3| Mutter als Schönheitskönigin

Ja genau so hatte ich mir das alles hier vorgestellt. Schönes großes frei stehendes Haus in der Vorstadt, weiß gestrichen mit blauen Fensterläden, einem Schotterweg und einem perfekt angelegten Vorgarten.
Vor der kleine Villa parkte ein weißer Mercedes aus den 80er, das Traumauto meiner Mutter.
Ashley hatte ein sanftes Lächeln auf dem Lippen, während ich unsicher auf die Einfahrt vor uns blickte.
"Jetzt schau nicht als hättest du nur Saures gegessen."
"Können wir nicht einfach umdrehen. Ich suche mir ein Hotel und fahre morgen mit dem Bus nach Seattle."
Ashley parkte seinen neuen Truck sicher auch von Mutters neuen Lover finanziert neben dem Eingang. Genau in dem Moment ging die Tür auf und meine Mutter warf die Arme in die Luft. Ihre viel zu hohe Stimme war bis ins Auto zu hören, auch wenn ich nicht verstand was sie da rief.
Sofort begann das stechende Pochen hinter meiner Stirn.
"Zu spät!"
Grinste Ashley.
"Na vielen Dank auch."
Ashley stieg aus und ich tat es ihm gleich. Was hatte ich auch für eine Wahl.
Mein Bruder begrüßte unsere Mutter, die ihm überschwänglich um den Hals fiel und das, obwohl sie sich jedes zweite Wochenende sahen.
Ich dagegen kümmerte mich erstmal um mein Gepäck und machte mich an dem Kofferraum von Ashleys Truck zu schaffen.
Aber auch um dieser ganzen Szene noch etwas mehr zu entgehen.
"Lass mich das machen Schwesterherz!"
Ash stand plötzlich neben mir und nahm mir meine Reisetasche ab, die er sich über die Schulter hängte.
"Oh mein kleines Mädchen."
Quietschte meine Mutter auf und breitete ihre Arme aus.
Sie druckte mich an ihren viel zu dünnen Körper und ich versuchte mein Bestes zu geben meine Abneigung nicht zu sehr zu zeigen.
Langsam hob ich einen Arm und tätschelte ihr den Oberrücken.
Sie ließ mich endlich los und musterte mich von oben bis unten. Ich tat das Gleiche bei ihr.
Ihre Haare waren dünner geworden und nach blondiert, ihr Gesicht hatte weniger Falten und sie trug noch immer diesen grässlichen pinken Lippenstift.
Ihr ganzes Outfit war weiß, was mich nicht wunderte. Sie hatte diese Farbe schon immer geliebt und fiel gerne auf.
Aus dem Augenwinkel vernahm ich eine große Gestalt. Als ich meinen Kopf weiter drehte und das Gequatsche meine Mutter ignorierte, sah ich einen Mann mit dunklen Haaren und einem dunkleren Teint im Alter meiner Mutter.
Das war er also.
Ein freundliches Lächeln lag auf seinen Lippen, als er sich uns nährte und ich behielt ihn ganz genau im Blick.
"Willkommen Kendall. Ich bin Fernando, der Mann deiner Mutter."
Er streckte mir die Hand entgegen und ich nahm sie aus Höflichkeit kurz an, ließ sie aber so schnell wie möglich los.
"Kendall du bist so erwachsen geworden. Lass dich mal richtig ansehen!"
Forderte mich meine Mutter mit Tränen in den Augen auf. Da ich aber wusste, dass sie für ihren Neuen hier eine Show auflegte, gab ich mir keine Mühe.
Drehte mich schnell um Kreis und sah sie kalt an.
"Haben alle die neue Kuh auf dem Markt bestaunt? Ja! Dann würde ich gerne sehen, wo ich meine Sachen für die eine Nacht parken kann."
"Kendall!!"
Zischte mein Bruder und meine Mutter sah mich entsetzt an.
Die scharfe Zunge hatte ich mit bei ihr abgeschaut, wenn ich sie brauchte und meinen schwarzen Humor mit dem Sarkasmus hatte ich von meinem Vater.
"Schatz ich denke Kendall ist ein wenig Müde vom Flug. Sie will sich sicher ausruhen."
Versuchte Fernando die Situation zu retten und legte ihr seine Hand auf die Schulter.
Bei genauerem Hinsehen erinnerte er mich an einen Mafia Boss aus Italien.
"Das ist eine gute Idee."
Meine Mutter räusperte sich und lief in Begleitung mit Fernando vor uns die Treppe hoch.
"Musste das sein?"
Fragte mich Ash vorwurfsvoll, aber ich zuckte nur mit den Schultern.
"Musstest du mich hier hinbringen?"
Ash rollte mir den Augen und schleppte schweigend mein Gepäck ins Haus. Dort stellte er es erstmal in den Flur.
Das Haus war noch größer als ich erwartet hatte.
Ich folgte allen ins Obergeschoss und meine Mutter öffnete zielstrebig eine weiße Tür am Ende des Flures.
"Das hier ist dein Zimmer."
Sagte meine Mutter stolz und ich trat vorsichtig in die neue Umgebung. Es war um einiges größer als mein Zimmer bei meinem Vater.
Ich wurde von neugierigen Augenpaaren gemustert, als ich mich umsah.
Das hier entsprach wie erwartet nicht meinem Geschmack, aber ich wollte nicht noch Öl ins Feuer gießen.
Alles war hell in warmen Tönen gehalten mit ein paar wenigen blauen Tupfern, wie die Gardinen und die Kissen auf dem großen Bett.
Dabei erklärte meine Mutter mir wo was war und was ich finden konnte. A das Zimmer grenzte sogar ein Badezimmer, dass ich mir mit Fernandos Tochter teilen musste, wenn wir beide hier waren.
Aber aus der Stimme meiner Mutter hörte ich heraus, das sie auch nicht oft hier sein konnte.
Ich ließ meinen Blick weiter durch das Zimmer gleiten als Fernando etwas sagte.
„Deine Mutter meinte, deine Lieblingsfarbe sei Blau. Wir hoffen, es gefällt dir."
Auch wenn er sich bemühte, konnte ich einfach nicht anders als erneut einen kühlen Kommentar abzugeben.
Als hätte Ash es vorher gesehen, gab er mir einen mahnenden Blick.
Doch es war zu spät.
„Eigentlich ist es „Grün" aber ich erwarte nicht, dass sie das wissen. Schließlich kennen sie mich nicht."
Ich sagte es zu Fernando, sah dabei meiner Mutter aber ins Gesicht und vermied es jegliches Gefühl in diese Antwort zu legen.
„Du kannst es umdekorieren, wenn du magst."
Die Stimme meiner Mutter war dünn, aber ich war zu stolz um das zu hören und zu verstehen,
dass nicht alles gespielt war. Aber die große glückliche Patchwork-Familie wollte ich einfach nicht geben.
„Ich denke, das wird nicht nötig sein. Dafür werde ich nicht oft hier sein."
Das hatte gesessen.
Meine Mutter schluchzte kurz auf, versuchte die Tränen zurückzuhalten und verabschiedete sich hastig. Fernando folgte ihr ohne ein weiteres Wort an mich.
Zurück blieb ich und Ash der mich wütend und verständnislos ansah.
„Was sollte das, Kendall? Sie gibt sich doch Mühe! Alles, was du von dir gibst, trieft vor Verachtung."
„Das liegt daran, dass ich sie verachte. Jetzt tut sie auf liebevolle Mutter aber vor drei Jahren da..."
Ich schluckte und zitterte vor Wut.
Es war eine dumme Idee, hier herzukommen. Nicht umsonst war ich bei Dad geblieben, und hatte sie drei Jahre nicht sehen wollen.
„Was ist vor drei Jahren passiert Kendall?"
Mein Bruder sprach ruhiger, hatte seinen Arm um meine Schulter gelegt.
Er wusste nur das sie mich sehr verletzt hatte, aber ich wollte nie einen Keil zwischen die beiden bringen. Er sollte frei selber entscheiden, mit wem er wie viel Kontakt haben wollte.
Außerdem konnte ich nicht davon ausgehen, dass er mich verstand.
„Lass uns mal deine Sachen hochholen und ich zeige dir noch mein Zimmer."
Ash ließ mich los und ignorierte gekonnt das angespannte Thema. Ich trotte ihm nach wie ein herrenloser Hund.
Meine Mutter informierte uns noch wann es Abendessen gab und ihre geröteten und geschwollen Augen entgingen mir dabei nicht.
Vielleicht sollte ich wirklich einen Gang zurückschalten. Mein schlechtes Gewissen meldete sich.
„Ich muss noch Dad anrufen."
Ließ ich Ash wissen und wollte mich aus seinem Zimmer in meines zurückziehen.
„Okay, dann bleib doch hier, dann kann ich auch direkt mal mit ihm reden."
„Nein vergiss es. Das wirst du schön selber machen. Das wäre doch zu einfach. Zeig du Dad mal, dass dir etwas an ihm liegt und mach es selber."
Ashley schob seine blonden buschigen Augenbrauen nach oben. Neben den hellblauen Augen sah er oft so unschuldig aus, aber nicht, wenn er verärgert oder zweifelnd schaute, so wie jetzt.
„Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Halt dich an deinen eigenen Rat."
„Das ist etwas komplett anderes."
Zischte ich.
Und es ging wieder los.
Die Scheidung unserer Eltern hatte auch unser Geschwisterband leiden lassen.
Nicht wegen der Distanz, sondern weil Ash immer zu Mum stand und ich zu Dad.
Ich ließ meinen Bruder stehen, ging erst in das falsche Zimmer, das leer war aber meinem sehr ähnlich. Das war wohl das Zimmer meiner neuen Stiefschwester.
Und fand dann endlich die richtige Tür.
Im Flur sah aber auch alles gleich aus.
Das hätte in dem süßen alten Haus meines Vaters nicht passieren können. Da roch es nach Holz, die Dielen knarzten und jede Tür im Haus war ein wenig anders.
Er hatte damals alles selber hergerichtet, als meine Mutter ungeplant mit Ash schwanger geworden war.
Er hatte ein schönes Zuhause gebaut für seine Familie und sie hatte alles kaputt gemacht, weil er ihr den Luxus nicht bieten konnte, den sie meinte zu verdienen.
Das waren ihre Worte gewesen, nachdem ich mich vom Eiskunstlauf abgemeldet hatte.
Derselbe Tag, an dem sie mir eröffnete, das sie Minnesota verließ und nach Portland ging.
Dort hatte sie noch eine Freundin und wollte von vorne anfangen.
Tränen brannten in meinen Augenwinkeln. Den Gesichtsausdruck meines Vaters zu sehen, wie sie ihm anschließend dieselben Worte an den Kopf pfefferte, werde ich wohl nie vergessen.
Ich riss mich zusammen, wählte die Nummer meines Vaters und war überglücklich endlich seine ruhige tiefe Stimme zu hören.
Er fehlte mir jetzt noch mehr und ich bezweifelte gerade meine Entscheidung ihn verlassen zu haben.
„Da ist ja mein Mädchen!"
„Du fehltest mir so sehr Dad."
Hauchte ich leise und spürte den Klos in meinem Hals.
„Ist was passiert?"
„Nein, alles gut. Ich habe nur Heimweh."
Mein Vater und ich redeten eine ganze Weile, bevor ich von Ashley zum Abendessen gerufen wurde.
Er fragte mich nicht nach Mum oder ihrem Leben hier. Er wusste, dass ich nicht darüber reden wollte und dafür hatte er ja auch meinen Bruder.
„Es gibt Essen. Ich melde mich einen anderen Tag nochmal, nachdem die Uni angefangen hat."
"Mach das Liebling. Bestell liebe Grüße an deinen Bruder und bis bald."
Dad legte auf.
Mir war nur nach weinen zumute und trotzdem musste ich jetzt darunter und heile Welt spielen.
Mein Bruder wartete auf mich, hatte seine Stirn in Falten gelegt aber verkniff sich jedes Wort.
Ich jedoch nicht.
"Viele Grüße von Dad! Er sieht alle deine Spiele im Fernseher."
Richtete ich ihm aus und quetschte mich an ihm vorbei.

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