5. Kapitel - Vererbung
"Wenn dir irgendetwas komisch vorkommt, dann geh sofort zu Julie", äffte mein Vater meine Mutter nach, als wir ins Auto gestiegen waren.
"Du weißt, dass ich dir nicht traue."
"Und du weißt, dass mich das nicht stört", entgegnete mein Vater und nahm einen Schluck seiner Cola.
"Zum letzten Mal", sagte ich schnell, da ich ahnte, wie meine Mutter reagieren würde, "warum wisst ihr nicht, was ich bin."
"Noch nicht", korrigierte mein Vater.
"Warum wisst ihr das nicht? Gibt es irgendwelche speziellen Mendelsche Regeln für übernatürliche, oder was?"
"Medel?", fragte mein Vater verwirrt und steuerte auf den Highway zu.
"Der Priester aus Europa, der im Kloster mit Erbsen die Vererbung untersucht hat und..."
"Ich weiß, wer Mendel ist", antwortete mein Vater und gab Gas, um ein Auto zu überholen.
"Es gibt keine wirklichen Regeln, wie die verschiedenen Arten vererbt werden", antwortete meine Mutter.
"Mein Großvater war Vampir und Hexe. Meine Großmutter Vampir", erklärte mein Vater, "mein Vater und sein Bruder..."
"Jack Jones", unterbrach meine Mutter. Wahrscheinlich wollte sie mir nochmal verdeutlichen, dass mein Vater und somit auch ich mit ihm verwandt waren.
"Mein Vater und Jack waren allerdings nur Vampir."
"Deine Oma Emma ist Hexe."
"Oma Emma ist eine Hexe?" Ich war schockiert.
"Ja und dein Opa Will war Gestaltwandler", fuhr Mum fort. "Deine Tante erbte nur das Gen von meiner Mutter. Ich hingegen erbte beide Gene."
"Welches Gen sich durchsetzt und sozusagen Dominanter ist, kann nicht festgelegt werden. Der Zufall entscheidet."
"Das Gen von Oma Emma dominierte in unserem Fall, aber es heißt nicht, dass Hexe immer Gestaltwandler Gene gegenüber dominiert."
"Übernatürliche mit gemischten Genen haben immer ein Gen, welches durch Zufall dominierte und welches sich nach der Geburt auch weiter durchsetzt. Das rezessive Gen kann trainiert werden. Ich bin dominant Vampir und rezessiv Hexe. Durch Training konnte ich das rezessive Gen stärken."
"Da wir nicht wissen, welches Gen bei dir dominant und welches rezessiv vererbt wurde können wir nur spekulieren."
"Entweder bist du Vampir, Hexe oder Hexe, Vampir oder aber auch nur Hexe oder nur Vampir", erklärte mein Vater.
"Da du aber nicht kalt bist, was bei fast allen Vampiren der Normalfall ist, gehe ich davon aus, dass du Hexe, Vampir oder nur Hexe bist."
"Das ist alles sehr verwirrend", gestand ich.
"Ich weiß, Zo aber wenn du im Internat bist wirst du herausfinden, was du bist."
"Warum erst im Internat und warum kann ich nicht Gestaltwandler sein?"
"Dort werden ein paar Tests gemacht", erklärte mein Vater.
"Wird mir ein Zauberstab in die Hand gedrückt und er leuchtet auf, wie bei Harry Potter?"
"Filme und Realität sind ganz anders."
"Um deine andere Frage zu beantworten: Es gab bisher, seit Jahrhunderten, nur weniger als fünf Fälle, bei denen ein rezessiv ausgeprägtes Gen als drittes Gen beim Kind auftaucht."
"Warum kann es nicht als rezessive Gen auftauchen? Warum kann ich nicht Hexe und Gestaltwandler sein?"
"Es ist unwahrscheinlich, dass sich dann mein rezessives Gen gegenüber dem dominanten Gen deines Vaters durchsetzen wird."
"Liam ist Hexe und Vampir, richtig?", fragte ich.
"Ja. Heidi - meine Cousine und Jacks Tochter - ist Hexe und Vampir. Milan, sein Vater, ist Hexe."
"Jack hat keinen reinblütigen Vampir geheiratet?"
"Der Großvater meines Großvaters war der erste, der einen nicht reinblütigen Vampir heiratete. Sie war Vampir, Hexe."
"Wie du siehst ist Heidi Hexe, Vampir. Jack ist Vampir und Lucy, seine Frau, Hexe. Paul, dein Großvater, war ebenfalls Vampir und heiratete Marie, eine Hexe. Dein Vater ist Vampir, Hexer. Man kann also auch nicht sagen, dass das männliche oder das Weibliche Gen dominant ist."
"Bis vor ein paar Minuten klang Biologie noch logisch... Jetzt ist alles unlogisch."
"Nicht unlogisch, Zo. Anders und vom Zufall bestimmt."
"Was sind das für Tests, die später gemacht werden?"
"Normalerweise wachsen übernatürliche in einer Gruppe übernatürlicher auf und entwickeln selbstständig ihr Fähigkeiten", begann mein Vater. "Aber da du in einem menschlichen Umfeld aufgewachsen bist, hat sich bei dir noch nichts ausgeprägt. Kinder lernen durch nachahmen und haben in einer übernatürlichen Gemeinschaft mehr Hilfe. Sie können schon früh ihre Fähigkeiten entwickeln und üben. Kinder, die halb Mensch sind und nichts von ihren übernatürlichem Elternteil wissen, sind fast so wie du. Sie entwickeln keine Fähigkeiten und können ihr ganzes Leben lang ohne das Wissen, dass sie übernatürlich sind leben. Allerdings sucht die Regierung diese Kinder und bringt sie ebenfalls auf eine Schule, wo sie lernen mit ihren Kräften umzugehen."
"Warum lässt man sie nicht einfach Mensch sein ohne ihnen was zu erzählen?", fragte ich.
"In manchen Fällen entwickeln sich trotzdem Fähigkeiten, die für die Allgemeinheit schwerwiegende Folgen haben können", erklärte meine Mum.
"Eine Hexe, die nicht weiß, was sie tut. Ein Werwolf, der sich verwandelt und nicht weiß, was geschehen ist. Ein Vampir, der ohne es eigentlich zu wollen seine Familie tötet, wenn er sauer ist. Alles Beispiele, die nicht nur einmal passiert sind", fügte mein Vater hinzu und nahm erneut einen Schluck Cola. Erst jetzt realisierte ich meinen nun wahrscheinlich kalten Burger und meine Pommes, die ich in der Aufregung völlig vergessen hatte.
Mein Vater verließ die Straße und bog auf einen kleinen Waldweg ein, der zur Schule führte.
"Mona!", rief Liam und kam auf uns zu.
"Hallo, Liam", erwiderte meine Mutter, "würdest du Zoey bitte in ihre Hütte bringen? Ich muss mir Julie reden."
"Klar. Komm Zoey!"
Ich nahm meine Mum in den Arm.
"Er ist nur ein Kind. Kinder werden von Erwachsenen erzogen und leben so, wie es ihnen vorgemacht wird. Er ist nicht wie Jack", flüsterte sie mir ins Ohr.
"Ich hab dich lieb, Mum."
"Ich dich auch. Und denk dran. Julie ist immer da."
Zum ersten Mal betrat ich eine der Hütten, die neben dem Fluss standen.
"Die anderen Schüler kommen erst am Freitag", erklärte Liam und setzte sich auf die graue Couch.
"Warum bist du schon hier?"
"Meine Eltern sind verreist und Julie hat mir angeboten schon zu kommen. Sie will nicht, dass ich bei meinem Großvater lebe."
"Verständlich.", dachte ich mir.
"Jede Hütte sieht so aus. In jeder Hütte können 4 Leute wohnen. 5 im Notfall, wenn man eine Matratze ins Wohnzimmer legt oder ein Zimmer geteilt wird. Ansonsten hat jeder sein eigenes kleines Zimmer." Er deutete auf drei Türen, die an der rechten Seite der Hütte waren und auf die Tür, die gegenüber der Haustür lag. "Daneben ist das Bad."
Mein Blick schweifte weiter durch die Hütte. Wir hatten einen Kühlschrank, eine Mikrowelle, einen Küchentisch mit vier Stühlen und zusätzlich zu der grauen Couch - zwei graue Sessel.
"Okay", sagte ich und ging auf eins der Zimmer zu.
"Du hast Glück! Die Zimmer werden jedes Schuljahr neu eingeteilt. Das heißt, du kannst dir eins aussuchen."
"Welches?"
"Das neben dem Bad ist in dieser Hütte das beste. Du hast Blick auf den Fluss."
"Dann nehme ich glaube ich das Zimmer."
"Das in der Ecke ist zwar am größten, und hat ein Doppelbett, aber wenn eine von deinen Mitbewohnern einen Freund hat, dann wird sie dich dort eh raus schmeißen."
"Dürfen Jungs hier schlafen?"
"Natürlich nicht", Liam lachte. "Aber das heißt ja nicht, dass man es nicht macht. Aber die meisten machen es nur, wenn Luca nicht da ist."
"Wer ist Luca?"
"Der andere Leiter. Er ist Vampir und würde den Jungen hier direkt hören und riechen."
"Oh."
"Aber er ist super cool. Wir glauben, dass er auf Julie steht, aber sie weist ihn eigentlich immer ab und trennt Arbeit und privates."
"Danke für alles."
"Du bist bestimmt Müde. Ich lass dir meine Nummer hier auf dem Tisch. Melde dich, wenn du was brauchst."
"Danke, das ist sehr lieb, Liam."
"Klar. Soll ich dir noch den Koffer ins Zimmer tragen?"
"Nein danke ich schaffe das schon."
"Hm. Okay. Dann gute Nacht und melde dich!" Er schloss die Haustür und ich setzte mich auf die Couch.
Ich erwachte durch ein Klopfen an der Tür und stand schnell auf.
"Ich wollte dich nicht wecken, aber ich habe dir ein wenig Abendessen zurück gehalten." Julie stand in der Tür mit einem Tablett in der Hand.
"Wie spät ist es?"
"Fast acht."
"Oh Gott..."
"Es war ein harter Tag", lachte Julie und stellte das Tablett auf den Tisch. "Ich will nicht nicht selbst loben, aber ich glaube ich hab das Essen gut hinbekommen."
"Du kochst für die ganze Schule?"
"Die Köchin kommt erst am Freitag. Aber manchmal, wenn ich nicht so viel Bürokram zu tun habe, dann koche ich auch mal für alle."
"Wie viele Leute gehen hier zur Schule?"
"Ungefähr 60."
"Gibt es nur 60 übernatürliche Kinder?"
"Nein nein. Wir sind nicht die einzige Schule. Es gibt viele Schulen. Weltweit. Und die Kinder, die einen menschlichen Elternteil haben gehen wiederum auf eine andere Schule."
"Achso", sagte ich und nahm eine erneute Gabel Nudeln mit Basilikumpesto. "Die schmecken fast so, wie die von meiner Mutter."
"Das Rezept ist auch von ihr."
"Woher kennst du meine Mutter?"
"Sie war meine Mentorin."
"Was machen Mentoren hier?"
"Sie helfen einem bei allen Problemen und versuchen die Fähigkeiten der Kinder zu stärken und zu bändigen. Deine Mum hat mir beim hexen geholfen und ich ihr beim gestaltwandeln."
"Das Essen ist echt gut."
"Danke. Die anderen Kinder kommen Freitag."
"Liam hat es mir bereits gesagt."
"Sehr gut."
"Sind hier noch andere Kinder, die Eltern haben, die..."
"Jack folgen?",unterbrach Julie mich und ich nickte. "Ja ein paar."
"Warum..."
"Sie trotzdem hier sind?" Ich nickte erneut. "Sie sind hier, damit sie sehen, wie falsch Jacks Einstellung ist. Hier lernen sie, dass auch Werwölfe mit Vampiren klar kommen können und, dass das gegenseitige töten keinen Sinn macht. Sie lernen hier das, was ihnen zuhause nicht gezeigt wird."
"Warum schicken die Eltern ihre Kinder hierher, wenn sie doch wissen, was dein Ziel ist?"
"Verzweiflung spielt eine große Rolle. Junge Hexen brennen Häuser nieder. Werwölfe kommen blutig nach Hause, Gestaltwandler verwandeln sich aus versehen in einen Drachen."
"Meine Eltern haben mir gesagt, dass ihr mit Tests herausfinden könnt, was ich bin."
"Ja am Samstag. Luca kommt am Samstag hierher und führt sie mit dir durch. Ich bin die nächsten zwei Tage sehr beschäftigt, um alles vorzubereiten. Aber meld dich trotzdem bei mir, wenn was ist. Ansonsten kannst du immer zu Liam gehen. Er wohnt in Hütte 10."
"Danke, Julie."
"Ich schreib dir ne Nachricht. Deine Mutter hat mir deine Nummer gegeben." Julie verließ die Hütte und ich blieb alleine am Küchentisch mit meinem Essen sitzen.
Ich konnte das alles immer noch nicht glauben und versuchte mir darüber bewusst zu werden, dass mein Vater, ein Vampir, plötzlich bei mir zuhause in Barrett auftauchte und mich hierher brachte, da ich auch irgendwie übernatürlich bin, aber man noch nicht weiß, wie genau.
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1. Wie hat dir das Kapitel gefallen?
2. Was hat dir nicht gefallen / besonders gut gefallen?
3. Wie alt bist du?
„Es ist schlimm, erst dann zu merken, dass man keine Freunde hat, wenn man Freunde nötig hat." – Plutarch
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