2: NCT DREAM

8.393

Es war eine kalte, neblige Nacht, als der geheimnisvolle Wanderer die kleine, verschlafene Stadt betrat. Der Nebel kroch durch die Gassen und hüllte die Häuser in ein gespenstisches Grau. Kein Mensch war zu sehen, nur das leise Knarren der Türen im Wind und das entfernte Rauschen eines Flusses, der die Stadt durchzog. Der Wanderer hatte seinen langen Mantel fest um sich gezogen, sein Gesicht verborgen, doch seine Augen, die blitzartig durch den Nebel zu schimmern schienen, verrieten, dass er ein Ziel verfolgte. Irgendwo hier musste etwas verborgen sein, etwas von großer Bedeutung.

Er hielt kurz inne, als er die erste Straße betrat, die zum alten Stadtturm führte. Die Geschichte besagte, dass der Turm vor vielen Jahren niedergebrannt war, doch niemand hatte je die Trümmer untersucht, aus Angst vor dem, was sie dort finden könnten. Der Wanderer wusste es besser.

Er hatte gehört, dass in den Ruinen eine Karte versteckt sein sollte – eine Karte, die zu einem längst vergessenen Schatz führte.

Leise schlich der junge Wanderer weiter durch die Straßen und steuerte den alten Stadtturm an. Jeno war leise wie der Wind und unsichtbar wie der Schatten. Zumindest dachte er das.

Doch als er den schmalen Pfad entlangging, der zum Turm führte, hörte er plötzlich ein leises Rascheln hinter sich. Sofort erstarrte er und hielt den Atem an. War er wirklich allein? Oder hatte jemand seine Schritte bemerkt?

Langsam drehte er sich um und spähten in die Dunkelheit, die sich wie ein undurchdringlicher Vorhang über die Stadt gelegt hatte. Nichts. Kein Laut, kein Zeichen von Bewegung. Er schüttelte den Kopf und versuchte, die Nervosität abzuschütteln. Vielleicht war es nur der Wind, der durch die alten, verlassenen Häuser strich.

Er setzte seinen Weg fort, der Turm rückte näher. Die einst stattlichen Mauern des Turms waren inzwischen von Moos und Ranken überwuchert, und nur noch die Umrisse des ehemaligen Gebäudes waren zu erkennen. Was genau hatte er hier erwartet zu finden? Etwas, das längst von der Zeit verschlungen worden war?

Ein leises Knarren der Turmtür, die sich im Wind bewegte, brachte ihn aus seinen Gedanken. Ohne zu zögern trat er näher. Doch bevor er die Tür erreichen konnte, hörte er plötzlich ein leises, aber eindeutig menschliches Husten. Jeno hielt den Atem an.

Nun war er sicher: Er war nicht allein.

Was nun?

Ruhig legte er die Hand an seinen unter dem Mantel versteckten Dolch, welchen er als Sicherheitsmaßnahme immer mit sich führte, wenn er alleine unterwegs war. Vor allem zu so später Stunde.

Langsam drehte er sich mit einem leeren Ausdruck im Gesicht um und fragte in die Dunkelheit: „Wer ist da?" Keine Antwort. Jeno jedoch sah wie sich ein dunkler Schatten hinter einem der Häuser versteckte. „Zeig dich!", befahl er.

Langsam kam der junge Mann dann hinter dem Haus vor und ging zögerlich auf den unerschrockenen, gefühllosen Wanderer zu.

„Du bist kein normaler Wanderer. Das dachte ich mir schon.", lächelte der Junge süß. „Ich bin Jisung.", stellte er sich freundlich vor.

Als Jeno bemerkte, dass von dem Jungen keine Gefahr ausgehen würde, ließ er gänzlich von seinem Dolch ab und sprach: „Geh schlafen, Junge."

Doch Jisung schüttelte den Kopf, ein wissendes Lächeln spielte auf seinen Lippen. „Schlafen?" Er trat einen Schritt näher, als wolle er ein Geheimnis teilen. „Du weißt doch, dass hier niemand mehr schläft, oder? Nicht nach all den Geschichten über den Turm."

Jeno blinzelte, überrascht von der Bemerkung des Jungen. „Was meinst du?"

„Der Turm..." Jisung sah sich vorsichtig um, als wolle er sicherstellen, dass niemand lauschte. „Er hat eine Geschichte. Eine sehr alte Geschichte. Eine, die sich niemand mehr zu erzählen wagt. Sie sagen, dass der Turm nicht nur ein Turm ist. Er birgt ein Geheimnis, das selbst die ältesten Bücher nicht zu erklären wissen."

Jeno musterte den Jungen einen Moment lang, seine Stirn legte sich in Falten. Der Junge wirkte seltsam entschlossen, als wäre er nicht nur ein neugieriger Streuner, sondern jemand, der mehr wusste, als er zugab. „Was für ein Geheimnis?"

Jisung zuckte mit den Schultern, doch das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. „Das ist genau das, was du herausfinden musst." Seine Stimme war nun ernster. „Ich habe schon oft gehört, wie die Alten von einer Karte sprachen. Eine Karte, die den Weg zu etwas zeigt, das nicht nur Gold und Reichtum verspricht. Aber... die, die es wagten, nach ihr zu suchen, kehrten nie zurück."

Jeno betrachtete den Jungen nachdenklich. „Und du denkst, ich bin der Nächste, der es versuchen wird?"

„Vielleicht", sagte Jisung, seine Augen blitzten geheimnisvoll. „Oder vielleicht bist du der Einzige, der es kann."

Ein Moment der Stille lag zwischen den beiden. Der Wind wehte erneut durch die Gassen, als Jeno entschied, dass es keinen Sinn hatte, weiter zu zögern.

„Komm mit mir", sagte er schließlich. „Wenn du mehr weißt, dann ist es besser, wir gehen zusammen."

Jisung nickte, ein Funkeln der Aufregung in seinen Augen. „Ich wusste, dass du es verstehen würdest."

Gemeinsam gingen sie auf den Turm zu, jeder von ihnen von einem geheimen Ziel angetrieben, das tiefer lag, als es zunächst schien.

Als sie am Turm ankamen, legte Jeno sein Ohr an die Tür, als wolle er überprüfen, dass er wirklich leer stand. Ein paar Sekunden verharrte er so, ehe er den Türknauf in seine Hand nahm, ihn drehte und die Tür öffnen wollte, doch nichts geschah. Sie blieb verschlossen. Überrascht versuchte Jeno es noch einmal, doch der Erfolg blieb aus.

„Lass mich mal.", sprach Jisung und schubste den Älteren von der Tür weg, der deshalb zurück stolperte. Auch Jisung versuchte sein Glück.

Mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck packte Jisung den Türknauf und zog mit aller Kraft daran, doch auch er konnte die Tür nicht öffnen. Frustriert trat er einen Schritt zurück, betrachtete den massiven Eingang und rieb sich nachdenklich das Kinn.

„Vielleicht... ist es nicht einfach nur eine Tür?", murmelte er mehr zu sich selbst als zu Jeno.

Jeno, der sich inzwischen wieder gefangen hatte und Jisungs selbstbewusste Aktion mit verschränkten Armen beobachtet hatte, schüttelte den Kopf. „Was soll das heißen? Entweder ist eine Tür verschlossen oder nicht. Wenn wir sie nicht aufkriegen, gehen wir eben außen herum."

Jisung schmunzelte, seine Augen glänzten vor Aufregung. „Ach, Jeno. Du denkst zu einfach. Schau dir die Gravuren an."

Jeno trat näher und betrachtete die Tür genauer. Tatsächlich: In das alte, verwitterte Holz waren feine Muster geschnitzt. Es waren keine gewöhnlichen Ornamente, sondern Symbole – verschlungene Linien und Kreise, die sich in einer merkwürdigen Harmonie verbanden. Er hatte sie vorhin übersehen, weil die Schatten des Nebels sie verborgen hatten.

„Und? Was bedeuten sie?", fragte Jeno mit skeptischem Blick.

Jisung zog ein kleines Notizbuch aus seiner Tasche, blätterte hektisch darin herum und hielt es schließlich triumphierend hoch. „Das hier! Ich habe das schon einmal gesehen. Es ist ein Rätsel! Diese Tür öffnet sich nur, wenn man den richtigen Satz sagt."

„Einen Satz?" Jeno hob eine Augenbraue. „Und woher soll ich wissen, welcher das ist?"

Jisung grinste, als ob er sich schon auf diese Frage gefreut hätte. „Ich weiß es nicht. Noch nicht. Aber ich habe eine Idee." Er deutete auf die Gravuren. „Manchmal verstecken sich Hinweise in solchen Symbolen. Du musst sie nur lesen."

Jeno kniff die Augen zusammen, sein Blick wanderte über die Tür. Tatsächlich schien es, als würden einige der Symbole wie Buchstaben aussehen, doch in einer Sprache, die er nicht kannte. „Das dauert zu lange", sagte er ungeduldig. „Hast du nicht noch so einen Trick in deinem Buch, um die Tür zu knacken?"

Jisung lachte leise, während er weiter die Gravuren studierte. „Geduld, mein Freund. Manchmal gibt es keine Abkürzungen. Aber..." Seine Finger fuhren über die Muster, bis er plötzlich inne hielt. „Hier! Das ist ein Name. Vielleicht ein Schlüsselwort."

„Ein Name?" Jeno trat näher. „Welcher?"

Jisung lächelte triumphierend. „Ich wette, wenn ich den Namen laut sage, öffnet sich die Tür. Und wenn nicht... tja, dann kannst du mir die Schuld geben."

Ohne auf eine Antwort zu warten, atmete Jisung tief ein und sprach den Namen klar und deutlich aus. „Aethernis!"

Ein Knarren durchbrach die Stille der Nacht, gefolgt von einem tiefen, hallenden Grollen, als sich die Tür langsam zu öffnen begann. Jisung drehte sich mit einem breiten Grinsen zu Jeno um. „Siehst du? Manchmal braucht es nur ein bisschen Köpfchen."

Jeno schnaubte leise, sagte aber nichts. Gemeinsam traten sie durch die geöffnete Tür in die düsteren Schatten des Turms.

Doch der Name, den Jisung aussprach, ließ Jeno keine Ruhe. Irgendwo hatte er ihn schon mal gehört, er war sich nur nicht mehr sicher, wann und wo. „Aethernis", wiederholte Jeno in seinen Gedanken, als er mit Jisung die abgefackelte Ruine betrat. Doch schnell schüttelte er sich einmal durch. Er brauchte einen klaren Kopf. Er musste überlegen, wo in diesem alten Gemäuer die Karte versteckt sein konnte.

„Und, Jeno? Wo ist die verschollene Karte?", fragte Jisung und klatschte dabei aufgeregt in seine Hände. Er war aufgeregt, endlich ein eigenes, richtiges Abenteuer zu erleben. Bislang hatte er immer nur von ihnen gelesen, doch jetzt steckte er endlich selbst in einem.

„Woher kennst du eigentlich meinen Namen? Ich habe mich dir nie vorgestellt.", entgegnete Jeno skeptisch. „Und was ist das für ein Buch, dass dir den geheimen Mechanismus zur Öffnung der Tür verraten hat?"

Jisung blieb mitten in der Bewegung stehen, als hätte ihn Jenos Frage völlig aus dem Konzept gebracht. Für einen kurzen Moment flackerte etwas in seinen Augen – Nervosität, vielleicht auch Erstaunen. Doch dann setzte er wieder sein gewohntes Lächeln auf, wenn auch ein wenig gezwungen.

„Dein Name? Ach, das war..." Er kratzte sich am Hinterkopf und lachte nervös. „Ich hab' ihn einfach geraten! Du siehst aus wie ein Jeno, weißt du? Passt irgendwie."

Jeno verschränkte die Arme und musterte ihn mit einem finsteren Blick. „Und das Buch?"

Jisung hob das kleine Notizbuch in die Luft und klappte es auf. Die Seiten waren vollgekritzelt mit Zeichnungen, Symbolen und wirren Notizen, die auf den ersten Blick kaum Sinn ergaben. „Das? Oh, das ist einfach so ein Hobby von mir. Ich sammle Geschichten, Rätsel, Geheimnisse – du weißt schon, alte Legenden und sowas. Ich bin eben ein... sagen wir mal, ein Geschichtensammler."

Jeno ließ seinen Blick über die Ruinen schweifen und sagte nichts. Seine Skepsis war unverkennbar, doch er beschloss, das Thema vorerst ruhen zu lassen. Es gab Wichtigeres zu tun, als sich auf Jisungs Rätselspiele einzulassen. „Gut. Wenn du schon so viel Ahnung hast, wo fangen wir an?"

Jisung deutete auf eine Wendeltreppe, die einst majestätisch aus der Mitte des Turms emporgeführt haben musste, jetzt aber halb eingestürzt war. „Legenden zufolge soll die Karte in einem Versteck irgendwo oben im Turm sein. Vielleicht in der alten Bibliothek. Wenn die nicht komplett niedergebrannt ist, könnten wir da fündig werden."

„Wenn", wiederholte Jeno trocken. Er zögerte, dann machte er sich auf den Weg zur Treppe. Jisung folgte ihm mit einem schiefen Grinsen.

Die Stufen knackten unter ihren Füßen, und der Staub der vergangenen Jahrzehnte wirbelte in der kalten Luft auf. Jeno ging vorsichtig, jeder Schritt bedacht. Er hatte das Gefühl, dass jede falsche Bewegung die Treppe zum Einsturz bringen könnte. Doch es war nicht nur die morsche Architektur, die ihn wachsam machte. Irgendetwas fühlte sich falsch an. Der Name „Aethernis" klang immer noch in seinen Gedanken nach, wie ein Echo, das nicht verstummen wollte.

Als sie die obere Etage erreichten, fanden sie sich in einem weiten Raum wieder. Die Wände waren schwarz vor Ruß, Regale lagen umgestürzt am Boden, und alte Bücher, längst zu Asche zerfallen, bedeckten den Boden. Doch inmitten dieses Chaos stand etwas, das die beiden Wanderer sofort in den Bann zog.

Eine steinerne Säule, makellos und unversehrt, ragte aus den Trümmern hervor. Auf ihrer Oberfläche waren Symbole eingraviert, die dieselbe verschlungene Sprache zeigten wie die Gravuren an der Tür.

Jisung ging sofort darauf zu, seine Augen leuchteten vor Begeisterung. „Das muss es sein! Sieh dir das an, Jeno! Es ist ein Hinweis!"

Doch Jeno blieb am Eingang des Raumes stehen. Sein Blick wanderte unruhig umher, suchte die Schatten ab, die die flackernden Lichtstrahlen des Mondes bildeten. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie nicht allein waren.

„Mach langsam, Jisung", murmelte er, die Hand instinktiv wieder an seinen Dolch legend. „Irgendwas stimmt hier nicht."

Doch Jisung, aufgeregt wie er war, nahm die Worte des Älteren gar nicht richtig war und wollte seine Hand gerade an die Gravuren legen und diese mit seinen Fingerspitzen gerade nach fahren, als plötzlich zwei Gestalten aus dem Schatten auf ihn zu geeilt kamen und ihn grob von der Säule weg zerrten.

„Hey, was soll das? Und wer seid ihr?", beschwerte sich der Junge, während Jeno sich schlagartig und wie aus einem Reflex heraus hinter einem der Bücherregale, nahe des Einganges versteckte und die Szene erstmal beobachtete.

„Lasst gefälligst eure dreckigen Finger von unserem Heiligtum!", ertönte eine Stimme eines dritten Unbekannten, die Jeno überraschend bekannt vorkam. Er kniff seine Augen zusammen, in der Hoffnung die Person besser sehen zu können, doch es war einfach zu dunkel. Er konnte nur schemenhaft die Gesichtszüge erkennen.

Kurz schnippte der Neuankömmling mit seinen Fingern, woraufhin noch zwei Personen auftauchten, die zielgerichtet auf Jeno zu gingen und ihn ebenso grob in die Mitte des Raumes zu Jisung zogen.

Die vier Unbekannten zwangen Jisung und Jeno dazu, vor ihrem Anführer auf die Knie zu gehen, indem sie ihnen nicht gerade sachte in die Kniekehlen traten und sie zeitgleich an ihren Schultern nach unten drückten.

Daraufhin kam der Anführer ebenso vor Jisung und Jeno ins Licht und nahm seine Kapuze von seinem Kopf, sodass Jeno nun auch endlich das Gesicht deutlich sehen konnte. Glauben, konnte er es dennoch nicht.

„Mark?", entfiel Jeno enttäuscht und erleichtert zugleich.

„Was ist nur aus meinem alten Freund geworden, dass er sich lieber einer Sekte anschließt, anstatt zu mir zurückzukommen, wo ich doch so lange sehnsüchtigst und voller Sorge auf seine Rückkehr gewartet habe?", dachte sich Jeno.

Mark sah Jeno lange an, als dieser seinen Namen aussprach, und für einen Moment schien es, als würde er in eine andere Welt abtauchen. Seine Augen wurden für einen Augenblick weich, doch dann verschwand der Ausdruck genauso schnell, wie er gekommen war. Ein leises Lächeln formte sich auf Marks Lippen – doch es war kein freundliches Lächeln. Es war ein Lächeln voller Bitterkeit.

„Du", sagte Mark schließlich, seine Stimme tief und durchzogen von Enttäuschung. „Du bist es also, der hier auftaucht. Der Mann, der sich von allem abgewandt hat, was wir aufgebaut haben. Glaubst du wirklich, du kannst uns einfach so verlassen und dann zurückkehren, als wäre nichts passiert?" Seine Hand fuhren über den Rand seines Umhangs, und plötzlich blitzte etwas Helles auf – ein schimmerndes Symbol, das Jeno nur allzu gut kannte: der Ring des Ordens, der vor Jahren zerbrach.

„Du hast dich also wirklich von allem abgewandt", wiederholte Mark. „Von uns. Von Aethernis. Und jetzt? Du willst einfach nur nach der Karte greifen, um deinen eigenen Plan zu verfolgen? Denkst du, ich habe all diese Jahre für nichts gekämpft?"

Jeno spürte, wie sich der Knoten in seinem Magen fester zog. Es war ein Gespräch, das er nie führen wollte, mit einem Freund, den er niemals als Feind sehen wollte. Mark, der einst wie ein Bruder für ihn gewesen war, war nun Teil dieser geheimen Bruderschaft, die den Turm und die Karte verehrte – und anscheinend auch alles andere, was mit Aethernis zu tun hatte.

„Was hast du aus dir gemacht, Mark?" fragte Jeno, seine Stimme schärfer als erwartet. „Aethernis? Du hast dich einer Sekte angeschlossen und folgst nun einem Bild des Wahnsinns, während du alles, was du früher für wichtig gehalten hast, vergessen hast?"

Mark lachte kurz, doch es war ein leises, fast bitteres Lachen. „Vergessen? Du hast keine Ahnung, Jeno. Du hast nie verstanden, was hinter diesem Geheimnis steckt. Du hast den Orden verlassen, als er dich am meisten gebraucht hat. Und jetzt versuchst du, wieder hineinzukommen? Nein. Es ist zu spät. Aethernis wird nicht durch deine Fehler und deine Schwächen fallen."

Jeno fühlte, wie sich der Zorn in ihm aufstaute, doch er versuchte, ruhig zu bleiben. „Du bist ein Narr, Mark. Dieser Orden wird alles zerstören, was er berührt. Genauso wie du alles zerstört hast. Und die Karte? Was ist mit ihr? Du weißt genauso gut wie ich, dass sie niemals etwas Gutes bringen wird."

Mark trat einen Schritt näher. „Ich habe gelernt, was wirklich wichtig ist, Jeno. Du solltest dich endlich damit abfinden, dass du in einer Welt lebst, in der du nichts mehr kontrollieren kannst. Aethernis wird uns zu der Macht führen, die wir verdienen – und du wirst uns dabei nicht aufhalten."

„Du bist blind", murmelte Jeno, als er langsam aufstand. Doch bevor er sich weiter äußern konnte, trat einer der Männer, die ihm zuvor fest in die Kniekehlen getreten waren, vor und ergriff ihn bei den Armen. „Glaub nicht, du könntest einfach so abhauen, Jeno. Mark hat recht – du bist jetzt Teil der Geschichte, genauso wie wir."

Jisung, der in der Zwischenzeit die ganze Szene mit wachsendem Entsetzen verfolgt hatte, versuchte sich zu befreien, doch auch er wurde von den anderen festgehalten. Seine Augen flackerten zwischen Jeno und Mark hin und her, doch er wagte nichts zu sagen.

„Was wird mit uns passieren?", fragte er schließlich, als er merkte, dass der Raum sich zu verdunkeln schien, als die Dunkelheit selbst die Wände des Turms zu verschlingen begann.

Mark betrachtete Jisung kurz, als ob er ihn erst jetzt wahrnahm. „Du? Du bist nur ein Zufall. Du wirst uns nicht im Weg stehen." Dann wandte er sich wieder Jeno zu. „Du und ich, Jeno, wir haben eine lange Geschichte zusammen. Aber du musst verstehen, dass wir jetzt auf unterschiedlichen Seiten stehen. Und die Seite, die du gewählt hast, führt direkt in den Abgrund."

Ein unheimliches Knistern lag in der Luft, und der Raum schien sich mit einer bedrohlichen Energie zu füllen, als Jeno spürte, wie der alte Schmerz und die alte Wut in ihm wieder aufbrachen. Der Turm war mehr als nur ein Ort der Erinnerung – er war der Ort, an dem das, was sie einst zusammen waren, jetzt endgültig zerbrechen würde.

„ICH habe mich für die Seite entschieden, die in den Abgrund führt?", sprach Jeno fassungslos, als sich begannen vor Wut und Trauer Tränen in seinen Augen zu bilden.

Er war überrascht, dass er nach all den Jahren wieder richtige Emotionen spüren konnte. Als Mark damals verschwand, verschwand ein Teil von Jeno mit ihm und nur mit ihm schien dieser Teil auch wieder in Jeno hervor zu kommen.

Mark war Jeno's zweite Hälfte. Sein Seelenverwandter. Es schmerzte ihn zu sehen, wie sehr diese Besessenheit von diesem Schatz und der Karte seinen besten Freund, seinen Bruder verändert hat.

So sehr, dass er bereits die Tatsachen verdrehte.

„Aethernis war nur etwas, das wir uns als Kinder ausgedacht haben, Mark. Es hat nie wirklich existiert. Wir wurden von unseren Eltern verstoßen und fanden Trost ineinander und in diesem Ort. Aus diesem Grund haben wir ihn Aethernis genannt.", begann Jeno, dem mittlerweile Tränen über die Wangen kullerten.

Jeno fiel alles schlagartig wieder ein. Alles, was er in der letzten Zeit erfolgreich verdrängen konnte, weil es ihn zu sehr schmerzte. Als der Stadtturm abgebrannt war, brannte nicht nur das Wahrzeichen seines Wohnortes nieder, sondern auch seine Kindheit und Jugend.

Dieser Stadtturm war nie öffentlich zugänglich, doch nachdem Jeno von seinen Eltern verstoßen wurde, fiel ihm nur dieser Ort ein. Hier lernte er Mark kennen, der ein ähnliches Schicksal erleiden musste, wie er selbst.

Seit dem Tag, an dem der Turm in Flammen stand, hatte er Mark nicht mehr gesehen. Er dachte schon, er wäre in den Trümmerhaufen oder den Flammen ums Leben gekommen. Doch als Jeno sah, dass alle persönlichen Sachen einfach weg waren, nicht verbrannt, sondern einfach weg, wusste er, Mark musste wohl gegangen sein um die Karte und den Schatt zu finden, von denen er immer so geschwärmt hatte.

Ein Jahr lang wartete Jeno ungeduldig auf die Rückkehr seines Freundes, doch er kam nie wieder. Aus diesem Grund entschloss sich Jeno dazu, ihn zu suchen. Schließlich hätte ihm ja auch etwas passiert sein können.

Irgendwann begann er nach Hinweisen zum Standort der Karte zu suchen, um seinen Freund zu finden.

Mark stand regungslos vor Jeno, das scharfe Kinn zu einem starren, verbitterten Blick erhoben. Doch tief in seinen Augen flackerte etwas – vielleicht Schmerz, vielleicht Bedauern, aber auch eine tiefe Entschlossenheit, die Jeno nie erwartet hätte. Es war, als ob er die Worte seines alten Freundes gar nicht hören wollte, als ob sie an ihm abprallten.

„Aethernis?" Mark wiederholte das Wort, und es klang hohl, als ob es für ihn längst mehr als eine Erinnerung war. „Du verstehst immer noch nichts, oder? Du hast nie verstanden, was wir damals aufgebaut haben. Was ich aufgebaut habe. Wir haben uns nicht ‚etwas ausgedacht', Jeno. Du hast die wahre Bedeutung dieses Ortes nie erkannt. Du hast uns verraten, als du gegangen bist. Und jetzt versuchst du, dich zurückzuholen, was du verloren hast. Aber es ist zu spät."

Jenos Atem ging schnell. Es war, als würde er gegen eine Wand reden, die er nie hatte durchbrechen können. Der Schmerz in ihm war tief, wie ein Wunden, die nie ganz heilen wollten.

„Du hast dich verändert, Mark. Dieser Ort hat dich verändert. Aethernis... was du daraus gemacht hast, ist nicht das, was wir damals waren. Du bist nicht mehr der, den ich kannte. Der Junge, der in den Ruinen dieses Turms zusammen mit mir gesessen und von der Freiheit geträumt hat... der ist weg. Und das tut mir weh", sagte Jeno leise, die Worte mit der Last vieler Jahre, die zwischen ihnen lagen.

Mark blinzelte und ein fast schmerzhafter Ausdruck flog über sein Gesicht, doch er erholte sich schnell. Er wischte sich das Gefühl ab, als sei es nichts weiter als ein Schatten.

„Du bist ein Narr, Jeno", sagte er schroff. „Du denkst immer noch, dass es um uns geht. Dass wir etwas verloren haben. Aber es geht um viel mehr. Aethernis ist keine Kindheitserinnerung. Es ist der Schlüssel zu etwas Größerem. Und du... du hast die wahre Macht nie erkannt. Ich bin hier, weil ich die Karte gefunden habe. Und ich werde sie nicht teilen. Du hättest bei mir bleiben sollen. Du hättest an meiner Seite sein können, aber du hast dich entschieden, mir den Rücken zu kehren. Jetzt wirst du das bereuen."

Jeno spürte, wie sich Wut und Trauer in ihm mischten. Es war nicht nur der Schmerz über den Verlust seines Freundes, sondern auch die Erkenntnis, dass Mark nie wirklich an seiner Seite war, als es darauf ankam. Diese Sache mit der Karte – dieser Obsession – hatte ihn immer mehr vereinnahmt, bis er nicht einmal mehr den Unterschied zwischen Realität und Wahn erkennen konnte.

„Ich werde die Karte nicht von dir nehmen, Mark. Sie wird dir nichts bringen. Was du suchst, ist nicht der Weg zu Macht. Es ist der Weg zu etwas, das du nie wieder kontrollieren wirst", sagte Jeno, seine Stimme fester, als er sich aufrichtete. „Du bist kein Held, Mark. Du bist ein Gefangener deiner eigenen Gier."

Mark's Gesicht verzerrte sich. „Du hast wirklich nichts verstanden, oder?", knurrte er. „Aethernis war niemals nur ein Spielplatz für uns, Jeno. Es ist der Schlüssel zu allem. Zu allem, was wir jemals wollten. Und du wirst es nicht aufhalten."

„Du hast deine Wahl getroffen. Du bist nicht mehr der Mark, den ich gekannt habe", flüsterte Jeno und blickte in die Augen seines ehemaligen Freundes. „Und jetzt bin ich hier, um dich zu stoppen, bevor du alles zerstörst."

Der Raum schien in diesem Moment stillzustehen. Mark trat einen Schritt zurück, seine Hand griff nach einem geheimen Taschenfach an seinem Gürtel, als wolle er sich wappnen. Doch Jeno war schneller. Mit einer schnellen Bewegung zog er seinen Dolch und richtete ihn auf Mark, dessen Augen sich weiteten, als er die Klinge sah.

„Komm schon", flüsterte Jeno, „lass uns herausfinden, wer von uns beiden noch der ist, den der andere gekannt hat."

Mark starrte ihn an, dann schlich sich ein gefährliches Lächeln auf sein Gesicht. „So also. Du willst es also wirklich darauf anlegen?"

Doch bevor es zu einem weiteren Konflikt kommen konnte, ertönte ein knisterndes Geräusch aus der Ecke des Raumes. Beide Männer erstarrten. Eine neue Präsenz schien den Raum zu erfüllen – etwas dunkles und bedrohliches.

„Genug!", erklang eine schrille Stimme, und plötzlich trat eine weitere Gestalt aus dem Schatten. Ein langer, schwarzer Umhang umhüllte die Person, und als sie sich dem Licht näherte, blitze ein altes, aber mächtiges Symbol an ihrer Brust.

„Ihr beiden seid nicht die Einzigen, die Interesse an dieser Karte haben", sagte die Gestalt mit einer kalten, autoritären Stimme.

Die Männer, die zuvor noch Jisung und Jeno festhielten, rannten weg, als sie diese Gestalt erkannten und auch Mark schien plötzlich nicht mehr so taff, wie zuvor.

Jeno sah dies seinem ehemaligen Freund sofort an.

Ja, er mag sich verändert haben, aber für ihn waren Mark's Gefühle noch immer wie ein offenes Buch zu lesen.

„Jisung, komm hinter mich.", meinte Jeno leise zu seinem Begleiter, als er zeitgleich auch Mark etwas hinter sich zog, um sich schützend vor ihn zu stellen. Jeno erkannte die Angst, die sich begann in seinem Freund auszubreiten. Auch Jisung ließ sich das nicht zwei Mal sagen, stand auf und stellte sich hinter Jeno.

„Wer seid Ihr?", fragte Jeno den Unbekannten. „Du kennst mich nicht? Woher kommst du? Aus dem Wald, hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen?", lachte der Unbekannte spöttisch.

Verwirrt wandte sich Jeno, ohne jedoch seinen Blick von dem Unbekannten abzuwenden, flüsternd an Jisung: „Sind wir plötzlich in einer Märchenstunde gelandet?" „Nun ja, wir sind in der Location eines Märchens, nicht? Wir sind in einem Turm. Wieso also nicht etwas aus Rapunzel zitieren?", entgegnete Jisung schulterzuckend. „Das war Schneewittchen, du Pabo." „Ach echt? Nicht Rapunzel?" „Wo kommen in Rapunzel bitte Zwerge vor?", fragte Jeno.

„Diskutiert ihr gerade wirklich über verdammte Märchen, während der mächtigste und gefährlichste Zauberer des Landes vor uns steht?", mischte sich Mark ein, der sich wieder gefasst hatte.

Der Unbekannte grinste kalt und zog langsam seinen Umhang zurück, sodass ein gleißendes Licht die Silhouette seiner Gestalt umhüllte. Das Lächeln, das auf seinen Lippen lag, war nicht einmal spöttisch – es war das eines Mannes, der von einer längst verlorenen Macht wusste, die den anderen nur als flüchtige Erinnerung verblieb.

„Zauberer, hm?" Der Unbekannte wiederholte Marks Worte, als habe er den Begriff nur beiläufig gehört. „Ein paar Jahrhunderte sind vergangen, seit mir dieser Titel das letzte Mal zugeschrieben wurde. Doch das spielt keine Rolle. Du siehst, es gibt keine Zauberer mehr in dieser Welt, nur diejenigen, die wahre Macht besitzen – und diejenigen, die sie suchen."

Jeno beobachtete den Mann genau. Etwas an ihm schien nicht zu stimmen, als ob er selbst nicht mehr ganz der war, der er einst gewesen sein könnte. Die Art, wie er sprach, wie er sich bewegte, ließ Jeno den Gedanken hegen, dass dieser Fremde in einem Bereich existierte, der jenseits aller natürlichen Regeln war. Es war, als ob die Zeit in seiner Nähe selbst langsamer verstrich, als ob er sie bändigen konnte.

„Macht? Was willst du damit erreichen?", fragte Jeno und versuchte, seine Worte ruhig zu halten, obwohl ein Teil von ihm bereits spürte, dass sie hier mit mehr zu tun hatten, als sie sich in ihren kühnsten Träumen vorgestellt hatten.

„Ich suche nicht Macht, Jeno. Ich habe sie längst.", sagte der Unbekannte und trat einen Schritt vor. Die Luft um ihn schien dichter zu werden. „Was ich suche, ist der Schlüssel zu allem. Die Karte. Sie ist mehr als nur ein Schatz. Sie ist der Ursprung von allem, was uns überlebt. Sie ist der Schlüssel, um das, was vor uns lag, zurückzuholen und die Welt zu verändern."

„Und du bist der Einzige, der sie finden kann?", fragte Jisung, dessen Stimme diesmal einen scharfen Unterton hatte. Es war offensichtlich, dass auch er mehr über den Unbekannten wissen wollte, auch wenn er sich vor Angst kaum rühren konnte.

Der Fremde sah ihn mit einem intensiven Blick an, der Jisung durch und durch zu durchbohren schien. „Du bist neugierig, aber nicht wissend. Und das macht euch alle gefährlich. Ihr versteht nicht, dass die Karte nicht nur ein Objekt ist – sie ist ein Tor. Ein Tor zu etwas, das niemals hätte geöffnet werden dürfen."

Mark, der bis zu diesem Moment schweigend auf der Seite stand, trat nun einen Schritt vor. „Er spricht die Wahrheit, Jeno. Die Karte führt zu einem alten Zentrum, zu einer Quelle von Wissen und Macht, die selbst die besten von uns nie hätten erreichen dürfen. Du musst verstehen, dass es nicht nur um uns geht. Es geht um das Gleichgewicht der Welt."

Jeno blickte Mark an. Er wollte ihm nicht glauben, aber die Wahrheit in Mark's Stimme war unbestreitbar. Das, was der Unbekannte sagte, klang zu real, zu verhängnisvoll, um es einfach abzutun.

„Wenn du weißt, was du tust", sagte Jeno schließlich, „dann erkläre es mir. Warum hast du dich von allem entfernt, Mark? Warum hast du dich von mir, von uns, entfernt, nur um dich dieser... diesem Wahnsinn hinzugeben?"

Mark schüttelte den Kopf. „Es war nie Wahnsinn, Jeno. Es war das, was wir immer gesucht haben. Du hast dich nur nie getraut, den Schritt zu wagen."

„Und du hast dich zu weit vorgewagt", konterte Jeno. „Du hast dein Herz und deine Seele verkauft, um die Vergangenheit wiederzubeleben, und du hast vergessen, was wirklich zählt."

„Es gibt keine Rückkehr", sagte der Unbekannte ruhig, während er langsam einen weiteren Schritt in ihre Richtung tat. „Und eure Diskussion ist bereits überflüssig. Es gibt nur noch den Weg nach vorn."

„Dann werde ich dich aufhalten", sagte Jeno, und in diesem Moment wusste er, dass er keine andere Wahl hatte. Er zog seinen Dolch und stellte sich kampfbereit vor Mark und Jisung, die ihn unsicher ansahen. „Ich werde dich aufhalten, bevor du diesen Ort in einen noch größeren Abgrund stürzt."

Der Unbekannte sah Jeno an, und ein Hauch von Überraschung schlich sich in seine Augen. „Du bist mutig, Jeno. Das muss ich dir lassen. Aber Mut allein wird dich nicht retten. Du wirst nicht gewinnen."

„Vielleicht", sagte Jeno und versuchte, seine Stimme nicht zittern zu lassen, „aber ich werde es wenigstens versuchen."

Mit diesen Worten stürmte er auf den Unbekannten zu, den Dolch erhoben. Doch im selben Augenblick spürte er eine unsichtbare Wand, die ihn zurückwarf, als hätte ein unsichtbares Forcefeld seinen Vorstoß abgewehrt. Er fiel hart zu Boden.

„Das war ein Fehler", flüsterte der Unbekannte, der nun direkt vor Jeno stand, seine Hand ausgestreckt, als wollte er ihn mit bloßer Kraft überwältigen. „Du weißt nicht, mit wem du dich anlegst."

Doch Jeno fühlte, wie sich in seinem Inneren etwas regte. Irgendetwas, das ihn aufstehen ließ, trotz des Schmerzes. Ein letzter Funke des Mutes, der selbst von dieser scheinbaren Übermacht nicht ausgelöscht werden konnte. „Ich weiß genug. Und ich werde nicht weichen."

Der Unbekannte schien für einen Moment still zu stehen. Ein Lächeln, das fast wie ein Hohn wirkte, huschte über sein Gesicht. „Sehr gut. Dann werden wir sehen, wie lange du dieses Spiel durchhältst."

Mit einem Mal veränderte sich die Atmosphäre um sie herum. Es war, als ob der Raum selbst begann, sich zu verformen, als würde der Turm um sie herum lebendig werden. Der Unbekannte streckte die Arme aus, und ein bläuliches Licht begann sich zu sammeln, während die Wände zu vibrieren begannen.

„Dies wird das letzte Mal sein, dass du versuchst, dich mir entgegenzustellen", sagte er, als die Dunkelheit den Raum zu verschlingen begann.

Jeno wusste, dass dies der Anfang eines viel größeren Kampfes war, als er es sich je hätte vorstellen können.

Überrascht von der augenscheinlich großen und gefährlichen Macht des Unbekannten, steckte er seinen Dolch wieder weg und griff nach den Händen von Jisung und Mark um sie zur Sicherheit hinter ein Bücherregal zu ziehen, als auch schon ein helles Licht auf sie zugeschossen kam. An der Stelle, wo der Lichtschein hin fiel, klaffte nun ein großes Loch.

Mit großen Augen sah Jeno durch dieses Loch zum Zauberer, der mit einem schiefen Grinsen eine weitere Ladung an Energie auf sie feuerte.

„Runter!", schrie Jeno und drückte die Köpfe von Mark und Jeno nach unten, während er sich selbst ebenso in die Hocke begab. „Los! Da rüber! Und sorgt dafür, dass er euch nicht sieht.", deutete Jeno hinter ein anderes Bücherregal.

„Also nur zum Verständnis, ich werde mich ihm weiterhin entgegen stellen, aber ich merke, wenn ich unterlegen bin. Ich brauche einen Plan. Irgendwelche Vorschläge?", warf er in die Runde, als sie alle drei zusammengekauert in einer Ecke hockten. Doch beide schwiegen.

„Wow. Danke für eure Hilfe.", meinte Jeno sarkastisch, als er einen kleinen zögerlichen Blick um das Bücherregal warf, um den Zauberer ausfindig zu machen.

„Jisung. Was ist mit deinem Notizbuch? Steht da vielleicht irgendetwas hilfreiches drinnen? Wie ich, ein einfacher Mensch, der nur mit einem Dolch und seinem schlauen Verstand bewaffnet ist, beispielsweise gegen einen Zauberer gewinnen kann oder steht da nur noch mehr unnützes Wissen drinnen?"

Jisung kramte hektisch in seiner Tasche, während der Boden unter ihnen noch immer von der Magie des Zauberers erzitterte. „Moment, Moment! Ich hab's gleich!", flüsterte er hastig und zog das alte, zerfledderte Notizbuch hervor. Er blätterte durch die Seiten, die voller Kritzeleien, kryptischer Anmerkungen und verblasster Symbole waren.

„Jisung...", drängte Jeno, als ein weiterer magischer Strahl knapp über ihren Köpfen einschlug und Staub und Holzsplitter um sie herumwirbelten. „Bitte sag mir, dass da etwas Nützliches drinsteht."

Jisung hielt inne, als sein Blick auf eine Seite fiel. „Warte! Hier steht etwas... 'Die Energie eines Zauberers kann gebrochen werden, wenn sein Fokus gestört wird.'" Er sah auf und flüsterte aufgeregt: „Wir müssen ihn ablenken! Irgendwie seine Konzentration unterbrechen."

Jeno runzelte die Stirn. „Großartig. Und wie genau soll ich das anstellen? Soll ich ein Lied für ihn singen? Vielleicht hat er ja eine Schwäche für Opern."

Mark, der bisher still war, legte Jeno eine Hand auf die Schulter. „Es gibt einen Weg", sagte er leise, fast zögerlich. „Er ist mächtig, aber seine Magie zieht ihre Kraft aus etwas. Jeder Zauberer braucht eine Quelle – vielleicht ist es ein Artefakt, das er bei sich trägt, oder ein Symbol in diesem Raum. Wenn wir das zerstören, verlieren seine Angriffe an Stärke."

Jeno nickte langsam. „Okay, also: Fokus stören und seine Quelle finden. Klingt wie ein solider Plan – wenn wir nicht gerade ständig in die Luft gejagt werden würden."

Jisung warf einen vorsichtigen Blick über das Regal und deutete dann mit zittriger Hand in die Mitte des Raumes. „Schaut mal da. Um seinen Hals... dieses Amulett. Es leuchtet jedes Mal, wenn er einen Zauber wirkt."

Jeno folgte Jisungs Blick und sah das Amulett: ein großes, unförmiges Schmuckstück, das in einem dunklen Blau pulsierte. Es schien aus irgendeiner Art von Kristall gefertigt zu sein und strahlte bei jeder Bewegung des Zauberers ein schwaches Licht aus.

„Das ist es", murmelte Mark. „Wir müssen es ihm abnehmen oder zerstören."

„Klar", sagte Jeno trocken. „Weil es ja so einfach ist, jemanden zu entwaffnen, der gerade dabei ist, den Raum in Schutt und Asche zu legen."

Ein lautes Krachen ließ sie alle zusammenzucken. Der Zauberer hatte offenbar genug von seinem Spielchen und begann nun, Bücherregal um Bücherregal durch magische Energie zu zerlegen. Sie hatten nicht mehr viel Zeit.

„Hört zu", flüsterte Jeno entschlossen. „Ich werde versuchen, ihn abzulenken. Jisung, du suchst nach irgendetwas in deinem Buch, das uns dabei helfen kann, ihn endgültig außer Gefecht zu setzen. Mark, du bleibst in Deckung und wartest auf deine Chance, ihm dieses Amulett abzunehmen."

„Das ist Wahnsinn!", zischte Mark. „Er wird dich umbringen!"

„Vielleicht", erwiderte Jeno knapp. „Aber wenn ich es nicht tue, werden wir hier alle draufgehen."

Er griff erneut nach seinem Dolch, und obwohl die Klinge im Vergleich zur Macht des Zauberers unbedeutend schien, fühlte sich Jeno sicherer, sie in der Hand zu halten. Mit einem letzten Blick zu Jisung und Mark erhob er sich und sprintete aus seiner Deckung heraus, direkt in die Richtung des Zauberers.

„Hey!", rief er laut und fuchtelte mit dem Dolch in der Luft. „War das wirklich das Beste, was du draufhast? Mein Großvater hätte mich besser getroffen, und der war blind!"

Der Zauberer drehte sich langsam um, seine Augen glühten vor Zorn. „Du bist entweder mutig oder unglaublich dumm", knurrte er und hob eine Hand, die von einer pulsierenden Energie umhüllt war.

„Vielleicht beides", murmelte Jeno und wich gerade noch rechtzeitig einem weiteren Strahl aus, der knapp an ihm vorbeischoss.

Währenddessen blätterte Jisung wie besessen durch sein Buch. „Komm schon, komm schon... hier muss etwas sein!"

Mark nutzte die Ablenkung und bewegte sich lautlos von Regal zu Regal, sein Blick fest auf das Amulett geheftet. Sein Herz raste, aber er wusste, dass er keine andere Wahl hatte. Es war ihre einzige Chance.

Jeno, der weiterhin den Zauberer umkreiste und ihn mit provokanten Sprüchen bei Laune hielt, bemerkte aus dem Augenwinkel Marks Bewegung. Noch ein bisschen Zeit... nur noch ein bisschen mehr, dachte er.

„Du denkst, du kannst mich überlisten?", donnerte der Zauberer und ließ eine weitere magische Explosion los, die Jeno fast von den Füßen riss.

„Vielleicht nicht", rief Jeno zurück, während er keuchend zu Boden rollte, „aber du siehst dabei ziemlich lächerlich aus!"

Das brachte dem Zauberer einen Moment des Zögerns ein – und genau diesen Moment nutzte Mark. Mit einem schnellen Satz sprang er aus seiner Deckung und packte das Amulett. Der Zauberer stieß einen wütenden Schrei aus, als Mark versuchte, das Artefakt mit aller Kraft von seinem Hals zu reißen.

Doch er schaffte es nicht. Der Zauberer war schneller. Mit einem wütenden Schrei stieß er Mark von sich und wollte ihm gerade mit einer Ladung Energie den Garaus machen. Jedoch reagierte Jeno schnell und sprang auf seinen Rücken, was den Zauberer aus dem Konzept brachte. Mit seinem Dolch zerschnitt er das Band, an dem das Amulett befestigt war, sodass dieses mit einem klirrenden Geräusch auf den Boden fiel.

Während Mark schnell zu diesem Amulett krabbelte, um es für alle mal zu zerstören, warf der Zauberer Jeno von seinem Rücken auf den Boden. In dem Moment, in dem Mark einen der Ziegelsteine nahm, die noch von der Ruine auf dem Boden lag, ausholte und das Amulett zerstörte, ließ der Zauberer eine weitere Energieladung los und das direkt auf Jeno, der keuchend und reglos auf dem Boden liegen blieb.

Er wurde getroffen.

Ein ersticktes Keuchen entwich Jisungs Lippen, als er sah, wie Jeno von der magischen Energie getroffen wurde und reglos liegen blieb. Mark, der noch den Stein in der Hand hielt, drehte sich um und schrie: „JENO!"

Der Zauberer taumelte zurück, als das Amulett unter Marks Schlag in tausend kleine Splitter zersprang. Mit einem durchdringenden Schrei der Wut und Verzweiflung fiel er auf die Knie, während die magische Aura um ihn herum erlosch. Seine Augen, die zuvor von unnatürlichem Licht erfüllt waren, wurden wieder menschlich, und er wirkte plötzlich schwach und sterblich.

Doch Mark hatte nur einen Gedanken. Er ließ den Ziegel fallen und sprintete zu Jeno, der noch immer reglos auf dem Boden lag. „Nein, nein, nein... nicht so!", flüsterte Mark panisch, als er seinen Freund auf den Rücken drehte. Jenos Gesicht war bleich, und seine Brust hob und senkte sich nur flach. Die Energie des Zauberers hatte eine dunkle Brandwunde auf seiner Seite hinterlassen, und sein Atem ging rasselnd.

Jisung, der endlich seine Angst überwinden konnte, rannte ebenfalls herbei. „Lass mich sehen!", sagte er, seine Stimme voller Dringlichkeit. „Vielleicht steht etwas in meinem Buch!"

Mark sah zu ihm auf, Tränen in den Augen. „Du hast doch gesagt, du hast nichts für Heilung! Was können wir denn noch tun?"

Jisung blätterte hektisch durch die Seiten, murmelte unverständliche Worte vor sich hin. Schließlich blieb er an einer Seite stehen. „Hier! Es gibt eine Möglichkeit, ihn zu retten, aber..." Er zögerte, als er die nächsten Zeilen las. „Es erfordert... ein Opfer."

Mark starrte ihn an. „Was für ein Opfer? Sprich schon!"

Jisung schluckte schwer. „Ein Teil der Lebensenergie von jemand anderem. Es könnte dich umbringen... oder zumindest schwächen. Es muss jemand sein, der eine tiefe Verbindung zu ihm hat."

Mark sah ohne zu zögern zu Jeno hinab. „Dann mach es. Jetzt."

„Aber...", begann Jisung, doch Mark schnitt ihm das Wort ab. „Er ist mein Bruder. Mein... meine andere Hälfte. Ich habe das alles hier angerichtet, weil ich so blind war. Es ist meine Schuld, dass er hier liegt. Wenn jemand das tun muss, dann ich."

Jisung sah ihn unsicher an, aber er nickte schließlich. „Leg deine Hände auf ihn. Und egal, was passiert, zieh sie nicht zurück, bis ich sage, dass es vorbei ist."

Mark gehorchte, zitternd vor Angst und Entschlossenheit. Jisung begann, Worte aus dem Buch vorzulesen, eine alte, fremde Sprache, die den Raum mit einer seltsamen Resonanz erfüllte.

Ein sanftes, goldenes Licht begann von Marks Händen auszugehen, während Jeno unter seinen Fingern leicht zu glühen begann. Mark fühlte, wie die Kraft aus ihm wich, wie jede Faser seines Seins in Jeno floss, um die zerstörerische Energie des Zauberers zu verdrängen. Es war schmerzhaft und lähmend, aber er hielt durch.

Jisungs Stimme wurde lauter, und plötzlich erlosch das Licht. Mark keuchte, sackte auf die Knie, während Jeno tief einatmete und seine Augen aufschlug.

„Jeno!", rief Jisung und griff nach seinen Schultern. „Geht es dir gut?"

Jeno blinzelte, verwirrt, und dann fiel sein Blick auf Mark, der erschöpft und kaum bei Bewusstsein war. „Mark...?"

Mark lächelte schwach. „Du bist so ein verdammter Dickkopf, Jeno", flüsterte er, bevor er in Ohnmacht fiel.

Überrascht fing Jeno den zusammensackenden Körper seines Freundes auf. „Was...was ist passiert? Warum ist seine Atmung so schwach?", fragte Jeno Jisung panisch.

„Er...Er hat dir das Leben gerettet.", meinte Jisung. „Was meinst du?" „Er hat einen Teil seiner Lebensenergie geopfert, um dir dein Leben zu retten. Ich...Ich weiß nicht, wie viel Lebensenergie benötigt wurde. Es könnte sein, dass Mark gar nicht mehr zu sich kommt..."

„Sag sowas nicht!", schrie Jeno verzweifelt, als er das Gesicht seines Seelenverwandten musterte. „Verlass mich bitte nicht. Ich habe dich doch gerade erst wieder gefunden.", weinte Jeno, der seine Stirn an die seines Freundes legte.

Jisung wandte seinen Blick mitfühlend von den Freunden ab, wobei er etwas anderes sah, weshalb er überrascht direkt neben Jeno rutschte.

„Was...Was ist das?", flüsterte er ängstlich und krallte sich dabei etwas an den Arm von Jeno, der traurig seinen Kopf anhob.

Aus dem von Mark zerstörten Amulett des Zauberers stieg ein dunkelblauer Nebel hervor, der sich zu einem weiblichen Körper formte. Auch ein Gesicht entwickelte sich, sodass plötzlich eine dunkelblau schimmernde Person in der Bibliothek stand.

Mit einem abschätzigen Blick wandte sich die Frau an den nun deutlich altgewordenen Zauberer, der noch immer keuchend auf dem Boden saß.

„Das ist die Strafe für deine Gier.", sprach sie und legte ihre Hand auf die Stirn des Zauberers. Direkt entfiel ihm ein markerschütterndes, lautes Schreien, das Jisung und Jeno dazu veranlasste, ihre Ohren zuzuhalten. Auch die Ohren von Mark versuchte Jeno möglichst von diesem schmerzenden Lärm zu schützen.

Ein paar Sekunden ging das, ehe der Zauberer sich plötzlich explosionsartig in Staub auflöste.

Zufrieden lächelnd wandte sich die Frau dann an die beiden Wanderer.

„Danke, dass ihr mich aus den Fängen dieses furchtbaren Mannes befreit habt, der meine Magie nur für dunkle Aktivitäten ausnutzte. Ich bin die Wächterin der Karte, die all die Jahrhunderte über sicher von euch und euren Vorgängern bewacht wurde, nachdem mich dieser fiese Zauberer überlistet und gefangen genommen hat. Ich bin euch auf ewig dankbar.", verbeugte sie sich. „Lasst mich im Gegenzug nun auch etwas für euch tun."

Jeno starrte die Gestalt mit einer Mischung aus Misstrauen und Hoffnung an. Noch immer hielt er Marks leblosen Körper in seinen Armen, spürte die schwache Atmung seines Freundes, die mit jeder Sekunde unregelmäßiger wurde. „Wenn du wirklich dankbar bist, dann rette ihn!", flehte Jeno mit bebender Stimme. „Er hat sein Leben für mich geopfert. Bitte... lass ihn nicht sterben."

Die Wächterin neigte leicht ihren Kopf und betrachtete die drei. Ihr schimmerndes Gesicht zeigte Mitgefühl, aber auch eine Spur von Bedauern. „Ich verstehe dein Anliegen, doch meine Macht ist begrenzt. Ich kann nicht einfach Leben zurückholen, das freiwillig gegeben wurde. Doch..." Sie hielt inne und musterte Mark eindringlich, bevor sie fortfuhr. „...es gibt einen Weg. Aber es wird nicht ohne Preis sein."

„Ich zahle jeden Preis!", rief Jeno ohne zu zögern, während Jisung ihn alarmiert am Arm packte. „Warte, Jeno! Hör doch erst zu, was sie verlangt!", sagte er besorgt. Doch Jeno schüttelte ihn ab. „Ich habe Mark schon einmal verloren. Ich werde ihn nicht noch einmal verlieren."

Die Wächterin seufzte und erhob ihre Hände, woraufhin ein leuchtendes, goldenes Licht erschien, das den Raum erfüllte. „Ich kann einen Teil meiner Essenz verwenden, um Marks Lebensenergie zu stabilisieren. Doch das Gleichgewicht der Kräfte verlangt, dass du dafür einen Teil von dir selbst aufgibst."

„Einen Teil von mir?", wiederholte Jeno zögernd. „Was genau meinst du damit?"

„Du wirst etwas verlieren, das dir kostbar ist", erklärte die Wächterin. „Vielleicht Erinnerungen, vielleicht Fähigkeiten, vielleicht... ein Stück deiner Seele. Die Magie entscheidet, was genommen wird."

Jisung schnappte hörbar nach Luft. „Das ist Wahnsinn! Jeno, du kannst doch nicht einfach riskieren, dass—"

„Doch, kann ich!", schnitt Jeno ihm scharf das Wort ab. „Wenn ich Mark retten kann, dann ist alles andere egal." Er sah die Wächterin an, Entschlossenheit in seinen tränennassen Augen. „Tu es. Bitte."

Die Wächterin nickte und trat vor. Sie legte eine Hand auf Marks Brust und die andere auf Jenos. „Dann sei es so. Halte still."

Ein pulsierendes Licht durchströmte den Raum, und Jeno spürte einen brennenden Schmerz in seiner Brust. Es fühlte sich an, als würde etwas aus ihm herausgerissen, etwas, das tief in seinem Inneren verankert war. Er biss die Zähne zusammen, hielt sich jedoch aufrecht, während Mark langsam Farbe ins Gesicht zurückkehrte. Seine Atmung wurde gleichmäßiger, sein Körper wirkte weniger leblos.

Plötzlich ließ das Licht nach, und Jeno sackte erschöpft zusammen. Die Wächterin trat zurück, ihre Gestalt leicht verblassend. „Es ist vollbracht", sagte sie. „Er wird leben."

Mark öffnete die Augen und sah schwach zu Jeno. „Du... du hast mich gerettet?", flüsterte er heiser.

Jeno lächelte matt. „So... wie du mich gerettet hast." Doch in seinem Inneren spürte er eine Leere, ein unbestimmtes Gefühl, dass etwas verloren war. Was genau, konnte er nicht sagen.

Die Wächterin, die nun fast durchsichtig war, lächelte sanft. „Ihr habt euch gegenseitig gerettet. Nutzt diese zweite Chance weise." Mit diesen Worten löste sie sich in einem sanften Lichtschimmer auf und verschwand.

Jisung kniete sich neben die beiden und sah von einem zum anderen. „Geht es euch beiden gut?"

Mark nickte schwach, während Jeno zögernd antwortete: „Ich denke schon." Doch tief in seinem Inneren wusste er, dass die kommenden Tage zeigen würden, was dieser Preis wirklich bedeutete.

Die drei jungen Männer verließen nach dieser aufregenden und emotionalen Nacht erschöpft den Turm. Sie wussten, nun da die Wächterin zurück war, war die Karte in Sicherheit und würde nie mehr in die falschen Hände kommen können. Sie wussten, dass sie nun endlich ihre eigenen Leben weiter leben konnten.

Jeno spürte, wie sein Herz mit jedem Schritt den er machte, schwerer wurde. Der Preis, den er bezahlen musste, war definitiv ein hoher, auch wenn ihm noch nicht klar war, was genau der Preis war. Doch rückgängig machen würde er seine Entscheidung nicht. Jetzt, wo er Mark endlich wieder bei sich und mit Jisung auch einen neuen Freund dazu gewonnen hatte, würde er mit jedem Preis klarkommen.

Für die Drei war klar, dass sie nach so einer Nacht nicht so schnell einfach wieder getrennte Wege gehen konnten.

Die Stille der Nacht wurde nur vom leisen Rascheln ihrer Schritte durch das feuchte Gras unterbrochen, während die drei jungen Männer nebeneinander hergingen. Der Turm lag hinter ihnen, seine düstere Silhouette wirkte jetzt friedlicher, als ob er selbst erleichtert wäre, dass die Last der vergangenen Jahrhunderte von ihm genommen worden war.

Jisung brach als Erster die Stille. „Also... was machen wir jetzt?" Seine Stimme war zögerlich, beinahe unsicher, als ob er fürchtete, die Verbundenheit, die sich zwischen ihnen entwickelt hatte, könnte nur ein vorübergehendes Band sein.

Jeno blieb stehen und sah ihn an, dann wandte er den Blick zu Mark, der still neben ihm ging, die Hände in die Taschen seiner abgetragenen Jacke gesteckt. „Wir gehen nirgendwohin. Zumindest nicht getrennt", sagte Jeno schließlich. Seine Worte waren leise, aber entschlossen. „Wenn diese Nacht eines gezeigt hat, dann, dass wir... irgendwie zusammengehören. Wir haben alle genug verloren, um zu wissen, wie wertvoll es ist, jemanden an seiner Seite zu haben."

Mark hob den Kopf und lächelte schwach. „Das klingt fast, als wärst du ein Anführer, Jeno. Nicht schlecht für jemanden, der vor ein paar Stunden noch skeptisch war, ob ich nicht wahnsinnig geworden bin."

Jeno schnaubte, aber sein Lächeln verriet, dass er die Stichelei als das verstand, was sie war: Marks Art, seine Dankbarkeit auszudrücken. „Nenn mich, wie du willst. Aber ich lasse dich sicher nicht wieder verschwinden. Und Jisung..." Er sah zu dem Jüngsten in der Runde. „...auch dich nicht. Du hast uns in dieser Nacht mehrmals den Kopf gerettet. Es wäre dumm, so jemanden nicht in der Nähe zu behalten."

Jisung grinste breit, sichtlich erleichtert. „Na ja, ich schätze, ich bin ein ziemlicher Schatz für jede Gruppe, oder?" Dann fügte er ernsthafter hinzu: „Aber ehrlich, ich bin froh, dass ihr das auch so seht. Nach dieser Nacht... ich glaube, ich könnte nie wieder zurück zu meinem alten Leben. Bücher zu lesen, ohne wirklich Abenteuer zu erleben? Das wäre einfach... langweilig."

Die drei lachten, eine leise, erleichterte Freude, die die Spannungen der letzten Stunden ein wenig linderte.

Mark sah in die Ferne, wo die ersten Anzeichen von Morgengrauen den Horizont erhellten. „Also... was jetzt? Abenteuer? Eine lange Pause irgendwo, wo es warme Betten gibt?"

Jeno zog eine Augenbraue hoch. „Du willst dich schon wieder ausruhen? Ich dachte, du wärst abenteuerlustig."

„Nicht, wenn ich mich wie ein alter Mann fühle", entgegnete Mark trocken, aber ein Lächeln spielte um seine Lippen. „Aber ehrlich... ich denke, wir sollten einfach weitergehen. Wohin auch immer die Straße uns führt."

Jeno nickte langsam. „Zusammen."

Jisung hob eine Hand. „Ich hab da noch eine Bedingung!"

„Oh, und die wäre?" fragte Jeno mit einem schiefen Lächeln.

„Nächstes Mal kein verrückter Zauberer, kein sterbendes Amulett und bitte—bitte—kein lebensgefährlicher Einsatz von Magie. Ein bisschen Spaß wäre schön."

Mark lachte leise, und sogar Jeno konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Kein Versprechen", sagte er, während die ersten Sonnenstrahlen ihre Gesichter wärmten. „Aber ich bin mir sicher, dass es mit uns dreien nie langweilig wird."

Und so gingen sie weiter, den Weg vor sich offen, die Vergangenheit hinter sich. Und zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte Jeno, dass er nicht allein war. Was auch immer die Zukunft brachte – sie würden ihr gemeinsam entgegen treten.

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