Kapitel 9...Was tust du da, Alex?

                    °°°SAM °°°

Manchmal frage ich mich, in wie weit manche Menschen ihr Leben im Griff haben und wie sie sich ihre Zukunft vorstellen. Bei Alex habe ich mich oft gefragt, was wäre, wenn...

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Der nächste Morgen brachte Regen mit sich...den lang ersehnten Regen. Die letzten Tage war es sehr warm und schwül. Und heute? Es war alles grau in grau und ein kühler Tag zu dieser Jahreszeit Sommer.

Ich blieb auf der Treppe vor dem Eingang des Hotels stehen und schüttelte meinen Regenschirm davor aus. Als ich eintrat, waren schon einige Hotelgäste auf den Beinen. Wir beherbergen wohl Frühaufsteher... möchte ich meinen. Jeder, der mir auf dem Weg zur Kaffeebar entgegen kam, grüßte ich mit einem: "Guten Morgen!...Gut geschlafen?...Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!" Auch meine Mutter Theresa war schon auf den Beinen und werkelte in der Kaffeebar herum.

"Morgen Mum!", begrüßte ich sie, während sie hinter der Theke stand und ich mich ihr gegenüber mit einer winkenden Hand bemerkbar machte. Sie räumte gerade die Kuchen - Vitrine mit frisch gelieferten Torten und Gebäck aus der Stadtbäckerei für die Hotelgäste ein.

Ob du es glaubst oder nicht, aber mir lief jedes Mal das Wasser im Mund zusammen, wenn ich die leckeren Tortenkreationen in der Vitrine stehen sah. Ja, ich bin eine kleine Naschkatze.
Wenn meine Mutter selbst Rezepte ausprobierte, half ich ihr dabei und durfte hier und da naschen und die Schüssel auslöffeln und beim Kreieren mithelfen. Es war für mich immer eine köstliche Angelegenheit. Ich konnte dem Süßkram einfach nicht widerstehen. Eine kleine Sünde muss jeder Mensch haben. Einer kaut gern Kaugummis, andere verdrücken haufenweise Gummibärchen, ich nasche gern und meine Freundin Alex...braucht Sex. Ach apbropo Alex! Sie müsste ihre Schicht auch heute um sechs Uhr beginnen.

Wenn ich so darüber nachdenke: Sogar mit Tante Helen stand ich stundenlang in der Hotel - Küche und wir probierten Backrezepte aus, die sie im Internet gegoogelt hatte und die auf den Abbildungen stets lecker aussahen.
Doch bei Tante Helen sahen die Kuchen nicht so lecker aus, eher misslungen und zusammengefallen. Sprichwörtlich: Die Luft war raus. Dafür konnte sie aber kochen. Hinterher konnte man sich die zehn Finger ablecken vor lauter Köstlichkeit...Ich vermisse ihre Kochkünste.

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Ich blieb an dem ersten Tisch in der Nähe der Tür stehen und richtete die gelbe Rose in der Vase, die in der Mitte des Tisches stand. Ich hasse Rosen. Sie sind dornig und widerspenstig und verletzlich. Ich betrachtete meine Mutter bei ihrer Arbeit, die sie mit Liebe und Spaß und Freude verrichtete. Sie setzte dann immer dieses zufriedene Lächeln auf.

"Guten Morgen Schatz!...Du bist schon da?", fragte meine Mutter mich von der Theke herüber.
"Ja, ich fange in zehn Minuten an...Wie geht es Dad heute?", und ich ging zu meiner Mutter an die Vitrine.

"Ich weiß nicht! Ich war noch nicht im Büro. Er hat heute Morgen noch vor mir das Haus verlassen. Aber wenn ich hier damit fertig bin und Abigail und Sally da sind, gehe ich zu ihm...Seine Schwester Helen ist jetzt seit einem Monat nicht mehr unter uns. Ihr Tod hat ihn altern lassen und er ist sehr gebrechlich geworden...Jeden Abend, wenn ich nach Hause komme, sitzt er in der Bibliothek, vor dem Kamin, wie sie es immer getan haben, als sie noch da war... Er ist in sich gekehrt und denkt viel nach... Wenn ich nur wüsste, wie ich ihn wieder aufheitern könnte."

"Wart ihr gestern noch an ihrem Grab?", fragte ich sie, als ich mich an den Tresen lehnte.

Meine Mutter wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. Sie bejahte die Frage und schloss die Vitrine zu. Doch dann sagte sie zu mir traurig:
"Ich wünschte, sie wäre noch hier unter uns. Dann müsste ich mir nicht allzu viele Sorgen um deinen Vater machen...Entschuldige, ich bin furchtbar, wenn ich das über ihn sage. Er versteckt sich nur noch in seinen vier Wänden, die er Büro und Konferenzraum nennt und zu Hause ist es die Bibliothek. Orte, an denen sie sich immer zu zweit aufgehalten haben, Pläne für das Hotel geschmiedet und...und gelacht und den Tag zusammen verbracht haben. Helen war eine wunderbare Frau. Wenn sie den Raum betrat, ging die Sonne auf..."

Da hatte sie wohl recht, was die Sonne anging. "Ich war gern mit ihr zusammen und hab es immer kaum erwarten können, wenn sie mit mir in der Küche verschwand, um mit mir zu kochen. Das sind die Momente, die ich am meisten vermisse...Oh! Entschuldige! Ich halte dich von deiner Arbeit ab, Mum...", beendete ich meine kleine Träumerei.
"Nein Kind..."

"Okay Mum, ich würde gern noch länger mit dir plaudern, aber die Pflicht ruft. Meine Schicht... Wir seh'n uns später!", und ich gab meiner Mutter einen Kuss auf die rechte Wange, schnappte mir meinen Kaffee, den meine Mutter mir noch schnell hingestellt hatte, bevor ich ganz aus der Kaffee - Bar verschwand und lenkte meine Schritte zum Empfang. Bis mir beim Aufsehen der Atem stockte.

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Alex stand mit ihrem neuen Lover vor der Rezeption und ließ sich von ihm hier und da berühren und streicheln und küssen und umarmen...Klartext: Er schlabberte sie überall ab. Fehlte nur noch, dass sie den Empfang benutzten, um sich für alle zur Schau zu stellen. Oh mein Gott! Das war so abartig vulgär. Das Schlimme ist, man muss einfach wegsehen. Es war zwar ulkig, wie die Hände von ihrem Macker überall herum schlängelten, ein Wunder, dass er sich nirgendwo verknotete, aber es war kein schöner Anblick. Ich muss mich erstmal schütteln. Mir steckt der Würgereiz im Hals.

Ich räusperte mich beim Näherkommen an den Empfang. Doch von ihnen kam kein Stopp! Also legte ich los, um dem ganzen Sabbern ein Ende zu bereiten...Das gehörte sich nicht, jedenfalls nicht so, wie die Beiden sich vor dem Empfang gaben. Sagen wir mal so, es war kein schöner Anblick von Liebe.
"Herr Gott, Alex! Nehmt euch ein Zimmer. Das ist ja widerlich! Oder geht in den Keller oder nach Hause! Aber nicht hier vor dem Empfang, an deinem Arbeitsplatz. Das ist für die Gäste ein Dorn im Auge und lässt sie gleich anders über unser Hotel reden und denken.", sagte ich zu ihr schroff. Oh mein Gott! Der Tag fing ja gut an. Und die Retourkutsche kam sofort.

"Bist ja nur neidisch!", antwortete Alex mir darauf und holte sich hinter der Rezeption einen Zimmerschlüssel wie eine diebische Elster hervor und schnappte sich ihren Freund.

"Was tust du da, Alex?", fragte ich sie empört, als ich ihre Absicht dahinter erkannte. "Das Zimmer ist reserviert, Alex! Die Gäste checken in zwei Stunden ein...Du kannst das nicht tun!...Lass das! Das ist keine gute Idee! Gib mir die Schlüssel zurück!", begann ich mich aufzuregen.

Alex lachte vorlaut über mich und meine Panik. Als wäre es das Normalste auf der Welt, sich einfach einen Zimmerschlüssel zu nehmen und zwei, drei Nummern in diesem Hotelzimmer zu schieben.

"Du bist ein Angsthase, Sam!...Ich bin bald zurück...Wir müssen uns wohl beeilen, Schatz...", flüsterte sie ihrem Freund zu.
"Bis die Gäste da sind, ist das Zimmer wieder in Ordnung gebracht....Versprochen!", versuchte sie mich damit zu ködern.

Ich war stinksauer. Egal, was ich ihr sagte, sie ignorierte es oder belächelte es. Sie nahm mich nicht ernst. Und das ging gar nicht. Also startete ich noch einen Versuch ihre Meinung zu ändern und den Sex zu verschieben. Als ob Alex bereit dazu wäre, den Sex auf ein anderes Mal zu verschieben. Wie könnte ich nur so darüber denken?
"Alex, hör auf damit, okay? Du bist sowas von dran, wenn das der Chef mitkriegt. Das ist dir doch hoffentlich wohl klar? Du kannst dafür raus fliegen!...Willst du deine Arbeit deswegen auf's Spiel setzen?", ermahnte ich sie erneut.

Dann wurde sie gemein. "Der Chef ist dein lieber Herr Vater! Du bist meine beste Freundin und du bist seine einzige Tochter. Leg ein gutes Wort für mich bei ihm ein, ja?...Dann ist die Sache gegessen."

Ich dachte, ich hatte mich verhört. So einfach käme sie also davon? Sie stellte sich immer alles so einfach vor und jeder würde ihr alles verzeihen. Aber nicht mit mir! Dieses Mal nicht! Da hatte sie sich geschnitten! Also versuchte ich es auf die strengere Art. "So einfach stellst du dir das also vor, Alex?...Na klar tust du das!...Wie immer!", machte ich sie darauf aufmerksam und versuchte Alex vor dieser Dummheit zu bewahren. Doch sie ließ sich nicht davon abhalten, schnappte sich ihren Macker und verschwand.

Ich kochte vor Wut, ich war entrüstet und sehr verärgert über Alex. Aber sie war schon immer so, seit ich sie kannte. Ihre Eltern waren vor fünf Jahren bei einem Segel - Urlaub ums Leben gekommen. Seitdem versorgte sich Alex selbst und war ihr eigener Herr.
Sie tat, was sie wollte und ließ sich nicht eines Besseren belehren. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann zog sie es auch durch...Vor allem, wenn es um Männer ging. Dann war sie nicht mehr zu bremsen. Wer ihr gefiel, den musste sie haben und wenn es nur für eine Nacht war. Selbst in der Lehrzeit schwänzte sie die Schule, wenn ihr danach war und trieb sich mit Jungs herum. Besuchte sie eine Party, konnte man sich sicher sein, dass sie am nächsten Tag nicht auftauchte. 

Ich schrieb für sie dann mit, dass der Schulstoff nicht einfach so an ihr vorbei rauschte und verloren ging.

Alex fiel öfters in einen Schlamassel, gewollt oder ungewollt, bewusst oder unbewusst. Die Konsequenzen, die dann darauf folgten, waren ihr dann egal. Wie hier auch!

Ich habe sie immer gedeckt. Bis heute! Ich übernahm auch mal ihre Schichten, wenn ein Schäferstündchen mal wieder zu lange dauerte. Manchmal frage ich mich, warum tat sie das immer wieder? Und wieso half ich ihr immer wieder? Weil ich ihre beste Freundin bin und wir hier alle wie eine richtige große Familie sind. Das hier ist das Leben von Alex. Hier spielt sich ihr ganzes Leben ab. Das hier ist das Einzige, was sie je wollte.

Aber irgendwann hat alles mal ein Ende und die Vernunft sollte die Oberhand gewinnen, wenn man genug Verstand besaß und durch das Leben wie ein vernünftiger Erwachsener ging und etwas daraus macht.
Für Alex war es vielleicht schon zu spät!

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