Kapitel 50...Ähre und Rebe

                                                                               °°° SAM °°°

Unsere nächste kleine Pause legten wir vor einem großen Feld, mit Getreide bepflanzt, ein. Bowden ging an den Rand des Feldes heran und besah sich die Ähre des Getreides, was hier angebaut worden war.

"Früher haben wir das große Land mit Pferden und Eggen und Pflügen und mit unseren bloßen Händen umgegraben und bewirtschaftet - von früh bis spät. Ich erinnere mich noch genau, als wäre es gestern gewesen...", schwelgte er in alter Erinnerung.
"...Die Frauen kümmerten sich zwischendurch um das Essen und brachten es zu ihren Männern auf die Felder. Dann wurde auf dem Feld gegessen."
Er nahm einige Körner der Ähre in seine linke Hand und verrieb sie mit seinen Fingern.

Er kam zu mir zurück und nahm meine rechte Hand und drehte sie mit der Innenfläche nach oben und ließ die Körner darauf rieseln, eins nach dem anderen und schloss meine Hand und hielt sie in seiner fest.

"Heute ist alles maschinell zu bewältigen und verläuft viel schneller.
In der großen Halle dort drüben stehen unsere Traktoren und Erntemaschinen. Hinter der Halle sind unsere Silos.
Wir verkaufen auch Getreide an unsere Nachbarn, wenn sie etwas brauchen, damit sie ihre Felder bestellen können. Wir teilen, was wir ernten...."

"...Ein GEBEN und NEHMEN...", fügte ich hinzu.

"...Sie sagen es, Miss Stanford!...So läuft das nun mal auf dem Land.", und wir gingen ein Stück weiter.

"...Hier drüben auf der großen Betonplatte wurden zum Essen Tische und Stühle aus allen Ecken gezaubert und es wurde zusammen gegessen, wenn die Pause heran war. Unsere Frauen haben früher das Brot selbst gebacken. Ich vermisse diesen Geruch von frisch Gebackenem. Das waren noch Zeiten, Miss Sam. Der riesige Rot - Ahorn gab uns allen den Schatten." Seine Augen schweiften weiter nach links hinüber. Und er erzählte weiter. "Dort drüben, neben der großen Eiche, stehen die Bungalows. Unsere Helfer wohnen mit ihren Familien dort, ebenfalls Generationen ihrer Familien vor ihnen."

"Bleiben die Familien hier auf dem Land?", stellte ich ihm die brennende Frage. "Ich meine das ganze Jahr über?"

"Über die Wintermonate zogen sie in wärmere Gegenden, wie die Zugvögel. Und kamen wieder zurück, wenn die Felder bestellt werden mussten. Doch mittlerweile bleiben sie hier und verbringen den Winter mit uns."

"Wie eine große Familie, die zusammenhält und füreinander da ist!", stellte ich lächelnd fest.

"Sie sagen es, Miss Sam!", entgegnete Bowden.

Besuchten ihn alle aus der Familie regelmäßig hier auf diesem Land? Außer Max natürlich! So, wie Bowden erzählte, war er wohl der Einzige von ihnen, der ihn regelmäßig besuchte.
Er musste hier wohl sehr einsam leben, ohne seine Familie und ohne seine Jane.
Sein trauriger, getrübter Blick sagte mir alles.
Er schien meine Anwesenheit sehr zu genießen, denn er redete viel und schien zu mir Vertrauen gefasst zu haben. Ich hörte ihm gern zu. Es war ein schönes ruhiges Fleckchen Erde, dass die Harpers ihr Zuhause nennen konnten.

Nach unserer kleinen Pause im Schatten ging Bowden mit mir weiter...etwas in Richtung Berge. "Wo gehen wir jetzt hin, Mister Harper?", japste ich etwas, denn es ging langsam bergauf. 

"In unsere Weinberge, Miss Stanford.", und er lief weiter vorn weg. Es schien ihn überhaupt nicht zu stören, dass der Weg langsam beschwerlicher wurde...Ja klar! Er macht das ja wohl ständig...Tag für Tag.

"Wie lange existieren diese Weinberge denn schon?", löcherte ich ihn weiter. Es schien ihn nicht zu stören, dass ich ihn mit Fragen bombardierte.

Er hielt sich an einem Ast fest, der ziemlich nah über seinem Kopf wuchs. "Keine Ahnung wie lange sie schon in unserem Besitz sind oder hier angepflanzt wurden. Mein Vater betrieb ihn, als er noch lebte und sein Vater vor ihm und wiederum dessen Vater...Wir können wohl auf eine lange Familientradition zurückblicken, Miss Stanford.", antwortete er stolz.

Ja! Damit hatte er recht. Soweit mein Auge reichte, Weinstock an Weinstock tat sich vor mir auf. Und wir reden hier von tausend Weinstöcken, von denen ich zu sehen bekam. Ich legte meine Arme in meine Hüften und streckte den Rücken durch und wischte mir den Schweiß von der Stirn ab und setzte meine schwarze Base Cape wieder auf und zog sie noch tiefer in mein Gesicht. War es langsam warm geworden oder schwitzte ich wirklich so, weil ich es nicht gewohnt war?

Wir begannen durch die Reihen der Rebenstöcke zu laufen. Bowden nahm fast jeden Rebenstock in Augenschein und ging in die Knie. Er berührte ab und zu den Boden und nahm etwas davon zwischen seine Finger und roch dann daran, ehe er es durch seine Finger zum Boden rieseln ließ und aus der Hockposition zurückkam. Dann kniff er etwas Welkes ab. Zwischenrein summte er eine Melodie. Ich wollte ihn fragen, weshalb er das tat. Jedoch wollte ich ihn nicht darin unterbrechen. Wir liefen den Berg weiter hinauf, bis wir an dem letzten Rebenstock der ersten Reihe standen. Die Sonne stand bereits sehr hoch am Himmel. Bowden zückte seine Wasserflasche und gab sie mir. "Trinken Sie Sam!"

"Sie zuerst!", und ich reichte ihm die Wasserflasche zurück. Er schraubte den Verschluss auf und nahm einen kräftigen, zügigen Schluck, ehe er sie mir wieder in die Hand drückte. Ich nahm ebenfalls einen Hieb daraus, schraubte sie wieder zu und gab sie ihm wieder. 

Er sah über die Weinstöcke und  sprach: "Wenn die Ernte losgeht, Miss Sam, müssen Sie unbedingt dabei sein. Wir pflücken die Reben und kippen sie in einen riesigen Zuber aus Holz. Die Frauen werden von ihren Männern in den Zuber gehoben, damit sie die Reben barfuß ausdrücken. Es ist immer wieder ein Heidenspaß....So etwas muss man mal erlebt haben...Kommen Sie! Ich zeig Ihnen den Weinkeller. Wir suchen uns einen guten Wein aus und lassen ihn uns schmecken...Gegen eine Verkostung hätte ich jetzt nichts einzuwenden. Wir haben sie uns verdient. Der Weg bis hierher war weit.", und Großvater Bowden schmunzelte und ging voran. Ich folgte ihm.

Das war also Max' Familie:

eine Mutter, die dirigierte; ein Bruder, der still wie tiefes Wasser war; eine Schwester, die wie ein Wasserfall redete und sich wie ein Papagei kleidete. Ein Vater, der nach der Pfeife seiner Frau tanzte und es zugelassen hatte, dass sein eigener Vater, Großvater Bowden, aus seinen eigenen vier Wänden vertrieben wurde. Er war mit Abstand der liebste Mensch in dieser Familie. Ich mochte diesen alten, einsamen Mann. Ich schloss ihn in mein Herz...Okay!...Max auch, musste ich mir eingestehen.

Keine Ahnung, wieso ich gerade an ihn denken musste. War es die Gegend hier, die mich etwas zur Vernunft brachte? Oder war es etwas anderes? Allein schon sein Name brachte mich ins Grübeln und mein Herz machte Freudensprünge und klopfte in meiner Brust derber und aufgeregter als sonst. Meine Schmetterlinge, falls ich so etwas in mir besitzen sollte, begannen ihre Flügel auszubreiten und flatterten in der Weltgeschichte herum. Oder zeigte mir Großvater Bowden das Leben, das ich bisher verpasst hatte?







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