11. Kapitel, 11. Dezember

"Ich könnte mich daran gewöhnen" , begrüße ich Leano an diesem Morgen grinsend. Ich habe mich schon frisch gemacht und wir treffen uns in der Küche, wo eine weitere Pfannkuchen-Kreation auf meinem Teller auf mich wartet. Dieses Mal liegt wieder ein Rentier auf meinem Teller. Die Augen bilden Bananen und Blaubeeren. Die Nase eine Himbeere und den Mund und das Geweih hat er mit Schokolade gezeichnet. Die Ohren scheinen aus Ananas zu sein. Einen Schal hat er dem Rentier auch gebastelt, indem er Himbeeren und Sahne abwechselnd auf den Teller gelegt hat, sodass es nach einem gestreiften Schal aussieht.

"Ich muss immer wieder an unseren Rentierausflug denken" , sagt er. "Zu Ehren von Dasher habe ich ihn heute auf deinem Teller verewigt" , sagt er grinsend und rollt nun zu mir an den Tisch. Er nimmt gegenüber von mir Platz und holt sich noch seinen Kaffee, bis er sich schließlich zu mir setzt.

"Eigentlich bist du ja der Gast bei uns und ich fühle mich, als wäre ich im Hotel" , sage ich und erröte. Ich kann mich schon daran gewöhnen, dass Leano mir mein Frühstück macht, aber er ist eben immer noch mein Gast. Ich will keine schlechte Bewertung von ihm bekommen, weil ich nicht kochen kann.

"Zum fünfhundertsten Mal. Ich mache all das hier freiwillig, okay? Ich koche einfach gerne und ich mache das gerne für dich. Ich liebe es, wenn du morgens in die Küche kommst und freudig auf die nächste Kreation wartest. Das macht mich glücklich. Beschwer dich also nicht noch ein einziges Mal sonst.."

"Sonst was?" , frage ich grinsend.

"Muss ich mir noch überlegen. Aber es wird grausam sein. Also überlege es dir genau" , sagt er und beißt in seinen Pfannkuchen, den er zusammen gerollt hat und mit Nutella bestrichen hat, so wie jeden Morgen. Irgendwann werden wir wohl keine Pfannkuchen mehr sehen können, wenn wir so weiter machen. Natürlich bleibt unsere Diskussion über das Café meiner Freunde auch heute nicht aus. Die Zimtschnecken wird er nach Weihnachten wohl auch nicht mehr sehen können. So viele, wie er davon inhaliert.

"Schaut mal aus dem Fenster!" , schreit Jul, der immer noch im ersten Stock das Bad blockiert hat. Ich bin scheinbar heute früher aufgestanden, als sonst, denn sonst würde mein kleiner Bruder wohl schon auf dem Weg in die Schule sein. Leano und ich tun es ihm nach und tatsächlich ist der Schnee von gestern liegen geblieben. Jul freut sich natürlich, wie ein kleines Kind und ist gleich darauf durch die Haustür verschwunden.

"Bis später" , rufe ich ihm noch hinterher, bekomme aber keine Antwort mehr. Er scheint schon über alle Berge zu sein, aber es freut mich. Das ist eine positive Entwicklung der letzten Wochen. Leano und ich essen in Ruhe auf und machen für ein paar Stunden unsere eigenen Aufgaben, bis er an meine Zimmertür klopft.

"Hast du Lust einen Schneemann zu bauen? Bevor der ganze Schnee wieder wegschmilzt" , sagt er grinsend.

"Echt jetzt?" , frage ich mit leuchtenden Augen. Auch wenn ich vierundzwanzig bin, liebe ich den Schnee und mache nichts lieber, als im Schnee zu spielen. Ich ziehe mir schnell dicke Wintersachen über und dann gehen wir beide in den Garten meines Hotels. Als ich es besichtigt habe hatte ich Träume von Sommerfesten und anderen Veranstaltungen in diesem riesigen Garten. Nun nutzen wir ihn aus, denn es liegt echt viel Schnee herum. Ich schiebe eine der Kugeln durch den ganzen Garten, während Leano im Schnee sitzt und Steine um sich herum sammelt.

"Das werden Augen , Mund und Knöpfe" , erklärt er. "Hast du eine Karotte im Haus?"

"Ich muss mal nachsehen" , sage ich. Als ich wiederkomme hat er die beiden Schneekugeln, die ich geformt habe, übereinander gestapelt. Dann forme ich noch eine dritte Kugel und auch diese setzt er auf den Körper des Schneemanns. Schließlich sitzt er wieder in seinem Rollstuhl, sodass er auf der richtigen Höhe des Schneemannes ist und verpasst ihm Augen, Mund und Knöpfe. Dann reiche ich ihm die Mohrrübe und er steckt sie in den Kopf des Schneemannes.

"Etwas fehlt noch" , bemerke ich und mache mich im Garten auf die Suche nach zwei Stöckern, die ich dem Schneemann in die Seiten stecke, sodass er Arme bekommt.

"Es fehlt trotzdem noch etwas" , sagt Leano und verschwindet im Haus. Nach ein paar Minuten taucht er wieder auf und setzt dem Schneemann eine Mütze auf und bindet ihm einen Schal um.

"Ich liebe es" , sage ich lachend, als ich den Schneemann betrachte. Er sieht echt witzig aus. "Setz dich mal neben ihn" , sage ich und schieße ein Foto der beiden. Anschließend stelle ich mich noch neben die beiden und schieße ein Selfie.

"Das war lustig" , sage ich. "Aber mir ist ziemlich-" , sage ich, werde aber unterbrochen, weil ich einen Schneeball abbekomme.

"Hey!" , beschwere ich mich. "Was soll das denn?" , frage ich.

"Ich erkläre dir hiermit den Schneekrieg!" , prustet Leano los und ich bekomme noch einen Schneeball ab. Dieses Mal direkt ins Gesicht.

"Unfair" , brülle ich lachend und forme ebenfalls einen Schneeball, den ich in seine Richtung befördere.

"Daneben!" , lacht er. Ich forme noch einen und dieses Mal treffe ich zielsicher genau an seinen Kopf.

"Ha" , sage ich und schieße noch einen Ball hinterher. Eine Weile bewerfen wir uns mit den Schneebällen, bis ich mich erschöpft ins Gras sinken lasse und glatt noch einen Schneeball abbekomme.

"Okay, okay. Ich ergebe mich. Du hast gewonnen!" , sage ich lachend, hebe die Hände ergeben hoch und sehe ihn an, wie er grinsend mit noch einem bewaffneten Ball in seinem Rollstuhl sitzt. Er sieht süß aus, stelle ich fest. Mir wird ziemlich kalt, weshalb ich ihm vorschlage, ins warme zu gehen und einen heißen Kakao zu trinken, damit wir uns wieder aufwärmen und nicht die Füße abfrieren. Wir setzen uns gemeinsam aufs Sofa und ich mache uns eine heiße Schokolade. Irgendwie ist das zu unserem Getränk geworden. Ich tunke noch ein paar Marshmallows in meine Schokolade hinein und begebe mich schließlich auf die Couch, wo Leano und ich eine Weile reden, bis es schließlich dunkel wird.

"Weißt du was?" , frage ich.

"Was denn?" , fragt Leano.

"Es ist fast Halbzeit. Nur noch 12 Tage bis Weihnachten. Also morgen zumindest" , stelle ich fest.

"Ja, und?" , fragt er.

"Naja. Wir haben noch keinen einzigen Weihnachtsfilm geschaut"

"Schande über unser Haupt" , sagt er ernst.

"Was ist dein Lieblingsweihnachtsfilm?" , frage ich ihn.

"Oh, schwierig" , sagt er und überlegt. "Ich mag viele Weihnachstfilme, aber wahrscheinlich einer der Klassiker. Charlie und die Schokoladenfabrik. Warum gilt der eigentlich als Weihnachtsfilm? Da ist doch nicht einmal Weihnachten, oder doch?" , fragt er. Ich übergehe seine Frage, weil mir dazu ein spannender Fakt einfällt.

"Oh, weißt du, was ich neulich gesehen habe. Kennst du die Serie'the good doctor'"? frage ich.

"Klar" , sagt er.

"Wusstest du dass Charlie und Shawn einfach der gleiche Schauspieler ist?", frage ich. "Ich habe neulich ein Video gesehen. Mir ist das einfach nie aufgefallen und ich liebe die Serie!" , sage ich und auch Leano ist erstaunt darüber. Er beugt sich erst mal über sein Handy und muss es Googlen, weil er mir nicht glaubt.

"Krass. Ich hätte das niemals erkannt. Crazy. Ich dachte, dass wäre ein eher unbekannterer Schauspieler, weil ich dachte, ich kenne ihn nicht. Ups" , sagt er schüchtern. Dabei ist der Schauspieler ziemlich bekannt.

"Er hat ja auch noch bei Bates Motel mitgespielt. Also, er hat hier noch viel mehr Projekte, die ich alle zugegebener Maßen nicht kenne, aber das sagt einem ja schon was. Johnny Depp hat er damals eben so beeindruckt in einem seiner Projekte, dass er ihn bei Charlie und die Schokoladenfabrik als Co-Star wollte. Krasser Typ. Ich bin echt beeindruckt gerade" , stellt Leano fest.

"Ich finde seine schauspielerische Leistung in the good doctor auch echt krass" , sage ich. Die anderen Serien habe ich alle nicht gesehen.

"Da wir gerade schon dabei sind. Hast du die neue Serie 'A good girls guide to murder'gesehen?" , frage ich.

"Ich glaube schon" , sagt er.

"Und hast du die Serie 'Wednesday'gesehen?" , frage ich weiter.

"Klar, warum?" , fragt er.

"Naja, Pip und Ines ist die gleiche Schauspielerin" , gebe ich zu.

"Was?" , fragt er.

"Ich finde es so krass, wie Haarfarben einen Menschen verändern können. Ist mir auch erst nach einem Video aufgefallen. Mir selbst wäre das nie aufgefallen. Krass, oder?"

"In der Tat" , sagt er und googelt auch das erst einmal.

"Uhh, schau mal. Sie spielt auch in einem Weihnachtsfilm mit. The Family switch. Wollen wir den schauen?" , fragt er und ich bin einverstanden, denn ich mag die Schauspielerin gerne. Ich finde, sie hat in beiden Fernsehserien einen echt guten Job gemacht und gönne ihr den Erfolg. Ein bisschen hoffe ich, dass man sie jetzt noch öfter auf der großen Leinwand sieht und sie den Durchbruch schafft. Er schaltet den Fernseher ein und dann tauchen wir eineinhalb Stunden in die Welt der Weihnachtsfilme ab. Nachdem wir den Film fast beendet haben, kommt Jul herein.

"Ich bin wieder da" , ruft er und ich drücke kurz auf Pause.

"Wie wars in der Schule?" , frage ich.

"Wie immer" , erwidert er.

"Hast du Hunger?" , frage ich.

"Ich koch später was mit Leano" , sagt er und ist schon wieder in seinem Zimmer verschwunden. Ich schaue Leano fragend an.

"Er hat mich gefragt. Ich kann ja schlecht nein sagen" , sagt er schulterzuckend.

"Ich sollte dich wohl als Koch anstellen" , sage ich und stelle den Film wieder auf laut, sodass wir die letzten Minuten schauen können. Ich finde den Film ganz lustig, aber er wird uns wohl nicht lange in Erinnerung bleiben. Das macht mir aber nichts. Ich mag Weihnachtsfilme, weil man dabei einfach so gut abschalten kann. Mal für eineinhalb Stunden aus der Welt fliehen und alles vergessen.

"Was kocht ihr heute?" , frage ich Leano.

"Wahrscheinlich Curry, das wollte Jul nochmal kochen" , sagt er und macht sich auf den Weg in die Küche. Ich rufe Jul, damit er Leano helfen kann. Ich setze mich noch einmal an meine Aufgaben, die in den letzten Stunden liegen geblieben sind und telefoniere, bis das Essen fertig ist.

"Es schmeckt köstlich. Dich hat echt der Himmel geschickt" , sage ich.

"Oh, ja. Wenn ich weiterhin so ein Fraß bekommen hätte, wie in den letzten Jahren wäre ich früher oder später gestorben" , gibt Jul seinen Senf dazu.

"Hey!" , beschwere ich mich. "So schlimm war es jetzt auch nicht"

"Oh, doch. Wir mussten mindestens drei Mal die Woche essen bestellen, weil du es ankokeln lassen hast"

"Dafür habe ich andere Talente" , sage ich.

"Und welche?" , fragt Jul mit hochgezogenen Augenbrauen. Natürlich fällt mir jetzt gerade in diesem Moment nichts ein.

"Na, wenn schon" , sage ich. "Danke jedenfalls für das Essen. Es schmeckt wirklich gut" , bedanke ich mich bei Leano. Jul lasse ich außen vor.

"Das meiste hat Jul gemacht" , antwortet er.

"Musst du mir jetzt so in den Rücken fallen?" , frage ich gespielt sauer.

"Es ist eben die Wahrheit" , sagt dieser und schaufelt noch weiter Essen in sich hinein. Ich frage mich, wie jemand so unglaublich viel essen kann, wie Leano das tut.

"Eis zum Nachtisch?" , frage ich die anderen, als alle aufgegessen haben, denn das habe ich in der Tiefkühltruhe und dafür braucht man auch keine Talente haben. Wir essen noch alle ein Eis, welches nach einem Tannenbaum aussieht, bis wir uns schließlich in unsere Zimmer verziehen.

Mitten in der Nacht wache ich von einem lauten Klopfen auf und schrecke aus dem Schlaf hoch. Es klingt ziemlich unheimlich. Nach ein paar Minuten ist das klopfen immer noch nicht vorbei und ich stehe langsam aus dem Bett auf. Ich ziehe mir meine Hausschuhe über und schlüpfe in meinen Bademantel. Dann schnappe ich mir meinen Baseballschläger, den ich einmal von Dad bekommen habe, auch wenn ich niemals Baseball gespielt habe. Schließlich mache ich mich bewaffnet auf den Weg durchs Hotel. Im Wohnzimmer begegne ich Leano und erschrecke mich zu Tode.

"Was zur Hölle?" , frage ich, nachdem ich mich von meinem Schreck erholt habe.

"Du fluchst schon wieder"

"In dieser Situation ist das wohl angemessen. Hast du die Geräusche auch gehört?" , frage ich.

"Ja, deshalb bin ich hier" , erwidert er.

"Weißt du, wo das herkommt?" , frage ich ihn.

"Ich glaube, von draußen" , sagt er.

"Scheiße, ich will noch nicht sterben" , erkläre ich ihm.

"Du wirst nicht sterben" , erklärt er mir.

"Was, wenn das Einbrecher sind?" , frage ich.

"Es könnte aber auch ein möglicher Gast sein" , versucht er die Geräusche rational zu erklären.

"Mitten in der Nacht? Es ist drei Uhr morgens!" , argumentiere ich dagegen.

"Vielleicht ist sein Auto stehen geblieben oder er hat sich verschätzt"

"Naja, wenn das öfter vorkommt, will ich glaube ich doch kein Hotel. Das ist mir viel zu gruselig" , gebe ich zurück.

"Komm, wir gehen nach schauen" , sagt er und wir gehen weiterhin auf das Geräusch zu. Am Fenster sehen wir einen kleinen Waschbären sitzen, der die Klopfgeräusche verursacht. Er muss die Kekse und die Milch auf dem Tisch gesehen haben, die dort stehen und will diese wohl haben.

"Scheiße, hat der mir einen Schrecken eingejagt" , sage ich lachend, als ich ihn sehe.

"Der ist ja süß" , stellt Leano fest. "Aber wie können wir die Klopfgeräusche stoppen?" , fragt er.

"Er will die Kekse" , stelle ich fest und zeige darauf.

"Die können wir ihm aber schlecht geben. Auch wenn die kleinen Mägen echt viel abkönnen. Ich glaube, Kekse sind nicht so gut"

"Ich weiß. Das hatte ich auch nicht vor. Mal sehen, wenn ich sie wegnehme, ob die Geräusche dann aufhören" , sage ich und nehme die Kekse. Der Waschbär schaut mich durch die Scheibe verdutzt an, verschwindet dann aber schließlich und die Klopfgeräusche auch.

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