36.
Yoongi's PoV.:
„Ich kann immer noch nicht glauben wie fassungslos mein Vater mich angesehen hat. Jemand hätte die Zeit anhalten und sein Gesicht nachmalen müssen, damit ich es mir in mein Zimmer hängen kann", gluckste ich, nachdem ich mich nach meinem abendlichen Bad auf mein Bett fallen ließ. Die vielen Kissen hüpften dabei augenblicklich mit und sorgten dafür, dass ich unter einigen von ihnen begraben wurde. Voller Euphorie fegte ich sie von mir runter und setzte mich wieder schwungvoll auf. Ich fühlte mich so erleichtert wie schon lange nicht mehr und das alles nur, weil ich meinem Vater endlich mal meine Meinung gesagt hatte.
„Er hat wahrlich verzweifelt ausgehen, Sir", stimmte Namjoon zu, der mir hinterhergelaufen war. „Verzweifelt?", wiederholte ich spöttisch, „Es schien eher als würde sein komplettes Leben vor seinem inneren Auge abspielen! Es hätte mich nicht gewundert, wenn er einen Schwächeanfall bekommen hätte".
„Sie scheinen ihn noch nie derart konfrontiert zu haben, oder?", hakte er nach und ging vor mir auf die Knie. Während er nach der kleinen Dose mit der Creme griff, stellte ich bereits meinen Fuß auf seinem Oberschenkel ab.
„Das stimmt, ich glaube ich habe vor ihm noch nie seine Vaterfigur infrage gestellt... Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass ihn das so sprachlos gemacht hat. Immerhin interessiert er sich sonst auch nicht dafür", nachdenklich legte ich den Kopf schief. Tatsächlich war mir sein Verhalten etwas übertrieben vorgekommen; so hatte ich ihn noch nie gesehen. Vielleicht lag das aber auch daran, dass Namjoon bei uns gestanden hatte und er ihm etwas vorspielen wollte, in der Hoffnung mein Leibwächter würde danach beruhigend auf mich einreden, wenn nicht sogar belehren.
„Naja, er ist trotzdem Ihr Vater, Sir... Ich glaube schon das ihn das sehr angegriffen hat", hoch konzentriert fing der Jüngere schließlich an die fettige Masse an Creme auf meinem Schienbein aufzutragen. Die Schwellung war bereits deutlich gesunken, jedoch hatte sich die Verletzung nun zu einem hässlichen dunkelgrünen Fleck verfärbt, der bei zu viel Druck auch noch höllisch weh tat. „Meinst du?", hakte ich nach, etwas angespannt bei dem Versuch unter Namjoon's langen Fingern nicht zusammen zu zucken. „Natürlich, Sir, ich kann mir nicht vorstellen, dass es ihm nicht nahgegangen ist", antwortete er.
Ich stillte daraufhin für einen kurzen Moment und sah einfach bloß auf ihn herab. Er mochte recht haben. Genauso wie er recht gehabt hatte, dass es sich gut anfühlen würde mich vor meinem Vater auszusprechen. Bis jetzt hatte er immer recht gehabt und mir damit Freiheiten offen gelegt, von denen ich gar nicht wusste das ich sie überhaupt habe. Es war fast schon so, als wäre er ein guter Freund, anstatt mein Leibwächter. Und zugegeben genoss ich dieses Gefühl unheimlich. Jedoch gab es eine Kleinigkeit, die mich ständig an das Gegenteil erinnerte.
„I-Ist etwas, Sir?", unsicher ließ Namjoon von meinem Bein ab und schaute zu mir hoch. „Könntest du aufhören mich immer mit diesem dämlichen Sir anzureden? Lass die Höflichkeitsfloskeln einfach weg, wenn wir alleine sind, ja?".
„Aber-...", fing er entsetzt an, doch ich brachte ihn wieder sofort zum Schweigen. „Das ist ein Befehl von mir. Keine Höflichkeitsfloskeln, wenn wir alleine sind. Wenn du dich nicht daranhältst, dann-... Erfülle einfach diesen Befehl", noch während ich sprach, konnte ich eine brennende Hitze in meinen Wangen spüren. Mir war bewusst das dieser Befehl absurd und ungläubig in seinen Ohren klingen musste, doch ich meinte es wirklich ernst damit. Denn diese ständigen Etiketten erinnerten mich jedes Mal bloß daran, dass ich ein Image zu bewahren hatte und vernünftig in meinem Umfeld handeln musste. Doch vor einer Person wie Namjoon wollte ich das nicht länger durchziehen. Nur ein einziges Mal wollte ich das Gefühl haben – wie vermutlich jeder junge Mann in meinem Alter – einen guten Freund an meiner Seite zu wissen.
Der Jüngere brauchte eine Weile, bis er sich wieder fassen konnte. „Na schön, ich werde Sie jetzt-... Ich werde dich dann jetzt duzen", sagte er schließlich. Er klang dabei als würde es ihn eine Menge Überwindung kosten. Dennoch stellte es mich zufrieden und ließ mein Herz vor Aufregung schneller schlagen. „Sehr gut. Und jetzt kannst du mein Bein weiter versorgen", grinsend tippte ich mit dem Fuß auf seinem Oberschenkel herum, woraufhin er den Blick von mir losriss und nach der Mullbinde griff.
Als er sie angemessen stramm um meine Verletzung gewickelt hatte, rutschte ich zu meinem Kopfende hoch und fing dort an die vielen Kopfkissen zu einer angenehmen Rückenlehne aufzutürmen. Dann lehnte ich mich mit meinem Lehrbuch in der Hand dagegen. Namjoon hingegen richtete sich auf und tat das, was er jeden Abend tat; das Balkonfenster neben meinem Bett schließen und die Vorhänge zuziehen. Der Raum wurde dadurch augenblicklich dunkler, wurde nur noch von der einen Öllampe auf meinem Nachttisch erhellt. Für gewöhnlich musste er letzteres auch ausmachen, doch an diesem Abend hatte ich noch mein Gedicht auswendig zu lernen, weswegen er sie anließ.
„Hast du das Gedicht eigentlich schon gelesen?", hakte ich nach, während ich nach der richtigen Seite suchte. „Nein, Sir, ich-...", ertappt hielt er inne. Ich lugte daraufhin warnend über mein aufgeklapptes Buch zu ihm rüber. „Tut mir leid, es fällt mir schwer dich normal anzusprechen... Zurück zu deiner Frage: Nein, ich habe es nicht gelesen".
„Wieso nicht?".
„Weil-... Nun ja, also-...", verlegen fuhr er sich durch die dunklen Haare, „Ich kann eigentlich gar nicht lesen...".
Perplex ließ ich das Buch in meiner Hand sinken. „Ehrlich nicht? Aber was hast du dann die ganze Zeit in der Bibliothek gemacht?", verwirrt legte ich die Stirn in Falten. „Ich habe mir die Bilder angeguckt", entkam es ihm kleinlaut. „Dir Bilder angeguckt? Deswegen hast du also in der Kinderecke gesessen...", nun machte das alles etwas mehr Sinn. „Ich saß in der Kinderecke?", entsetzt blinzelte mich mein Gegenüber an, was mich amüsiert schmunzeln ließ. „Ja, dort habe ich damals meine ersten Lehrbücher herausgenommen. Sie haben viele Bilder und sind deswegen leichter zu verstehen", erklärte ich dann. „Hätte ich das gewusst, hätte ich mich nicht dort niedergelassen".
„So schlimm ist das nun auch nicht... Wenn du willst, dann kann ich dir mein Gedicht ja vorlesen. Es ist relativ kurz, aber sehr schön", erwartungsvoll setzte ich mich auf und zu meiner Überraschung trat Namjoon interessiert näher an mein Bett heran. „Wenn es dir keine Mühe macht, gerne", erwiderte er.
„Tut es nicht. Ehrlich gesagt ist das laute vorlesen sogar die beste Art sich Dinge zu merken", ich klopfte auf meine Bettmatratze. Erst starrte er unsicher darauf, doch dann ließ er sich vorsichtig auf dessen Kante nieder.
„Das Gedicht heißt: Der Grüne Berg ist mein Wille", las ich vor, „Der grüne Berg ist mein Wille, Das blaue Wasser ist seine Liebe. Obwohl das Wasser weggeflossen ist, verändert sich der grüne Berg nicht. Weil das blaue Wasser auch den Berg vermisst, weint es fließend". Nachdem ich geendet hatte, sah ich gespannt zu Namjoon auf. Dieser erwiderte meinen Blick verwirrt: „Das verstehe ich nicht so ganz. Worum geht es in dem Gedicht?".
„Es geht um die ewige Liebe. In dem Gedicht verkörpert die Liebe der Autorin den grünen Berg und die Liebe des Mannes, ist das blaue Wasser. Sie sagt aus das sich ihre Liebe zu ihm niemals ändern wird, auch wenn er fort ist", erklärte ich. „Das konntest du den wenigen Zeilen entnehmen?", dem Jüngeren klappte sprachlos der Mund auf, was mich augenblicklich zum Lachen brachte. „Ja, das konnte ich dem Gedicht heraus interpretieren. Ich finde es ziemlich einfach".
„Einfach würde ich das nicht nennen, aber es klingt trotzdem schön", stimmte Namjoon zu.
„Sagt dir der Name Hwang Jini etwas?", hakte ich nach.
„Nein, nicht wirklich... Wieso?".
„Sie hat das Gedicht geschrieben; sie ist die Autorin. Ich habe sie zwar noch nie gesehen, aber sie soll angeblich eine wahre Schönheit sein", antwortete ich.
„Ich habe noch nie etwas von ihr gehört", gestand der Jüngere. Zugegeben hätte ich die Frau vermutlich selber nie kennen gelernt, wenn meine Mutter nicht gewesen wäre. Sie hatte mir damals immer ein Gedicht von Hwang Jini vor dem Schlafen gehen vorgelesen. Durch sie hatte ich erst ein Interesse für die anderen vielen Werke empfunden. Ich konnte mir eine Kindheit ohne fantasievolle Geschichten oder Gedichte kaum noch vorstellen. Denn manchmal wurden in ihnen so schöne Worte benutzt, die eines Lesers Gefühle perfekt widerspiegeln konnten. In ihnen konnte man sich also wiederfinden. Allerdings nur, wenn man es zu ließ.
„Hat deine Mutter dir etwa nie was vorgelesen?", ich klappte das Buch in meiner Hand zu, nahm währenddessen allerdings nicht den Blick von Namjoon. Dieser verzog bei meiner Frage das Gesicht. Erst verstand ich nicht so recht wieso, doch dann erinnerte ich mich daran, dass seine Familie durch die Hand meiner Stiefmutter versklavt worden war. Ich hatte gerade also ein für ihn sehr unangenehmes Thema angesprochen und plötzlich wünschte ich mir nichts sehnlicher, als meine Worte zurück nehmen zu können. „Sie hat uns immer Geschichten erzählt", antwortete er, noch bevor ich ihn davon abhalten konnte, „Ausgedachte Geschichten. Bei mir ging es um tapfere Ritter und Drachen und bei Byeol hat sie von Prinzessinnen, die mit Tieren sprechen konnten, oder von einem Prinzen gerettet wurden, erzählt".
Ich schluckte trocken, unsicher gegenüber dessen, was ich nun als nächstes sagen sollte. Die plötzlich unangenehme Situation machte mich nervös und ich wusste bei bestem Willen nicht, wie ich damit umgehen sollte.
„Das-... Das klingt spannend", murmelte ich schließlich undeutlich. „Oh ja, das war es auch. Ich habe es geliebt", Namjoon seufzte etwas und lächelte dann, „Immer, wenn es heftig Gewittert hat, hat sie uns eine Gruselgeschichte erzählt. Byeol hing dabei wie ein Zitteraal an meiner Hand. Du hättest sie sehen müssen, es sah unheimlich lustig aus".
„Byeol war deine Schwester, richtig?", fragte ich kleinlaut nach.
„Ja und das ist sie auch immer noch. Ich habe sie wiedergesehen".
„Wirklich?", überrascht rückte ich ein Stückchen näher an ihn heran. Namjoon schien von meiner Neugierde angesteckt zu werden, denn plötzlich drehte er sich mir wieder zu. Dabei lag ihm ein fröhliches Grinsen auf den plumpen Lippen. „Ja, sie ist als Dienstmädchen in Yuan gelandet. Ihr geht es scheinbar ganz gut dort, aber sie hat sich trotzdem die Augen ausgeheult, als sie mich gesehen hat", erzählte er. „Und deine Mutter? War sie auch dort?".
Ich schien schon wieder etwas Falsches gesagt zu haben, denn das fröhliche Grinsen in Namjoon's Gesicht verschwand mit einem Mal. Er presste die Lippen aufeinander und schüttelte dann den Kopf. „Nein, war sie nicht...", eine schrecklich lange Pause folgte, „Naja, ich denke, du solltest jetzt etwas schlafen". Mit einem Ruck erhob er sich und warf mir noch ein deutlich gespieltes Lächeln zu, ehe er durch mein Zimmer marschierte und sich vor dessen Tür wache stellte.
Mein Herz machte dabei einen schmerzvollen Satz und ließ mich vor reue so tief unter meiner Bettdecke vergraben, dass ich kaum Luft bekam.
Ich hatte es verbockt, gerade in dem Moment, in dem ich dachte mir einen Freund gemacht zu haben.
Bin irgendwie unzufrieden mit dem Kapitel and idk why :(
Aber ich fand die Idee süß, dass Yoongi Namjoon sein Gedicht aufsagt ^^
Geht jemand von euch auch auf das Day6 Konzert in Berlin?
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