Kapitel 10...Wer bist du?
°°° SAM °°°
Ich habe ja schon viel erlebt in diesem großen Gemäuer. Aber was diese eine Sache betraf, da dachte ich auch, ich wäre Fehl am Platz. Denn das übertrumpfte Alles, was ich hier bisher gesehen und gehört und erlebt hatte.
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Ich legte, wie immer nach einem Telefongespräch, den Hörer auf die Gabel und notierte mir die Gäste im Register, die gerade ein Doppelzimmer für das Wochenende gebucht hatten oder rief für unsere Gäste unseres Hauses ein Taxi.
Ich hielt plötzlich inne in meiner geschäftlichen, wichtigen Schreibarbeit, denn irgendetwas zupfte an dem schwarzen Stoff meiner Hose, meinem rechten Hosenbein. Ich senkte den Blick und entdeckte einen kleinen Jungen, der zu meinen Füßen saß. Er konnte nicht älter als drei Jahre sein, vielleicht auch vier, schwarz gelockte Haare und dunkle, fast schwarze Augen. Meine Augen hingegen schweiften im Foyer umher. Alles war ruhig. Niemand lief hysterisch und aufgeregt herum und schrie...Keiner schien ein Kind zu vermissen. Seltsam! So ein kleines Kind und ohne Begleitung? Merkwürdig! Ging es mir durch den Kopf, während ich wieder und wieder das Foyer mit meinen Augen absuchte.
Wo kam der Junge auf einmal her? Zu wem gehörte er überhaupt? War er etwa ausgebüchst? Wieso? Schließlich legte ich den Stift beiseite, schob den Buchungskalender weg und hockte mich zu dem Jungen hinter dem Empfang herunter.
"Okay junger Mann!...Hallo!...Ich hab da mal eine klitzekleine Frage...Wo gehörst du hin?..." Ich kam mir irgendwie kindisch vor, aber den Jungen hatte ich hier im Hotel noch nie gesehen. Also er war mir noch nicht aufgefallen. Ich konnte mich auch nicht im wahrsten Sinne des Wortes daran erinnern, dass ich in den letzten drei Tagen einen kleinen Jungen eingecheckt hatte. Also fragte ich ihn weiter aus. "Wohnst du hier im Hotel?"
Der Junge sah mich an mit seinen dunklen, traurigen Augen. Sein Gesicht war mit vielen kleinen Sommersprossen übersät.
"Spielen deine Freunde und du vielleicht verstecken?...Keine Sorge! Ich verrate niemanden dein Versteck!", versprach ich ihm im ruhigen, netten Ton. Aber langsam aber sicher machte ich mir Sorgen um den Jungen. Ich löcherte ihn weiter mit meinen Fragen, in der Hoffnung, dass er irgendwann mit mir sprechen würde.
"Soll ich vielleicht jemanden für dich ausrufen lassen?"
Er sah mich immer noch mit seinen braunen Kulleraugen an. Sein Blick war starr auf mein Gesicht gerichtet. Er wirkte nicht einmal nervös oder verfiel in Panik oder rannte davon wie es andere Kinder tun, wenn man ihnen zu sehr auf die Pelle rückte. Nein! Er war ruhig und in sich gekehrt und obendrein sehr aufmerksam.
Ich fragte ihn weiter aus. Das ist zwar nicht meine Art, aber langsam wurde ich doch neugierig, was es mit dem Jungen auf sich hatte. Denn zu irgendwem musste er ja nun gehören. "Okay! Wo sind deine Eltern?...Sind die vielleicht auch hier im Hotel?" Durfte ich das eigentlich den Jungen fragen? Ich musste aufpassen, dass er sich nicht mit meinen Fragen überfordert fühlte und sich doch wieder davon stahl.
Er war die Ruhe selbst, beide Lippen waren immer noch versiegelt und er saß jetzt auf dem Fußboden hinter der Rezeption im Schneidersitz.
Doch dann sprudelte mir die neugierigste Frage aus meine Mund heraus. "Kannst du mich verstehen?" hm...wieder nix. Hatte ich ihn das jetzt wirklich laut gefragt? Na gut! Dann versuche ich es mal anders. "Kannst du sprechen?", und siehe da, ein erstes Lebenszeichen kam von ihm in Form eines Kopfnickens.
Ich war etwas aufgeregt und lächelte erfreut über die Tatsache, dass ich mich jetzt mit ihm unterhalten konnte. "Okay, du kannst sprechen...Das ist gut...Also, wie heißt du?"
Der Junge sah mich an und begann.
"Das darf ich nicht sagen!"
"Okaaay!... " Für den kleinen Anfang war es gar nicht so schlecht von seiner Seite her. Ich fand es in diesem Moment besser, wenn ich mich ihm einfach mal vorstelle. Und das tat ich dann auch. "Ich heiße Sam Stanford!"
Er hob seinen Kopf an und schaute mir etwas finster ins Gesicht, ehe er mir den folgenden Satz entgegen schleuderte. "Sie dürfen nicht mit mir reden! Sie sind eine Fremde!"
Wow! Damit hätte ich jetzt ganz gewiss nicht gerechnet und mein Verhör an ihm ging weiter. "Wer sagt das?", fragte ich ihn verblüfft.
Und prompt kam seine Antwort. "Mein Dad!"
Ich kniete mich vor ihm hin und kam seinem Gesicht etwas näher und flüsterte ihm zu: "Du redest ja doch mit mir!", und ich schenkte ihm ein leichtes, vielleicht auch ein vertrauensvolles Lächeln.
Der Junge hatte recht. Ich war eine Fremde für ihn. Doch die Familie des Jungen machte sich sicherlich schon große Sorgen und suchte vielleicht schon nach ihm. Ich musste ihn also weiter löchern, damit ich meine Antworten bekam, damit er wieder bei seiner Familie sein konnte, die ihn anscheinend noch gar nicht zu vermissen schien, denn im Foyer war es immer noch ruhig und das Telefon sagte auch keinen Mucks.
"Okay... und...Wer...ist dein Dad?", hakte ich weiter nach, denn zu irgendjemandem musste er ja gehören.
"Das darf ich nicht sagen!", antwortete er sofort, ohne mit der Wimper zu zucken und zog seine Beine an und legte seine Arme da herum.
Ich musste innerlich in mich hinein lächeln. Er war hartnäckig, das musste ich zugeben. Aber ohne dieses Rate - und Antwortspiel kamen wir hier nicht weiter. Ich setzte mich also ebenfalls zu ihm auf den Boden und lehnte mich an die Empfangstheke mit meinem Rücken an.
"Okay, okay!...Also...Ich heiße Sam und arbeite in diesem Hotel. Es gehört meiner Tante Helen und meinem Dad...Jetzt kümmert sich mein Dad allein darum. So, jetzt kennst du meinen Namen und weißt etwas über mich. Jetzt bin ich keine Fremde mehr für dich....Hallo!", und ich reichte ihm meine rechte Hand und wartete, was er jetzt wohl tun würde.
Er sah erst auf meine Hand, dann auf mich und dann willigte er noch etwas zögernd ein und sagte leise: "Hallo!"
Dann sah er mich etwas skeptisch an und fragte neugierig:
"Sind wir jetzt wirklich Freunde?...Sie und ich?"
Ich schmunzelte vor mich hin. Er wurde gesprächiger.
"Wenn du mir deinen Namen verrätst, sind wir Freunde!"
Der Junge streckte abermals seine linke Hand aus und spukte hinein und reichte sie mir.
"Und Sie verraten auch wirklich niemandem mein Versteck?", fragte er mich plötzlich eifrig.
Nun gut, dann spielen wir doch mal dieses kleine Spielchen mit!, sagte ich mir. "Nein! Wenn ich etwas verspreche, dann halte ich es auch!", antwortete ich ihm ganz entspannt.
Er grinste frech und sagte: "Spuk drauf!", bat er mich.
Ich sah auf seine kleine ausgestreckte Hand. Das war sowas von abgefahren. In seiner kleinen ausgestreckten Hand lag seine Spuke und ich sollte ebenfalls da hinein...Oh Gott! in meinem Inneren schüttelte es mich kräftig. Also gut! Mehr als weglaufen konnte er ja nun nicht. Ich wollte tapfer sein und fragte ihn: "Ehrlich?...So schließt man also bei euch Freundschaften? In dem man sich in die Hände spukt?" Er nickte.
"Du machst Witze!", lächelte ich ein wenig angeekelt.
Er verzog keine Miene. Also bedeutete das, er meinte es ernst.
Ich sah mich um, damit es niemand sah, wie ich dem kleinen Jungen...boah und ich spukte in meine linke Hand und reichte sie ihm. "Findest du nicht, dass das etwas eklig ist?", fragte ich ihn und er stimmte mir zu und lächelte. Dann nahm er meine Hand in seine Hand und drückte ordentlich zu, dass es schmatzte. "Oh Gott!", flüsterte ich mit geschlossenen Augen und verzog bei dem Geräusch das Gesicht zu einer Ekel - Grimasse. Dann hörte ich ihn, wie er seinen Namen preis gab.
"Ich heiße Billy...Billy Harper!"
"Sehr erfreut Billy Harper."
Dann standen wir Zwei vom Boden auf und klopften uns unsere Hosen ab. Dann wand ich mich ihm zu und fragte etwas im ernsten Ton: "Also Billy Harper!...Es ist schön dich kennen zu lernen...Aber verrate mir eins, zu wem gehörst du?"
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