47| Wahrheit

Wir hatten tatsächlich gewonnen – vier zu zwei!

Das Arschloch, das mich gecheckt hatte, bekam „nur" eine Matchstrafe. Er musste zwar in die Kabine gehen, aber es durfte nach der Zeitstrafe jemand anderes für ihn spielen.

Die Collegeliga musste über weitere Sperren und oder Strafen beratschlagen.
Genauso musste sie prüfen, ob ich weiter in einem rein dominierten Männersport mitspielen konnte.

Doch bis jetzt hatte ich noch nichts gehört.

Dieser Typ gehörte dauerhaft gesperrt!

Mit drei gebrochenen Rippen, einer starken Gehirnerschütterung, die mich am Anfang auf Trab hielt und einer beeindruckenden Schnittwunde am Unterarm sowie diverse blaue Flecken und Prellungen an meinem ganzen Körper musste ich das Bett hüten.

Doch nie hätte ich gedacht, dass mich so gut wie alle auffingen und mir vergaben.
Selbst mein Team fieberte mit mir mit.

Am Anfang im Krankenhaus bekam ich regelmäßig Besuch, man erkundigte sich nach mir und mein Trainerteam setzte sich für meinen Verbleib ein, genauso wie Aufbau- und Rehasport.

River und Nick beorderten das Team zusammen und schickten mir einen riesen Blumenstrauß, einschließlich einer total süßen Videobotschaft, in der sie alle sagten, wie sehr sie mich vermissten und es ihnen mehr als egal war das ich eine Frau bin.

Natürlich kam der ein oder andere perverse Spruch aber es reichte ein tödlicher Blick von Maverick und sie verstummten.

Es gehörte ja auch irgendwie dazu und dass mein Team so hinter mir stand, machte mich glücklich.

Ich hatte also doch schon etwas bewirkt, auch wenn es ganz klein war und für viele nicht zu sehen.

Meine Familie machte es mir da deutlich schwerer oder besser gesagt hauptsächlich Ashley und meine Mutter.
Ashley war am Anfang sehr gekränkt gewesen, dass ich ihm genau das verschwiegen hatte.
Er verstand zwar, wie ich in diese Situation gekommen war und hatte auch Verständnis dafür, aber er war wie erwarteten enttäuscht, dass ich ihm nichts gesagt hatte.

Meine Mutter dagegen konnte gar nicht aufhören, völlig aufgekratzt, um mich herumzuspringen. Ich wusste das sie sich Sorgen machte und die regelmäßigen Tränen sprachen dafür, aber als sie mir ans Herz legen wollte doch mit dem Eishockey aufzuhören, weil es so gefährlich war, wurde ich wütend.

Mein Vater und Stiefvater beobachteten das alles in Ruhe aus der Distanz.
Sie verstanden sich außergewöhnlich gut, worüber ich mir aber keine weiteren Gedanken machen wollte.

Bella klebte an mir wie eine Klette und versorgte mich, wo es ging. Sie brachte mir essen, lenkte mich ab oder unterhielt sich einfach mit mir.

Da die Universität nicht wusste, wie sie in meinem Fall entscheiden wollte, wurde ich für die Dauer der Entscheidung für das Erste der Hochschule verwiesen oder suspendiert.

Damit hatte ich bereits gerechnet.
Ein Urteil sollte bald kommen.

Und genau deswegen befand ich mich gerade in meinem Zimmer in Portland, bei meiner Mutter und meinem Stiefvater.

Dad war als Gast auch hier und hatte leider nur noch diesen Tag, bevor sein Urlaub endete und er nach Hause fahren musste.

Wer mir besonders fehlte neben Lary und Nick war Maverick. Er hatte sich zwar immer wieder bei mir gemeldet, aber ich merkte das er distanzierter war.
Es war leichter, als ich mich in seiner Nähe befunden hatte und er mich besuchen konnte, meine Mutter war hin und weg von ihm gewesen.

Doch ich bemerkte, dass ihn irgendetwas quälten, das er mir nicht sagen wollte.
Wahrscheinlich brauchte er einfach noch mehr Zeit um alles zu verarbeiten.

Er sagte zwar, er sei nicht sauer auf mich, aber die Angst darüber, dass er mich nach alldem fallen lassen könnte, wuchs jeden Tag, mit dem er sich weniger bei mir meldete mehr.

Jemand klopfte an meiner Tür und ich bat die Person einzutreten. Dad steckte den Kopf durch die Tür und lächelte mich liebevoll an.

„Hallo mein Star. Wie geht es dir?"

„Ganz okay."
Log ich.

Ich war mehr als aufgewühlt und ich hasste es, dass ich nichts weiter tun konnte, als in diesem Bett auf mein Schicksal zu warten.

Das war einfach nicht fair.

Dad setzte sich an meine Bettkante und lächelte mich weiter an.

„Wir werden einen Weg finden, Liebling."

Ich nickte traurig, auch wenn ich langsam immer weniger daran glaubte, dass die Liga zu meinen Gunsten entschied.

„Deine Mutter und dein Stiefvater setzten sich gerade sehr für dich ein. Sie haben Anwälte zu deiner Universität geschickt und sind bereits in positiven Verhandlungen mit ihr. Die Collegeliga ist bissiger, aber die bekommen wir auch noch klein...."

Er sah, dass ich etwas sagen wollte, aber ließ es nicht zu.

„Nimm das Angebot an, Kendall! Ich hätte diese Möglichkeiten nicht, aber die Beiden haben sie und ich sehe, dass sie es ernst meinen. Sie wollen dir wirklich helfen und es ist absolut keine Schande sich helfen zu lassen, wenn man diese braucht."

Ich biss mir feste auf die Unterlippe und mein Vater seufzte.

„Ich glaube ich habe dich zu unabhängig erzogen und dann noch die Scheidung von mir mit deiner Mutter, das hat dich sehr stark werden lassen, aber auch irrational. Meinst du nicht das ich nach allem was passiert ist, auch Hilfe brauchte Kendall?"

Ich zog meine Augenbraue hoch und legte den Kopf schief. Mein Vater hatte sich bis auf das eine Mal nie richtig anmerken lassen, wie sehr ihn die Scheidung getroffen hatte. Wie soll er da Hilfe in Anspruch genommen haben?"

Er holte tief Luft.

„Nachdem deine Mutter weg war und ich wusste das sie nicht zurückkommt, habe ich sehr gelitten. Ich habe viel getrunken, war unpünktlich auf der Arbeit und generell sehr unzuverlässig. Fast hätte ich meinen Job verloren."

Das hatte ich nicht gewusst!

„Jacob und Elija haben das gesehen und mir geholfen, auch als ich es nicht wollte. Doch sie bestanden darauf und so bin ich heimlich zur Psychiaterin gegangen und habe mein Leben wieder in den Griff bekommen. Das war alles im ersten Jahr..."

„Warum hast du nie was gesagt?"
Hauchte ich.

„Ich habe mich geschämt. Außerdem warst du noch so jung."
Ich nickte ergeben.

„Heute kann ich sagen, dass ich das alles gut verarbeitet habe und jetzt weiß, dass es mir besser geht als vorher. Deine Mutter und ich waren in dieser Ehe sehr unglücklich."

Er pausierte kurz.

"Ich habe jemand kennengelernt. Ihr Name ist Miriam und das geht erst seit ein paar Wochen, aber ich will unbedingt, dass du sie kennenlernst. Ich glaube, du würdest sie mögen..."

Nervös knetete mein Vater seine Finger und ich brachte ihn dazu zu stoppen, indem ich meine Hand auf seine legte.

„Sehr gerne."
Er lächelte mich aufrichtig an und stand auf.

„Danke Liebling."
Ich imitierte sein Grinsen und blickte zu ihm auf.

„Und deinen Freund würde ich dann auch mal gerne richtig kennenlernen. Ich muss ja sehen, wer mit meiner Tochter geht. "Langsam aber stetig verschwand mein Lächeln von meinem Gesicht.

„Keine Sorge Liebling. Ich werde ihm nichts tun!"

Verstand mein Vater alles falsch und lief zur Zimmertür. Kurz bevor er sie öffnete, sah er nochmal zurück.

„Kannst du mir noch einen Gefallen tun?"
Ich nickte vorsichtig.

„Mach es deiner Mutter bitte nicht mehr schwer. Sie liebt dich sehr und tut alles dafür das du weiter an der East Gold studieren und weiter Eishockey spielen kannst, obwohl sie sich gerade da um deine Gesundheit sorgt."

„Okay Daddy!"

„Danke mein Liebling. Bis später. Ich glaube, hier will noch jemand mit dir reden."

Er öffnete die Tür weit und ich traute meinen Augen kaum. Vor mir stand Maverick!

**

Ich hatte mich aufgesetzt, hastig meine Haare aus dem Gesicht gestrichen und sah meinen Freund an.

Er drückte mir kurz einen Kuss auf die Stirn und setzte sich seufzend auf mein Bett.

Jedoch wirkte er immer noch so distanziert. Ich hatte gehofft, dass er mich, wenn wir uns sehen wenigstens umarmt und sich an mich kuschelt, so wie das letzte Mal und nicht vor mir sitzt und einen Meter Sicherheitsabstand hielt.

„Wie geht es dir?"
Lautete seine erste Frage.

„Gut. Geht jeden Tag besser. Was machst du hier? Ist alles in Ordnung?"

Er nahm meine Hand, fuhr sanft über die Haut meines Handrückens und verfolgte seinen Daumen mit seinen Augen.

„Ich habe mir große Sorgen gemacht. Die mache ich mir immer noch. Was ist, wenn sowas nochmal passiert und es nicht so „harmlos" ausgeht?"

Er setzte das Wort „harmlos" extra in Anführungszeichen und sah zu mir auf. Mir war klar, dass er sich sorgte und ich schätzte das auch sehr. Das alles hätte viel schlimmer ausgehen können und ich hatte noch großes Glück gehabt.

Aber ich erinnerte mich gerade jetzt an die Worte von Joshua. Dieser Sport war halt kein „Kuschelsport". Er war hart, aber trotzdem fair. Dieser Spieler von den Blue Hawks hatte schmutzig gespielt und war darauf aus gewesen mich und Maverick bewusst zu verletzten.

Wie viele gab es davon?

Sicher nicht so viele, denn die Gefahr dauerhaft gesperrt zu werden war zu groß.

„Das lag am Spieler. Er hat nicht regelkonforme gespielt und das wird noch bestraft werden."

Ich schüttelte meinen Kopf kurz aber sah Vance weiter an.

„Ich kann mich nicht auf die Spiele konzentrieren, wenn ich Angst haben muss, dass dir was passiert und dich jemand verletzten könnte."

In seinen Augen sah ich Angst und Schmerz. Er litt darunter das ich weiter spielen wollte, weil er mich liebte. Aber Eishockey war alles für mich. Das war es schon vorher gewesen, vor ihm.

Langsam aber stetig entzog ich ihm meine Hand und ein schmerzliches Ziehen machte sich breit.

„Was willst du damit sagen? Soll ich aufhören Eishockey zu spielen? Soll ich mich zwischen dir und dem Sport den ich liebe und alles was ich dafür getan habe entscheiden?"

Verletzt blickte ich auf den Mann vor mir, in den ich verliebt war.

„Ja? Nein? Ich weiß es nicht okay. Das Einzige, was ich weiß ist, das ich Angst habe das dir etwas passiert. Dieser Gedanke geht mir einfach nicht mehr aus dem Kopf!"

Ich sollte es schätzen, das er mich so liebte, das er sich um mein Wohlergehen sorgte, jedoch sah ich nur das er nicht auf meiner Seite stand. Oder es zumindest nicht konnte.

„Ich kann nicht damit aufhören! Eishockey ist mein Leben. Ich habe so viele Jahre dafür gekämpft, ich kann jetzt nicht aufgegeben."

Maverick stand auf, fuhr sich durch die Haare und sah mich gequält an.

„Vielleicht gibt es ja die Möglichkeit das du in einer Frauenmannschaft spielst, wo...."

Ich unterbrach in scharf.

„Es gibt keine Frauenmannschaft und ich werde auch kein Team gründen wollen. Ich will in die NHL und da spielen. Und dafür bin ich gut genug. Ich habe die meisten Tore und Torvorlagen für uns erzielt."

Ich hatte mich in Rage geredet und mir standen die Tränen in den Augen.

Für keinen Mann der Welt gab ich meinen Traum auf, solange der noch nicht von höhren Instanzen gekippt wurde. Auch wenn ich diesen Mann vor mir liebte, ich kam vor.

„Kendall versuch doch mal mich zu verstehen."
Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen und sein Unterton wurde ungehalten.

„Wenn du nicht hinter mir stehst, dann geh bitte."

Meine innere Wut nahm überhand und verdrängte komplett seine Bedenken klar zu sehen. Meine Gefühle schwappten über.

„Tu das nicht Kendall. Lass uns das ausdiskutieren..."

„Geh einfach..."
Knurrte ich und zitterte.

„Baby!"

„Verschwinde!"
Schrie ich ihn an.

Traurig sah er mich an. Er wusste, dass er jetzt nicht weiter kam. Er ging rückwärts auf meine Tür zu und verließ mein Zimmer. Erst als ich sicher war, dass er weg war, liefen meine Tränen unkontrolliert über meine Wangen...

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