𝑉𝑖𝑒𝑟𝑧𝑒ℎ𝑛𝑡𝑒𝑠 𝐾𝑎𝑝𝑖𝑡𝑒𝑙: ɪᴄʜ sᴄʜʟᴀɢᴇ ɴɪᴇᴍᴀʟs ᴢᴜʀᴜ̈ᴄᴋ


Als ich im Supermarkt bin, frage ich Liam, wann er wieder zurückkommt, damit ich ihn bei meinen Einkäufen gleich mit einplanen kann und er schreibt mir zurück, dass er sich Morgenmittag auf den Weg machen will. Außerdem hat Nick gefragt, wie es mir geht und warum keine Nachrichten mehr zu mir durchkommen. Sofort regt sich mein schlechtes Gewissen, weil ich mich noch kein einziges mal bei ihm gemeldet habe, obwohl wir in Redditch viel zusammen unternommen haben.

Liam: Ist es okay, wenn ich Nick deine neue Nummer gebe?

Harry: Ja, sag ihm es tut mir leid! Ich meld mich bald bei ihm!

Eleanor's Nicht-Cousin kommt am Nachmittag mit einem großen Werkzeugkoffer und seinem rosafarbenem Hemd vorbei. Er betrachtet die Tür, während ich für ihn das Vorhängeschloss öffne.

„Was ist passiert? Sieht nicht nach einem Einbruch aus. Die gehen normalerweise nicht so gewalttätig vor. Macht zu viel Krach, den nur die Nachbarn aufschreckt."

„Es war auch kein Einbruch. Wir hatten- also... es gab eine Notsituation uns deshalb mussten wir die Tür aufbrechen!" Ich trete zurück, nachdem ich das Vorhängeschloss geöffnet habe. „Denkst du, du kriegst das wieder hin?"

Er fährt mit der Hand über den Rahmen und klopft gegen das Türblatt.

„Vogelkirsche. Das ist ziemlich hartes Holz. Ich baue erstmal Schließblech und Schlossfalle aus, dann sehen wir weiter."

Während er sich an der Zage zu schaffen macht, gehe ich in Liam's Küche, um Kaffee zu kochen. Ich stelle einen Kessel auf den Herd und fülle Kaffeepulver in die French Press, die Liam immer benutz. Als das Wasser kocht, gieße ich es in einem dünnen, blubbernden Strahl in die Kanne.

Thomas streckt den Kopf durch die Tür. „Kann ich auch einen haben?"

„Klar! Mit Milch?"

„Schwarz, aber mit einem Löffel Zucker, bitte!"

Genauso trinke ich ihn auch.

Mit zwei Tassen komme ich zwei Minuten später zu ihm in den Flur, wo er gerade das Schloss aus dem Türblatt abgeschraubt hat.

„Sieht gut aus. Das neue Schließblech ist schon drin. Ich muss nur noch eine Stelle abschleifen und lackieren, wo das Holz gesplittert ist." Mit der Tasse in der Hand, deutet er nach oben. „Die beiden Vorhängeschlösser können ab, wenn ich hier fertig bin, oder?"

Ich nicke, nippe dabei an meiner Tasse und schaue ihm zu, wie er die beiden Riegel abschraubt und die kleinen Löcher mit einer Holzpaste füllt.

„Eleanor's Onkel, Joseph, ist das dein Vater?" Er sieht ihm überhaupt nicht ähnlich, aber vielleicht liegt das auch nur an den kurzen Haaren und dem sorgfältig gebügeltem rosa Hemd mit dem Logo einer Schreinerei.

„Nein, aber meine Mum ist mit ihm, seinen anderen beiden Brüdern und Eleanor's Mum zusammen aufgewachsen. Sie sind wie Geschwister."

„Ich bin echt froh, dass du so kurzfristig kommen konntest!"

Er zuckt mit den Schultern. „Ich würde sagen, eine kaputte Haustür ist ein Notfall!" Er lässt den kleinen Schleifklotz, mitten er gerade den Türrahmen bearbeitet hat, in seine Werkzeugkiste fallen und zeiht sein Handy aus der Tasche, dass vibriert haben muss.

„Sorry!", sagt er zu mir, bevor er den Anruf annimmt. „J, was gibt's? Ich habe zu tun!"

Um ihn nicht zu stören, bringe ich meine Tasse in die Küche.

„Stimmt, ich bin in Princess Parc. Nein, hast du einen Knall?" Er gibt ein genervtes Stöhnen von sich. „das mache ich definitiv nicht! Warum Obst du nicht her und fragst sie selber? Oder noch besser, frag Eleanor, verdammt! Sie wohnt doch auch hier." Einen Moment herrscht schweigen und weil ich ihn nicht belauschen will, mache ich beim Abspülen meiner Tasse mehr Lärm als nötig. Trotzdem höre ich, wie Thomas ein leises Leck mich! raunt, nachdem er aufgelegt hat.

Thomas geht noch einmal mit Schleifpapier über die beschädigte Stelle und pinselt schlussendlich Klarlack drüber.

„Dauert ein paar Stunden, bis das richtig trocken ist. Ich könnte einen Zettel hinhängen, aber ehrlich, jedes mal, wenn ich das mache, gehen die Leute hin und tatschen mit ihren Fingern drauf rum, um zu fühlen, ob es schon trocken ist."

Ich muss lächeln, weil mir Thomas mit jeder Minute sympathischer wird. „Das ist nicht nötig. Ich erwarte keinen Besuch."

„Gut!"

Er räumt sein restliches Werkzeug zusammen, da klingelt sein Smartphone erneut.

„J, es gibt Leute, die haben einen verdammten Job zu erledigen! Oh nein, Mann! Ich hab zwar keinen College-Abschluss, aber ich weiß im Gegensatz zu dir genau, wann ich jemandem auf den Sack gehe!"

Ich suche mir ein Kehrblech und mach Erich dran, den Holzstaub vom Fußboden aufzufegen, damit ich irgendwas zu tun habe.

Thomas schüttelt den Kopf und flüstert mir zu: „Ist mein Dreck! Ich mach das gleich noch!"

Nach einer Weile drückt er genervt das Smartphone an seinen Brustkorb. „Ein bekannter von Eleanor will wissen, ob hier auf der Etage ein Zimmer frei geworden ist. Angeblich sollen hier irgendwelche Renovierungsarbeiten gelaufen sein und das Zimmer wieder vermietet werden!"

„Ist das Jason am Telefon?"

„Du kennst ihn?" Sein Blick schwangt zwischen Mitleid und Erleichterung, weil er jetzt nicht so viel erklären muss.

„Ich habe nichts von irgendwelchen Handwerkern mitbekommen, aber kann sein, dass ich sie verpasst habe. Ich habe im vierten Stock geschlafen", erkläre ich. „Vielleicht ist das Zimmer noch frei. Keine Ahnung!"

Thomas hält sich das Telefon wieder ans Ohr. „Harry meint, das Zimmer ist schon weg!", lügt er, ohne rot zu werden.

Mir bleibt der Mund offen stehen, aber Thomas lässt sich davon nicht irritieren.

„Verdammtes Pech! Ja Mann, tut mir echt leid für dich!" Er guckt mich an und verdreht die Augen. „Am besten stellst du noch mal einen Antrag. Mhm, keine Ahnung, ich war ja Gott sei Dank noch nie auf dem College."

Er sagt Bye uns stopft das Handy zurück in seine Hosentasche.

„Der Idiot macht mich irre!"

„Ich glaube, er will einfach nur in Eleanor's Nähe sein", sage ich.

Thomas' Gesicht verdüstert sich. „Ändert nichts daran, dass er ein Idiot ist!"

Ich kann es mir nicht verkneifen ihn ein bisschen aufzuziehen. „Aber ein hübscher Idiot!"

„Du findest ihn hübsch? Nur wegen der langen Haare?" Thomas' Hand schwebt über seinem Kopf und mein Grinsen erlischt. Sofort werde ich mir meiner eigenen Frisur wieder bewusst.

„Ist ja auch egal!", weiche ich aus.

„Was ist eigentlich mit deinen Haaren passiert? Bist du krank gewesen?"

Denk er jetzt ich habe eine Chemo hinter mir, oder was?

„Nein nein, ich wollte sie einfach nur mal richtig kurz haben! Weil es mich genervt hat morgens immer so lange im Bad zu brauchen!" Meine Wangen fühlen sich heiß an, aber mir kommt der Gedanke, dass es vielleicht richtig ist, wie Thomas das macht- dass es besser ist, einfach nachzufragen, anstatt jemanden anzustarren und seine eigenen Schlüsse zu ziehen.

„Klar, kann ich verstehen. Also mir gefällt's!" Er klopf sich den Staub vom Oberschenkel und schaut auf die Uhr. „Ging schneller als ich dachte. Ich mach dir schnell die Rechnung fertig!"

Ich bezahle bar. Das Geld habe ich zuvor extra beim Einkauf abgehoben. Thomas macht mir einen guten Preis und ich lege dafür ein Trinkgeld oben drauf. Und nachdem er gegangen ist, steige ich in den Aufzug, um mein Zeug aus Louis' Zimmer zu holen. Es dauert nicht lange, meine wenigen Sachen zusammenzupacken, weil ich bis auf meinen Laptop eigentlich nichts ausgepackt habe. Mein Equipment steckt noch im Karton und die Klamotten noch im Rucksack. Nur im Bad habe ich meine Sportsachen und meine Unterwäsche zum Trocknen aufgehängt, nachdem ich sie im Waschbecken gereinigt hatte. Ich zupfe sie nun von der Duschkabine hinunter und sammle meine wenigen Pflegeprodukte ein. In Louis' Zimmer habe ich nichts angerührt, aus Sorge, es könnte sich wie schnüffeln anfühlen. Jetzt erlaube ich mir zum ersetzen mal, mir seine Regale genauer anzusehen. Da ist ein gerahmtes Foto von Zayn und ihm von seiner Mum. Zumindest nehme ich das an, denn es sind zwei Kleinkinder irgendwo an einem Ufer und eine junge Frau mit schulterlangen, braunen Haaren und einem Pony. Im Hintergrund: blaues Wasser. Vielleicht wurde das Foto auf ihrer Insel gemacht. Ein Teil des Regalbrettes ist leer, da Louis seine Bücher mitgenommen hat. Neben der leeren Stelle liegen ein paar Kabel, Stifte und ein eingestaubtes, vollkommen zerfleddertes Foto von einem Mann mit einem Fußball, dass ich in die Hand nehme. Es ist etwas verschwommen, weshalb ich nicht erkennen kann, ob es Louis ist. Der Mann und der Fußball sind beide vollkommen mit Schlamm bespritzt und laufen im Regen über eine nasse Wiese.

Mein Handy vibriert und ich sehe, dass Eleanor mir eine Nachricht geschickt hat. Sie fragt, ob Thomas schon da gewesen ist. Ich rufe sie sofort an.

„Er ist gerade gefahren. Tausend dank, dass du ihn für mich gefragt hast! Ich schwör dir, die Tür sieht aus, wie neu!"

„Wie findest du ihn?"

„Wen?"

„Thomas natürlich!"

„Er ist ein total netter Kerl und super professionell! Ich habe ihm fast 10 Euro Trinkgeld gegeben, ich hoff das war okay!"

Sie seufzt. „Er ist richtig toll, oder?" Ihre Stimme hat eine wehmütige Färbung angenommen, was mich im ersten Moment überrascht.

„Ähm... also, er ist nicht wirklich dein Cousin, oder?"

„Nein, ist er nicht! Onkel Joseph zählt ihn nur zur Familie, weil Thomas' Mum mit ihm aufgewachsen ist."

Jetzt wird mir auch klar, warum ihn Jason so genervt hat. Offenbar war das ein Kontrollanruf.

„Jason hat Thomas übrigens angerufen, als er hier war und hat sich nach dem freien Zimmer erkundigt."

„Ich wünschte, er würde damit aufhören!"

„Hättest du vielleicht Lust heute Abend zu mir zu kommen? Wir könnten das neue Türschloss feiern und vielleicht einen Film gucken!"

Ich weiß nicht, warum ich das frage. Okay, doch, ich weiß es! Weil ich feige bin! Louis will nachher vorbeikommen, die Schlüssel abholen und mit mir reden. Mich mit Eleanor zu verabreden ist eine taktische Gegenmaßnahme, um ich's mit ihm alleine zu sein.

„Och Schade! Heute Abend kann ich nicht! Könne wir das vielleicht auf morgen verschieben?"

„Morgen kommt Liam zurück. Aber ich frag ihn! Bestimmt hat er nichts gegen einen Filmabend."

„Dann texte mir einfach wann und wo!"

Wir verabschieden uns und ich mache mich daran die Bettdecke abzuziehen und das Badezimmer zu putzen. Als ich eine Stunde später mit meinen Sachen in Liam's Apartment sitze, fühle ich mich seltsam leer. Louis bekommt sein Zimmer zurück. Das sollte mich froh machen! Wahrscheinlich vermisse ich nur sein Riesenbett und Melman. Den kleinen, schlaksigen Kerl habe ich auf dem frischgemachten Bett ausgebreitet und einen Abschiedskuss gegeben, bevor ich die Tür hinter mir zugezogen habe. Wenigsten habe ich jetzt wieder eine Küche. Es wird wesentlich günstiger für mich jetzt etwas zu kochen und ich habe richtig Lust auf Enchiladas. Die Zutaten dafür habe ich schon auf der Küchentheke ausgebreitet. Ich schiebe mein Smartphone in die Gesäßtasche, damit ich ankommende Nachrichten spüre, während ich Tomaten für die Soße entferne und dann mit Gewürzen in einen Topf gebe. Ich kann nicht viel Kochen, aber dieses Gericht haben Liam und ich uns selbst beigebracht, als wir im Frühjahr in Mexiko waren. Der Flug vom London Air Port nach Cancun hat uns fast 450 Pfund gekostet. Die Unterkunft war wiederum auch nicht gerade billig. Deshalb konnten wir nicht ständig Essen gehen und haben fast jeden Abend Burritos oder Enchiladas gemacht. Meistens mit schwarzen Bohnen und Zucchini, weil Liam kein Fleisch ist, doch heute habe ich ein Stück Brisket gekauft und schneide es in kleine Stücke. Genauso groß wie die Zwiebeln. Ich werfe alles zusammen mit grünem Chilis und Knoblauch in die Pfanne. Während die Tomatensoße und die Fleischfüllung vor sich hin schmoren und köcheln, hole ich mein Smartphone raus. Louis hat nicht geschrieben. Natürlich nicht, sonst hätte ich das vibrieren ja auch gespürt. Ich wie nicht, wann er seinen Schlüssel holen will und für einen Moment überlege ich, ihn doch unter seine Fußmatte zu legen. Doch dann schicke ich ihm eine unverfängliche Nachricht.

Harry: Wie geht es Paula?

Das Telefon wandert zurück in meine Tasche. Zehn Minuten später gieße ich etwas von der Tomatensoße in eine Auflaufform und rolle das Fleischgemisch in die Tortillas ein, bevor ich sie in ordentlich nebeneinander in die Form lege, mit Soße übergieße und anschließend einen Berg Käse darüber reibe.

Als mein Hintern vibriert, fällt mir fast die Form aus den Händen, die ich gerade in den Ofen schieben wollte.

Louis: Cora hat sie nicht richtig festgehalten. Suchen sie gerade, aber sie kann nicht weit gekommen sein.

Ich mache ein Foto von den Enchiladas. Louis hat bestimmt Hunger. Ich habe die Einladung schon getippt, Arber dann überlege ich es mir anders. Weil ich schon sein verdammtes Bett gemacht habe und das bestimmt zu viel ist. Bei Liam würde ich nicht lange überlegen. Ich würde sein Bett machen, das Bad putzen, kochen und ihm ein Bild davon schicken, damit er sich auf das Essen freuen kann. Aber das würde Liam auch für mich tun und keiner von uns würde sich irgendwas dabei denken.

Harry: Tut mir echt Leid! Ich wollte nur fragen, wann du den Schlüssel holen kommst...

Das frage ich nur, damit ich mich darauf einstellen kann. Ich könnte behaupten, dass ich es wissen will, damit ich nicht gerade dann unterwegs bin. Aber das ist Schwachsinn, da ich nirgendwo hingehe.

Louis: Willst du noch weg? Ich bin gleich da. Ist nur noch 1km oder so

Harry: Okay.

Es dauert trotzdem noch 20 Minuten, bevor es an der Tür klopft und als ich öffne, ist Louis gerade dabei, sich einen seiner dreckigen Schuhe auszuziehen. Und weil seine Arme dabei angespannt sind und ich nur blöd auf seinen Bizeps starre, vergesse ich völlig, ihn vor dem frischen Lack zu warnen, als er sich dabei am Türrahmen abstützt. Nach dem zweiten Schuh will er sich wieder aufrichten und bliebt prompt mit seinem Shirt kleben.

„Fuck! Was zum Teufel?!"

Er zieht daran und ist wieder frei. Ich beiße mir auf die Lippen, muss dann aber doch lachen.

„Sorry! Tut mir leid, ich habe es vergessen dir zu sagen. Da ist Klarlack drauf! Thomas hat einige Stellen neu streichen müssen!"

Die Falten um seinen Augen vertiefen sich für einen Moment. Dann runzelt er die Stirn. „Wer ist Thomas?"

„Der Handwerker, der das neue Türschloss eingebaut hat. Er ist sowas, wie Eleanor's Cousin. Du kennst Eleanor, oder? Sie wohnt hier auf dem Flur!"

Er nickt und schiebt seinen Rucksack mit dem Fuß hin und her.

„Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat! Das blöde Fahrrad war platt nachdem ich dir die Nachricht geschickt habe. Ich packe nur schnell mein Zeug zusammen, dann hast du deine Ruhe!" Er wirkt gehetzt und angespannt. Anscheinend kann er es kaum erwarten in sein Zimmer zurückzukommen.

„Du bist Fahrrad gefahren?"

„Ich hab kein Auto. Hat Liam das nicht erzählt?" Mit der Hand kämmt er sich durchs Haar. „Naja, gibt wohl noch eine ganze Menge, die du nicht von mir weißt, oder? Mein Dad hat das Auto einkassiert. Genauso wie mein Zuhause und meine Kreditkarten. Ich bin also mindesten genauso pleite wie du, schätze ich! Es sei denn deine Karre ist ein geschicktes Täuschungsmanöver!"

Ich bin mir nicht sicher, ob er mir vorwirft, dass ich so wenig über ihn weiß, aber der Schuh passt. In den letzen Tagen ging es immer nur um mich. Immer nur um meine Probleme. Meine Gefühle. Ich hab mir viel zu wenig Gedanken darüber gemacht, was eigentlich mit ihm ist.

„Es tut mir leid. Ich dachte... Liam hat mich nichts davon erzählt!"

„Tja, mir erzählt Liam auch nie das, was ich wissen will!"

Jetzt bin ich mir fast sicher, dass er sauer auf mich ist. Er sieht ungeduldig aus, aber ich bleibe im Flur stehen, damit er nicht einfach an mir vorbei und ins Zimmer stürmen kann.

„Wie machst du das mit der Miete und allem?"

„Ich arbeite zwei mal in der Woche bei Niall."

Und ich dachte, dass Louis nur bei ihm trainiert. Andererseits hat er das auch offengelassen. Wollte er, dass ich ihn falsch verstehe? Das ich nicht weiß, dass er nur ein Fahrrad und ein kleines Zimmer im Studentenwohnheim hat? Und er hat dieses Zimmer mir überlassen! Seinen einzigen Rückzugsort. Alles was er hat.

Ich schlucke.

Nein, dass stimmt nicht! Louis hat noch so viel mehr! Er hat eine unfassbar tolle Stimme. Er hat raue Hände, einen Körper voller Bilder und Songtexte und die faszinierendes blauen Augen, die ich jemals gesehen habe. Und jetzt im Augenblick hat er außerdem meine volle Aufmerksamkeit.

„Ist dein Dad der Grund dafür, dass du nur ein kleines Zimmer hier im Wohnheim hast und Liam ein ganzes Apartment?" Die Frage ist nicht gerade diplomatisch, aber das geht mir natürlich erst auf, als ich sie ausgesprochen habe. „Entschuldige, dass geht mich eigentlich nichts an!"

„Ist schon okay. Mein Dad ist mit dem Dekan befreundet. Nur deshalb sind wir überhaupt ins Princess Parc reingekommen. Ich habe Liam das Apartment überlassen, weil... ich brauche nicht so viel Platz! Immerhin bin ich die meiste Zeit am Fußballplatz oder bei Niall's."

„Was machst du bei Niall? Leitest du eine Gruppe? Oder trainierst du mit jemandem?" Niall hat gesagt, er würde 130 Pfund für eine Privatstunde bekommen. Das ist verdammt viel Geld. Aber Louis ist nicht Niall. Das ist nicht sein Club und er ist sichtlich auch kein Profi.

Louis lacht auf. „Trainieren? So kann man das auch nennen! Eigentlich lasse ich mich nur verprügeln. Ich spiele Sparringspartner für ein paar Vollidioten, die Egon bisschen Dampf ablassen wollen. Guck nicht so! Das hört sich schlimmer an, als es ist! Sind nur ein paar Sesselfurzer, die mal aus ihren verkackten Büros rauskommen wollen."

„Du kämpfst mit ihnen für Geld!"

Er schüttelt den Kopf. „Nein Harry, ich kämpfe nicht. Ich darf mich Decken, auch mal Finten, Antäuschen, aber ich schlage nicht zurück."

„Du schlägst nicht zurück?!"

„Ich schlage niemals zurück."

Ich habe das Gefühl, als würde er nicht nur über das Sparring reden und muss etwas in meinem Hals wegräuspern. Was er da sagt, dass erinnert mich an etwas, was Liam mir mal erzählt hat. Von einem Campingausflug.

„Dein Bruder hat dich mal geschlagen", sage ich. „Als ihr am Loch Ness wandern ward. Du, Zayn, Liam und noch ein anderes Paar."

Er nickt fast grimmig. „Sam und Harper!"

„Ja genau! Du hast dich mit deinem Bruder gestritten. Liam dachte, dass du Zayn geschlagen hast und er deswegen zusammengebrochen ist. Dann hat er gemerkt, dass du garnicht zurückgeschlagen hast.

„Nein."

„Warum nicht?"

„Fuck, keine Ahnung!" Er zuckt mit den Schultern. „Wahrscheinlich weil och es verdient habe."

Oh Gott! Will er damit sagen...

„Machst du deshalb diese Sparring-Sache? Weil du denkst, dass du Prügel verdienst?"

„Och man, Harry! Interpretiere doch nicht so einen Scheiß rein! Das ist einfach nur ein Job! Außerdem geht es hier gar nicht-" Er hält inne und hebt den Kopf. „Wonach riecht es hier eigentlich? Kochst du gerade?"

Das Essen hatte ich vollkommen vergessen!

„Ja, Enchildas! Hast du Hunger? Willst du vielleicht mitessen?" Gleichgültig und neutral, so klingt meine Stimme, aber mein Herzschlag beweist mehr als eindeutig, dass diese Gleichgültigkeit nur vorgetäuscht ist. Es ist absurd wie viel mir daran liegt, dass er ja sagt.

„Fuck! Ich stehe auf mexikanisches Essen und ich sterbe vor Hunger! Ist es okay, wenn ich erst danach Dusche?" Er zeigt an sich hinunter. Louis ist von oben bis unten mit Grasflecken bedeckt und riecht nach Schweiß.

„Mir macht das nichts aus! Die Enchiladas müssten auch langsam fertig sein."

Ich gehe in die Küche und er folgt mir. Er marschiert schnurstracks zum Ofen und guckt rein. Obwohl wir das Thema mit seinem Dad und seiner Arbeit fallen gelassen haben, kann ich immer noch sehen wie aufgewühlt er ist. Etwas scheint ihm unter der Haut zu brodeln und das macht mir Angst, weil ich es nicht einschätzen kann. In meinem Bauch baut sich seltsamer Druck auf.

„Und? Es ist der Käse schon braun?"

„Wird langsam. Warum hast du überhaupt so viel gekocht? Das reicht doch locker für vier Leute!"

„Weil... also,... weil man das aufwärmen kann und es am nächsten Tag noch besser schmeckt?" Warum geht meine Stimme bei meiner Antwort eigentlich fragend in die Höhe?

„Und du wolltest vier Tage lang Enchiladas essen?"

Mir wird unbehaglich zumute. Es ist warm hier in der Küche. Erst recht, nachdem der Ofen jetzt auf Hochtouren läuft. Louis steht vor dem Backofen. Genau zwischen mir und der Tür. Ein mal mehr fällt mir auf, wie klein dieser Raum eigentlich ist. Geradezu winzig. Nicht einmal ein Tisch passt hier rein und Louis ihn beinahe komplett aus. Die paar Schränke, die Spüle, der Herd, der Kühlschrank. Sonst nichts. Nicht einmal eine Spülmaschine, keine Stühle und keine Fluchtmöglichkeit. Nicht viel mehr als ein Meter zwischen Louis und mir. Das hat mich heute morgen auf dem Fußballplatz nicht gestört, aber da war Paula und der Rasen. Hier ist nichts. Nur ein heißer Ofen mit Enchiladas, Louis und ich.

„Ich habe mir gar nichts dabei gedacht. Liam kommt morgen zurück und ich hatte Eleanor gefragt, ob sie vorbeischaut, aber sie hat schon was vor."

„Aber du wusstest vorher, dass sie keine Zeit hat, oder? Und du wusstest auch, dass ich vorbeikomme um meinen Schlüssel abzuholen."

„Na und?"

Er betrachte mich und verschränke unter diesem Blick meine Arme.

„Warum hast du mich nicht einfach gefragt?"

Ich weiß es nicht. Vielleicht, weil ich ihm beim Essen zusehen möchte. Weil ich ihm stundenlang dabei zusehen könnte. Wie bescheuert ist das denn?

„Habe ich doch! Vor zwei Minuten!" Verteidigung ist immer noch der beste Angriff.

Louis schüttelt nur den Kopf. Irgendwie enttäuscht. „Ich hätte mich gefreut, weil ich dachte... das heute bei Paula." Er stockt erneut. „Es hat dir gefallen, oder?"

„Was meinst du?" Ich weiß verdammt noch mal genau, was er meint!

„Ich meine Paula's Fell zu streicheln..."

Ich nicke schon, da fügt er hinzu: „Und mich!"

„Klar!", sage ich mit einem peinlichen Auflachen. Es klingt heiser, weil ich kaum noch Luft bekomme. Ich beschließe die letzten beiden Wort einfach zu ignorieren. „Paula's Fell hat sich wirklich toll angefühlt! Danke, dass du-"

„Fuck Harry!", stößt er aus. Und jetzt sehe ich, dass er genauso atemlos ist wie ich. Weil sich sein Brustkorb so schnell hintereinander anhebt, als würde er gerade ein Rennen laufen. „Ich weiß, dass es dir gefallen hat, mich zu berühren! Mir hat es auch gefallen! Sehr sogar! Aber dann kam Cora und danach wolltest du mir nicht mal mehr ein High-five geben und mir will nicht in den Kopf warum! Weil du es albern findest? Weil du nicht mit mir befreundet sein willst? Ich hab keine Ahnung! Aber irgendwie, auch wenn das eingebildet klingt, ich hoffe, dass du es nicht getan hast, weil vielleicht das Gegenteil zutrifft, weil du mehr willst, als nur mit mir befreundet zu sein. Ist es so?"

Mein bescheuertes Herz donnert lauter als eine Horde Pferde, die durch die Prärie rast. „Nein, das ist es nicht. Das ist das letze, was ich im Augenblick will!"

„Warum?"

Hilflos hebe ich die Arme. „Weil...-"

„Warum, Harry?"

Ich kann ihm darauf keine Antwort geben.

„Du musst es mir nicht erklären, wenn du nicht willst. Du kannst mich auch einfach zum Teufel jagen! Aber die Sache mit Cora heute..." Ich kann sehen wie sich seine Arme anspannen, weil die Adern auf seinen Unterarmen hervortreten. „Was sie heute gesagt hat, war der letze Bullshit und du solltest es wissen!"

„Louis! Es ist schon okay, wirklich. Ich... Ich glaube das Essen ist so langsam fertig. Willst du nicht-"

„Das Essen ist mir im Augenblick verfickt noch mal egal, verfickte Scheiße!"

Ich würde darüber lachen, wenn ich vor Angst nicht gerade wie erstarrt wäre. Louis ist einen Schritt auf mich zugekommen und ich kann seinen Schweiß riechen und den frisch gemähten Rasen.

„Ich hab dir gesagt, dass es in meinem Leben kein verdammtes ‚What if...?' gibt und deshalb musst du dir das jetzt anhören! Auch wenn ich es nachher vielleicht bereue." Er reibt sich über die Stirn und sieht mich dann mit einem Blick an, in dem viel zu viel Hoffnungslosigkeit steht; als wüsste er schon, wie das hier ausgeht. „Heute Nacht habe ich nicht eine Minute geschlafen, weil ich ungefähr zehn mal hintereinander Devouring World gespielt habe. Immer die selbe Mission und dich habe sie jedes Mal verkackt! Weißt du warum?"

„Ich-"

„Damit ich deine Stimme hören konnte, Harry! Damit ich hören konnte, wie du sagst: Schlaf mit mir, jetzt! Ich kann die ganze verfickte Szene jetzt in und auswendig!„ Mein Herz setzt einen Schlag aus und ich habe Mühe ihm zu folgen, weil er so schnell weiter redet. „Ich weiß nicht, was dir passiert ist, oder warum du dir deine Haare abrasiert hast, aber ich kann mir denken, was du damit bezweckst! Du willst nicht mehr aussehen, wie Harry. Du willst nicht, dass dich irgendwer ansieht und schön findet. Du willst vor allem nicht, dass irgendein Mann ansieht und schön findet! Und du hast gedacht, wenn du alles los wirst, was irgendwie weiblich ist, dann beachtet dich niemand mehr." Ich sage nichts dazu. Ich streite es auch nicht ab, doch am liebsten würde ich mir die Ohren zuhalten. „Aber weißt du was?" Er hebt seine Hände an und für einen Moment bilde ich mir ein, dass er mich am liebsten packen und durchschütteln würde. Aber dann lässt er die Arme wieder sinken. „Das funktioniert nicht, Harry! Es funktioniert null, hörst du? Weil ich dich schön finde! Weil ich dich atemberaubend schön finde! Es ist mir scheiß egal, ob du Haare hast, oder nicht. Es ist mir auch schieß egal, was für Klamotten du anziehst. Weil ich immer deine Stimme höre. Weil ich dich ununterbrochen in meinem Kopf höre!" Er redet weiter. Seine Worte stolpern übereinander, wie Geröll, dass einen Abhang hinunterpurzelt. Eine Gerölllawine und sie wird immer größer. „Und jetzt hab ich verdammt noch mal keine Ahnung, was ich mit dir machen soll! Soll ich vorsichtig sein, einfühlsam? Oder soll ich dich verfickt noch mal direkt darauf ansprechen? Ich habe schon lange nichts mehr so richtig versaut. Vielleicht wäre es mal wieder an der Zeit! Also? Hast du Angst vor mir?"

Ich glaube in meinem ganzen Leben hatte ich noch nie so viel Angst, wie in diesem Moment. Aber nicht weil Louis so nah ist, so impulsiv, sondern weil meine eigenen Gefühle mir Angst machen. Ich spüre, wie ich am ganzen Körper anfange zu zittern.

„Was ist, wenn ich noch näher komme, Harry? Weichst du dann zurück?"

Nein!

„Was ist passiert, dass du vor mir Angst hast?"

„Ich habe keine Angst vor dir!"

„Sag es mir trotzdem! Was ist passiert?"

Ich mache den Mund auf, bringe aber keinen Ton raus. Meine Stimme ist ein Werkzeug, aber jetzt ist es defekt, kaputt, gebrochen.

Louis macht eine kleine Bewegung, mit der ich nicht rechne. Nur eine kleine Bewegung. Aber ich zucke reflexartig zurück. Sofort tritt er einen Schritt zurück. „Okay!", stößt er hervor. „Das wars! Ich pack jetzt meine Sachen, dann bin ich weg!"

Ich erwarte, dass er die Küchentür heftig aufstößt oder sie alleine durch die Wucht seiner Worte an die Wand fliegt, aber das tut sie nicht. Louis dreht sich einfach um und geht.


♡︎♡︎♡︎

Hellou (:

Joa... haha dieses Kapitel hat gefühlte Ewigkeiten gebraucht zum fertig schreiben and I'm so fookin sorry 😭 Von wegen hOfFeNtLiCh Im ScHrEiBrHyThMuS bLeIbEn 🗿

Aber naja jetzt ist es draußen und idk ob das ein Cliffhanger ist, aber ich hab einen kleinen Cut eingelegt haha.

Ich hab auch ganz alleine ein neues Cover gestaltet Höhö Das Bild und alles hab ich selbst gemalt (:

Anygays haha ich hoffe ihr hattet alle schöne Ostern und so (:

All the fookin Love

J

P.S.: Ich komme immer noch nicht auf Harolds neue Songs und Coachella insgesamt klar 😭 er hatte gefühlt mehr als ein mal sein Coming-Out und dieses Outfit- gosh ich wache safe gleich auf und alles war nur ein Traum 😭😭😭

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