48| Tiefpunkt
Nicht nur der Streit mit Maverick lag wie eine schwere dunkle Regenwolke über meinem Kopf, sondern auch die Entscheidung der national Eishockey-College-Liga, die festgesetzt hatte, dass ich nicht mehr für ein amerikanisches Eishockey-College-Team spielen durfte.
Ich befand mich zwar wieder an der East Gold, jedoch nur physisch. Im Geiste war ich nicht wirklich anwesend.
Ich hatte natürlich auch mein Sportstipendium verloren. Nur aufgrund von Mums und Fernandos Großzügigkeit, konnte ich hier weiter studieren, weil sie meine Studiengebühren bezahlten.
Nach der Nachricht letzte Woche hatte ich Stunden weinend in den Armen meiner Mutter gelegen.
Sie sagte zwar immer noch, dass nichts verloren war und sie alles daran setzten würde, dass ich weiter spielen konnte, aber ich glaubte einfach nicht mehr daran.
Auch Ashley hatte versucht mich zu trösten, genau wie Bell, die ihre freie Zeit neben der Schule opferten, um für mich da zu sein.
Hillary, Ella und Venus gaben ihr Bestes mich abzulenken. Nick ließ mich so gut wie keine Minute mehr aus den Augen.
Sie waren alle für mich da, aber ich konnte mich einfach nicht schlechter fühlen.
Ich hatte meine ganze Ausrüstung von den Golden Leaves zusammen gepackt und lief gerade über den Campus um diese bei meinem Trainerteam abzugeben, denn ich gehörte ja jetzt offiziell nicht mehr dazu.
Das Getuschel und die seltsamen Blicke der Studenten entgingen mir dabei nicht aber ich ignorierte sie.
Bis mich zwei High-School Schülerinnen anhielten und grinsend anlächelten. Keine Ahnung was sie hier machten, aber für Studentinnen sahen sie eindeutige zu jung aus.
„Bist du Kendall Hutson?"
Ihre Augen leuchteten und ich knurrte leise eine Zustimmung. Ich hatte absolut keine Lust, das sie sich jetzt öffentlich und direkt vor mir lustig über mich machten.
„Bekomme ich ein Autogramm? Ich finde es absolut stark, dass du als erste Frau in einem rein männliches Team Eishockey spielst."
„Ich spiele nicht mehr..."
Erklärte ich bitter.
Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen und ich ließ meinen Kopf hängen.
„Warum?"
Fragte die andere.
„Weil ein paar Arschlocher aus der Liga entschieden haben, dass man aufgrund seines Geschlechts diskriminiert werden darf. Ganz egal wie gut man spielt..."
Das Mädchen mit den langen schwarzen Haaren und den blauen Augen schenkte mir einen mitleidigen Blick.
„Das tut mir leid..."
Ich zuckte nur mit den Schultern und merkte erneut, wie Tod ich mich innerlich fühlte, alles war sinnlos und hoffnungslos.
„Kann ich trotzdem ein Autogramm und ein Foto haben? Ich finde dich echt toll!"
Fragte sie ganz vorsichtig und das erinnerte mich an meine Schwester. Deswegen ließ ich mich überreden, unterschrieb auf ihrem Trikot von einem NHL-Spieler, dessen Name ich nicht sehen konnte und machte ein Foto mit ihnen, auf dem ich versuchte zu lächeln.
Sie bedankten sich höflich und ich verabschiedete mich schnell, um endlich die Rückgabe meiner Kleidung hinter mich zu bringen.
Das lag so schwer wie ein Stein in meinem Magen.
Als ich vor derselben Tür zum Zimmer „A7" ankam, holten mich all die Erinnerungen von dem ersten Tag hier in der Eishalle ein. Wie ich gezwungen wurde zu lügen und wie dann die beste Zeit meines Lebens begann.
Ich klopfte entschlossen und trat ein.
Dieselbe Sekretärin wie vor Monaten saß vor dem großen Schreibtisch und sah mich an. Doch diesmal war sie weder unfreundlich noch ungeduldig.
Nein, wie bei allen anderen, die mir oder diesem Team nahe standen, erkannte ich nur pures Mitleid.
„Er erwartet sie schon Miss Hutson."
Ich nickte ihr zu und ging durch die bereits leicht offene Tür in das Büro unseres Headcoaches.
Was ich nicht erwartet hatte, war das mein ganzes Trainerteam vor mir stand, einschließlich meiner Ärztin und zwei Physiofachleuten, die uns immer betreut hatten.
„Kendall..."
Seufzte der Coach und sah mit traurig entgegen.
„Es tut und alles so leid. Wir wollen das du weißt, dass du für uns immer ein vollwertiges Teammitglied warst und immer noch bist. Wir würden dich nie wegen deines Geschlechts anders behandeln und sind der Meinung das du es mehr als verdient hast, in diesem Team zu spielen, ganz abgesehen davon was du gesagt oder nicht gesagt hast."
Er kam auf mich zu und klopfte mir etwas unbeholfen auf die Schulter.
„Das haben wir alle bei der Kommission der Collegeliga ausgesagt."
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, denn ich war zu gerührt. Hier spürte ich, dass ich angekommen war und nun war es vorbei für mich.
„Danke!"
Krätze ich heraus.
„Du bist hier immer Willkommen!"
Meldete sich einer meiner Co-Trainer.
Ich nickte leicht und ließ die Ausrüstung vor ihre Füße plumpsen.
Die Halle war gerade nicht belegt, das konnte ich durch das große Fenster im Büro zur Halle sehen.
„Dürfte ich, bevor ich mein Schließfach ausräume, ein letztes Mal auf das Eis?"
Ich hatte das Bedürfnis, mich auch davon zu verabschieden.
„Kein Problem, Kendall, die Halle ist für die nächsten zwei Stunden nicht belegt. Nimm dir soviel Zeit wie du brauchst."
Ich nickte ihnen kurz zu, griff ein letztes Mal nach meinem Schläger und machte mich auf zur Eishalle.
Die Schlittschuhe knotete ich fester an meine Füße als notwendig. Ich war wütend, traurig, frustriert und das alles gleichzeitig.
Ich schnappte mir einen Puck von der Seitenlinie und knallte ihn mit Schwung in eines der zwei Tore. Das wiederholte ich so lange, bis ich atemlos an der Mittellinie zum Stehen kam und meine leisen Tränen langsam versiegten.
Erschöpft wischte ich mir mit dem Ärmel über mein Gesicht.
Zitternd stürzte ich mich mit meinen Händen auf dem Eishockeystab ab und sah leer in die Richtung des Tores, indem der Puck lag, als könnte ich ihn alleine mit meinen Gedanken wieder dazu bringen zu mir zurückzukommen.
„Sugar?"
Ich hatte schon lange gehört das sich mir jemand genährt hatte. Das es Nick war, wusste ich spätestens nach dem gleichmäßigen kratzenden Geräusch, mit dem leisen Quietschen seines rechten Kufens.
„Kendall..."
Sagte er sanft und legte seine Hand auf meine Schulter. Das alleine reichte, dass sich die große Schleuse erneut öffnete und ich bitter anfing zu weinen.
Nick hielt meinen bebenden Körper fest.
„Geh schon einmal vor. Ich räume den Rest auf und komme dann nach."
Liebevoll strich er mir über das Gesicht.
Ohne mich zu fragen, wieso er hier war oder warum er wusste, dass ich mich noch ein letztes Mal auf dem Spielfeld befand, stimmte ich ihm leise zu und fuhr zurück zu den Bänken.
Meine Schlittschuhe hatte ich schnell ausgezogen und schleppte mich langsam in die Umkleiden zu meinem Spind, aus dem ich ein paar letzte persönliche Dinge herausholen musste.
Ich hatte gerade die Tür meines Schrankes geöffnet, da hörte ich, schon wie Nick in die Umkleide trat.
„Du warst aber schnell."
Bemerkte ich und sichtete meinen Schrank. Außer dem Teamfoto, das am Anfang des Jahres aufgenommen wurde, wie mich die meisten noch nicht leiden konnten, befanden sich nur noch ein paar Kopfhörer, ein Ersatzhandtuch und eine halb volle Flasche meines Duschgels in dem Spindschrank.
„Ich bin nicht Nick."
Ich drehte mich erschrocken um und blickte gleich in die kühlen Augen meines ehemaligen Freundes Josh.
Er sah krank aus. Sein Gesicht war eingefallen, die Augen trübe und ohne Glanz. An seiner Augenbraue war ein beachtlicher Schnitt, der mit Klammerpflastern behandelt war. Dazu kam eine geschwollene Unterlippe und ein deutlicher Bluterguss an seinem Kiefer.
Ich traute mich kaum zu atmen und hatte das Gefühl, das mein Leben einem schlechten Scherz glich. Ich lag doch schon am Boden, warum trat das Leben da noch nach.
„Ich wollte nach dir sehen, wie es dir geht...Aber keiner hat mich zu dir gelassen. Es tut mir so leid."
Er hatte genug Abstand gelassen, doch kam jetzt einen Schritt auf mich zu. Sofort zuckte ich zurück, während mir mein Herz bis zum Hals schlug.
Es gelang mir immer noch nicht etwas zu sagen.
„Ich habe ihnen alles gestanden. Dass ich die Spielzüge geklaut habe, dich betrogen und dich unter Druck gesetzt habe nichts zu sagen..."
Ich legte den Kopf leicht schräg. Konnte es stimmen? Hatte Josh die Wahrheit gesagt und die Konsequenzen getragen? Sah er deswegen so demoliert aus?
„Ich habe den, der dir das angetan hat zur Verantwortung gezogen..."
Er deutete auf sein Gesicht und redete weiter.
„Mein Team hat mich rausgeschmissen. Ich werde an ein College in Kanada gehen. Andere Liga, andere Teams und neue Spiele... komm mit mir mit. Lass uns zusammen ein neues Leben anfangen. Bestimmt können wir die Collegeliga in Kanada von dir überzeugen und wir können dort gemeinsam unseren Traum verwirklichen."
Er war mir wieder einen Schritt näher gekommen und ich lehnte mit dem Rücken an der kalten Wand, die mich frösteln ließ. Mein Herz ätzte bei dem Gedanken in Freiheit Eishockey zu spielen. Vielleicht hatte er recht und in Kanada war alles anders. Sie hatten genauso gute Teams und Colleges wie hier in Amerika und eine andere Liga.
Langsam streckte er seine Hand nach mir aus und ich starrte diese an. Ein Neuanfang klang verlockend aber wollte ich den mit Joshua haben, einem Menschen dem ich nicht mehr voll vertraute. Ich könnte auch alleine an ein College in Kanada gehen, denn ich brauchte ihn nicht.
„Los Kandy, ich weiß, dass du es willst! Wir beide waren und werden wieder ein perfekt eingespieltes Team sein..."
„Hör auf zu lügen!"
Donnerte eine starke Stimme quer durch die Umkleide.
Maverick stand mit Nick hinter Josh und hatte sich aufgebaut. Ich hatte sie gar nicht hineinkommen gehört. Und jetzt kamen nach und nach immer mehr meiner Teamspieler in die Kabine und bildeten eine Wand hinter Maverick und Nick. Josh rührte keinen Moment und sah mich weiter an.
Meine Augen zuckten zu Maverick, der mich fehlend und bitten ansah, bevor Wut in seinen Augen aufflammte.
„Er hat gar nichts gesagt! Das war ich gewesen und er hatte nie den Respekt seines Teams gehabt. Sie haben ihn anschließend, weil er nicht mehr brauchbar war für sie gekickt. Er ist nicht für dich eingestanden, er hätte die Lüge weiter hochgehalten."
Knurrte Maverick.
Josh unterbrach unseren Blickkontakt, indem er sich wieder vor mich schob.
„Hör gar nicht auf ihn. Ich unterstütze deinen Traum, im Gegensatz zu ihm, will ich nicht das du aufhörst Eishockey zu spielen."
Er nahm meine Hand und ich ließ es für einen Augenblick zu.
„...Ich liebe Kendall, das habe ich schon immer. Ich habe einen Fehler gemacht aber ich will mit dir ein neues Leben starten, ein besseres. Komm mit mir mit und wir vergessen alles..."
Setzte Josh einen Punkt dazu und lächelte mich schief an.
Maverick wollte nach vorne schnellen, aber Nick hielt ihn zurück. Es lag alleine an mir jetzt eine Entscheidung zu treffen und die hatte ich tief in meinem Herzen schon längst getroffen.
Noch bevor Josh versucht hat mich zu überzeugen, mit ihm mitzugehen, wusste ich das ich niemals hier weggehen würde.
Ich entriss ihm meine Hand und mein wütender Blick bohrte sich in seine Augen.
„Niemals!"
Meine Stimme war klar und fest. So fest hatte ich sie gar nicht erwartet, aber meine Kraft und mein Wille kehrten zurück.
„Ich stehe, zu dem, was ich dir vor Wochen gesagt habe. Ich will dich nie mehr wiedersehen. Also verschwinde, du hast hier nichts verloren. Das hier ist mein Team, meine Familie und das wird es auch für immer bleiben, auch wenn ich nicht mehr spielen darf. Nichts und niemand kann und wird das ändern!"
Seine Schultern sackten zusammen und er wusste das er mich und alles andere verloren hatte.
„Du machst einen großen Fehler!"
Gab er trotzig von sich und entfernte sich von mir. Er kehrte mir den Rücken zu und sah sich nicht nochmal um.
Er drängte sich durch mein Eishockeyteam, das ihn schubste und anrempelte. Dabei ergingen laute „Buh-Rufe".
Doch ich achtete schon lange nicht mehr auf ihn. Ich sah nur noch Maverick Anderson, mein Teamkamerad, meinen Kapitän und meine Liebe.
Als Josh den Raum endlich verlassen hatte, ertönten Jubelrufe und meine Freunde feuerten mich an.
Meine Augen schwammen in salzigen Tränen, aber ich lächelte den wilden Haufen Männer an.
Ein erstes Lächeln nach Wochen.
Ja, hier gehörte ich hin und das würde sich auch nie ändern...
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