Kapitel 1...Ein schwarzer Tag

Es ist ein Versuchsprojekt. Die Geschichte, nach dem Tod ihrer verstorbenen Tante Helen, aus der Sicht von Sam Stanford erzählt.

°°° SAM °°°

Alles begann mit meiner Tante Helen. Sie sagte immer zu mir: "Der Kunde ist König, Sam! Seine Bewertung wirft ein anderes, neues Bild auf uns und unsere Familie...vor allem wirft er ein Auge auf unsere Hotel. Seine Stimme gibt uns Veränderung und Beliebtheit und Gäste durch sein Weiterempfehlen, durch sein Wohlfühlen und durch sein Vertrauen!"

Meine Tante Helen...Sie war meine Mentorin, meine Lehrerin, meine Seelenverwandte, meine beste Freundin, meine "ältere" Schwester, meine Ausbilderin. Sie lehrte mich Tag für Tag, was das Leben in Zukunft für mich bereit halten würde. Sie lehrte mich, was es heißt zu leben. Und nun war sie fort, gegangen...für immer...Und ich werde sie nie wieder sehen.

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Ich stand am Grab meiner Tante Helen...allein.

Alle waren schon gegangen, hatten den Friedhof verlassen. Nur ich stand noch bei ihr, mit meinem ruhendem, trauerndem Blick und mit meinen mit Tränen gefüllten Augen, auf ihrem Sarg tief in dem geschaufelten Erdloch, auf den viele weiße Lilien geworfen worden waren. Weiß war ihre Lieblingsfarbe. Ich wollte sie noch nicht gehen und sie hier allein zurücklassen an diesem dunklen Ort. Also blieb ich bei ihr und leistete ihr noch ein wenig Gesellschaft.

Meine Eltern, Benjamin, mein Vater, der Zwillingsbruder meiner verstorbenen Tante, und meine Mutter Theresa, warteten bereits an unserer schwarzen Limousine auf dem breiten Kiesweg neben der Kirche. Unser Chauffeur Forester Crawford, ein Mann mittleren Alters, hatte uns an diesem schwarzen Tag begleitet, sowie seine Frau Louise, unsere Sekretärin. Sie verstand sich mit Tante Helen blendend...angetrunken auf dem Tisch tanzen oder im Laden mit den unbezahlten Klamotten, die sie trugen, herumspazieren oder fast nackt durch die Pampa rennen im Dessous - Geschäft oder im letzten Jahr waren sie im Schuhgeschäft und stakelten mit diesen hohen Absätzen von sechzehn bis achtzehn Zentimeter an den Regalen entlang und hatten ihren Spaß des Lebens...

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Es regnete heute an diesem besagten Tag, an dem wir alle von meiner Tante Abschied nahmen. Heißt es denn nicht, wenn es am Tag der Beerdigung regnet, wollte man nicht sterben? Oder so ähnlich, ich weiß es nicht genau.

Eine männliche Stimme erhob sich hinter meinem Rücken über meine linke Schulter in mein linkes Ohr und unterbrach mich in meiner Trauer. "Wir sollten jetzt gehen, kleine Sam!...Wir sollten ins Trockne kommen!...Es wird Zeit!...Lass sie gehen, Sam." Es war mein Vater, der zu mir gekommen war und meine Mutter am Auto mit Forester allein stehen ließ. Er klang besorgt. Er hatte mich mehrmals gerufen, doch ich hatte es in meiner ganzen Trauer um Tante Helen nicht vernommen. Sie war der Mittelpunkt meines ganzen Lebens gewesen und brachte mir alles bei und lehrte mich und bereitete mich auf meine Zukunft vor, was das Hotel betraf. Ich verbrachte die meiste Zeit meines Leben bei ihr, als bei meinen Eltern in meinem eigentlichen Zuhause. Doch sie nahmen es mir nie übel.

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Ich antwortete ihm kurz und bündig mit Tränen in meinen Augen, die immer noch auf den herab gelassenen Sarg gerichtet waren. "Ich...brauche noch einen Moment, Vater!" Meine Stimme klang verängstigt und zittrig. Der Regen tat sein Übriges. Der Regen war nicht kalt. Er fühlte sich lauwarm an, als würde meine Tante mich umarmen, als würde sie mir zeigen wollen, dass sie immer noch bei mir war.

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Endlich konnte Forester uns in der schwarzen Limousine nach Hause ins Hotel an diesem regnerischen Tag fahren. Ich hatte auf der rechten Rückbankseite hinten Platz genommen und schaute zum Fenster hinaus in den grauen Wolken behangenen Himmel über uns, aus dem es gleichmäßig regnete. Denn in einer halben Stunde sollte die Testamentseröffnung statt finden. Ja, Tante Helen hatte an alles gedacht.

Es war mir ehrlich gesagt egal, wer was abfassen würde, denn die Zeit mit ihr konnte man mir nicht mehr zurückgeben...nicht mal ein Testament eines Verstorbenen. Sie war der zauberhafteste Mittelpunkt meines bisherigen Lebens. Ein Testament konnte da nicht mithalten.

Dieses Gekritzel hätte sie sich allen Ernstes sparen können. Es gab nicht all zu viele Menschen in ihrem Leben, die ihr Vertrauen genießen durften. Ich tippte auf Forester, der Tante Helen überall hinfuhr oder Louise. Sie war Tante Helens beste Freundin und flog unheimlich auf den Schmuck mit den blauen Steinen. Vielleicht bekam auch Mister Brooks, unser Hotelküchenchef etwas von ihr. Denn sie verbrachte sehr viel Zeit mit mir bei ihm in der Küche. Wir hatten oft zu dritt gekocht und die Rezepte in einem Buch festgehalten, das schwarze Büchlein haben wir es genannt. Wir nannten sie unsere Geheimrezepte. War das vielleicht sein Anteil? Auch meine Eltern würden anscheinend nicht zu kurz kommen. Und zum Schluss kommt noch meine Wenigkeit.

Aber das, was ich bereits besaß oder von ihr bekommen hatte, konnte man mit keinem Testament aufwiegen...ihre Liebe, ihre Anwesenheit, ihre Zuneigung, ihre Wärme und ihr Wissen, was sie mir gegeben hatte, war viel mehr wert für mich, als dieser sogenannte "Letzte Wille" ihrerseits. Sie war mein Zuhause gewesen, wo ich Liebe und Geborgenheit fand und glücklich war.

°°°

Vor der letzten Kurve unseres Hotels fragte Forester meinen Vater. "Soll ich zum Hintereingang fahren?", denn er rechnete mit einem Haufen Journalisten und Reportern von sämtlichen Zeitungen vor dem Eingang, die von uns ein vollständiges Interview erwarten würden, was Tante Helen anging. Sie waren wie Raubtiere, ohne Rücksicht auf Verluste - Lügen oder die Wahrheit. Uns zu bedrängen mit ihren Fragen war ihr Zuschnappen in eine Falle, die noch Wochen und Monate lang in der Presse kursieren würde. Denn schon einmal hatten die Zeitungen meine Tante durch den Dreck gezogen, als ihr traumhaftes Holzhaus niedergebrannt war...Versicherungsbetrug hieß es. Doch Helen belehrte sie damals eines Besseren. Doch die Wahrheit sah anders aus. Dazu komme ich später etwas näher.

"Nein Forester, direkt vor dem Haupteingang!" Mein Vater nannte den Haufen von Journalisten "hirnlose Zeitungsgeier". Klar verdienten sie damit ihren Unterhalt, aber man sollte immer bei der Wahrheit bleiben...denn so kam man am weitesten durchs Leben.

"Nur die Wahrheit bringt den Menschen in der heutigen Gesellschaft seinen Platz." ,sagte mir Tante Helen immer wieder.

Mein Vater nahm die Presseleute durch das Beifahrerfenster in Augenschein und gab seine klaren, eindeutigen Anweisungen an Forester...und an mich weiter. "Halte direkt vor dem Haupteingang an, Forester! Wir werden denen schon zeigen, wo der Hammer hängt. Einmal haben sie unsere Familie in den Schmutz gezogen. Ein zweites Mal wird uns das nicht passieren! Sie sind dem Untergang geweiht!", antwortete er unserem Chauffeur, meiner Mutter und mir, als er sich zu uns zur Rückbank der Limousine drehte. Er nahm eine Hand von meiner Mutter und eine Hand von mir in seine Hände und drückte sie schützend. Meine Mutter nickte ihm zustimmend zu und dann sagte er zu mir: "Wenn wir aussteigen, deine Mutter, du und ich, dann lass dich nicht auf das Geplänkel von denen ein. Schau einfach auf den Boden und verweigere den Augenkontakt mit ihnen! Geh durch den Haupteingang in die Lobby und von da aus in den Konferenzraum. Wir kommen dann nach. Denen werden wir es zeigen, was es heißt uns zu belästigen...Bist du bereit, kleine Sam?", und er tätschelte meine Hand, als wäre ich noch ein Kleinkind in seinen Augen.

Ich sah bei meiner Mutter durch das Beifahrerfenster und sah die Journalisten, wie sie sich gegen die Limousine drückten und drängelten und darauf warteten, sich auf uns zu stürzen. Jeder wollte seine Story, aber mit unserer schweigsamen Redebereitschaft hatten sie nicht gerechnet.

"Guter Plan! Auch wenn ich nicht dafür bin!...Mir wäre der Hintereingang lieber gewesen. Aber meine Antwort ist hier wohl nicht von Nöten.", nuschelte ich in mich hinein.

Forester stieg also als Erster aus und öffnete meine hintere, linke Beifahrertür. Mein Vater nickte mir noch einmal zu und ich setzte mein linkes Bein auf den Asphalt, dann das Rechte. Als ich mich aus der Sitzposition erhob, drehten die Reporter und Kameraleute postwendend um und kamen auf mich zu.

Ich setzte meine Sonnenbrille auf und schob mich durch die Presse durch, während Forester meine Autotür hinter mir schloss. Ich schubste mal hier und mal da jemanden aus meinem eingeschlagenen Weg. Blitzlichtgewitter und Mikrofone warfen sich mir von links, rechts und von vorn vor mein Gesicht. Fragen über Fragen kamen mir entgegen geflogen, doch ich lief schweigend durch sie hindurch und bahnte mir stumm und stur meinen Weg zum Haupteingang. Nicht mal an so einem Tag wie diesen ließ man den Toten ihre wohlverdiente Ruhe und ihre letzte Ehre. Stattdessen hackte man auf ihrer Seele herum, als hätten sie nichts Besseres zu tun, um nach irgendeinem Schädling zu suchen, der Unheil entfacht.

Nur noch durch die Drehtür des Haupteingangs und ich stand endlich im Foyer unseres Hotels. Wie viele blaue Flecke werde ich wohl davon getragen haben? Einige Mikrofone trafen mich am Arm, andere traten mir auf die Füße und stellten mir fast ein Bein. Zum Glück zog niemand von ihnen an meinem schwarzen Anzug, ein Zweiteiler. Dann hätte ich mich nicht mehr halten können. Ich wäre außer mir gewesen. Verdammte Paparazzi!

Ich genoss den Anblick unseres Hotels, den es von innen bot. Ein hellroter Läufer durch die Lobby bis zum Empfang, links und rechts vom Läufer Bänke zum Ausruhen, die zwischen Säulen standen. Alles war in der Lieblingsfarbe meiner Tante gehalten. Es war zwar nicht so riesig wie das "Plaza" in New York, aber es hatte was. Wir waren immer ausgebucht.

Ich nahm die Sonnenbrille aus meinem Gesicht und platzierte sie auf meinem Kopf. Ich beobachtete das Kommen und Gehen unserer Gäste an der Hotel - Rezeption, wo meine beste Freundin Alexandra Marshal eingeteilt war und mich vertrat und für uns beide die Stange hielt und nicht zu vergessen natürlich im Foyer die Übersicht behielt, wo der rote Läufer ausgerollt war.

Während ich zur Rezeption ging, bekam ich immer wieder diese Sätze zu hören.

"Unser aufrichtiges Beileid Miss Stanford und für ihre Familie!..."

"Es tut mir so leid für den Verlust ihrer Tante!..." und so weiter.

Ich bedankte mich höflich für jede Anteilnahme, die mir ausgesprochen und versichert wurde, aber das würde meine Tante Helen auch nicht zu mir und meiner Familie zurück bringen.

Alex beugte sich über die Anmeldung und fragte mich: "Möchtest du einen Kaffee, Sam? Du siehst..."

"...Scheiße aus! Ich weiß!...Trotzdem danke schön Alex! Das baut mich wieder so richtig auf!", gab ich ihr miesepetrig und fast gleichgültig zur Antwort.

"Entschuldige!...Das sollte nicht...Das war nicht...!", versuchte sich Alex mir gegenüber zu rechtfertigen und zu entschuldigen. Aber davon wollte ich jetzt gar nichts hören. Ich wollte einfach nur den Tag hinter mich bringen und ihn schleunigst im Höchstfall beenden.

"Ich bin in einer halben, Dreiviertelstunde wieder hier, Alex. Dann kannst du deine Pause machen. Ich...Ehm...werde mich mal zum Konferenzraum bewegen.", und ich ließ meine Freundin mit offen stehendem Mund dort am Empfang vor sich hin kuttern. Ehrlich gesagt, das war mir jetzt auch egal. Ich wusste Alex 's Fürsorge zu schätzen, aber die war jetzt Fehl am Platz. Ich wollte nur in Ruhe gelassen werden.

Ich drückte die Klinke vom Konferenzraum herunter und trat in meinem schwarzen Zweiteiler - Anzug ein. Ein leichter Windhauch kam auf mich zu und erfasste meine Haare und ließ sie leicht um meinem Schopf aufflattern. Ich schloss das angekippte, große, bodentiefe Sprossenfenster. Meine langen, leicht gewellten, rot - braunen Haare, die mir schon fast an den Gürtel reichten, trug ich heute offen. Sonst hatte ich sie in meiner Arbeitszeit zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden oder in einem Dutt gewickelt.

Für heute fand ich es angemessen, sie offen zu tragen. Der Wind da draußen am Rande der Stadt, wo sich der Friedhof befand, wehte mir zeitweise Strähnen ins Gesicht und verdeckte somit meine Tränen und meine schwere Trauer für den erlittenen Verlust, den wir heute zu Grabe getragen hatten.

Ich bin vor ein paar Tagen dreißig geworden, bin nicht verheiratet und hab keinen Freund an meiner Seite. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich hab den Richtigen noch nicht gefunden. Ganz ehrlich? Für so etwas hatte ich bisher noch keine Zeit und über eigenen Nachwuchs verschwendete ich auch noch keinen Gedanken.

Ich bin ein Einzelkind und im Haus meiner Tante und im Hotel aufgewachsen. Seit meinem sechzehnten Lebensjahr ist das Hotel mein Arbeitsplatz - mein Lebenselexier. Und das sollte es auch weiterhin bleiben.

Wenn ich gewusst hätte, wie mein Leben nach Tante Helens Tod ablaufen würde, hätte ich mir gewünscht, nie ein Teil dieser Familie geworden zu sein. Denn was bringt es einem Menschen, der jahrelang mit einer Lüge gelebt hat, vor dem die Wahrheit verborgen wurde?

Aber es hatte auch sein Gutes, denn ER trat in mein Leben und damit fing mein richtiges Leben erst an und Fragen über Fragen traten auf und alles wurde auf den Kopf gestellt. Wenn man weiter keine Probleme hat, dann macht man sich halt welche.

Ich bin Sam Stanford, die Hotelerbin, und das ist meine Geschichte.

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