53. Abschied
When did the rain become a storm?
When did the clouds begin to form?
Yeah, we got knocked off course by a natural force
And we'll, we'll be swimming when it's gone
-Maroon 5 "Beautiful Goodbye"
Nachdem die wichtigsten Dinge nach dem Tod seines Vaters geklärt waren, machte Jack sich auf den Weg. Er war fest entschlossen Shakirs genaue Todesursache herauszufinden. Anfangs war seine Mutter gar nicht begeistert von Jacks Plan gewesen, doch er hatte deutlich gemacht, dass er es durchziehen würde, mit und auch ohne ihr Einverständnis.
Alan hatte auch gehen wollen, doch der Gedanke an Angela und ihr Training hatte ihn zurückgehalten. Außerdem gab es immer noch die Leute, die ihn suchten und falls sie diese Insel fanden, wollte er da sein, um die die er liebte zu schützen.
Seine Mutter Befahl Geoffrey Jack zu begleiten. Obwohl Hauselfen nicht unbedingt für lange Reisen geschaffen waren, waren sie doch sehr nützlich, da ihre magischen Fähigkeiten allein dazu da waren anderen zu dienen. Das bedeutete sie konnten heilen, schützen und sogar kleine Wünsche erfüllen, solange diese materiell waren.
Vor der Abreise fragte Alan seinen Bruder: „Denkst du es war Mord?" Jane die ebenfalls bei ihren Brüdern stand, sah Jack neugierig an, als hätte sie sich die Frage auch gestellt. Auch sie hatte mitgehen wollen, doch sie hatte eingelenkt, nachdem ihre Mutter sie unter Tränen angefleht hatte zu bleiben. Alan wusste sie hatte schreckliche Angst auch eines ihrer Kinder verlieren zu können, doch einer von ihnen musste es tun, damit die Familie Frieden fand.
Jack nickte finster. „Unser Vater war mächtig und mit ebenso mächtigen Segen geschützt. Ich glaube nicht an einen Zufall, es muss ein sorgfältig geplanter Mord gewesen sein."
Jane nickte mit derselben steinharten Miene wie ihr Bruder.
Plötzlich fühlte sich Alan wieder wie ein kleiner Junge, beschützt und behütet von seinen Geschwistern, die nie die Fassung verloren, immer stark waren, wenn er sie brauchte, immer geduldig, wenn er eine Wutattacke hatte. Selbst jetzt, wo das Fundament der Familie weg war, nahmen sie bereitwillig und ohne Zögern den Platz seines Vaters an und all die Bürden und die Verantwortung, die dieser Platz mit sich brachte.
Warum hatte er nie so sein können? Diszipliniert, gehorsam, aber unabhängig. Warum hatte er nie der Fels in der Brandung sein können? Warum hatte er nicht einmal auf seinen Vater hören können? Warum hatte er ihm nicht einmal zustimmen können?
Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er seine Geschwister dafür gehasst. Dafür, dass sie nie die Stimme erhoben, nie um sich schlugen um andere zu verletzten, wie ein wildes Tier im Käfig. Er hatte sie dafür gehasst, dafür, dass sein Vater sie geliebt hatte und ihnen alles gegeben hatte, was er gewollt hatte.
Er hatte sich eingeredet, dass er einfach kein folgsames Schaf war, doch die Wahrheit war gewesen, dass er nie versucht hatte seinen Vater zu verstehen, denn es war viel einfacher sich gegen etwas zu stellen, als zu versuchen es zu verstehen.
Jack betrachtete seinen Bruder forschend. „Alles okay bei dir?"
Alan nickte stumm und fühlte auf einmal all die Dankbarkeit für seine Geschwister, die Menschen, die sich immer auf seine Seite gestellt hatten, auch in den Momenten, in denen er sich selbst, am liebsten aus seiner eigenen Haut geschält hätte, so unausstehlich wie er gewesen war.
Jack legte seinen Geschwistern die Hand auf jeweils eine Schulter und drückte sie. „Passt auf alles hier auf, solange ich weg bin."
Unwirsch schob Jane seine Hand weg. „Hör auf dich hier so aufzuspielen. Ohne dass ich dir die Windeln wechseln muss, wird es hier viel einfacher sein uns auf den Schutz des Dorfes zu konzentrieren."
Alan grinste, doch seine Schwester, wandte ihm ruckartig den Kopf zu, als hätte sie seine Schadenfreude gewittert. „Was machst du so ein dämliches Gesicht? Du lässt dich schließlich immer noch von Mom säugen."
Alan wollte etwas erwidern, wurde aber von Precious unterbrochen, die sich Jack in die Arme warf.
Der Abschied verlief tränenreich von seitens Mariyam und auch Precious verdrückte eine kleine Träne.
Sobald Jack weg war, nahm Mariyam Alan mit in das Arbeitszimmer seines Vaters. Es sah genauso aus wie zu seinen Lebzeiten.
War das nicht seltsam? Man sollte meinen, dass nach so einem schrecklichen Ereignis, nachdem das eigene Leben durchgeschüttelt wurde und sein innerstes in Scherben am Boden lag, alles kaputt gehen müsste, die Sonne nicht mehr scheinen könnte.
Doch die Wahrheit war, dass sich nichts veränderte. So schrecklich ein Ereignis auch war, die Welt drehte sich weiter, die Sonne schien weiter und die Tiere und Menschen gingen ihrem Alltag nach. Im Haus neben an konnte ein Kind seine Mutter verlieren, auf der anderen Seite der Welt passierte eine Fehlgeburt, eine Straße weiter, sprang jemand von der Dachkante.
Doch die Nachbaren würden weiterhin ihr Abendessen genießen, auf der anderen Seite der Welt würde ein kleines Mädchen ihren zehnten Geburtstag feiern, eine Straße weiter würde ein junges Pärchen den ersten Kuss erleben.
Was für ein Phänomen. Das was einem in diesem Moment am wichtigsten erschien, war letztendlich unwichtig, ob es einen vor Trauer zerriss oder vor Freude verglühte.
Und so hatte kein kleines Erdbeben die dunkle Villa zerstört, die schon so viele Herrn gehabt hatte, so viele Familien, zerstörte und heile gesehen hatte und sie würde noch viele andere beherbergen, unabhängig von Alans Gefühlen.
Das Bedürfnis den großen Ebenholztisch zu zertrümmern war plötzlich überwältigend.
Seine Mutter, die immer zu fühlen schien, was in ihrem Sohn vorging, legte sanft einen Arm um seine Taille und lehnte sich an seine Schulter.
„Warum hast du mich hergeholt?", fragte Alan mit belegter Stimme.
Mariyam sah ihren Sohn aus traurigen blauen Augen an und strich sich nervös über ihr spitzes Ohr. „Es geht um den Fluch deines Vaters. Er ist nicht verschwunden, dass bedeutet dein Vater muss ihn an etwas gebunden haben, doch ich weiß nicht was es ist, geschweige denn wo es ist. Ich habe Geoffrey beauftragt, das Arbeitszimmer und den Rest der Villa danach abzusuchen, doch er hat nichts gefunden, was deinen Fluch beinhaltet."
Alan schluckte schwer, schwieg aber.
Seine Mutter stellte sich vor ihn, in der Hoffnung seinen Blick einzufangen. „Es gibt bestimmt eine Möglichkeit den Fluch rückgängig zu machen, bevor er dich dein Leben kostet, doch bis ich herausfinde was das ist, musst du im Dorf bleiben. Verstehst du das?" Sie griff nach seinen Händen und betonte die letzten Worte, als wäre er taub und vielleicht war das auch der Fall, denn er hörte ihre Stimme, wie durch mehrere Schichten Wasser.
Seine Gedanken schwirrten um Angela und seinen Vater. Ein Teil in ihm hatte gewusst, dass er nie wirklich in Gefahr gewesen war. Sein Vater hatte ihn nicht selten geschlagen, so hart, dass Alan einmal sogar eine leichte Gehirnerschütterung davongetragen hatte. Doch er war auch jemand gewesen der seine Familie schützte und das um jeden Preis. Jetzt aber stand er hier und es ging nicht mehr um seine lächerliche Rebellion. Es ging auch nicht, um das was er für Angela empfand.
Schließlich erwiderte er den besorgten Blick seinerMutter. „Ich muss es ihr erklären.", sagte er leise. Sofort nickte seine Mutterverständnisvoll.
Da Donnerstag war, war Angela noch in der Schule, doch nicht zum ersten Mal war Alan früher am Strand, um noch in Ruhe das Meer zu genießen.
Mit dem Training würde er nicht nur Angela aufgeben. Die Wellen kamen und zogen sich wieder zurück, jeden Tag in einem anderen Rhythmus, in einem anderen Farbton, auf eine faszinierende, hypnotische Weise. Der nach Salz riechenden Wind trieb sie an und die Sonne spiegelte sich auf ihrer Oberfläche und ließ sie aussehen, als wären sie nur eine Oberfläche und kein Behältnis für tausende von unglaublichen Lebensformen.
Das Meer war wie eine andere Welt, ebenso wie Sepheriya. Aus zahlreichen Büchern wusste er, wie anders die geheimnisvolle Unterwasserwelt funktionierte und das war nur ein Bruchstück von dem, was es in den unendlichen Tiefen noch zu entdecken gab. Ein Ehrfurcht erregender Gedanke.
Eine Stunde später hörte er, das scharren ihrer blauen Flip-Flops, die sie immer trug, wenn es nicht regnete, auf den Kieselsteinen. Er sah hoch und beobachtete, wie sie sich ihm mit schwingenden Hüften nährte. Sie lächelte sobald ihre Blicke sich trafen, wobei ihre blauen Augen aufleuchteten.
Sein Innerstes krampfte sich zusammen. Verdammt. Er hatte sich so stark gefühlt, als er die Entscheidung in der Villa getroffen hatte. Doch jetzt, wo sie sich neben ihn setzte, die Haare zurückwarf und ihr Blick langsam von glücklich zu besorgt wechselte, schwankte seine Entschlossenheit, wie die Äste eines Baumes im Wind.
„Ist alles in Ordnung?", fragte sie ihn besorgt. Wie oft hatte sie ihn das in den letzten Wochen, seit dem Tod seines Vaters gefragt? Der Wind wirbelte ihre Locken in seine Richtung und blies ihm ihren Geruch nach Frühling ins Gesicht, den er so sehr liebte.
„Ich muss dir etwas erzählen."
„Du machst mir Angst."
Er lächelte und strich ihr sanft eine Strähne aus dem Gesicht, die sofort wieder zurücksprang. Sie errötete leicht. Wie er das vermissen würde.
„Du weißt ja, dass Chiroyli Flüche auferlegen können.", begann er leise zu erzählen.
Sie nickte stumm.
Er holte tief Luft. „Ja, also ich wurde irgendwie verflucht."
Aufgebracht stand sie auf. „Was heißt hier irgendwie? Wer hat dich verflucht? Und warum hast du dich nicht gewehrt? War es Layla?" Sie war wirklich süß, wenn sie sich aufregte. Dabei plusterte sie immer ihre ohnehin runden Wangen auf und ballte die kleinen Fäuste, als könnte sie tatsächlich etwas damit ausrichten.
In diesem Moment klatschte eine Welle bedenklich nahe an seinen Füßen auf den Strand. Okay, vielleicht war sie nicht mehr ganz so wehrlos, wie damals als er sie kennengelernt hatte.
Alan schüttelte den Kopf. „Nein, es war mein Vater."
„Was?", rief sie entsetzt aus.
„Bitte, setz dich hin und versuche ruhig zu bleiben. Ich erkläre es dir."
Offensichtlich widerwillig setzte sie sich hin, diesmal aber gegenüber von ihm.
„Ich hatte, bevor ich dich kennengelernt habe, sehr viel Sex mit Leuten gehabt, die nicht Layla waren. Wie du dir vorstellen kannst, hat das meinem Vater nicht unbedingt gefallen, also verfluchte er mich. Jedes Mal, wenn ich das Dorf verließ, sollten meine Kräfte nach und nach schwinden. Das war ungefähr um die Zeit rum, zu der du zurückgekommen bist und anfangs nahm ich den Fluch nicht wirklich ernst. Ich lernte dich kennen und beschloss, dass ich stark genug war, um ihm zu widerstehen. Doch langsam begann ich es zu fühlen. Erst war es nur ein Ziehen, doch dann wurde es immer stärker. Ich verlor meine Kraft nach und nach und als ich merkte, dass das tatsächlich tödlich für mich enden konnte, war es schon zu spät. Ich konnte mich nicht mehr von dir fernhalten." Er hielt inne und sah sie traurig an.
Sie schüttelte langsam den Kopf. „Warum? Was ist nur los mit dir? Und warum hast du es mir nicht früher erzählt?"
Alan rieb sich müde das Gesicht. Er hatte auf etwas mehr mädchenhafte Gerührtheit gehofft, war aber auch nicht sehr erstaunt über ihre Empörung. „Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst.", murmelte er entschuldigend.
„Wie kann man den Fluch aufheben?", fragte sie, doch in ihren Augen sah er, dass sie die Antwort schon kannte.
Er senkte den Blick. „Das hat mein Vater mit ins Grab genommen."
„Was bedeutet das?"
Er nahm zwei Kieselsteine in die Hand und begann sie aneinander zu reiben, sodass sich feiner Staub von ihnen löste.
„Alan, was bedeutet das?", fragte sie mit Nachdruck.
Er sah vorsichtig hoch. „Das bedeutet..." Er holte zittrig Luft. Warum war das so schwer? Warum war das nicht nur schwer, sondern das schwerste, was er je in seinem Leben hatte machen müssen?
„Das bedeutet, wenn ich mich weiter mit dir außerhalb des Dorfes treffe, werde ich sterben."
Er sah wie ihre Augen feucht wurden und wie sie verzweifelt versuchte ihre Tränen wegzublinzeln.
„Dann solltest du jetzt lieber schnell nach Hause, damit es nicht noch schlimmer wird.", sagte sie und sah schnell weg.
Alan nickte, stand auf und machte sich auf den Weg.
Nach genau drei Metern hielt er inne und lächelte. Wie hatte er jemals denken können, dass er stark genug war, um sich nicht mit ihr zu treffen? Er drehte seinen Kopf Richtung Strand, wo sie noch immer saß, den Kopf gesenkt.
„Hey, kommst du mit, oder was?"
Überrascht sah sie zu ihm hoch, ein paar Tränen auf der Wange. „W-was?", stotterte sie und er hatte noch nie ein so starkes Bedürfnis gehabt sie in die Arme zu nehmen.
Er zuckte mit den Schultern. „Du kannst immer noch mit zu mir kommen."
Schnell wischte sie sich die Tränen weg, als wäre ihr erst jetzt bewusst das sie weinte und stand auf. „Oh, aber was ist mit dem Training?"
„Wir sollten es etwas reduzieren, aber ich denke du bist bald soweit, also müssen wir es nicht abbrechen."
Sie kniff misstrauisch die Augen zusammen. „Wenn du mir hier wegstirbst..."
Er grinste. „Ich habe noch genug Kraft, Arina." Das hoffte er zumindest. Ach ja, seine Mutter würde ihm ordentlich was erzählen, doch als Angela aufstand, sich den Sand von ihrem Hintern klopfte und ihn strahlend anlächelte, wusste er, dass sie es wert war. Dass sie alles wert war.
Zusammen liefen sie über den Sandstrand.
„Du hättest mich wirklich vermisst, Arina." Es war viel mehr eine Feststellung, als eine Frage.
Sie verdrehte die Augen und sah weg, damit er ihr Lächeln nicht sah, das er natürlich sofort bemerkte.
Die Blicke, die ihn immer zu verfolgen schienen, die ihn quälten seit er denken konnte, prallten an ihm ab, verblassten, denn alles, was er sah und was ihn interessierte, war sie. Sie hatte ihn nie so angesehen, als wäre er unnatürlich, als würde er nicht zu dieser oder irgendeiner anderen Welt gehören. Und er liebte die Version von ihm die sich in ihren Augen spiegelte, wenn sie ihn ansah.
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