Kapitel XIX
"Der Tod, der dir vorbestimmt ist, ist nicht schön. Weit ist es auch nicht mehr. Doch dein Tod wird für etwas Größeres sein. Dein Tod wird das Schicksal im Ewigen Kampf wenden."
War es soweit? Welchen Zweck würde es haben, wenn er hier und jetzt starb? Keinen. Meron hatte nicht vor aufzugeben. Vor zwei Jahren hatte seine Schwester ihm dies vorhergesagt. Er, Meron, hatte soeben beschlossen, dass es nicht dieser Moment war, den die Prophezeiung beschrieb. Ruhig sah er auf seine Gegner. Die drei Echsen, die dort auf ihn zukamen, zählten zu den unzähligen Anhängern Raznars. Sie waren seine brutalste Waffe. Meron wollte in diesem Moment nicht an Antaldas Verrat denken, der ihn so sehr schmerzte. Seine Konzentration galt dem Kampf, der ihm bevorstand. Er war unbewaffnet und hatte keine der spektakulären Kräfte der Ganayki. Wütend zerriss er die lockeren Stricke, die bewusst nicht ganz fest gezurrt worden waren. Antalda hat mir schließlich einen fairen Kampf versprochen, hallte es in Merons Kopf bitter wider. Meron konzentrierte sich, doch er konnte sich nicht verwandeln. Vielleicht war er zu erschöpft oder irgendetwas hinderte ihn daran. Eine Echse hielt es jedenfalls nicht mehr aus und sprang ihn an. Instinktiv rollte sich Meron zur Seite. Sein jahrelanges Training zahlte sich aus. Er begann, mit dem Viech zu ringen, doch bereits der Kampf mit diesem einen brachte ihn an den Rande der Erschöpfung. Und da waren schließlich noch einmal zwei Echsen, die ihn momentan knurrend umkreisten. In einer gewaltigen Kraftanstrengung warf er die Echse von sich. Sie landete direkt vor ihm, während sich eine Echse links, die andere rechts von ihm befand. Hinter ihn standen zwei gewaltige Bäume, durch die kein Hindurchkommen war. Aus den Augen der Echsen sprach Zorn und Hunger. Meron senkte den Kopf. Wenn dies sein Ende war, hatte seine Schwester wenigstens in zwei Punkten recht behalten: Es war weder ein schönes Ende noch lag es allzu weit in der Zukunft. Was jedoch der Sinn dahinter sein sollte, begriff Meron nicht. Die Echsen kamen näher und Meron stellte sich auf seinen Tod ein. Doch plötzlich brachen die Zweige hinter ihm und Skarl trat hervor, zwei Bambusstäbe in Händen haltend.
Der Wald lichtete sich und die Nacht war hereingebrochen. Vor sich konnte Chorchan keine Bäume mehr sehen, doch da es schon auf den nächsten Tag zuging, konnte er nicht einmal mehr seine eigene Hand vor dem Auge erkennen. Er stolperte weiter in die Finsternis hinein. Links und rechts waren keine Baumstämme mehr, an denen er sich hätte orientieren können. Der Mond stand hinter den Wolken und so konnte Chorchan nur blind einen Fuß vor den anderen setzen. Plötzlich leuchtete am Himmel vor ihm etwas auf. Ein Blitz durchschnitt die Wolken und schenkte Chorchan einen Moment lang etwas Licht. Doch auch so konnte er nicht viel mehr erkennen. Vor ihm erstreckte sich nach allen Seiten eine karge Ödnis. Der Donner grollte und nun wusste Chorchan, wo er war: Er hatte den Ostwald verlassen und die ewige Ödnis, Estarnh genannt, betreten. Von hier an konnte Raznar ihn angreifen, hatte Meron ihm vor seiner Abreise mitgegeben. Hastig wickelte er sich stärker in seinen Kapuzenmantel ein, denn Wind war aufgekommen. Nicht viel später fielen die ersten schweren Regentropfen zu Boden. Chorchan ging weiter und immer, wenn er einen Blitz sah, vergewisserte er sich, dass er noch in die richtige Richtung ging. Das Gewitter befand sich nun direkt über ihm. Blitze zerschlugen die schwarzen Wolken und Donner grollte. Im Licht eines Blitzes konnte er in weiter Ferne sogar einen weißen Gipfel sehen, der sich klar von den schwarzen Wolken abhob. Das mussten die namenlosen Berge sein, hinter denen die Mauern Taranths lagen. Er stolperte weiter durch die Gewitternacht, bis er auf einmal zu seiner Linken ein paar Steine ausmachen konnte. Ein Felsen stand etwas über und bildete einen natürlichen Unterschlupf, in den sich Chorchan sofort hineinsinken ließ. Dort wartete er, bis das Gewitter über ihn hinweggezogen war und der Regen nicht mehr auf die Steine prasselte. Er war noch zu wach um zu schlafen, also stand er auf und setzte seinen Weg fort. Doch er war noch nicht weit gekommen, als er plötzlich eine unerklärliche Kälte und Dunkelheit spürte. Die Nacht schien ihn einzudecken und zu ersticken.
Auf einmal ertönte hinter ihm eine zischende Stimme:
"Willkommen, Chorchan Slindarin, Bote des Schicksals, in der ewigen Ödnis. Mein Meister erwartet Euch bereits sehnsüchtig."
"Skarl?"
"Gut erkannt, alter Freund", antwortete Skarl grimmig auf die erstaunte Feststellung Merons. "Nicht den ganzen Rat hat Antalda mit seinen Geschichten eingewickelt."
"Du bist gekommen, um mir zu helfen?"
"Tatsächlich, so ist es."
Skarl reichte Meron einen der Bambusstäbe.
"Ich weiß, du warst nie im Wachdienst, aber das lernst du schnell."
Ein Knurren ließ die beiden herumfahren.
"Verflucht, die hätte ich fast vergessen", meinte Skarl zwischen den Zähnen. "Versuch nicht, dich zu verwandeln. Hier im Nordwald sind alle magischen Kräfte nutzlos. Das Einzige, was hier zählt, ist Kraft und Strategie." Dann ging er zum Angriff über. Mit einem Salto landete er auf dem Rücken der ersten Echse und rammte ihr die Spitze seines Stabs in den Nacken. Mit einem Quietschen brach die Echse zusammen und Skarl wollte sich gerade der nächsten zuwenden, als diese ihn ansprang und zu Boden warf. Sein Kopf knallte auf einen Stein und er blieb bewusstlos liegen. Meron, der gerade im Kampf mit der dritten Echse war, schrie auf. Die Echse beugte sich über Skarl, bereit, ihm die scharfen Zähne in den Hals zu rammen. Unbändige Wut packte Meron. Er stieß die Echse von sich und streckte seine Hände zum Himmel. Er ballte sie zu Fäusten und stieß einen markerschütternden Schrei aus. Auf einmal begann sich die Erde zu heben. Ganze Steinblöcke erhoben sich aus der Erde und rauschten mit atemberaubender Geschwindigkeit auf die Echsen hinab. Nicht einmal ein Todesschrei kam den Viechern über die Lippen, sie waren auf der Stelle tot. Erschöpft sank Meron zu Boden. Vor ihm stand Skarl, der aus seiner Ohnmacht erwacht war.
"Dann ist es also wahr, Meron. Nicht nur die Ganayki haben ihr Oberhaupt gefunden, sondern auch die Pantori. Die Bedrohung ist also größer, als ich mir jemals vorstellen konnte", sagte Skarl. "Komm, Meron", fuhr er fort und half diesem beim Aufstehen. "Wir müssen auf der Stelle los." Ohne zu zögern ging er in den Wald hinein.
"Warte, Skarl!", rief Meron ihm hinterher. "Wohin gehen wir?"
Die Antwort war hart und traf ihn vollkommen unvorbereitet. "Wir suchen die Oberhäupter von Tag und Nacht."
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