25| Überraschungsbesuch
"Schwester?"
Wiederholte ich perplex und hatte das Gefühl völlig verarscht zu werden von Vance.
Mein Kopf lief hochrot an und ich war kurz davor auszurasten.
Wie konnte er sich so einen schlechten Scherz erlauben, wenn er es doch wusste.
Ich wollte ihm gerade so richtig den Marsch blasen, wenn ich schon unterging, dann mit Pauken und Trompeten. Doch da schob er noch etwas hinterher.
"Ja deine kleine Schwester. Ich glaube, sie sagte sie heißt Bella. Sie steht vor der Tür."
"Arabella."
Sagte ich laut und mein Herz rutschte mir in die Hose. Das hieß nichts Gutes.
Vance sah mich irritiert an und ich quetschte mich an ihm vorbei.
"Danke."
Presste ich heraus.
Die beiden folgten mir und ich warf mir einen frischen Pullover über und stieg in meine Jogginghose.
Was wollte Bell hier?
Wusste sie von meinem Theater?
Hatte sie etwas verraten?
Ich sah mich gehetzt um und begegnete dem Blick von Vance der mich musterte, als ich alles in meine Sporttasche schmiss.
"Danke Mann."
Ich reichte ihm meine Hand und er zögerte kurz. Doch dann schlug er ein und ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen.
Nick zwinkerte mir verschwörerisch zu.
Vance hatte keinen blassen Schimmer. Das stand fest.
Ich schwang mir meine Sporttasche über die Schulter und war bereit zu gehen, doch er lief mir nach.
"Jo Hutson."
Ich blieb nochmal stehen und drehte mich um.
"Wenn was mit deiner Familie ist und du brauchst Zeit...ich kann dich beim Coach entschuldigen. Familie geht vor."
Ich nickte ihm dankend zu und lächelte ihn an.
Das war das erste Mal, das Vance so etwas wie Mitgefühl und Nettigkeit zeigte.
"Danke. Ich melde mich."
Ich verließ durch die Tür unsere Umkleideräume und brauchte nicht lange nach ihr suchen. Bell stand gegenüber der Tür mit geröteten Augen.
Sofort stürzte sie sich in meine Arme und ich drückte sie an meine Brust.
Es war etwas passiert, das spürte ich gleich.
Doch erst musste ich hier weg, damit wir klar und offen reden konnten.
„Keine Fragen, komm mit."
Presste ich hervor und nahm meine Stiefschwester an die Hand. Ich zog sie quer über den Parkplatz bis zu meinem Auto und platzierte ich sie auf den Beifahrersitz.
Mit ihren großen Augen beobachtete sie jede meiner Bewegungen.
Ich parkte rückwärts aus, schaltete in den ersten Gang und beschleunigte das Ganze, indem ich auf das Gas drückte um zur Straße zu kommen.
Während der Fahrt riss ich mir die Perücke vom Kopf und klebte die Koteletten an die Innenseite, der Haarhaube. Das ganze landete mit einer Bewegung auf dem Rücksitz.
Bell hatte mich bis jetzt nur angestarrt und kein Wort gesagt.
„Bevor du gleich einen Herzinfarkt kriegst. Ja, ich bin als Junge verkleidet und ja so gut wie keiner weiß davon. Was auch so bleiben muss!"
Betonte ich.
Bella ließ ihre angestaute Luft mit einem langen Seufzer entweichen.
„Wieso?"
Jetzt war ich es die leise aufstöhnte.
„Das erkläre ich dir gerne gleich alles im Wohnheim. Das Wichtigste zuerst: Warum bist du hier?"
Ich schenkte meiner Schwester einen kurzen sorgenvollen Blick. Sofort begannen sich Tränen in ihren Augenwinkeln zu bilden.
„Ich habe mich sehr doll mit meinem Vater gestritten und anschließend auch noch mit meiner Mutter."
Zuerst stellte sich eine innere Erleichterung bei mir ein. Eltern stritten sich mit ihren Kindern, das kannte ich nur allzu gut. Ich dachte erst sie sei körperlich verletzt.
Bell schniefte auf.
Eine dicke Träne rollte ihr die Wange herunter und ich suchte im Seitenfach der Autotür nach meinen Taschentüchern.
Als ich das Paket endlich fand, überreichte ich es ihr.
Sie tat mir leid. Sofort traten mir Streitszenen von mir und meiner Mutter vor die Augen.
Genau so hatten sie auch immer für mich geendet, weinend und verletzt.
„Weiß dein Vater, dass du bei mir bist?"
Bella schüttelte den Kopf und knetete angestrengt ihre Finger.
„Bell, das geht nicht. Er macht sich bestimmt richtig Sorgen. Du kannst doch nicht einfach weglaufen. Wie bist du überhaupt hier hergekommen?"
„Mit dem Bus, so wie du!"
Was für eine dumme Frage. Natürlich hatte sie den Bus gefunden.
„Und wie hast du mich so schnell gefunden?"
„Ich bin direkt zur Eishalle gelaufen und habe mich dort durchgefragt und dann bin ich Maverick in die Arme gelaufen. Er war sehr nett. Hat mich sofort gefragt, wen ich suche."
„Was hast du gesagt?"
„Ich habe gesagt, das ich meine Schwester suche."
Mein Herzschlag beschleunigte sich und meine Brust wurde eng.
„Er fragte nach deinem Namen und ich sagte Kandy Hutson."
Ich atmete erleichtert aus. Bell war es zum Glück gewohnt, mich von Anfang an Kandy zu nennen, wie Ash.
„Er sagte, er wüsste nicht, wo du bist, aber mein Bruder Kendall. Natürlich wusste ich gleich, dass etwas nicht stimmt und ich hielt meine Klappe."
Sie warf mir einen wissenden Blick zu.
„Wie ich sehe, war das wichtig, dass ich nichts gesagt habe. Und na ja, jetzt bin ich hier und frage mich, warum zur Hölle du als Mann verkleidet bist!"
Bella kreuzte die Arme vor der Brust und musterte mich kritisch. Ich kaute dagegen nervös auf meine Unterlippe.
„Ich verspreche dir, ich kläre dich gleich über alles auf. Aber zuerst gehen wir in meine Wohnung und wir rufen deinen Vater an."
Bell seufzte auf.
„Na gut."
Ich parkte auf dem Parkplatz vor den Wohnheimen und wir beide beeilten uns in mein Zimmer zu kommen.
**
„Ihr geht es gut. Ja...ja, das kann ich machen. Macht euch keine Sorgen. Sie kann die Nacht hier bei mir bleiben.
Nein, das ist heute zu spät. Ja, das kann ich ihr sagen. Okay, ich spreche mit ihr und morgen melde ich mich nochmal bei euch. In Ordnung. Ja, ähhh kein Problem. Tschüss!"
Ich legte auf und Bell hatte mich die ganze Zeit mit ihren großen runden braunen Augen angesehen.
Ich seufzte leise.
„Du darfst heute hier bleiben."
Sie jubelte auf und reckte eine Faust in die Luft.
„Aber..."
Unterbrach ich ihren kleinen Freudentanz, den sie gerade vollführte.
„Morgen musst du wieder nach Hause."
Sie stöhnte auf und begann zu schmollen.
„Ich will aber nicht!"
„Bell wie stellst du dir das vor? Du hast Schule und ich muss zur Uni."
„Meine Noten sind sehr gut und ich kann es mir leisten ein paar Tage zu fehlen. Und ich kann doch hier bleiben, wenn du zu deinen Vorlesungen gehst."
Ich setzte mich neben sie auf das Sofa in unserer Wohnung. Es war gut das Lary nicht da war. So konnte ich sie frei alles fragen.
„Magst du mir erzählen, was passiert ist?"
Zu meiner Überraschung rückte sie gleich mit der Sprache heraus und überschlug sich fast.
„Ich habe nach einem neuen Hobby gesucht neben der Schule. Als wir am Skatepark Eis essen waren, habe ich mir überlegt das auszuprobieren..."
Ich schmunzelte, weil ich mir gedacht hatte, dass sie Skateboard fahren interessant fand.
„Na ja, ich bin da wieder hin. Die Leute da sind ziemlich cool und ein Junge Levi hat mir alles gezeigt und ich durfte mit seinem Skateboard fahren..."
Sie machte eine dramatische Pause.
„Ich habe wie immer alles begeistert Dad erzählt und ihm gefiel das nicht. Mum will das ich wieder mit dem Ballett anfange, aber das will ich nicht. Aber meine Eltern verstehen das nicht. Da bin ich richtig sauer geworden und habe meinen Vater angeschrien. Vielleicht habe ich auch Sachen gesagt, die ich jetzt bereue.
Und dann wollte ich nur noch weg und habe den letzten Bus zu dir genommen.
Ich musste wirklich vermeiden zu lachen, aber wie sie sich aufregte war einfach sehr süß.
Doch nach ihrem Blick zu urteilen, war das auch noch nicht alles.
„Was ist noch passiert?"
Sie seufzte auf und rieb sich die Stirn.
„Dad interessiert sich nur dafür das ich diesen Debütantinnenball mache. Aber ich will das nicht ohne dich machen..."
„Und da dachtest du dir, das..."
„...das ich nochmal zu dir fahre und mit dir darüber rede..."
Wurde ihre Stimme immer leiser.
„Bell..."
Seufzte ich auf.
„Ich habe keine Zeit neben Lernen und Training. Meine Zeit ist wirklich knapp und das käme dann auch noch obendrauf."
„Das ist gar nicht so viel, wie du glaubst."
Versuchte sie weiter und sah mich hoffnungsvoll an.
Ich wollte gerade weiter dagegen argumentieren.
Als sie alles aufzählte was dazu gehörte.
„Es geht nur an den Wochenenden und nicht jedes Wochenende, dabei ist es meistens nur der Sonntag und ab und zu auch nochmal ein Samstag. Das ganze dauerte eh nur zwei Monate und wenn es mit deinen Spielen kollidiert, kannst du ja schwänzen und ich erkläre dir alles, was an dem Tag passiert ist und wichtig war.
Am Ende ist nur noch der Ball..."
Gequält und überfordert entließ ich in einem Atemzug die ganze überflüssige Luft in meinen Lungen.
„Darf ich darüber nachdenken?"
„Klar, wenn du mir endlich erzählst, warum du als Junge verkleidet warst und das alle glauben..."
Ich nickte, da ich eh keine andere Wahl hatte. Also begann ich von vorne meiner kleinen Schwester alles zu erzählen. Ihr Gesicht durchlief verschiedene Emotionen aber sie hörte geduldig bis zum Ende zu.
„Und was willst du jetzt machen?"
„Ganz ehrlich Bell, ich weiß es nicht und vorerst muss ich die Fassade aufrechterhalten. Das heißt auch, dass weder Ashley, noch Mum, mein oder dein Vater etwas davon mitbekommen dürfen. Okay?"
„Geht klar. Ich schweige wie ein Grab. Aber Ashley sagen wir mal, er hat sich schon sehr gewundert, dass du ihn zu deinem Spiel ausgeladen hast..."
Bell verzog das Gesicht.
„Was hat er gesagt?"
Fragte ich nervös und meine Augen überflogen ihr Gesicht.
„Er hat glaube, ich mitbekommen, dass du gespielt hast..."
„Shit!"
Fluchte ich auf und hielt mir gleich wieder die Hand vor den Mund. Ich sollte nicht vor Bell fluchen, die sicher eine ganz andere Erziehung genossen hatte als ich.
Arabella kicherte und sah mich mit funkelnden Augen an.
„Keine Sorge. Jetzt wo ich es weiß, kann ich dir denn Rücken frei halten."
Das hatte Nick auch gesagt. Vielleicht war es doch nicht so schlecht, wenn es ein paar Personen wussten.
Bell rückte näher und legte vorsichtig ihre Hand auf meine.
„Mir gefällt es das wir zwei ein Geheimnis haben, unter uns als Schwestern."
Ich musste schmunzeln. Sie hatte recht und es war wirklich absolut niedlich, wie sie immer das Wort „Schwester" betonte.
Die Tür ging auf und Hillary kam herein, vollbepackt vom Einkaufen, ihr Gesicht rot vor Anstrengung und schnaufend.
„Ihr wisst nicht, wen ich getroffen habe?"
Bell und ich standen auf, um ihr zu helfen. Ich war gespannt, was meine Freundin zu berichten hatte, denn das Glitzern in ihren Augen machte mich sehr neugierig...
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