15. Kapitel, 14. Dezember

Am nächsten Tag wache ich wieder neben Leano auf. Dieses Mal auf dem Sofa und ich liebe alles daran. Mein Kopf liegt auf seiner Brust. Ich habe auch nicht solche erdenklich schrecklichen Nackenschmerzen, wie in der Nacht zuvor. Ich öffne meine Augen und atme seinen Duft ein. Kurz darauf wacht auch er auf, als ich in der Küche unseren Kaffee vorbereite.

"Guten Morgen" , begrüßt er mich, als er in die Küche kommt. "Das ist doch mein Job. Lass bloß die Finger von der Pfanne!" , warnt er mich.

"Hey, ich habe uns nur schon einmal einen Kaffee zubereitet. Immerhin muss ich es ausnutzen, wenn ich einmal vor dir wach werde. Und ich will dir auch mal etwas gutes tun!" , gebe ich zu.

"Dankeschön" , sagt er und nimmt den Kaffee entgegen. Wir setzen uns beide erst einmal an den Frühstückstisch und genießen unseren morgendlichen Kaffee in aller Ruhe und reden dabei über die Weihnachtsfilme, die wir gestern Abend gesehen haben.

"Bist du aufgeregt?" , fragt er mich nach einer Weile. "Wegen Dienstag" , fügt er hinzu, als ich ihn mit fragendem Gesicht anschaue.

"Noch hält sich meine Aufregung in Grenzen. Heute wird erst einmal in aller Ruhe der Samstag genossen" , gebe ich zu. Ein Tag, an dem ich mir sozusagen frei nehme. Auch wenn man als Hotelbesitzerin niemals frei hat. Doch das hier sehe ich nicht als Arbeit. Ich wusste nicht, dass der Traum meiner Eltern einmal zu meiner Leidenschaft werden kann.

"Ich freue mich auf einen freien Tag mir dir. Wo ist Jul?" , fragt Leano.

"Der schläft noch. Samstage sind zum ausschlafen da, sagt er immer"

"Verständlich. Als Teenager war ich nicht anders" , erzählt er mir und wir reden eine Weile über seine Kindheit, bis Jul die Treppen heruntergeschlurft kommt.

"Hunger?" , fragt Leano ihn.

"Und wie" , gibt Jul zu und schlendert erst einmal zur Kaffeemaschine, um sich einen Kaffee ein zu gießen.

"Seit wann trinkst du Kaffee?" , frage ich.

"Seit neustem. Einer meiner Kumpels hat zu seinem Geburtstag so ein krasses Teil bekommen. Da haben wir alle mal probiert. Kaffee kickt echt anders" , erklärt er und trinkt einen Schluck. Ich kann förmlich sehen, wie seine tiefen Augenringe kleiner werden und sein Blick wacher wird.

"Kaffee bewirkt Wunder" , ergänze ich, denn auch ich fühle mich nicht mehr, wie gerädert.

"Habt ihr Lust ins Zimtschneckenküsse Frühstücken zu gehen?" , fragt Leano grinsend. Er ist echt ein Schelm.

"Du bist unmöglich" , erwidere ich.

"Wenn du zahlst" , sagt mein kleiner Bruder und ich haue ihn.

"Sowas macht man nicht" , erkläre ich. "Ich bezahle für uns" , sage ich.

"Und was, wenn ich euch gerne einladen möchte?" , fragt er.

"Dann sagen wir nicht nein" , beantwortet mein Bruder seine Frage.

"Ich würde euch gerne einladen" , antwortet Leano und ich schaue ihn böse an. Der Kerl ist unglaublich. Wir packen uns dick ein, denn in der Nacht hat es wieder begonnen zu schneien und die Temperaturen sind noch einmal einige Grade kälter geworden. Auch Jul zwinge ich zu einer Mütze und einem Schal. Die Handschuhe findet er dann jedoch zu uncool und friert sich lieber die Pfoten ab. Meinetwegen. Zumindest habe ich ihn ein ganz kleines wenig zur Vernunft gebracht. Das ist schon einmal die halbe Miete. Wir machen uns auf den Weg in das Zimtschneckenküsse und ich genieße den Weg dorthin. Immer noch schneien kleine Flocken vom Himmel, die den Spaziergang total romantisch werden lassen. Mein kleiner Bruder läuft vor, weil ihm nun doch die Hände frieren und er es kaum abwarten kann, wieder ins Innere zu kommen. So bin ich erneut mit Leano alleine. Jedoch ist es an diesem Morgen still zwischen uns. Es ist allerdings eine angenehme Stille. Niemand hat etwas zu sagen, wir beide genießen einfach den Moment, bis wir am Café meiner Freundin angekommen sind. Jul hat uns schon einen Platz reserviert und winkt uns zu. Wir setzen uns zu ihm.

"Hi, was kann ich euch heute bringen?" , fragt December uns grinsend und wackelt mit den Augenbrauen, sodass nur ich es sehen kann.

"Heute wollen wir Frühstücken" , erklärt Leano. "Wir brauchen noch eine Weile, um uns etwas auszusuchen"

"Also nicht das übliche?" , fragt sie und ich schüttele den Kopf.

"Dann komme ich in fünf Minuten noch einmal wieder" , erklärt sie. Wir studieren die Karte und entscheiden uns schließlich für ein Gericht, welches Dasher uns schon einige Male empfohlen hat. Nach ein paar Minuten kommt December noch einmal und nimmt unsere Bestellung auf. Anschließend kommt sie damit zurück und es duftet herrlich, als sie all die Köstlichkeiten auf unserem Tisch stellt.

"Ich liebe es hier" , erklärt Leano.

"Warum bleibst du dann nicht einfach hier?" , fragt December ihn.

"Naja, noch bin ich ja über die Weihnachtsfeiertage hier. Bis Silvester. Auch das muss ich noch mit meiner Familie verbringen" , sagt er und auf einmal scheint seine Stimmung zu kippen. Er scheint nicht das beste Verhältnis zu seiner Familie zu haben. Sie haben ja nicht einmal ein barrierefreies Zuhause, sodass es für Leano dort angenehm ist. Das ist schließlich der Grund, weshalb er bei mir untergekommen ist. In meinem kleinen Hotel. Mir war es besonders wichtig, es barrierefrei zu gestalten, sodass wirklich jeder Gast willkommen ist. Ob er nun gesund ist, oder eine Behinderung hat. Ob er hetero ist oder queer. Ob er schwarz oder weiß ist. Ganz egal. Alle sind willkommen. Jeder einzelne Mensch, solange er friedlich ist und nichts gegen jegliche Gruppierungen hat. Ein paar Menschen muss ich dann doch ausschließen. Queer-, Transfeindliche Menschen oder Rassisten haben in meinem Hotel nichts zu suchen. Die werfe ich auch gerne eigenständig wieder heraus. Ich falle über mein Frühstück her, denn inzwischen knurrt mir schon echt der Magen. Es ist ein bisschen seltsam, heute morgen keinen Pfannkuchen in einer besonderen Form auf meinem Teller zu haben. Dennoch genieße ich den Brunch mit den beiden Jungs sehr. Als wir fertig gegessen haben, schaue ich mich im Zimtschneckenküsse um und entdecke unser Polaroidfoto an der neuen Fotowand, in dem Events im Café festgehalten werden. Ich krame meine Liste heraus und schreibe die Idee, ebenfalls so eine Fotowand in meinen Eingangsbereich mit den Gästen, die mich besucht haben, auf.

"Fjolla, hast du nicht gesagt, heute wird nicht gearbeitet?" , fragt Leano mich streng.

"Entschuldige, mir ist gerade eine grandiose Idee gekommen. Die musste ich aufschreiben, bevor ich sie wieder vergesse" , erkläre ich.

"Na gut" , sagt Leano lächelnd.

"Warte, ich bin gleich wieder da" , erkläre ich und verschwinde zum Tresen, um meine Freundin nach ihrer Polaroidkamera zu fragen, denn ich habe noch keine und ich will das erste Foto noch heute schießen. Am besten hier, weil Leano dieses Café so liebt. Ich erzähle December von meiner Idee und sie ist begeistert. Natürlich leiht sie mir die Kamera und erzählt mir schließlich, woher sie ihre hat. Ich nehme mir vor, Leano und Jul zu einem Shoppingtrip am heutigen Tag mit zunehmen. Es bietet sich schließlich an.

"Sag mal Cheese" , sage ich grinsend und schieße ein Foto von meinem ersten Gast.

"Hey, das war ein gemeiner Überfall!" , sagt er. Er hat tatsächlich eine Zimtschnecke in der Hand. Besser hätte ich mir das Foto nicht ausmalen können. Als das Foto sich langsam entwickelt, merke ich, wie perfekt es geworden ist. Es rahmt meinen ersten Gast mit seiner größten Liebe ein. Einer Zimtschnecke, die er hier bei mir entdeckt hat. Ich liebe das Foto.

"Dankeschön!" , sage ich. "Seit ihr fertig?" , frage ich, als die beiden aufgegessen haben und wir verlangen nach der Rechnung. Leano hält sein Wort und lädt meinen Bruder und mich ein, auch wenn ich nochmals protestiere. Jul stänkert jedoch dagegen an.

"Siehst du, dein Bruder weiß, wann es am besten ist, die Klappe zu halten" , neckt er mich.

"Hey!", beschwere ich mich. Wir ziehen unsere Jacken an und treten wieder in die Kälte hinaus. Es rieselt immer noch kleine Flocken.

"Habt ihr Lust noch mit ins Einkaufszentrum zu kommen? Einen kleinen Spaziergang dorthin und ein bisschen Weihnachtsshopping betreiben?" , frage ich die beiden.

"Ehrlich gesagt friere ich mir den Arsch ab. Ich will lieber nach Hause" , sagt Jul. "Außerdem hab ich schon alles." , erklärt er mir und ich bin beeindruckt. Mein Bruder war nie der frühe Vogel, was Weihnachtsgeschenke angeht. Eigentlich hat er immer alles erst auf den letzten Drücker gemacht, so wie seine Schularbeiten und eigentlich alles in seinem Leben. "Vielleicht treffe ich mich nachher noch mit meinen Freunden, um eine Schneeballschlacht zu machen. Wenn der Schnee liegen bleibt. Damit du Bescheid weißt, Fjolla" , sagt er und verabschiedet sich von uns. Ich sehe den kleinen Punkt immer kleiner werden, denn Jul rennt. Ich hab es ihm gesagt. Wer nicht hören will, muss eben fühlen. Ich fasse es nicht. In der einen Sekunde scheint mein kleiner Bruder noch der kleine Zwerg zu sein und im nächsten Moment trifft er solche erwachsenen Entscheidungen und denkt über die Konsequenzen seines Verhaltens nach.

"Ich komme mit" , verkündet Leano. "Aber wenn wir weiter hier rumstehen, dann friere ich fest" , sagt er, denn auch ihm ist inzwischen ziemlich kalt geworden.

"Soll ich dir deine Decke geben?" , frage ich und krame sie schon aus seinem Rucksack heraus, als er nickt. Er legt sie sich über seine Beine und kurz darauf fährt er los.

"Soll ich dich schieben?" , frage ich. "Oder willst du lieber selbst fahren?" , frage ich, denn ich weiß, dass Nur es hasst, wenn man ihr unaufgefordert über die Straße hilft. Ich könnte mir vorstellen, dass es bei Leano ähnlich ist.

"Ich fahre lieber neben dir" , sagt er.

"Okay" , sage ich.

"Und es war perfekt, wie du das eben gemacht hast. Ich meine, dass du mich immer erst vorher fragst. Das mag ich. Die meisten Menschen schieben einfach. Weißt du, wie beschissen das ist, wenn du nicht damit rechnest und auf einmal jemand fremdes deinen Rollstuhl anfängt zu schieben?" , fragt er mich.

"Ich kanns mir vorstellen. Ein bisschen so, als wenn man einfach geschubst wird, oder?" , frage ich.

"Ja, ist vielleicht so ähnlich. Es überrumpelt einen jedenfalls total" , gibt er zu. Wir reden noch ein wenig, auch um von der Kälte abgelenkt zu werden und kommen schließlich am Einkaufszentrum an.

"Ich will als erstes ins Fotogeschäft" , sage ich und wir gehen darauf zu. Ich suche die schönste Polaroidkamera aus und erzähle Leano von meiner Idee, die ihn begeistert.

"Das ist total schön. Dann hast du alle deine Gäste, die jemals da waren, auf einem Blick. Das ist schön" , erklärt er und wir bezahlen die Kamera. Jeder einzelne Gast bekommt ein Foto oder ein Familienfoto, denn der Platz ist schließlich begrenzt. Leanos Foto will ich direkt aufhängen, wenn wir wieder Zuhause ankommen. Es muss einen Ehrenplatz bekommen. Er wird mir jedenfalls für immer in Erinnerung bleiben. Anschließend gehen wir noch in ein paar andere Geschäfte, um ein paar Geschenke für Jul zu kaufen. Immerhin ist er erst sechszehn und soll ein paar Sachen zum auspacken haben. In diesem Alter waren zumindest mir die Geschenke noch sehr wichtig. Das beste Geschenk muss ich allerdings noch fertig malen. Er soll ein schönes Weihnachten haben. Schöner, als die letzten beiden Jahre, die einsam und traurig waren. Wir waren immer zu zweit, anstatt zu viert, doch dieses Jahr wird alles anders sein. Ich erinnere mich noch an die Weihnachtfeste mit meinen Eltern gemeinsam. Wir sind immer in die Kirche gegangen, danach gab es Abendbrot und als es schließlich dunkel wurde, haben wir endlich die Geschenke auspacken dürfen. Jul und ich konnten es nie abwarten. Doch dieses Jahr wird alles anders. Ich will einen großen Ball am vierundzwanzigsten in meinem Hotel veranstalten. Ich hoffe, dass viele Leute kommen. Außerdem ist das Hotel am 24. 12 ausgebucht. Es werden viele Leute um Jul und mich herum sein und ich hoffe, dass ihm das hilft. Natürlich werde ich auch mit ihm meine Eltern besuchen, aber es wird nicht trostlos sein, wenn wir die beiden wieder verlassen und nach Hause kehren. Es wird viel zutun sein. Und ein bisschen hoffe ich auch darauf, dass Leano an diesem Tag bei mir sein wird. Auch wenn ich weiß, dass er bei seiner Familie sein wird und dieser Gedanke unrealistisch ist. Denn er ist nur für Weihnachten hergekommen, um dies mit seiner Familie zu verbringen. Ich müsste dankbar sein, denn schließlich haben wir uns nur deswegen kennengelernt. Und wegen Nur, dessen Videos Leano gerne schaut. Weshalb er überhaupt erst auf mein kleines Hotel aufmerksam geworden ist. Im Dezember sehen Nur und ich uns kaum, weil sie ihren Vlogmas dreht und ich nun vollends mit dem Hotel beschäftigt bin. Ich nehme mir vor, ihr gleich morgen zu schreiben, weil ich meine beste Freundin vermisse. Bei uns ist es jedoch so, dass wir uns auch einen ganzen Monat gar nicht sehen können und nicht böse aufeinander sind, sondern es danach genauso schön ist, wie vorher. Als hätten wir uns erst gestern gesehen.

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