40. Familienzimmer


Once I was seven years old, my momma told me

Go make yourself some friends or you'll be lonely

Once I was seven years old

-Lukas Graham "7 years"

Wie immer wartete Alan bereits bei den Klippen auf mich. Das Meer war an diesem Tag dunkel und aufgeregt, die Wellen wurden von Sekunde zu Sekunde größer und ein kalter Wind peitschte den Sand gegen mein Gesicht.

Ich war kaum einen Meter von ihm entfernt, als er aufsprang und sich mir zuwandte. Seine Locken wurden vom Wind herumgewirbelt und seine Augen schienen dunkler, durch das mangelnde Licht. Er sah aus, wie ich mir Poseidon aus der griechischen Mythologie immer vorgestellte hatte. Groß, furchteinflößend und überwältigend schön. Wenn Alan mir offenbart hätte ein Gott, statt einer Fee zu sein, hätte ich es ihm sofort geglaubt.

„Da braut sich was zusammen."

Ich folgte seinem Blick zum wolkenverhangenen Himmel und nickte zustimmend.

„Wir können zu mir nach Hause", schlug er vor.

„Um dort zu trainieren?"

„Nein, aber ich dachte wir reden noch wegen gestern."

Ich zuckte mit den Schultern. Er hatte sich bei mir am vorigen Tag nochmal in einer Nachricht entschuldigt und ich hatte gedacht, dass es sich damit gegessen hatte. Ich hatte einen schlechten Tag gehabt, der Tag selbst hatte einen schlechten Tag gehabt und ich war keinem böse. Na ja, bis auf Layla vielleicht. Aber Alan lag noch etwas auf dem Herzen und so stimmte ich zu.

Auf halbem Weg fragte ich: „Warum gehen wir eigentlich nicht zu mir?"

Alan warf mir einen verunsicherten Blick zu. „Ich denke, deine Mutter mag mich nicht besonders."

Meine Mutter? „Wie kommst du denn darauf?"

„Sie schien nicht sehr begeistert über meine Anwesenheit zu sein und ich denke sie findet es nicht so prickelnd, dass wir so viel Zeit miteinander verbringen."

Ich schnaubte. „Weil dein Vater ja so begeistert von mir ist."

„Keine Panik, er ist schon seit einer Woche weg. Eine Versammlung in England."

Hörte ich da so etwas wie Bedauern raus? Vermisste er seinen Vater? „Na gut. Aber wenn deine verrückte Verlobte wieder angerannt kommt, rede ich nie wieder mit dir."

Grinsend nickte er. „Abgemacht. Wie läuft es mit dem Freund von deiner Mutter? Kannst du ihn immer noch nicht ausstehen?"

Ich zuckte mit den Schultern. Seit Weihnachten hatte sich eine Art Freundschaft zwischen mir und Brad entwickelt. „Ich denke, ich habe überreagiert. Wir verstehen uns in letztere Zeit gut und meine Mutter macht das glücklich. Etwas Wichtigeres gibt es in dieser Situation nicht."

Er legte mir einen Arm um die Schulter. „Das hast du gut gesagt." 

Diesmal führte er mich in das geräumige Wohnzimmer auf der linken Seite der Eingangshalle. In dem Moment, in dem ich über die Schwelle trat, hatte ich das Gefühl eine andere Welt zu betreten. Das Wohnzimmer war, wie eine Kapsel, abgeschnitten vom Rest der dunkeln Villa.

Mit offenem Mund sah ich mich in diesem wunderschönen Raum um, von dem ich mir sicher war, dass er direkt aus der Feenwelt stammen musste.

In warmen Grüntönen leuchteten die Wände und fast alle Möbel, die nicht aus hellem Holz waren. Von der Decke hingen mit grünen Kristallen besetzte Girlanden, die das Licht brachen und grüne Punkte an die Wände malten.

Auf dem mit grünem Samt überzogenen und goldenen Mustern bestickten Sofa saß Jack und spielte Schach mit Jane die ihm gegenüber in einem Schaukelstuhl saß, der aussah, als hätten sie ihn von der Veranda eines alten Ehepaares gestohlen. Sie sahen kurz auf, als wir den Raum betraten, beachteten uns aber nicht weiter.

„Das ist das Reich meiner Mutter, das einzige Zimmer, das sie ganz allein eingerichtet hat. Mein Vater verbringt kaum Zeit hier", sagte Alan

Ich betrachtete die vier großen Bilder von rotäugigen Kindern, die an der Wand hingen. Das kleine Mädchen mit dicken Wangen und wilden Locken konnte ich sofort als Precious identifizieren, doch bei den anderen dreien, deren Babyspeck inzwischen von hohen Wangenknochen ersetzt worden war, hatte ich Schwierigkeiten. Da waren einmal zwei Kinder mit einer Topffrisur und eines mit kurzgeschorenen Haaren.

„Gibt es hier kein Bild von dir?", fragte ich Alan.

„Ha! Ich habe dir doch gesagt du siehst aus wie ein Mädchen." Jack lachte, den Zeigefinger auf den mürrisch dreinschauenden Alan gerichtet.

„Schach Matt." Jane stand auf und streckte sich. Zum ersten Mal sah ich sie in Jogginghose. Sie stellte sich neben mich und deutete auf das Kind mit der Topffrisur ganz links. „Das bin ich." Sie schwenkte ihren Zeigefinger auf die Topffrisur neben Precious. „Das ist Alan. Und das in der Mitte ist Jack. Das erkennt man daran, dass er immer noch, wie ein Idiot aussieht."

Ein, wie ich glaubte, von Hand besticktes Kissen flog und traf Jane an der Schulter.

Ungläubig sah ich zwischen Alan und dem Bild hin und her. „Aber...aber die Haare, die waren ja glatt."

„Unglaublich, oder?" Alans Stimme triefte vor Sarkasmus.

Aber es waren nicht nur die Haare. Alan hatte wie jedes Kind runde Wangen und Stirn gehabt und er hatte tatsächlich wie ein Mädchen ausgesehen. Ohne die kantige Gesichtsform blieben nur die feinen, schönen Gesichtszüge, die denen seiner kleinen Schwester nicht unähnlich waren. Im Gegensatz dazu war Jack sich bei genauerem Betrachten sehr ähnlich geblieben.

Die Tür ging auf und Mariyam betrat zusammen mit Precious und einem Tablett beladen mit Keksen und Tassen den Raum. „Kinder, ich habe Tee und Cookies gemacht bedient euch", flötete sie und alle, auch Alan setzten sich an den kleinen gläsernen Wohnzimmertisch.

Precious entdeckte mich als erste und sprang mir begeistert in die Arme. „Angela, du bist wieder da!"

Ich lachte und drückte sie fest.

Mariyam stellte das Tablet ab und umarmte mich, zu meiner absoluten Überraschung ebenfalls. Ganz anders als der Rest ihrer Familie roch sie nach Wald und Gras.

„Schön dich wiederzusehen. Ich bringe dir und Alan auch einen Tee."

„Das ist nicht nötig, sie müssen sich meinetwegen keinen Aufwand machen."

Sie lächelte mich warm an. „Ich mache das gerne. Du bist so ein höfliches Kind. Ich wünschte, meine wären nur ein wenig so wie du."

Vier rote Augenpaare richteten sich auf uns und vier vollgestopfte Münder nuschelten gleichzeitig: „Was?".

Lachend schüttelte Mariyam den Kopf. „Lasst was übrig", mahnte sie und verließ dann wieder den Raum.

Precious rutschte auf dem Sofa ein Stück zur Seite und klopfte auf den Platz neben sich. „Komm setzt dich."

Ich kam ihrer Aufforderung nach und bewunderte das auf ein Kissen aufgestickte Gesicht eines Elfen.

„Cookie?" Alan hielt mir großzügig das wahrscheinlich kleinste Stück hin, das er hatte finden können, als ich allerdings reinbiss und das Gefühl hatte, den Himmel zu schmecken, verstand ich auch warum.

„Was isst der Dalai Lama zum Frühstück?"

„Sag es und ich schlag dich", drohte Jane ihrem Bruder.

Natürlich feuerte sie ihn damit nur an.

„Buddhabrot."

Sie schlug dem lachenden Alan fest gegen den Hinterkopf und in dem Moment kam Mariyam mit zwei weiteren Tassen Tee und einer zweiten Schüssel Cookies rein. „Jane! Womit hat dein Bruder das verdient?"

„Seine Dummheit lässt sich nur so heilen."

Ich lachte.

„Unterstütze so ein Verhalten doch nicht", tadelte mich Mariyam spielerisch. Sie stellte die Tassen und die Schüssel vor uns ab und ließ sich dann in einen der Sessel fallen.

Ein kleines Wettessen begann, bis nur noch ein Cookie übrig war. Bevor irgendjemand ihn holen konnte, flog er in Alans Hand.

„Das ist unfair!", beschwerte sich Precious und sah hilfesuchend zu ihrer Mutter, die aber in ein Buch vertieft war.

„Oohh, wird die kleine Precious jetzt heulen?", lachte Alan und war kurz davor sich den Cookie in den Mund zu schieben, als er zögerte. „Wisst ihr was? Ich teile ihn."

Misstrauisch kniff Jane die Augen zusammen. „Ach ja? Ist er vergiftet?"

„Nein, er ist vollkommen in Ordnung, aber ich teile nur mit einem von euch und da ich eure hässlichen Gesichter nicht ausstehen kann." Er deutete der Reihe nach auf seine Geschwister. „Gewinnt Angela." Er teilte den Cookie in zwei Hälften und warf mir eine zu.

Precious schnaubte. „Nur weil du in sie verliebt bist."

„Nein, weil sie Titten hat, anders als diese Flachbrust hier." Jack machte eine Handbewegung in Richtung Jane, was ein böser Fehler war.

Ähnlich wie es Alan bei JJ gemacht hatte, verdrehte sie ihm das Handgelenk, sodass Jack wimmernd auf dem Tisch lag. „Du lernst wohl nie dazu Jacky."

„Jane..." Ein Blick von Mariyam reichte und Jack war gerettet.

Alan kringelte sich vor Lachen, während ich gedankenverloren und rot angelaufen meinen halben Cookie betrachtete. Verliebt? Konnte es sein? Oder war ich nur eine x-beliebige Frau für ihn?

„Angela, ich muss noch in der Küche sauber machen, würdest du mir bitte helfen?", sagte Mariyam. Etwas in ihrem blauen Blick war anders.

Bereitwillig stand ich auf. „Klar gerne."

„Warum hast du sie hergebracht?", fragte Jack seinen Bruder.

„Was geht dich das an?", regierte Alan sofort defensiv.

Jack verdrehte die Augen über das aufbrausende Temperament seines Bruders. „Es ist nur eine einfache Frage, Alan."

„Ich bin froh, dass sie da ist", sagte Precious.

„Was findet ihr alle an ihr? Sie ist ein Mischling." Jane starrte auf die Tür, durch die Angela mit seiner Mutter verschwunden war.

„Du bist feindselig aus Prinzip Jane", sagte Jack und Alan und Precious nickten.

„Immerhin bin ich keine Möchtegern Engelchen. Ich kann von hier riechen wie 'gut' sie ist."

„Na und? Was ist so schlimm daran, dass sie nicht verkorkst ist wie wir? Dass sie von Natur aus warm und verständnisvoll ist und nicht aus Misstrauen unter jeden Stein schauen muss?" Alan fixierte Jane mit diesem feurigen Blick, der selbst Jack schon mehrmals in die Knie gezwungen hatte.

Jane zuckte mit den Schultern und trank etwas von ihrem Tee.

„Mir ist langweilig", sagte Precious in die entstandene Stille und Jack grinste.

„Wisst ihr was wir schon lange nicht mehr gespielt haben?" 

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