19. Kapitel, 18. Dezember

Ich wache an diesem Morgen wieder mit einem Kribbeln im Bauch auf und sogar das zweite Mal diese Woche früh, denn ich freue mich so sehr auf diesen Tag und auf meinen zweiten Gast in meinem kleinen Hotel. Es ist einfach die angesagteste Autorin der Stadt. Ich darf sie einfach nicht verpassen, denn schließlich muss ich noch ein Polaroidfoto von ihr schießen, damit sie an meiner Pinnwand verewigt wird. Ich gehe hinunter in die Küche und sehe, dass noch keiner wach ist. Ich schaue noch einmal auf die Uhr und rufe December an, als ich sehe, wie früh am morgen es noch ist. Natürlich hat sie auch heute wieder ein famoses Frühstück für mich in Petto. Ich möchte nicht, dass mein Gast denkt, ich wäre unselbstständig, wenn sie meinen anderen Gast in der Küche stehen sieht. Ich muss definitiv eine Lösung für dieses klitzekleine große Problem finden, denn ich denke nicht, dass ich es in den nächsten Tagen lernen werde, grandios zu kochen. Ich schaue beim Zimtschneckenküsse vorbei und mache mich dann wieder auf den Weg ins Christmas Inn. Der kleine Spaziergang tut mir gut, auch wenn es wieder einmal eiskalt ist. Ich sehe meinen eigenen Atem und sogar der Fluss ist zugefroren. Zuhause angekommen packe ich alles auf und dekoriere es schön auf dem Esstisch. Kurz darauf koche ich Kaffee und meine Gäste, sowieso mein Bruder tauchen in der Küche auf.

"Guten Morgen" , begrüßt Leano mich grinsend, als er das Frühstück sieht.

"Guten Morgen" , begrüße ich ihn und die anderen beiden.

"Warum gibt es keine Pfannkuchen?" , fragt Jul. Ich haue ihn unauffällig. Ich will vor der berühmten Autorin nicht unselbstständig wirken.

"Au" , sagt er und ich trete ihm noch einmal auf dem Fuß. Wieso versteht er meinen dezenten Hinweis auch einfach nicht? Ich lächle die Autorin an und sie setzt sich auf einen der Plätze.

"Das sieht aber gut aus" , sagt sie.

"Es ist Frühstück aus dem Zimtschneckenküsse. Das müssen sie unbedingt mal probieren. Ich dachte, da sie heute bei uns sind, machen wir mal etwas besonderes" , sage ich und Leano muss sich ein grinsen verkneifen. Sie muss ja nicht wissen, dass wir jeden Tag dort zu Besuch sind. "Sie müssen dort auf jeden Fall mal vorbei schauen" , sage ich und gieße uns dreien einen Kaffee ein und meinem Bruder einen Kakao. Sie beißt ab und beginnt zu stöhnen.

"Ohh, wow. Das ist wirklich gut" , sagt sie.

"Sie machen dem Namen des Cafés auf jeden Fall alle ehren. Seitdem ich hier bin, bin ich süchtig geworden" , erklärt Leano.

"Kommen Sie gar nicht von hier?" , fragt sie. "Ich dachte, sie beiden wären ein Paar" , erklärt sie.

"Oh" , sage ich und werde schon wieder rot. Ich würde mir wünschen, dass Leano bleibt und wir ein Paar wären, aber das ist wohl Wunschdenken, immerhin wird er in ein paar Tagen wieder abreisen.

"Wir sind kein Paar. Ich bin Anfang des Monats angereist. Meine Familie wohnt in Snowmount. Ich besuche Sie und wohne im Christmas Inn" , sagt Leano.

"Achso. Sie wären aber ein schönes Paar" , sagt sie und zwinkert mir zu. Jetzt würde ich am liebsten im Erdboden versinken. Ich muss knallrot angelaufen sein.

"Danke" , sagt Leano lächelnd. Ihm scheint die Situation gar nicht unangenehm zu sein.

"Das Christmas Inn ist wirklich schön. Ich könnte auch glatt einen Monat hier verbringen, wenn ich nicht gerade in der Stadt wohnen würde" , gibt sie zu. "Aber ich war einfach zu müde. Gleich nach dem Frühstück werde ich mich auf dem Heimweg machen. Das nächste Buch schreibt sich nicht von selbst" , sagt sie.

"Das ist sehr vernünftig. Darf ich fragen, worum es in ihrem Buch gehen wird?" , fragt Leano.

"Eigentlich darf ich das nicht verraten, aber ich bin noch ganz in den Anfängen. Das hier finde ich eigentlich ziemlich schön. Vielleicht schreibe ich über euch beide" , sagt sie.

"Über uns?" , frage ich. "Aber sie schreiben doch nur Liebesromane?" , frage ich.

"Naja, was nicht ist, kann ja noch werden"

Kann diese Frau mal aufhören solche Anspielungen zu machen? Leano scheint das nicht zu stören, aber mir ist es echt unangenehm und ich glaube, noch roter kann mein Kopf nicht mehr werden. Ich versuche unauffällig nun das Thema zu wechseln und verbringe ein halbwegs weiteres, angenehmes Frühstück. Nach dem Frühstück frage ich sie einfach gerade heraus, schließlich hat sie mein Frühstück echt unangenehm gemacht. Da kann ich sie jetzt auch genauso nach einem Foto fragen. Auch wenn sie gestern nach tausenden gefragt wurden ist.

"Oh, aber sicher. Das ist eine wirklich schöne Idee mit der Wand" , sagt sie und lobt meine Idee. Sie schnappt sich ihr neustes Buch, mit welchem sie gestern gelesen hat und hält es neben sich. Ich schieße ein Foto und wir warten kurz, bis es sich entwickelt. Dann hängen wir es gemeinsam an die Wand.

"Oh, wie wunderbar" , sagt sie und packt ihre Sachen. Ich begleite sie noch zum Auto und lasse mich dann schließlich aufs Sofa fallen, als ich sie verabschiede.

"Mann" , sage ich und atme aus. Leano kommt und setzt sich neben mich.

"Alles okay?" , fragt er mich.

"Die Frau fand ich irgendwann echt unangenehm" , sage ich.

"Echt?" , fragt er. Scheint er all die Sprüche von ihr gar nicht wahrgenommen zu haben? Vielleicht geht es auch nur mir so, weil ich irgendwie etwas für Leano empfinde. Vielleicht empfindet er es anders, weil er eben nichts für mich fühlt. Manchmal würde ich echt gerne in Menschen hineinschauen können.

"Wenn du sie schon unangenehm findest, wie wirst du dann all die anderen Gäste überstehen, die bald anreisen werden?" , fragt er grinsend. "Und dann auch noch über die Weihnachtszeit"

"Hast du ihre komischen Andeutungen denn gar nicht wahrgenommen? Das war total seltsam. Und dann die Idee mit der Geschichte über uns" , erkläre ich. Leanos Puls schießt auf hundertachtzig. Er hat Angst , mit ihr darüber zu reden, weshalb er sofort wieder abblockt.

"Ach, das war doch nichts" , sagt er mit wegwerfender Handbewegung. "Nur dummes Gequatsche"

Mir weicht alle Farbe aus dem Gesicht. Ich bin mir sicher. Leano mag mich überhaupt nicht. Also zumindest nicht so. Nicht auf diese Weise. Nicht so, wie ich ihn eben mag. All die Momente zwischen uns. Habe ich mir das nur eingebildet? Habe ich es mir schön geredet, weil ich etwas für ihn empfinde? Weil ich gerne mit ihm zusammen wäre.

"Naja, aber in der Weihnachtszeit sind außerdem alle gut gelaunt. Die werden ja wohl nicht alle so sein, wie sie. Die meisten trauen sich sowas gar nicht. Zum Glück" , erwidere ich noch, weil ich nicht weiß, was ich sonst noch sagen soll. Weil ich irgendwie verletzt bin.

"Naja , ich treffe mich jetzt jedenfalls mit Nur. Bis später" , sage ich und nutze das als Ausrede. Ich bin verletzt und will alleine sein, kann ihm das aber nicht sagen. Immerhin ist er immer noch mein Gast. Ich darf überhaupt keine Gefühle für ihn haben. Warum verliebe ich mich denn auch in den ersten Gast meines Hotels? Unpassender kann das doch gar nicht sein. Ich atme die kühle Luft ein und lasse meinen Schädel durchlüften. Ich mache einen Spaziergang über den Weihnachtsmarkt, doch all die engen Gänge und das Gedränge erinnern mich an Leano, weil es für ihn nicht einfach ist, solche Ausflüge zu machen. Ich mache so gerne Sachen mit ihm, auch wenn seine Behinderung alles erschwert. Nicht seine Behinderung erschwert es, weise ich mich zurecht. Die Umgebung erschwert Dinge im Rollstuhl zu machen. Man könnte die Gänge breiter bauen. So würden einfacher Rollstühle oder eben auch Kinderwagen hindurchpassen. Die Menschen würden außerdem nicht mehr so drängeln. Wenn die Umgebung sich besser anpassen würde, an jeden individuellen Menschen gäbe es ein paar weniger Probleme. Ich kaufe mir eine Tüte Schmalzgebäck und denke noch ein wenig über alles nach, bis ich schließlich wirklich vor Nurs Haustür stehe.

"Hey" , sage ich.

"Hey, Fjolla. Alles okay?" , fragt sie.

"Kann ich reinkommen?" , frage ich.

"Klar. Immer. Was ist los?" , fragt sie und bereitet mir einen heißen Kakao vor, der mich wieder an Leano erinnert. Jedes einzelne Element in dieser Stadt erinnert mich an ihn. Ich breite meine Sorgen vor Nur aus. Ich wusste nicht einmal, dass man Liebeskummer haben kann, obwohl man noch nicht einmal in einer Beziehung ist oder verlassen wurde.

"Liebe ist scheiße" , sage ich nach einer Weile.

"Schokoeis?" , fragt Nur.

"Immer."

"Schokoeis hilft immer" , sagt Nur und holt eine Packung Schokoladeneis aus der Tiefkühltruhe ihres Schrankes. Wir setzen uns aufs Sofa und quatschen. Dann schauen wir noch einen Film und machen einen kleinen Mädels Abend aus dem spontanen Treffen. So habe ich Leano noch nicht einmal angelogen, denn Lügen ist etwas, was ich hasse. Schließlich schlafe ich auf dem Sofa von Nur ein.

*

Mitten in der Nacht wache ich orientierungslos auf und brauche einen Moment, um wach zu werden und mich zu orientieren.

"Scheiße, scheiße, scheiße", fluche ich und muss lächeln. Natürlich muss ich an Leano denken. Er nimmt mein ganzes Gehirn ein. Warum ist man so vernebelt, wenn man verliebt ist? Ich bin nicht zum Abendessen aufgetaucht und auch sonst nicht. Er ist zwar mein einziger Gast, aber ich habe dennoch Verpflichtungen. Ich habe noch nicht einmal eine Nachricht hinterlassen. Mein kleiner Bruder ist Zuhause. Ich will Leano schreiben, doch mir fällt auf, dass ich seine Handynummer gar nicht habe. Ich habe seine Kontaktdaten zwar im Hotel gespeichert, aber da nützt mir das nun äußerst wenig.

"Fuck" , fluche ich noch einmal. Nun bin ich hellwach. Ich mache mich sofort auf den Weg ins Hotel. Ich hoffe, dass alle friedlich schlafen und mein Wegsein gar nicht bemerkt haben. Doch als ich beim Christmas Inn ankomme, brennt drinnen Licht.

"Scheiße, wo warst du?" , begrüßt Leano mich.

"Es tut mir so Leid" , sage ich kleinlaut.

"Du hast gesagt, du triffst dich mit Nur. Aber dann bist du nicht wiedergekommen und ich habe mir Sorgen gemacht. Ich hab die ganze Zeit versucht, dich zu erreichen"

"Woher hast du meine Nummer?"

"Das ist doch scheiß egal. Wo warst du?"

Eigentlich bin ich im keine Rechenschaft schuldig, oder? Immerhin ist er nur mein Gast. Aber er hat sich Sorgen gemacht. Ich bin Inhaberin dieses Hotels. Hat er ein Recht darauf?

"Entschuldigung, ich bin eingeschlafen und eben erst aufgewacht" , sage ich kleinlaut. Dann zieht er mich in eine innige Umarmung.

"Scheiße, ich dachte dir ist was passiert" , sagt er und lässt mich eine Weile nicht mehr los. "Ich konnte nicht schlafen, weil du einfach nicht mehr wiedergekommen bist. Ich war die ganze Nacht wach"

"Entschuldige" , sage ich noch einmal.

"Ist okay. Mach das nur nie wieder, okay?" , fragt er. Er würde nicht so reagieren, wenn ich ihm nicht wichtig wäre, oder?

"Okay" , antworte ich und er hält mich immer noch im Arm. Das ist definitiv mehr als Gast und Hotelinhaberin. Sonst würde das jetzt nicht so aussehen. Sonst würde er mich nicht so lange, so festhalten, wie jetzt . Und ich glaube, da ist auch mehr als Freundschaft zwischen uns. Aber ich kann das nicht ansprechen. Er wohnt bei mir. Wenn ich es anspreche und es nun doch nicht so ist, dann habe ich ihn noch bis Silvester hier und es wäre echt peinlich. Meine Freundin würde sagen: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Doch ich bin ein Schisser. Ich habe einfach nicht den Mut dazu und ich hoffe, dass er mutiger ist. Ich hoffe, dass er mir seine Gefühle gesteht, wenn er welche hat. Denn stell dir mal vor, wir haben beide Gefühle füreinander und sagen es nicht? Dann reist er ab, obwohl wir eine Romanze hätten haben können.

"Zack und Cody?" , fragt er.

"Zack und Cody" , sage ich und so schauen wir in dieser Nacht die zweite Staffel zu Ende bis in die dritte hinein.

"Ein paar Tage haben wir ja noch" , sagt er zwinkernd. "Dann können wir sie komplett schauen und du hast eine Bildungslücke weniger"

"Hey!" , protestiere ich und haue ihn freundschaftlich.

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