Kapitel 14...Misses Andrews - Der respektloseste Mensch, den ich kenne

                                                                                     °°°SAM°°°

Jeder Tag hier im Hotel ist nicht gleich. Mal ist es ruhig, mal ist es stressig und hektisch. Wir beherbergen nette, liebe und charmante Gäste und auch böse, störrische, vorlaute, weniger charmante Gäste sowie verwöhnte und egoistische, gleichgültige und respektlose Gäste. In all den Jahren lernt man damit umzugehen und wie man solche Gäste behandelt - genau wie jeden anderen Gast...nett, zuvorkommend, entgegenkommend, hilfsbereit und zufriedenstellend...und charmant. Von jedem Gast bekommt man immer etwas zurück - ein zufriedenes Lächeln, Dankbarkeit, Anerkennung, gute Kritik in den Medien, Wohlwollen, Zufriedenheit und eine langjährige Freundschaft und immer wiederkehrende Gäste...alte wie auch neue Gäste.

BIS AUF EINE!!!

°°°

In meiner letzten halben Stunde Schicht versuchte ich nicht darüber nachzudenken, was Alex abgezogen hatte oder was mit ihr los war oder was noch kommen möge.

War sie vielleicht heut Morgen erwischt worden? Wenn ja, war es nur eine Frage der Zeit gewesen. Ich hatte sie mehr als nur einmal gewarnt. Und mehr als nur Reden und auf die Hausordnung hinweisen, konnte ich nun wirklich nicht. Es kam schon sehr oft vor, seit sie diesen neuen Kerl hatte, dass sie von einer Sekunde zur nächsten verschwand und ehe ich es mich versah, stand ich allein. Wenn Alex richtig Pech hatte, ist ihr Job gekündigt. Wenn sie Glück hatte, dann eine Strafversetzung in ein anderes Hotel oder in die Wäschekammer und ihr Typ bekäme Hausverbot.

Ich weiß, meine Mutter sagte mir, ich solle mir keine all zu großen Gedanken machen. Die Konsequenzen trägt letztendlich Alex. Doch ich hab sie schließlich gedeckt und ihr somit die Möglichkeit gegeben ihren Arbeitsplatz hin und wieder zu verlassen. Keine Ahnung, wie lange ich deswegen grübelte und in Gedanken versunken war, denn irgendwann war SIE vor mir aufgetaucht, die Person, die die größte Respektlosigkeit in sich trug, die man sich je vorstellen konnte, dass ich nicht einmal ihre Anwesenheit vor dem Empfang bemerkte. Die Rede ist von Misses Andrews. Ja, du hast richtig gehört...das Kindermädchen...des Teufels Mutter in Person.

Ich vernahm ein Räuspern vor mir, das Sie von sich gab.

Mein Blick vom Computerbildschirm auf sie verriet mir ihre Anwesenheit und ich wartete darauf, was sie mir zu sagen hatte. Doch sie nahm Maß von mir und beäugte mich von oben bis unten. Was war ihr Problem, außer mich anzustarren, als erwarte sie von mir, dass ich ihr einen Platz an der Sonne verschaffte oder ihr einen Sechser im Lotto voraussage.

"Sie wünschen?...Misses Andrews, richtig?", begann ich schließlich unsere bevorstehende Konversation.

Wie alt mochte sie wohl sein? Dachte ich mir. Sie sah nicht aus wie Siebzig, auch nicht wie Achtzig, eher jünger und wie ein gelerntes Kindermädchen wirkte sie auch nicht auf mich. Jedenfalls machte sie nicht den Eindruck auf mich, dass es ihre Berufung sei. Hatte Mister Harper bei ihr eine Fehlentscheidung getroffen, was den Job als Kindermädchen anging?

Der Junge wird schon seine Gründe haben, weswegen er sich aus dem Staub gemacht hat. Kann ich gut verstehen!...Ich würde auch zusehen, dass ich im hohen Bogen die Biege bei dieser Frau mache, wenn sie mein Kindermädchen gewesen wäre.

Auf jeden Fall war sie keine Mary Poppins. Die war ein richtig, zauberhaftes Kindermädchen. Ich liebe diesen Film mit July Andrews in der Hauptrolle. Was für ein Zufall.

Die alte Frau mit ihrem wettergegerbten Gesicht, den vielen Falten und der großen Nase beäugte mich von der Seite. Dann holte sie mit ihrem Krückstock aus und ließ ihn auf die Anmeldung nieder sausen. Ich zuckte leicht zusammen bei diesem Hieb, der einen betäubenden, explosionsartigen Knall von sich gab und fragte sie schließlich:

"Gibt es ein Problem, Misses Andrews?...Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?", kam ich ihr entgegen.

"Durchaus!...Ja, das hab ich wohl!...Und zwar Sie!", antwortete sie verbissen.

"Wollen Sie mir vielleicht Angst einjagen?...Versuchen Sie es! Mal sehen, wie weit sie damit kommen, Misses Andrews!", spornte ich die ältere Frau noch an und kontrollierte mit meinem Blick, ob die Empfangstheke keinerlei Schaden abbekommen hatte. Ich wich einen Schritt hinter der Rezeption zurück und setzte mich zur Wehr. "Was könnte ich Ihnen schon getan haben? Ich kenne Sie nicht einmal!"

Misses Andrews wurde grandig und sehr ungehalten. Ihre Augen formten sich zu faltigen Schlitzen. "Sie haben mich heut Morgen vor all den Leuten hier lächerlich gemacht! Ist Ihnen das bewusst?"

Ich musste mich wohl gerade verhört haben. Wie war das bitte? Ich habe sie lächerlich gemacht? Na das wollen wir doch erstmal sehen!...

"Moment!...Das ist ja wohl nicht annähernd der Wahrheit entsprechend! Sie sollten nochmal darüber kurz nachdenken, Misses Andrews, was Sie mir da gerade vorwerfen wollen! Wenn Sie es mitbekommen haben, ich hab mit Ihnen in einem normalen, ruhigen, formellen, respektvollen Ton gesprochen. Oder hab ich Sie vielleicht angebrüllt?...Denken Sie nochmal ganz scharf nach, ehe Sie weiter mit mir sprechen, Misses Andrews!", blieb ich weiterhin ruhig, obwohl mich diese Frau gerade in Rage zu bringen gedachte. Doch das ließ ich mir nicht gefallen und kümmerte mich um ihre weiteren Anmaßungen.

"Außerdem haben SIE die Eskalation begonnen...nicht Billy, nicht Max und nicht ich. Sie haben nicht um einen ruhigen Raum zum Reden gebeten, wie es sich normalerweise gehört. Obwohl ich es Ihnen angeboten hatte! Machen alle älteren Menschen nur das, was sie wollen oder wollen ältere Menschen nur das hören, was sie wollen? Weil keiner das tut, was Sie verlangen, sind Sie gleich eingeschnappt! Wollen Sie eine Extrabehandlung, wobei ich Rücksicht auf ihr Alter nehmen soll?

Sie bekommen ihren Respekt. Doch der steht mir genauso zu wie Ihnen auch! Denken Sie daran: Sie stehen in einem öffentlichen Gebäude, Misses Andrews! Aus dem Sie mir nichts, dir nichts verwiesen werden können und dafür Hausverbot kriegen. Wer von uns beiden sitzt denn nun am längeren Hebel?

Hören Sie auf, Ihre Schuld auf andere Menschen abzulegen!...Ich habe Respekt vor älteren Menschen und auch vor Ihnen, Misses Andrews. Aber wenn ein Gast des Hotels über die Stränge schlägt und tut, was er will und die Hausregeln missachtet, die für die Gäste, Besucher und für das gesamte Personal gelten, muss ich mich leider gezwungen fühlen, die Konsequenzen auszusprechen, weil das hohe Alter zum Vorteil genutzt wird, um letztendlich seinen Willen durchzusetzen. Dann muss ich Sie leider enttäuschen, Misses Andrews. Denn da liegen Sie bei mir damit falsch!....Wenn ich es jetzt richtig machen würde, gebührt Ihnen eine Konsequenz! Ich belasse es heute allerdings bei einer Verwarnung!...Nochmal Glück gehabt, Misses Andrews! Ich möchte keine Eskalationen mehr mit Mister Harper in diesem Hotel sehen oder hören!"

Wieso verteidigte ich diesen Max eigentlich?
Konnte er nicht für sich selbst sprechen? Wunderte ich mich gerade darüber. Doch jetzt stand das PROBLEM MISSES ANDREWS vor mir und das musste jetzt erstmal aus dem Weg geschafft werden. Also trat ich wieder etwas näher an den Empfang heran und wurde sehr ernst und direkt der älteren Frau gegenüber, aber mit Respekt und Würde.

"Misses Andrews!...Ihr Fehler war, Sie haben die Diskussion mit Mister Harper gleich hier in der Lobby ausgetragen...in der bekanntlichen Öffentlichkeit...und zwar vor jedem einzelnen Gast. Sie haben es bewusst getan. Sie haben während der Unterredung in jede Richtung gesehen, ob Sie auch von jedem hier gehört werden, was Sie Mister Harper an den Kopf werfen!...Ich habe Sie beobachtet, Misses Andrews!...Hören Sie sich eigentlich gern selbst reden?...
Überlegen Sie vorher, was über ihre Lippen kommt, Misses Andrews und wem Sie ihre Unterstellungen vortragen!"

"Ihnen entgeht wohl nichts, Miss Stanford?...Sie sind ein kluges, aufmerksames Mädchen!...Und trotzdem haben Sie es gewagt, mich anzubrüllen!", behauptete die Frau felsenfest mir gegenüber.

"Daran kann ich mich leider nicht erinnern. Wir behandeln hier unsere Gäste mit Respekt und Würde, Misses Andrews! Egal welchen Alters, Charakters und Laune!..." Die Frau regte mich auf und ich musste so ruhig bleiben. Was mir für diesen Moment sehr schwer fiel. Also ging es weiter im Klartext.

"...Sie können Mister Max Harper und seinen Sohn Billy fragen, welcher Ton angeschlagen wurde. Beide waren Zeugen unserer ruhigen, entspannten Unterhaltung...." Wieso verteidigte ich mich ihr gegenüber und gab Rechenschaft an sie ab? War das denn nötig? Na dann? Weiter in dieser Konversation..."...Andere Hotelgäste können das auch bestätigen. Aber wir regeln das sicherlich auf unsere Art und Weise und lassen die anderen Gäste da heraus, Misses Andrews! Nicht wahr? Diese Unterhaltung hier soll doch auch entspannt über die Bühne gehen. Es ist wohl eher so, dass Sie sich bei Mister Harper und seinem Sohn zu entschuldigen haben!

Ihr Problem ist, dass ich Ihnen widersprochen und mich eingemischt habe, Misses Andrews! Und weil wir nicht einer Meinung sind, was ihre Vorgehensweise als Kindermädchen betraf...
Darum geht es hier doch!
Damit kommen Sie nicht zurecht! Sie mögen gern immer Recht bekommen und Vorschriften geben wollen, aber nicht mit mir! Dass Sie auch mal Kritik einstecken müssen, diese Erfahrung liegt Ihnen wohl noch sehr fern. Also wird es Zeit, dass Sie jemand in die Schranken weist...Wir befinden uns in einem Hotel, ein Ort der Öffentlichkeit, ein Ort, den andere als Erholung, Stille, Harmonie und Familie bezeichnen. Und da herrschen Regeln, die auch Sie zu befolgen haben, wenn ich Sie nicht des Hotels verweise soll, Misses Andrews!..."

Ich hasste es abgrundtief diesen leichten scharfen Ton anzuschlagen, solche Konversationen mit Hotelgästen zu führen, die der Meinung waren, aus der Reihe tanzen zu müssen, denen Regeln einfach nichts bedeuteten.

Ich war nicht Ihrer Meinung und wie Sie mit den Beiden, Mister Harper und seinem Sohn Billy gesprochen hatte, war auch nicht angemessen. Sie hatte sich bedeutend im Ton vergriffen und dabei wohl vergessen, dass Mister Harper Ihr Arbeitgeber in diesem Moment war, vor dem Sie Respekt haben sollte...machte ich ihr begreiflich und ließ meine Worte weiter auf sie prasseln:

"...Respekt!...Den SIE leider nicht haben, Misses Andrews!

Und was unter aller Würde ist, dass Sie noch Bedingungen an ihn stellen und ihm drohen, wenn er sich nicht an ihre Forderungen hält. Sie sollten sich schämen, Misses Andrews und nicht Ihr Alter gegen ihn und seinen Sohn verwenden. Das ist unverschämt und schamlos und sehr entwürdigend! In meinen Augen, Misses Andrews sind SIE für mich kein ausgebildetes Kindermädchen!...Wie viele Jahre wollen Sie denn schon eine Nanny sein?..."

Dass sie sich meine Beherrschtheit gefallen ließ, wunderte mich. Doch ich war noch lange nicht mit ihr fertig und ließ sie nicht zu Wort kommen. Denn so eine Respektlosigkeit, die sie mit sich brachte und auch noch verstreute, konnte ich in diesem Hotel nicht gebrauchen. Es soll irgendwann alles mir gehören und da werde ich es nicht zulassen, dass eine einzelne Person jahrelange schwere, hart erkämpfte Arbeit von Schweiß und Blut zunichte machte. Ich werde es nicht zulassen, dass so eine Frau mit ihren Ansichten das Antlitz meiner Tante Helen und meinem Vater Benjamin befleckte. Ich war so richtig in Fahrt und verteidigte die Ehre meiner Familie.

"...Entweder tun Sie Ihren Job oder Sie haben keine Ahnung von dem, was Sie da gerade tun!...Und glauben Sie mir, Misses Andrews! Dieses Gespräch hier mussten wir jetzt leider hier an der Info führen, da keiner weiter anwesend ist, um mich hier zu vertreten, falls es Ihnen auf der Zunge liegt, mich deswegen in die Enge zu treiben. Falls Sie Beschwerde bei dem Hoteldirektor einreichen wollen, nur zu! Er wird Ihnen dasselbe sagen wie ich auch! Der Direktor und ich haben dieselbe Denkweise und das Wohlergehen unserer Gäste ist uns in diesem Hotel sehr wichtig!...Wenn Sie es für angebracht halten!..." Das hatte bei ihr gesessen und ich fügte noch einen allerletzten Satz hinzu:

"...bleibt mir nichts anderes mehr zusagen, als...Ich denke, wir sind hier auch jetzt fertig...Dann wünsche ich Ihnen noch einen angenehmen Tag, Misses Andrews!"

Die alte Frau schnaubte und nahm widerwillig ihren Stock von der Anmeldung herunter.

Ehe sie ging, musterte sie mich ein letztes Mal und sagte in einem etwas bedrohlichen Ton zu mir:

"Ich mag Sie auf keinster Weise, Miss Stanford!...Doch...Ich...Ich werde Sie im Auge behalten!", und sie ging davon.

°°°

Tom stand etwas abseits des Gespräches und hatte alles mitbekommen.

"Wow! Das nenne ich mal eine gelungene Vorstellung! Du hast sie ordentlich zurecht gerückt...Wer ist diese Frau?", wollte Tom wissen.
Ich sah ihr nach, bis sie aus meinen Blicken verschwunden war.
"Sie ist das Kindermädchen in Anführungszeichen von dem kleinen Jungen von heut Morgen. Sie ist etwas speziell und ist mir nicht geheuer! Und sie ist sehr berechnend...Sie führt irgendetwas im Schilde! Aber ich weiß noch nicht genau...", und ich hörte mitten im Satz auf zu reden.

"...Soll ich zu deinem Dad gehen und mit ihm reden, falls wir die Security benötigen?", fragte Tom mich vorsichtshalber angespannt.

"Wir müssen abwarten, was passiert, Tom...Wir müssen abwarten! Aber wir müssen ein Auge auf sie werfen!"

"Das dürfte kein Problem für mich sein! Sobald ich etwas Auffälliges von ihr mitbekomme, gebe ich dir bescheid, Sam!", entgegnete er mir hilfreich.

"Tom?...Denk dran, dass du noch andere Sachen zu erledigen hast!", wies ich ihn auf seine Pflichten seiner Arbeit hin.

"Ich weiß, ich weiß! Mach dir mal da keine allzu großen Gedanken, Sam!
Wir werden das Kind schon schaukeln!", neckte Tom mich.

Wie der Vater,.so der Sohn, dachte ich..."An die Arbeit, Tom!", herrschte ich ihn etwas mit meiner Stimme an.

"Ist das ein Befehl, Miss Stanford?"

"Ja, Tom! Das ist ein Befehl!", ließ ich ihn beharrlich darauf grinsend wissen und ließ Tom abtreten.
Kurz darauf klingelte das Telefon an dem Empfang. Ich nahm ab. Es war ein internes Klingeln. Also kam der Anruf wieder mal aus dem Hotel.
"Ich bin gleich da, Dad!", antwortete ich und legte auf. "Tom?...Könntest du mich bitte für einen Moment hier vertreten?...", bat ich Tom, der sich noch nicht allzu weit vom Empfang entfernt hatte. "Ich muss zu meinem Vater."

Tom nickte und ich bedankte mich bei ihm.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top

Tags: #colles#home