12. Kapitel, 12. Dezember
An diesem Morgen fühle ich mich wie gerädert. Kein Wunder bei dem Besuch heute Nacht. Immerhin war der Waschbär süß. Ich stehe auf und mache mir Gedanken um den Waschbären. Eigentlich mag ich Tiere und auch der war irgendwie niedlich. Ich frage mich, ob er mich wieder besuchen kommt. Dann bloß nicht mitten in der Nacht. Wobei das eher unwahrscheinlich ist, dass der kleine Racker mich tagsüber besuchen kommt. Immerhin sind die nachtaktiv. Ich schlüpfe in meine Hausschuhe hinein und schlürfe nach unten, wo es schon herrlich nach Pfannkuchen duftet.
"Auch schon wach?" , begrüßt Leano mich.
"Meine Nacht war schrecklich. Das weißt du doch" , erwidere ich mich und setzte mich mit halb geöffneten Augen an den Frühstückstisch.
"Hier, den scheinst du bitter nötig zu haben" , erwidert er und setzt sich neben mich. Meinen Pfannkuchen hat er auch schon auf meinem Teller serviert. Dieses Mal ist es ein Schlittschuh.
"Wow" , sage ich. "Das ist bisher die krasseste Kunst"
"Manche können eben Kaffeekunst. Ich kann Pfannkuchen-Kunst. Guten Appetit" , antwortet er und beißt in seinen Pfannkuchen, um sich gleich darauf den Mund zu verbrennen. "Scheiße, ist der heiß"
"HA! Jetzt habe ich dich auch beim fluchen erwischt!" , freue ich mich und zeige auf ihn.
"Du fluchst aber viel mehr, als ich" , erwidert er.
"Jeder hat so seine Macken. Ein kluger Mann hat einmal gesagt, dass Leute ohne Macke kacke seien"
"Ich mag deine Macken" , sagt er und ich werde wieder rot. Ich trinke genüsslich meinen Kaffee und anschließend machen wir uns beide an die Arbeit. Leano verschwindet in seinem Zimmer und ich halte mich im Wohnzimmer auf. Ich zünde den großen Kamin an und mache es mir richtig gemütlich. Schließlich schreibe ich auf, was ich planen möchte. Ich krame meine To-Do-Liste heraus und schaue, was man in den nächsten Tagen schon ermöglichen könnte. Dann fällt mir das neue Hörbuch der Drei Ausrufezeichen ein, welches ich gerade höre. Ich liebe es total, weil es tatsächlich in einem Hotel spielt. An Weihnachten. Was könnte wohl besser passen? Daher hole ich mir meine Inspirationen, was ich selbst auch anbieten könnte. Das meiste ist in diesem ersten Jahr noch total unrealistisch, aber eine Sache kann ich vielleicht schon in den nächsten Tagen auf die Beine stellen. Sofort rufe ich alle zuständigen Leute an und mache Freudensprünge, als tatsächlich alles klappt. Es muss so sein. Wenn etwas so reibungslos klappt, dann ist das Schicksal. Ich setzte mich sofort an meinen Laptop und bastle ein paar Flyer für die Veranstaltung, die nächste Woche stattfindet. Am siebzehnten Dezember findet eine Lesung in meinem kleinen Hotel statt. Ich habe die angesagteste Weihnachtsautorin der Stadt eingeladen und sie wird ihre Lesung zu ihrem neusten Weihnachtsbuch in meinem Hotel lesen. Ich freue mich so sehr! Ich kann es kaum abwarten. Dafür ist nicht so viel Planung notwendig, wie für andere Dinge, denn ich muss bloß einen Raum zur Verfügung stellen, Werbung machen und den Raum vorbereiten. Sie bringt ja alles andere mit und ein bisschen Werbung gibt es für mich obendrauf. Kaum ist alles unter Dach und Fach taggt sie mich tatsächlich auf Instagram, um zu verkünden dass sie ihre nächste, spontane Lesung bei uns im Christmas Inn tätigt. Ich muss mir natürlich sofort alle Kommentare durchlesen.
"Ohh, wie schön. Schade, dass es zu weit weg ist. Ich wünsche allen viel Spaß, die hingehen!" , schreibt Alicia.
"Ich kann es kaum erwarten. Das ist ganz in der Nähe. Ich werde da sein" , schreibt ein Torben.
"Ich werde gleich meiner besten Freundin schreiben, ob sie mit mir hingehen will. Ich liebe dein neues Buch!" , schreibt Annika und so geht es ungefähr schon in den ersten 10 Minuten mit weiteren 100 Kommentaren weiter. Ich weiß gar nicht, wie ich so viele Leute unter bekommen soll. Mein Wohnzimmer ist groß, aber nun auch nicht riesig, aber umso besser, je mehr Leute kommen. Ich bin jetzt schon total aufgeregt. Ein paar Kommentare über das Hotel trudeln auch ein.
"Das sieht nach einer traumhaften Kulisse aus" , schreibt jemand und in meinem Bauch kribbelt alles.
"Wow, die Location. Ich kann es kaum erwarten, dein Buch zu hören und die Location zu sehen"
"Wunderschön!" , schreibt noch jemand. Gleich darauf trudeln auch die ersten Kommentare auf meinem eigenen Instagram Profil des Hotels auf.
"Ich liebe dein kleines Hotel. Warum habe ich das nicht früher entdeckt?" , fragt Mia. Ich beschließe, ihr gleich darauf zu antworten.
"Dankeschön. DU konntest es gar nicht früher entdecken, denn es hat erst in diesem Jahr die Welt erblickt. Am ersten Dezember" , schreibe ich zurück. Innerhalb von ein paar Minuten antwortet Mia wieder.
"Wow, ich muss unbedingt Mal einen Weihnachtsurlaub bei dir verbringen. Es sieht zauberhaft aus!"
Ich werde je nach Jahreszeit, anders dekorieren und planen. Ich will zu jeder Zeit Gäste in meinem kleinen Hotel und sie glücklich machen. Mein Herz purzelt vor Glück. Vielleicht war das der springende Punkt. Vielleicht bekomme ich so Gäste. Events. Meine Ephorie kann nicht mehr gedämpft werden und ich setze mich gleich daran, die nächsten paar Events zu planen. Gleich nachdem ich noch ein paar Kommentare auf meinem Account beantworte und ein neues Bild, ebenfalls zur Lesung poste. Werbung ist immerhin der erste und wichtigste Schritt. Ich kann es jetzt schon kaum erwarten.
*
An diesem Nachmittag nach einem Tag voller Arbeit geht es natürlich wieder in das Café meiner Freundin December. Ich kann es Leano einfach nicht ausreden und ich liebe es ebenfalls das Gebäck zu essen, weshalb ich grundsätzlich auch eigentlich nichts dagegen habe. Wir haben beide unsere Arbeit erledigt und packen uns dick ein. Draußen ist es schon dunkel. Durch die Lichterketten sieht es aber schon fast romantisch aus. Mit Leano an meiner Seite fühle ich mich auch im Dunkeln sicher, zumal hier so gut wie nie etwas passiert. In diesem kleinen Örtchen. Er kommt aus seinem Zimmer gefahren und hat etwas um seinen Rollstuhl gewickelt.
"Ist das eine Lichterkette?" , frage ich ihn. "Wie cool sieht das denn aus. Ich liebe es!" , sage ich begeistert.
"Hab ich jedes Weihnachten. So sieht man mich besser. Ich hab vorher tatsächlich einfach keine Zeit gefunden" , erklärt er.
"Ich finde, es sieht super cool aus" , erkläre ich und wir machen uns auf den Weg in das Zimtschneckenküsse. Wir setzen uns an einen der Tische und bestellen zwei heiße Kakaos, um die Kälte aus unseren Gliedern zu bekommen. Inzwischen sind es Minusgrade und ohne den Schnee ist es auch alles andere als gemütlich. Außerdem müssen natürlich noch zwei Zimtschnecken gegessen werden.
Dasher und December reißen andauernd Witze über uns, und auch Oma Holly kriegt sich nicht mehr ein, dass wir den sonst wievielten Tag vorbeischauen.
"Ihr seit inzwischen wohl unsere besten Stammkunden" , begrüßt uns Holly dieses Mal. "Ich hab euch jedenfalls gerne" , sagt sie und nimmt schon unsere zweite Bestellung entgegen, denn wir können diesem himmlischen Gebäck einfach nicht widerstehen. Leano steckt mich regelrecht an.
"So jetzt ist aber genug. Ich platze" , sage ich. "Und ich brauche wahrscheinlich auch kein Abendbrot mehr"
"Und was ist mit Schnittchen?" , fragt er.
"Bin ich im Himmel?" , erwidere ich. Meine Mama hat uns früher immer Schnittchen zum Sandmännchen gemacht und ich habe es geliebt. Ich liebte es bis vor kurzem noch, denn auch wenn wir nicht mehr das Sandmännchen geschaut haben, so war es doch jedes Jahr Weihnachtstradition "Schöne Bescherung" zu schauen und dabei Schnittchen, geschmiert von Mama, zu essen. "Zu Schnittchen sage ich nie Nein" , behaupte ich. Wir bezahlen und Leano lässt ein ordentliches Trinkgeld da. "Bald bist du pleite" , sage ich. "Wenn das so weitergeht"
"Dann zieh ich einfach bei dir ein" , scherzt er. Noch bezahlt er immerhin für das Zimmer. Wir lassen uns natürlich noch eine Zimtschnecke für später einpacken und machen uns im Nieselregen auf den Weg nach Hause. Das Hotel sieht wunderbar weihnachtlich aus und ich bewundere mal wieder unsere geschmückte Fassade. Es war die beste Entscheidung, dieses alte Haus zu renovieren und einen Traum zu verwirklichen.
"Hi, Jul! Wir sind wieder da" , schreie ich nach oben, denn ich höre Geräusche vom zocken. Er scheint mich nicht zu hören.
"Soll ich ihn fragen, ob er auch mit schauen will?" , frage ich und Leano nickt, bevor er in der Küche verschwindet. Ich erklimme das Treppenhaus und klopfe an die Tür meines kleinen Bruders, der schon völlig genervt zu sein scheint, als ich klopfe.
"Was willst du?" , frage ich.
"Willst du mitessen?" , frage ich.
"Was gibt es denn?" , fragt er. Er scheint heute echt miese Laune zu haben, denn in den letzten Tagen war er eindeutig besser drauf.
"Schnittchen"
"Was für ein scheiß" , sagt er.
"Ist alles okay? Ist irgendwas passiert, in der Schule?" , frage ich. Ich bin misstrauisch. Klar, ich kenne das Verhalten aus den letzten zwei Jahren, aber in den letzten paar Tagen schien er wieder ganz der alte Jul zu sein. Mein kleiner Jul.
"Alles gut. Ich hab keinen Hunger" , erwidert er und setzt sich die Kopfhörer wieder auf, um in einer anderen Welt zu versinken. Irgendwie verstehe ich ihn. Seine Welt ist eben das zocken. Da taucht er in eine andere Welt. Das ist sein abschalten, so wie es bei mir eben das Tagebuch schreiben ist oder mein Schlaf, wenn's ganz schlimm ist. Ich kehre nach unten zurück, wo Leano noch in der Küche herumhantiert.
"Er hat keinen Hunger" , sage ich.
"Echt? Ich habe ihm auch welche gemacht" , sagt er und ich sehe den Teller. Darauf sind ein paar Schnittchen. Er hat welche mit unserem vegetarischem Fleischsalat bestrichen, ein paar mit Käse und daneben liegen ein paar Gewürzgurken. Das perfekte Abendbrot.
"Wie süß bist du denn" , sage ich. "Vielleicht solltest du es ihm gehen. Ich komme jedenfalls nicht an ihn ran" , sage ich. Schon ist Leano im Fahrstuhl verschwunden und bringt meinem kleinen Bruder seine Schnittchen. Ich liebe diesen Kerl.
"Er will mit gucken" , sagt Leano, als er wieder herunterfährt. "Wir treffen uns in fünf Minuten im Wohnzimmer"
"Was? Wie hast du das gemacht?" , frage ich.
"Zauberei" , sagt Leano und schüttelt die Hände, wie zum Applaus bei der Gebärdensprache. "Nein, ich habe ihn einfach gefragt"
"Ich bin beeindruckt" , sage ich und bringe die Teller mit den restlichen Schnittchen ins Wohnzimmer. Schließlich mache ich es uns gemütlich und wir schließen den Film an. Nach den fünf Minuten setzt sich Jul zu uns und wir schauen gemeinsam den Film "Schöne Bescherung" und essen dabei Schnittchen. Wie jedes Jahr, nur dass Mama und Papa fehlen. Die letzten beiden Jahre haben wir dies nicht gemacht und ich bin Leano mehr als dankbar, dass wir diese Tradition dieses Jahr wieder eingeführt haben, weil ich nicht weiß, ob es jemals wieder in der alten Konstellation möglich sein wird. Wir essen die Schnittchen, diskutieren und lachen, denn Leano kennt den Film noch nicht. Jul kann ihn fast komplett auswendig mitsprechen.
"Danke" , sagt er nach einer Weile zu unserem Gast. "Für die Schnittchen. Und den Film"
"Gern geschehen. Immer wieder gerne" , erwidert Leano.
"Kommst du nächstes Jahr auch wieder, falls Mama und Papa nicht mehr wiederkommen?" , fragt er nun Leano, der völlig perplex ist. Eigentlich redet Jul nicht offen über das Schicksal unserer Eltern, auch wenn alle in Snowmount davon wissen. Mit seinen Kumpels kann und will er nicht drüber reden und bei mir verschließt er sich meist auch komplett. Er weiß natürlich nichts von unseren Eltern und ich verstreife mich komplett neben ihm. Er scheint es zu bemerken, denn er schaut mich besorgt an und nimmt meine Hand.
"Wenn du das gerne möchtest" , erwidert Leano und diese Reaktion ist perfekt. Er drückt meine Hand und lässt sie anschließend allerdings auch nicht mehr los. Wir sitzen dort und zwischen uns schwebt der Elefant im Raum. Jules steht auf, denn der Film ist zu Ende. Wir sitzen dort, Händchen haltend und schweigend. Ich will etwas sagen, doch gleichzeitig beginnt er zu sprechen.
"Du musst es mir nicht sagen, wenn du nicht willst"
"Meine Eltern.."
"Danke" , sage ich schließlich, denn ich bin noch nicht bereit, ihm diesen Teil meines Lebens zu zeigen"
"Ich bin nur ein Gast. Ich habe kein Recht darauf, okay? Wenn du es mir erzählen willst, ist das okay und ich höre dir zu. Wenn du es mir nicht erzählen willst, ist das aber auch völlig in Ordnung" , erklärt er mir und es ist die beste Reaktion, die ich mir hätte wünschen können.
"Du bist so viel mehr als ein Gast, Leano. Vielleicht erzähle ich es dir irgendwann, wenn ich bereit bin, okay? " , frage ich.
"Okay" , sagt er.
"Willst du noch einen Weihnachtsfilm schauen?" , fragt er.
"Nein, ich bin müde, ich glaube ich gehe schlafen" , erwidere ich.
"Das ist auch okay. Aber wir müssen noch ein Weihnachtsfilme Marathon machen. Du hast viel nachzuholen, wenn ihr jedes Jahr nur immer wieder den gleichen Film gesehen habt"
"Tradition ist Tradition"
"Ich liebe Weihnachtsfilme! Man kann nicht nur einen gesehen haben, man muss alle gesehen haben!" , erwidert er.
"Aber kanntest Schöne Bescherung nicht" , pfeife ich.
"Und du kennst Kevin allein Zuhause nicht" , pfeift er zurück.
"Pf" , mache ich.
"Nachholbedarf!"
"Alle beide" , sage ich lachend und verschwinde die Treppen hinauf. Insgeheim freue ich mich total auf unseren Weihnachtsfilmemarathon, denn ich verbringe einfach zu gerne meine Zeit mit ihm.
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