36| Debütantinnen

„Ich möchte klein Kleid anziehen."
Quengelte ich wie ein kleines Kind und betrachtete den samtig blauen Stoff der an meinem Körper herunter hing.

„Wir ziehen uns alle schicker an Kendall. Das gehört einfach dazu."
Meinte meine Mutter und schenkte mir ein Lächeln durch den Spiegel an meinem Kleiderschrank.

„Aber ich mach' doch da gar nicht mit."

„Das gehört sich trotzdem so. Hillary zieht auch einen Rock mit einer Bluse an."

„Ja, aber ihr steht das und sie zieht sowas gerne an. Ich mag das aber gar nicht. Ich fühle mich so verkleidet."

Meine Mutter sah an mir auf und ab und verzog ihren schmalen Mund zu einem Strich. Sofort wurde mir bei diesem missbilligen Blick übel und ich fürchtete mich vor einem ihrer bissigen Kommentare, die ich noch allzu gut kannte und mir in Erinnerung geblieben sind, wie eine Narbe durch ein Brandeisen.

Aber die Beleidigung blieb aus.

„Liebes vielleicht ist es auch einfach nicht das Richtige. In deinem Schrank hängen noch einige andere Kleider. Probier doch einfach noch ein anderes Kleid an."

Sie lächelte mir freundlich entgegen, bis sie meinen entsetzten Gesichtsausdruck sah.

„Geht es dir gut Liebes? Du bist so blass um die Nase."

„Ja, ja alles in Ordnung."

Um mich abzulenken und dem besorgten Ausdruck meiner Mutter auszuweichen, griff ich blind in den Schrank und holte ein dunkelgrünes Kleid mit leichtem Stoff heraus. Es war in einer „A-Linie" geschnitten und betonte meine schmale Taille.

„Das ist perfekt!"Klatschte meine Mutter erfreut in ihre Handflächen.

Es fühlte sich tatsächlich nicht schlecht an und viel besser als die drei anderen Kleider, die ich davor anprobiert hatte.

Damit konnte ich mich zeitweise anfreunden.

"Du solltest aber besser eine Jacke darüber anziehen. Es ist schon kühler geworden. Der Herbst hat begonnen."

Ich nickte meiner Mutter zu. Kramte in meiner Tasche nach meiner Lederjacke und warf mir diese über.

Zufrieden blickte ich meinem Spiegelbild entgegen. Das war wenigstens ein kleiner Teil von mir selber.

Meine Mutter hielt dazu ihren Mund. Ich konnte ihr noch nicht mal ansehen, was sie dazu wirklich dachte.

Hatte sie sich etwa so sehr verändert?

Die Zweifel nagten an mir.

"Wenn wir alle fertig sind, können wir uns ja unten treffen und losfahren. Kendall, wie wäre es, wenn du mit Hillary und deinem Bruder fährst? Wir passen ja nicht alle in ein Auto."

"Ja, das können wir so machen."

Meine Mutter trat vorsichtig etwas näher und lächelte mich an.

"Du bist bildschön. Wenn du lächelst, wirst du noch hübscher."
Ich zwang mir ein unsicheres Lächeln auf die Lippen.

"Sehr schön. Dann kann es ja jetzt losgehen."

**

Wir suchten uns in der großen Sporthalle einen Sitzplatz. Bella war extrem aufgeregt und zappelte neben mir auf und ab. Zur Beruhigung hatte ich ihr meine Hand gegeben, die sie jetzt nicht mehr losließ.

Einige Eltern und Geschwister waren zu der Einführung gekommen und es herrschte reges Treiben.

Die Bühne war kunstvoll mit verschiedenen Blumen und Kränzen geschmückt und davor waren ein paar Runde Tische aufgebaut, an denen schon ein paar junge Mädchen im Alter von Bell und einige wenige in meinem Alter Platz genommen hatten.

Während meine Eltern, mein Bruder und Hillary schon Plätze im hinteren Teil des Raumes besorgten, führte ich Bell zu Ihrem Platz in der ersten Reihe.

Ihrer Nervosität nahm mehr und mehr zu.

"Kendall ich muss dir noch was sagen...ich."

"Schon gut Bell, du schaffst das. Es ist bestimmt nicht so schwer wie es aussieht und wer weiß vielleicht findest du auch ein paar Freundinnen."

Seit ich Lary, Venus und Ella hatte, wusste ich, wie wichtig gute Freundinnen waren.

"Nein ich...."
Doch bevor Bella weiter reden konnte, trat eine adrett gekleidete Dame die Bühne und forderte alle auf sich zu setzten.

Ich drückte Bellas Hand ein letztes Mal und zog mich zurück. In ihren Augen konnte ich eine Art Angst erkennen und ich fragte mich, warum sie sich so fürchtete.

Schließlich wollte sie das doch alles, oder?

Ich setzte mich neben meine Mutter an den Rand und warf meinem Bruder und Lary einen Seitenblick zu. Die beiden schienen sich sehr gut zu verstehen und Hillary kicherte gefühlt bei jedem dritten Wort, das über seine Zunge rollte.

Die Frau auf der Bühne stellte sich als Leiterin des Vereines vor und begrüßte alle Debütantinnen und ihre Familien. Sie hieß Pauline Cavierè und hatte französische Wurzeln. Das war dann auch schon der Zeitpunkt, wo ich abschaltete.

Stattdessen ließ ich den Blick über die Reihen schweben und mir fiel auf das die meisten Mädchen aus guten Hause kamen.

Alles wirkte ein wenig überteuert und abgehoben.
Auch die Art, wie diese Frau redete, bereitete mir eine leichte Gänsehaut. Das hier war wirklich nicht meine Szene.
Ich bekam am Rande mit, wie alle Debütantinnen, ihre Plätze verließen und sperat auf der Bühne vorgestellt wurden.

Als Bella auf die Bühne trat, sah sie mich direkt an und wurde etwas blass um die Nase. Zur Aufmunterung, hielt ich beide Daumen nach oben und lächelte sie an.

Sie verließ die Bühne und damit erstarb mein Lächeln augenblicklich, denn ich konnte meinen Ohren nicht trauen.

"Kendall Hutson, bitte komm auf die Bühne und stell dich vor."

Meine Ohren klingelten und die ganzen Geräusche hörten sich verzerrt und weit weg an. Meine Mutter hatte sorgenvoll ihre Augenbrauen zusammengezogen und redete mit mir. Alles geschah in Zeitlupe und ich verstand kein Wort.

Die Blicke meiner Familie brachten mich nur noch mehr durcheinander.

Was war gerade passiert?

**

"Meine Tochter Kendall hat sich nicht angemeldet. Das alles ist ein riesengroßes Missverständnis. Ihre kleine Stiefschwester, hat ohne ihre Einwilligung die Papiere ausgefüllt und an sie gesendet."

"Misses De Santines wir sind eine hochgeschätzte Institution für die Ausbildung junger Mädchen zu Damen und sind jedes Jahr komplett ausgebucht. Dieses Missverständnis kostet einem anderen Mädchen den Platz. Wissen sie eigentlich, wie viel Arbeit die Vorbereitung auf dieses Ereignis macht?

Sind sie sich bewusst darüber, was es für eine Mühe es kostet, die Mädchen auf alles vorzubereiten?

Ich werde nicht zulassen, dass der gute Ruf unseres Vereines beschädigt wird, weil eine Anwärterin einfach abspringt."

"Das verstehe ich aber es..."
Versuchte meine Mutter ruhig zu bleiben. Jedoch bemerkte ich, wie sie innerlich am Kochen war. Sie brachte gerade eine ganze Menge Selbstbeherrschung auf, um nicht auszuflippen.

Ich wusste nicht, für wen sie sich zurückhielt. Für mich, damit ich sah, dass sie sich verändert hatte oder doch um ihren Ruf bei der Gesellschaft ihres Mannes zu wahren.

Ich konnte aber auch nicht leugnen, dass es mir gefiel, wie sie mich verteidigte. Kurz dachte ich sie hätte mich einfach angemeldet aber als ich den schuldbewussten Blick von Bell gesehen hatte, wusste ich, dass sie es ganz alleine gewesen war.

Das Gespräch zwischen meiner Mutter und der Vorsitzenden wurde von Minute zu Minute hitziger.

"Wenn ihre Tochter sich weigert Debütantin zu sein, verlange ich eine großzügige Spende oder ihre andere Tochter Arabella wird auch ihres Platzes verwiesen. Bedenken sie was das für ihre Stellung in der hohen Gesellschaft bedeutet oder..."

Ich unterbrach sie einfach. Diese Frau war mir sowas von unsympathisch und er französisch Akzent machte das noch schlimmer. Versteht mich nicht falsch, ich habe nichts gegen fremde Wurzeln oder Menschen die eine andere Kultur haben. Aber diese Frau und wie sie meiner Mutter drohte, mit der Stimmlage, machte mich unglaublich wütend.

"Ich mache es."
Die beiden schwiegen augenblicklich und meine Mutter sah mich erstaunt an.

"Bist du dir sicher Liebes? Ich kann das regeln. Du musste nichts machen, was du nicht willst!"

Ich nickte ihr zu und auf Misses Cavierè bildete sich ein zufriedenes und erhabenes Lächeln.

"Ja ich bin sicher. Ich werde Debütantin. Da ich aber studiere, werde ich den ein oder anderen Termin versäumen."

Sofort verzog sich der Mund von Miss Cavierè in Ungunst zu einer schmalen Linie. Sie wollte etwas erwidern aber ich ließ sie erst gar nicht zu Wort kommen.

"Das werden sie doch verstehen. Schließlich ist die Bildung einer jungen Frau das Wichtigste und das wollen sie doch sicher nicht boykottieren!"

Sie öffnete wider ihren Mund.

"Ich denke damit hat meine Tochter alles gesagt. Einen guten Tag wünsche ich ihnen!"
Knurrte meine Mutter und Misses Cavierè schluckte einmal feste.

Wir ließen sie stehen und suchten unsere Familie auf dem Parkplatz.

Aufgrund von Ashley's Größe hatten wir sie schnell gefunden.

Er lehnte an seinem Truck mit Hillary. Fernando stand ebenfalls daneben an seinem Auto.

Als er mich sah, kam er sofort auf uns zu.

"Es tut mir so leid Kendall. Glaub mir, Arabella wird für ihr Handeln die Konsequenz tragen und ich habe ihr schon Bescheid gesagt. Das hat ein Nachspiel."

"Ich werde mitmachen."

Alle sahen mich mit großen Augen an.

"Wo ist Bella?"

"Sie sitzt im Auto."
Meinte mein Bruder und ich nickte ihm zu.

"Ich hätte gerne fünf Minuten mit ihr. Ginge das?"

Es wurde einstimmig genickt und sie entfernten sich ein ganzes Stück von den parkenden Wagen.

Ich ging an die Tür des weißen SUVS und öffnete die hinter Tür auf der Seite, wo Bella nicht saß.

Langsam stieg ich ein und setzte mich auf den freien Platz.

Sie hatte geweint, das konnte ich an den nassen Striemen in ihrem Gesicht sehen.

Sofort überfiel sie mich mit Entschuldigungen und fing wieder an zu weinen. Sie erklärte mir warum sie es getan hatte, das sie es mir die ganze Zeit sagen wollte und nicht wusste wie.

Da ich selber die letzte Zeit viel log und mich verstellte, konnte ich einige Argumente, die sie vorbrachte, durchaus verstehen.

Das änderte aber nichts an der Tatsache, das es falsch von ihr gewesen war.

"Ich würde nicht ehrlich sein, wenn ich nicht sagen würde, dass ich enttäuscht bin und auch verärgert. Du warst egoistisch und wolltest deinen Kopf durchsetzen und daran gibt es auch nichts schönzureden."

Bella senkte ihren Kopf und vermied es mich anzusehen.
Die großen Tränen rollten weiter über ihr zartes Gesicht.

"Aber ich weiß auch, das man manchmal Dummheiten macht und über das Ziel hinausschießt. Deswegen verzeihe ich dir aber nur unter einer Bedingung."

"Alles Kendall....ich mache alles!"
Hauchte sie.

"Du wirst dich nie wieder so in mein Leben einmischen und mein »Nein« akzeptieren. Außerdem wirst du immer, wenn ich komme mein Auto putzen und das gründlich, bis das alles vorbei ist. Und du hilfst mir bei all dem Debütantinnenkram."
Sie nickte mit großen Augen.

"Das mache ich, versprochen!"

"Aber das Wichtigste ist, das ich, möchte ist, dass du weiter für deine Träume einstehst und dich entscheidest das zu tun, was du willst, auch wenn es manchmal schwierig wird."

Ich spielte auf ihre Hobbys an und auf all das, was noch kommen würde.

In Bellas Augen sammelten sich wieder die Tränen.

"Schaffst du das alles?"

"Ja!"

Bella warf sich in meinem Arm und weinte leise weiter. Ich war mir sicher, dass sie das alles nicht mehr nur aus reinem Eigennutz gemacht hatte. Dennoch sollte sie lernen, das es wichtig war die Konsequenzen für sein Verhalten zu tragen.

Ich konnte nur hoffen, dass mich meine Lügen nicht doppelt so hart trafen, wie sie ihre....

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