Kapitel 2...Die Testamentseröffnung


°°°SAM °°°

Na schön! Dann wollen wir mal und ich betrat den rustikal in Walnuss gehaltenen Konferenzraum, mein Klassenzimmer und meinen Lehrort.

Ich ließ meine Fingerspitzen über jede Stuhllehne streichen, die an dem langen, großen Walnusstisch heran geschoben worden waren, bis sie die Tischplatte berührten. Zwölf Leute hatten an diesem riesigen Tisch ihren Platz.

Meine Füße brachten mich bis zum Kamin an der Stirnseite des Tisches und ich sah auf.

DA HING SIE!...über dem leicht angefeuerten Kamin, in einem Rahmen ebenfalls aus Walnussholz gehaltenes Porträt von ihr. Tante Helen...vor zwei Wochen erlag sie ihrer schweren Krankheit, über die sie keine Macht mehr besaß. Seit zwei Wochen war ein breites, schwarzes Band schräg an ihrem Rahmen befestigt.

Eine ganze Weile stand ich nun so da und ließ meinen Tränen erneut ihren Lauf über meine Wangen. Es war ein wundervolles Gemälde von ihr. Sie brachte es aus ihrem letzten Urlaub mit, den sie vorzeitig abbrechen musste, aufgrund des Brandes ihres Holzhauses, den ein paar wagemutige Möchte - gern - dazugehörige mutprobenkranke Jugendliche gelegt hatten...Aber wie gesagt, man wollte Tante Helen Versicherungsbetrug anhängen.

Gehen wir weiter im Text:
Ein Straßen - Maler - Künstler hatte meine Tante damals beiseite gezogen und setzte sie auf einen Hocker und begann sie zu zeichnen. Er fragte gar nicht danach, ob sie es auch wollte. Er tat es einfach. Sie würde der Schauspielerin Meryl Streep sehr ähneln, sagte er ihr. So hatte es mir meine Tante jedenfalls erzählt.

Meine Finger tasteten sich an dem Rahmen entlang und schließlich brach ich die Erkundung ab und drehte mich zu dem langen Tisch um. Nie wieder wird sie mit dir an diesem Tisch essen, lachen, weinen und ihr Wissen an dich weitergeben.

Dachte ich mir ganz leise. Ihr Lachen klang immer herzhaft und frech und der ganze Raum hallte nach. Ihre Witze fanden immer Anklang, auch wenn man nicht immer die Poente danach verstand...ihre Poente. Denn es waren ihre eigenen, ausgedachten Witze, die sie vom Stapel ließ.

Das war's also? Ich soll mich jetzt und ab sofort damit abfinden, mein weiteres, bevorstehendes Leben ohne meine Tante Helen zu bewältigen? Ohne ihren Rat? Ohne ihre Hilfe? Ohne ihre Lehren und ohne ihr Wissen?

Ich blickte wieder auf ihr Porträt über dem Kamin. Ich vermisse dich jetzt schon! , ging es mir durch den Kopf und ich hoffte ganz tief in mir, dass sie mich immer noch hören konnte.

Meine Sinne nahmen Schritte wahr und eine Hand legte sich von hinten auf meine rechte Schulter. "Sie wird immer bei dir sein und auf dich herabsehen, mein Kind...Komm! Setzt dich zu uns!...Es wird gleich losgehen!" Meine Mutter nahm mich in ihre Umarmung und hielt mich kurz fest. Dabei sah ich in die Augen meiner Tante auf dem Porträt. Innerlich fluchte ich, wie sie mir das hier antun konnte...mich einfach hier allein zurückzulassen und den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen.

Ich löste mich aus den Armen meiner Mutter und trocknete meine Tränen. Hier drinnen begann also dann gleich die Testamentseröffnung. Ich nahm Platz auf der walnussfarbigen Couch zwischen meinen Eltern und von rechts und von links schlangen sich ihre warmen Hände um meine, um mir Schutz zu bieten.

Bisher hatten das immer Tante Helens Hände getan, denn meine Eltern waren stets schwer beschäftigt. Wenn sie keine Zeit für ein Kind hatten, warum wurde ich dann von ihnen geboren? Entschuldige, denn diese Frage habe ich mir oft gestellt. Denn manche Dinge hatten oft keinen Sinn ergeben, die um mich herum gesagt und getan wurden. Doch ich stellte keine Fragen, denn irgendwann oder eines Tages wird wohl alles einen Sinn ergeben und mir die Antwort geben, die ich erhoffte.

°°°

Die ganze Zeit über konnte ich mich nicht auf diese Testamentsvorlesung konzentrieren, weil ich mit meinen Gedanken ganz woanders war...abgetaucht in die Welt der Erinnerungen mit meiner Tante Helen. Das letzte Bild, was ich im Kopf hatte, war das, als ich sie zum letzten Mal sah: Wir saßen zu Zweit in diesem Park vom Krankenhaus und verdrückten einen Schokoladen - Eisbecher...
Schokostreusel, Schokosoße, Schlagsahne und eine Herzwaffel oben drauf. So hatte ich sie in Erinnerung behalten. Ach ja, nicht zu vergessen, der Klecks in ihrem Gesicht auf ihrer linken Wange.

°°°

Mein Vater holte mich mit seinem verstärkten Händedruck zurück. Denn nun kam wohl das WICHTIGSTE seiner Meinung nach. Ich drehte mein Gesicht zu ihm und begriff erst, als der Anwalt meiner Tante folgende Worte laut und deutlich für alle Anwesenden vorlas:

"...somit setze Ich, Miss Helen Stanford, meine Nichte, Sam Stanford, Tochter von Benjamin und Theresa Stanford, als meine rechtmäßige Allein - Erbin für das - Hotel Stanford - ein...!"

Meine Eltern legten nun ihre Arme um meinen Nacken und schoben mich von einem auf der Couch zum Anderen hin und her.

Was sollte das gerade? Hab ich das richtig verstanden? Hatte meine Tante nicht mehr alle beisammen oder war sie völlig betrunken, als sie diese Entscheidung traf und aufgesetzt und notariell beglaubigen ließ? Ist sie denn von allen Sinnen geplagt gewesen und tut mir so etwas an? Ich war an diesem Tag so aufgebracht und von dieser Entscheidung geschockt. Ich bekam nicht einmal mit, wie mir dafür gratuliert wurde. Wofür denn? Das war mit Sicherheit ein Vorlese - Fehler, redete ich mir ein. Doch es ging weiter im Text...

"...Dies soll erfolgen, sobald mein Bruder Benjamin Stanford das gewisse Alter erreicht hat, um die Führung des Hotels an seine Tochter Sam Stanford zu übergeben. Das ist mein letzter Wille! Helen Stanford!"

Was war hier los und was passierte hier gerade? Ich sah mein Leben im Slow - Motion an mir vorbei rauschen, ein Film in Zeitlupe abgedreht. Meine Eltern freuten sich für mich und die anderen Anwesenden, die Crawfords, Mister Brooks und der Anwalt selbst. Der Anwalt setzte sich auf den Stuhl an der Stirn des langen Tisches...der Stuhl, auf dem stets meine Tante gesessen hatte.

Ich schaute geschockt drein und legte meine Augen auf das Testament, dass der Anwalt noch immer in seinen Händen hielt.

Ich?...Alleinige Erbin des großen familiären Imperiums der Stanfords?...Niemals!...Auf keinen Fall! Das war definitiv ein Helen - Scherz! Ja! Das musste es sein...Ein Scherz! Und wieso konnte ich nicht darüber lachen?

Konnte sie das denn vorher nicht mit mir besprechen, bevor sie mich allein ließ? War das denn zuviel verlangt? Es war ein Fehler beim Vorlesen, ganz bestimmt...ja, genau...das musste es gewesen sein...EIN FEHLER!

Ich stand von der Couch auf und ging auf den Anwalt zu. Ich wollte es mit meinen eigenen Augen sehen und lesen, was sie nieder geschrieben hatte. Er reichte mir ohne ein Wort und ohne ein Zögern ihr Testament herüber über den langen Tisch.

Es war ihre verschnörgelte Handschrift...eindeutig...Ich würde sie überall wieder erkennen...und... Es stand darin wirklich geschrieben:

"...Alleinige Erbin..."

Na gut Tante Helen!...Dann bin ICH wohl betrunken oder schlafe noch tief und fest? Würde mich bitte jemand mal von euch ohrfeigen oder in den Arm kneifen?

Einen trinken, gute Idee...Nicht jetzt und hier, aber später, nach meiner Schicht, die ich heute noch antreten werde.

Wie versteinert hielt ich das Testament zwischen meinen Händen und starrte wie eine Kuh vor dem neuen Tore gebannt auf die Entscheidung, die mein Leben verändern würde.
Der ganze Hotelbesitz ging an mich. Sie hatte es wirklich getan.

Der Raum war plötzlich leer, als ob der Film vorgespult wurde. Nur noch ich allein hielt mich hier auf. Wie lange habe ich denn an diesem Tisch gestanden...mit dem Testament in meinen Händen?

Ich trat vor das Porträt über dem Kamin und funkelte sie wütend in meinen Gedanken an.

"Gib's zu!...Du hast das mit Absicht gemacht! Hast du mir deshalb alles umfangreich und ausgiebig beigebracht und gelehrt? Damit ich das weiterführe, was du und Vater begonnen habt?...Du hast mir damit meine Kindheit gestohlen! Für all das hier?

Ich werde dir zeigen, dass es auch anders geht!"

Und ich eilte mit dem Testament in meinen Händen aus dem Konferenzraum hinaus.

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