Kapitel XXI

Am Morgen nachdem Chorchan gegen Unghar und die Nyteri gekämpft und sie besiegt hatte, wachte er auf. Naina lag neben ihm, ein Stückchen entfernt und schlief immer noch leise schnaufend vor sich hin. Lächelnd sah er sie an. Nie zuvor war er so froh gewesen, einen Menschen wiederzutreffen als gestern Nacht, als Naina während des Kampfes auftauchte. Wie sollte er die restliche, schwerste Etappe seines Weges ohne ihre Unterstützung bewältigen? Bei diesem Gedanken sah er sich zum ersten Mal um. Trübes, graues Dämmerlicht umgab ihn. Die Sonne konnte man als hellen Fleck am Himmel nur erahnen, alles war grau und dunstig. Als Chorchan genauer hinsah, erkannte er, woher der Dunst kam: Überall im Boden gab es kleinere Löcher, aus denen ständig grauer Nebel emporstieg. Der Rest des Landes war karg und machte seinem Namen alle Ehre. Die Ewige Ödnis bestand nur aus Sand, vertrockneter Erde und Geröll in Form von riesigen Felsbrocken. Kein Tropfen Wasser war hier zu finden, keine Spur von Leben, weder Pflanzen noch Tiere oder gar Menschen. Nur durchquert wurde die Ödnis oft, sei es von Ganayki oder von einigen der unzähligen Diener Raznars. Dies wusste Chorchan natürlich nicht, doch seit letzter Nacht war er gewarnt. Meron hatte ihm schon bei seinem Aufbruch gesagt, dass dieser Teil des Weges einer der gefährlichsten werden würde. Zu diesem Zweck hatte er ihn sich den schwarzen Kapuzenmantel mitgegeben, den Chorchan letzte Nacht als Decke benutzt hatte. Nun zog er ihn sich über. Der Mantel war viel zu weit, er hätte ihn zweimal um sich schlingen können, doch Chorchan war dankbar dafür. Nur so konnte er Naina in diesen gefährlichen Landen schützen. Erneut sah er zum Himmel auf. Der schwache Sonnenfleck hinter dem grauen Dunst stand noch ziemlich nah am Horizont, die Sonne war also noch nicht lange aufgegangen. Momentan stand die direkt vor ihm, also wusste er, dass er ziemlich genau geradeaus gehen musste. Die namenlosen Berge in der Ferne konnte er als Anhaltspunkt nicht mehr nutzen, da die Sichtweite hier bei maximal zwanzig Metern lag. Plötzlich hörte er Naina gähnen.
Rasch drehte er sich zu ihr um und fragte sie: "Na, schon wach?"
Naina rieb sich die Augen und gähnte als Antwort herzhaft.
"Komm her, es gibt Frühstück", sagte er und packte seine Vorräte aus. Von den Broten hatte er inzwischen etwa die Hälfte gegessen, dass Fleisch hatte er kaum angerührt. Nur mit dem Wasser könnte es Probleme geben, denn die nächste Wasserstelle war vermutlich drei Tage entfernt. Doch Chorchan beschloss, doch darüber nun nicht allzu große Gedanken zu machen. Das Essen verlief größtenteils schweigsam, Naina wirkte immer noch sehr müde, doch schließlich packte Chorchan das Essen ein und stand auf.
"Komm", forderte er Naina auf und streckte ihr die Hand hin, um ihr aufzuhelfen. Dankbar griff sie zu und dann liefen sie nebeneinander her, der aufgehenden Sonne entgegen.

Kein Laut klang von der Lichtung herüber. Es war totenstill, zu still für ein Dorf zur Mittagszeit. Das war es auch, was Antalda vorerst von seinem Vorhaben abhielt. Alles war bereit für den nächsten Zug im großen Plan, doch anscheinend sollte diese Phase nicht ganz so ablaufen wie gedacht. Schon zur lang angesetzten Sitzung des Rates war keiner erschienen, womit der Plan, die Mitglieder des Hohen Rates von Nara auszuschalten, vereitelt worden war. Offensichtlich hatten sie gemerkt, was sein, Antaldas, nächster Schritt im Plan sein würde. So viele Gewaltennutzer, so viele Begabte fand man sonst nur im Herzen Taranths, im Palast Raznars. Dieses Dorf war der Schlüssel zur Eroberung und Vernichtung Naras und zur endgültigen Vernichtung aller Dinge, die noch Gutes in sich tragen. Er durfte nicht scheitern und er würde nicht scheitern. Seine Echsen warteten seit Tagen auf richtige Nahrung, auf ein bisschen Menschenfleisch, denn aus dem Fleisch der Gewaltennutzer zogen diese Kreaturen ihre Stärke. Heute sollten sie gefüttert werden mit allem, was sie brauchen, um volle Macht zu erreichen, um ihn, Antalda, auf seinem Feldzug des Bösen zu unterstützen. Der erste Schritt würde hier gegangen werden, im Herzen Naras. Entschlossen trat Antalda aus dem Wald und in das menschenleere Dorf hinein. Immer noch umgab ihn komplette Stille. Ohne sich weiter zu wundern, sammelte er die ganze Wut, die er in den letzten über achtzig Jahren angesammelt hatte, in sich. Dies war nicht der Zeitpunkt, um Gnade walten zu lassen. All diese Leute sollen dafür bezahlen, was ihm vor den ganzen Jahren, die nun hinter ihm lagen, zugefügt war. Etwas Größeres und Schmerzhafteres als die offensichtlichen Narben, die sich über seinen kompletten Rücken verteilten, etwas, das tief in ihm lag. Erst das Dunkel auf seiner Reise hatte ihm die Wahrheit gezeigt. Ornách hatte ihm die Augen geöffnet. Er würde keine Gnade walten lassen. Hier würde sein Rachefeldzug beginnen.
"Wo seid ihr? Wo habt ihr euch versteckt? Tretet mir gegenüber und kämpft um euer Leben, denn verlieren werdet ihr es sowieso!", rief er, doch er erhielt keine Antwort. Im Dorf blieb es so still wie zuvor. Langsam setzte er sich in Bewegung und ging weiter ins Dorf hinein. Immer noch begegnete ihm keine Menschenseele, es war totenstill. Schließlich war Antalda in der Mitte des Dorfes angekommen und stand nun vor dem Rathaus. Wo hätten sie sich auch sonst verstecken sollen, wenn nicht im einzigen befestigen Gebäude der Lichtung? Antalda konnte die Angst, die Wut und die Macht dort drin spüren. Macht, die der seinen nicht einmal ansatzweise ebenbürtig war.
"Kommt heraus! Ich weiß, dass ihr hier seid!", rief er und wartete darauf, dass die Tür geöffnet wurde.
Das Holz glitt zur Seite und vier Menschen traten heraus, hinter ihnen noch einige weitere.
"Ich bin beeindruckt. Ich hätte nicht gedacht, dass ihr darauf kommt, welche Schritte mein Plan als Nächstes vorsieht", meinte Antalda kalt zu den Vieren, von denen jeweils zwei eine schwarze beziehungsweise eine weiße Robe trugen. Der Rest des Rates hatte sich eingefunden, hinter sich die stärksten Männer des Dorfes. Hetmon, Eletmon, Ranthon und Nafthal standen mit grimmiger Miene vor Antalda und blicken ihn an.
"Das ist also alles, was vom mächtigen Hohen Rat übrig geblieben ist." Antaldas Stimme war seltsam kalt und zischend. "Wieso stellt ihr euch gegen mich? Ich muss euch nicht töten. Nafthal, Ranthon, ihr wart immer vernünftig und habt auf meinen weisen Rat gehört, wieso nicht auch dieses Mal? Werft euch vor mir nieder und ich gebe euch, wonach es jeder Nacht verlangt: unbeschränkte Macht und Dauer."
Beide Nyteri schüttelten gemeinsam den Kopf.
"Welch weisen Rat wollt ihr noch, ihr, die ihr dem Bösen verfallen seid? Ihr seid nicht der, der ihr vorgebt zu sein. Antalda lebt nicht mehr und auch wenn wir wissen, dass wir gegen eure Macht nichts ausrichten können, werden wir uns nicht auf eure Seite schlagen, sondern bis zu unserem Tode gegen euch kämpfen. Wahrhaftig, ihr seid, was ich niemals hoffte zu seh'n: Dämon des Ostens, En-Ornách. Doch auch ob dieser gewaltigen Macht, die uns gegenübersteht, verzagen wir nicht. Weder Tag noch Macht beugen sich eurem Willen!"
Nach diesen Worten Eletmons stießen alle Männer einen Schrei aus und sprangen auf den völlig unbeeindruckten Antalda zu.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top