedanken reist.

"Nach ungefähr 230 Tagen Tragzeit bringt das Weibchen ihr Junges zu Welt. Meist ist das so im Mai oder Juni" , sagt der Hüter.

"Dann müssen wir nochmal herkommen" , sagt Jules. Er scheint ziemlich fasziniert von den Rentieren zu sein. "Wie viele bringt die Mutter zur Welt?" , fragt Jul.

"Meistens eins, manchmal aber auch zwei. Schon kurz nach der Geburt ist das kleine selbstständig. Sogar schon nach einer Stunde steht es auf und kann laufen"

"Ohh, das ist bei uns anders. Bei manchen dauert es ewig" , scherzt Leano. "Ich kann es bis heute nicht" , sagt er lachend und wir stimmen in sein Lachen mit ein.

"Rentiere sind doch Herdentiere, oder?" , fragt Jul.

"Genau, in freier Wildbahn leben sie in Gemeinschaften, die bis zu 100.000 Tiere umfassen können"

"Wow" , sagt Jules.

"Die Tiere können sich aber jederzeit anschließen oder auch wieder gehen. Sie wandern auch sehr viel. Im Winter bis zu 5.000 Kilometern, um sich zu schützen."

"Richtige Sportskanonen" , sagt Leano.

"Außerhalb dieser Wanderungszeit lösen sie sich aber in kleine Gruppen auf. Das können mal 10 oder auch 100 Tiere sein, die ich zusammentun."

"Was essen Rentiere?" , fragt Jul.

"Rentiere sind Vegetarier. Sie ernähren sich meist von Gräsern, jungen Trieben, Blättern, Kräutern und Rinde. Auf ihren Wanderungen müssen sie sich aber auch oft auf Pilze, Moose und Flechte beschränken" , sagt der Hüter.

"Sympathisch" , sage ich lachend und gebe meinen Senf dazu.

"Leider werden Rentiere von Menschen seit hunderten von Jahren gezüchtet, um dann getötet zu werden, um sie zu essen oder Felle daraus herzustellen" , gibt der Hüter seufzend zurück.

"Das ist schrecklich" , sage ich mitfühlend.

"Deshalb bin ich froh, dass wir hier eine Auffangstation haben. In der freien Wildbahn würden unsere Tiere nicht mehr überleben, weshalb sie zu uns gekommen sind. Damit sie nicht getötet werden"

"Das ist ein schöner Gedanke" , sagt Jul.

"Wie heißen deine Rentiere?" , fragt Jul.

"Was glaubst du denn?" , fragt der Hüter grinsend.

"Dasher" , sagt Jul lachend.

"Das stimmt" , gibt der Hüter zurück. "Warum lachst du so?"

"Naja, einer unserer Freunde heißt genau so. Kannst du mir Dasher zeigen. Dann mache ich ein Selfie und schicke es meinem Freund."

"Klar" , sagt der Hüter und verschwindet mit Jul, um ins Rentiergehege zu gehen.

"Das war eine wunderbare Idee, Fjolla. Das ist ein sehr schöner Ausflug. Und etwas, was ich noch nie gemacht habe. Es ist echt spannend. Und ein Punkt unserer Liste können wir Zuhause schon abhaken" , sagt er und gibt mir ein High Five.

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