10: NCT DREAM

21.156

Es war ein warmer Abend in Busan, der Himmel schimmerte in einem tiefen Orangeton, während die Wellen sanft an den Strand rollten. Der Duft von Salzwasser lag in der Luft, und die Geräusche des Meeres mischten sich mit dem Gelächter und den Gesprächen der vier Freunde. Sie waren ein unschlagbares Team – Na Jaemin, der unermüdliche Stimmungsaufheller, der immer einen Witz auf den Lippen hatte, Lee Haechan, der genauso gerne albern war, aber noch die Geduld hatte, mit Jaemin Schritt zu halten. Dann gab es Huang Renjun, der stets mit einem ruhigen Lächeln da war und der Anker der Gruppe, und schließlich Zhong Chenle, der meist still war, aber stets tief für seine Freunde empfand.

„Ich wette, du schaffst es nicht, länger als fünf Minuten nicht zu lachen", neckte Haechan, als Jaemin sich mit einem übertriebenen Gesichtsausdruck für die nächste Runde Witze bereitmachte.

„Ach, du willst es also darauf ankommen lassen?" Jaemin grinste, drehte sich zu Renjun um und flüsterte: „Weißt du, Renjun, es gibt keine größere Herausforderung als Haechan. Ich hab das Gefühl, er könnte einen Witz über den Wind erzählen und dabei die ganze Gruppe zum Lachen bringen."

Renjun lachte leise und schüttelte den Kopf. „Das ist eher eure Sache. Ich bleibe lieber bei den Wellen."

„Die Wellen..." murmelte Chenle, als er auf das unruhige Meer starrte. „Kennt ihr diese Geschichten über das Meer? Die, bei denen Menschen von der Strömung erfasst werden und nie wieder auftauchen?"

Alle schwiegen. Es war nicht das erste Mal, dass Chenle solche Bemerkungen machte, doch an diesem Abend war die Stimmung anders. Etwas schwebte in der Luft, als ob das Meer mehr wusste, als es preisgab.

„Du redest wie ein Großvater", sagte Jaemin, klopfte ihm scherzhaft auf die Schulter. Doch etwas an Chenles Blick ließ ihn innehalten. Der junge Chinese starrte weiterhin in die Weite des Ozeans, als würde er etwas sehen, das die anderen nicht erkannten.

„Ich habe das Gefühl, dass etwas nicht stimmt", sagte Renjun leise, ohne von den Wellen abzuwenden. „Hört ihr das?"

Es war ein seltsames Geräusch – ein Flüstern, das von der Küste herüberzog, leise und geheimnisvoll. Jaemin und Haechan lachten zunächst darüber, doch dann wurde es immer deutlicher. Die Atmosphäre veränderte sich, als die Sonne hinter den Horizont verschwand und die Dunkelheit einbrach.

„Vielleicht sollten wir nachsehen", schlug Haechan vor, der inzwischen genauso neugierig war wie die anderen. Und so machten sich die vier Freunde auf den Weg, dem Flüstern zu folgen, das mit jeder Sekunde lauter wurde.

Als sie näher an den Rand des Strandes kamen, bemerkten sie etwas Ungewöhnliches im Sand. Etwas, das sie nicht erwartet hatten.

„Was ist das denn?", fragte Jaemin und wollte nach dem seltsamen Ding greifen, als Renjun ihn jedoch mit den Worten: „Fass das lieber nicht an. Wir wissen nicht, was das ist. Das Meer birgt so viele unerforschte Geheimnisse. Vielleicht ist das giftig." davon abhielt.

Nachdenklich nickte Jaemin langsam, als eine Welle auf sie zu schwappte, ihre Füße erreichte. Als sie sich wieder ins Meer zurückzog, nahm sie etwas des Sandes mit sich, wodurch mehr des unbekannten Dinges zum Vorschein kam.

„Das sieht aus wie eine Hand.", lachte Haechan, wollte einen Spaß damit machen. Doch da schwappte die nächste Welle bis zu ihren Füßen, nahm erneut Sand mit sich. „Das sieht wirklich aus wie eine Hand.", nuschelte Renjun ungläubig, nahm ein Taschentuch hervor und griff mit diesem nach dem seltsamen Ding, hob es hoch.

Mit einem lauten Aufschrei, warf er das Gefundene erschrocken von sich.

„Es ist eine Hand.", stellte Chenle trocken fest. Eine menschliche Hand, die ganz eindeutig vom Arm abgetrennt wurde.

Die vier Freunde starrten auf die Hand, die jetzt im Schein des untergehenden Mondes unheimlich vor ihnen lag. Sie war bleich und schien in der feuchten Luft des Strandes fast zu leuchten, ihre Finger starr und in einer seltsamen, fast kunstvollen Haltung eingefroren. Das Gefühl von Unbehagen kroch in ihre Körper, doch niemand sprach das aus, was sie alle dachten – dass sie Zeugen von etwas Übernatürlichem geworden waren.

„Das... das kann nicht sein", flüsterte Haechan, die Worte schienen ihm im Hals stecken zu bleiben. „Das ist nicht real. Das ist nur ein Scherz. Irgendjemand muss es hier hingelegt haben."

„Das ist keine falsche Hand, Haechan", sagte Renjun ruhig, aber seine Stimme zitterte leicht. „Das ist menschlich. Und es ist... zu frisch, um schon hier zu liegen. Wer macht sowas?"

Jaemin schüttelte den Kopf. „Das kann einfach nicht sein... Das... das ist zu viel, selbst für uns."

„Es fühlt sich an, als ob wir gerade etwas gefunden haben, das wir nicht finden sollten", sagte Chenle, seine ruhige Stimme durchbrach die angespannte Stille. „Ich habe das Gefühl, dass das Meer uns etwas zeigt – oder uns warnt."

Renjun trat einen Schritt zurück, aber seine Augen blieben auf der Hand haften. Er zog das Taschentuch aus seiner Tasche und legte es wieder um die Hand, als wolle er sie berühren, aber nicht ohne einen Schutz. „Wir sollten zur Polizei gehen", sagte er schließlich, und seine Stimme klang fest, aber besorgt. „Es könnte ein Verbrechen sein."

„Und was, wenn das nur der Anfang ist?", fragte Jaemin, als er die Hand näher betrachtete, beinahe fasziniert und beunruhigt zugleich. „Was, wenn es noch mehr gibt, die wir nicht sehen?"

Das Rauschen des Meeres schien plötzlich lauter zu werden, und die Wellen, die jetzt gegen den Strand schlugen, hatten eine seltsame, rhythmische Qualität, die fast hypnotisch war. Es fühlte sich an, als ob das Meer ihnen etwas sagen wollte – als ob es in irgendeiner Sprache sprach, die sie noch nicht verstehen konnten.

„Ich habe das Gefühl, dass wir noch nicht alles wissen", sagte Chenle nach einer Pause und blickte mit seinen sanften Augen auf das Meer. „Vielleicht... ist das Meer mehr als nur Wasser und Strömungen. Vielleicht birgt es Geheimnisse, die über den Tod hinausgehen."

„Ich stimme dir zu", sagte Renjun. „Etwas an diesem Ort fühlt sich anders an. Ich glaube, wir müssen das weiter untersuchen, bevor wir jemanden informieren. Ich will nicht, dass jemand unnötig in Gefahr gerät."

„Du denkst, es gibt noch mehr davon?", fragte Haechan, seine Stimme war jetzt mit einer Mischung aus Skepsis und Nervosität gefüllt.

„Ich weiß es nicht", antwortete Renjun, „aber ich habe das Gefühl, dass das hier nicht das erste Mal passiert ist."

Jaemin sah auf die Hand, die immer noch in Renjuns Griff lag, und dann zum Meer, das in der Dunkelheit vor ihnen lag. Etwas daran fühlte sich falsch an – als ob das Meer, das sie so sehr liebten und bewunderten, sie auf irgendeine Weise herausforderte, ein Geheimnis zu lüften, das viel tiefer und gefährlicher war, als sie sich je hätten vorstellen können.

„Okay", sagte er schließlich, seine Stimme fest, aber auch mit einem Hauch von Nervosität, „wir gehen zurück und finden heraus, was hier vor sich geht. Aber wir müssen vorsichtig sein. Etwas ist hier... etwas, das wir nicht begreifen können."

Und so machten sie sich auf den Weg, das unbekannte Geheimnis zu entwirren, das das Meer mit sich trug. Doch tief in ihrem Inneren wusste jeder von ihnen, dass dies erst der Anfang einer Geschichte war, die sie für immer verändern würde.

„Doch zuvor: Wollen wir jetzt wirklich mit einer abgetrennten Menschenhand die Strandküste Busan's entlang laufen?", warf Chenle ein, als sie sich den Fundort etwas genauer besahen. Wie, als hätte Renjun vergessen, dass er sie noch immer mit dem Taschentuch umgriffen hatte, hielt er sie augenblicklich so weit von seinem Körper entfernt, wie es seine Armlänge zuließ.

„Sollten wir nicht doch lieber zuerst zur Polizei gehen? Oder sie rufen?", gab Haechan unsicher flüsternd von sich, als er Renjun ansah. Schließlich bestand noch immer die nicht gerade unwahrscheinliche Möglichkeit, dass hier ein Verbrechen begangen wurde.

Renjun zog das Taschentuch von der Hand, als wäre es heiß und unerträglich. „Ich weiß nicht..." Er schaute auf das Ding, das jetzt wie ein Relikt aus einer anderen Welt auf dem feuchten Sand lag. „Es fühlt sich nicht richtig an. Es ist als ob das Meer uns... testen will. Ich kann nicht erklären warum, aber ich habe das Gefühl, dass wir mehr erfahren müssen, bevor wir jemanden einweihen."

Jaemin nickte nachdenklich, seine üblichen Späße waren in diesem Moment verschwunden. „Ich stimme Renjun zu. Etwas an dieser ganzen Situation... das fühlt sich nicht nach einem gewöhnlichen Verbrechen an. Es könnte mehr dahinterstecken."

„Mehr als nur eine abgetrennte Hand?" Haechan schnaubte und rieb sich das Gesicht. „Was soll da bitte mehr sein? Das ist schon das Gruseligste, was ich je gesehen habe."

„Vielleicht ist das der Punkt", flüsterte Chenle, „vielleicht will uns das Meer etwas zeigen. Etwas, das wir noch nicht verstehen. Etwas, das uns vor etwas warnt." Er nahm einen Schritt zurück und drehte sich zu den anderen. „Aber wenn wir uns entscheiden, das zu untersuchen, müssen wir uns vorbereiten. Ich glaube nicht, dass wir alleine mit diesem Geheimnis fertig werden."

Renjun nickte langsam und warf einen letzten Blick auf die Hand, die immer noch im Sand lag, als ob sie selbst in den Boden eingraviert war, als würde sie nie wieder verschwinden. „Ich will die Polizei rufen", sagte er schließlich, „aber vielleicht sollten wir es anders angehen. Wir brauchen mehr Informationen. Ich fühle, dass wir auf etwas stoßen, das nicht einfach so beantwortet werden kann. Und wir dürfen keine unnötigen Risiken eingehen."

„Also, was schlagen wir vor?", fragte Jaemin, der schon wieder in seinem gewohnten Grinsmodus war, aber dennoch ein wenig die Ernsthaftigkeit in den Augen hatte, die er nicht verbergen konnte. „Sollen wir einfach weiter dem Flüstern des Meeres folgen?"

„Es gibt noch etwas, das ich hier nicht begreife", sagte Chenle leise, während er zurück zum Rand des Strandes trat. „Etwas stimmt mit der Richtung der Wellen nicht. Hast ihr das bemerkt?"

„Was meinst du?" Renjun drehte sich nach Chenles Blick um und bemerkte, dass das Meer in seltsamen, fast gleichmäßigen Abständen gegen den Uferbereich schlug. Das Flüstern, das sie zuvor gehört hatten, war immer noch da, aber es klang jetzt intensiver – wie eine Einladung oder ein Warnruf.

„Es sind nicht nur die Wellen", sagte Chenle, „es ist der Rhythmus. Sie kommen nicht nach dem normalen Muster. Es gibt etwas, das im Wasser wartet. Etwas, das sich verändert."

„Und wie genau sollen wir da rausfinden, was es ist?" Haechan war sichtlich besorgt, als er das noch immer nicht ganz glauben konnte. Aber irgendetwas an Chenles Worten ließ ihn zögern. „Was, wenn wir uns in etwas hineinziehen, das wir nicht kontrollieren können?"

„Deshalb müssen wir zusammenhalten", sagte Renjun fest, „denn ich glaube, dass wir hier etwas Großes entdecken – und vielleicht auch etwas gefährliches. Aber eines weiß ich sicher: Wir müssen mehr wissen, bevor wir Entscheidungen treffen. Wenn wir zur Polizei gehen, wird niemand verstehen, was wirklich passiert ist. Es gibt eine andere Wahrheit, die nur wir herausfinden können."

„Also, was tun wir?" fragte Jaemin, der sich wieder mit einem schelmischen Grinsen an Renjun wandte. „Wir gehen also wirklich nach dem Flüstern der Wellen?"

Renjun sah ihn ernst an, bevor er nickte. „Ja. Aber wir müssen vorsichtig sein. Und wenn irgendetwas merkwürdig wird, steigen wir sofort aus."

„Also los", sagte Jaemin, seine Stimme klang aufgeregt und neugierig, aber auch mit einem Anflug von Besorgnis, als er einen Schritt in Richtung der Wellen tat.

Die Gruppe setzte ihren Weg entlang des Strandes fort, und obwohl jeder von ihnen seine eigenen Ängste und Gedanken mit sich trug, wusste keiner von ihnen, dass sie auf den Beginn einer Geschichte zusteuerten, die tief in den Geheimnissen von Busan verwoben war – ein Geheimnis, das niemand je hätte erahnen können.

Der Weg führte sie immer weiter entlang des Strandes. Mit jedem Schritt den sie gingen, schien das Flüstern deutlicher zu werden, dennoch konnten sie nicht entziffern, was genau gesagt wurde.

„Mir war gar nicht klar, wie lang der Strand von Busan eigentlich ist.", nuschelte Haechan, als er ebenso wie seine Freunde seine Augen offen hielt, um vielleicht irgendetwas anderes seltsames zu finden. „Mir geht es auch so. Es kommt mir so vor, als würden wir schon seit Stunden laufen. Der Mond steht mittlerweile schon ganz oben am Himmel. Zum Glück ist heute eine wolkenlose Vollmond-Nacht. Sonst würde man ja nicht mal die eigene Hand vor Augen sehen können.", entgegnete Jaemin, um die in den letzten Stunden aufkeimende, angespannte Stille etwas aufzulockern.

„Wir sind jetzt schon so weit gelaufen, doch das Flüstern kann man immer noch nicht entziffern. Wie konnten wir es so weit hinten überhaupt hören?", teilte Haechan seinen nächsten Gedanken laut mit. Es war ihm relativ egal, dass er damit die eindeutige Konzentration von Renjun und Chenle unterbrach. Ihm wurde das Ganze langsam etwas zu gruselig. Und wenn er nicht weiter wusste, sprach er eben einfach. Jaemin war da nicht anders. Auch er sprach, wenn er sich nicht anders zu helfen wusste. „Ich weiß was du meinst. Das ist wirklich eigenartig."

„Seid leise. Das Meer spricht zu uns. Ich glaube, wir sind bald an unserem Ziel angekommen.", durchschnitt Chenle's Stimme das Gespräch zwischen Jaemin und Haechan. „Manchmal mache ich mir echt Sorgen um Chenle.", flüsterte Jaemin zu Haechan, der nur leise lachte und dabei ebenso flüsternd entgegnete: „Sagt der Richtige."

„Seht nur. Da liegt etwas. Ist das eine Muschel?", riss Renjun die Beiden aus ihrem Gespräch. Aus diesem Grund sahen sie in die Richtung, in die Renjun wies. Und tatsächlich schien etwas in dem Sand unter dem hellen Mondlicht zu glitzern. Fast so, als wäre es ein Schatz, der ein stilles Geheimnis mit sich trug.

Zu diesem Zeitpunkt war keinem der Freunde klar, was wirklich hinter dieser Muschel steckte. Nämlich dass diese Kräfte verlieh, die über das menschliche hinausgingen, wie sie bald heraufinden würden.

„Das ist keine gewöhnliche Muschel..." Renjuns Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, während er langsam auf das glänzende Objekt im Sand zuging. Das Mondlicht spiegelte sich seltsam auf ihrer Oberfläche, als ob sie von innen heraus leuchten würde. Die Muschel war größer als gewöhnlich, fast so groß wie eine Handfläche, und ihre Schale schimmerte in Farben, die ständig zu wechseln schienen – von tiefem Blau zu dunklem Violett und zurück zu einem fast durchsichtigen Silber.

Jaemin trat neben ihn. „Sieht eher aus wie ein Schmuckstück als eine Muschel. Vielleicht hat die jemand verloren?" Er beugte sich vor, hielt aber inne, bevor er sie berühren konnte. Die Erinnerung an die abgetrennte Hand war noch zu frisch.

Renjun zögerte ebenfalls. „Vielleicht sollten wir sie nicht berühren..."

Doch Chenle trat näher und schüttelte langsam den Kopf. „Nein. Ich glaube, sie wartet auf uns." Seine Stimme klang fremd, beinahe, als würde sie aus weiter Ferne kommen.

Haechan schnaubte. „Jetzt redest du schon wie das Meer selbst. Aber hey, wenn uns diese Muschel Antworten gibt, dann los."

Bevor die anderen reagieren konnten, beugte sich Chenle langsam hinab und legte vorsichtig seine Hand um die Muschel. Kaum hatte er sie berührt, durchzuckte ein eisiger Wind die Küste, obwohl die Luft zuvor mild gewesen war. Die Wellen zogen sich ruckartig zurück, als ob das Meer selbst den Atem anhielt.

Chenle riss die Augen auf. Die Farben der Muschel pulsierten jetzt in seinem Griff, und für einen Moment schien es, als würde das Licht der Muschel direkt in seine Haut sickern.

„Chenle!", rief Renjun und griff nach seinem Arm, doch in diesem Moment spürten sie es alle.

Ein Schwall von Bildern, Gedanken und Geräuschen raste durch ihre Köpfe. Schatten, die sich im Wasser bewegten. Stimmen, die längst hätten verstummen sollen. Und das Meer, das in einer uralten Sprache flüsterte.

Chenle keuchte und ließ die Muschel fast fallen, fing sie jedoch gerade noch rechtzeitig wieder auf. Seine Augen flackerten, als würde er aus einem Traum erwachen. „Ich... ich habe etwas gesehen. Nein, gefühlt. Da ist etwas im Meer. Etwas Altes. Und... es beobachtet uns."

Renjun starrte ihn an. „Was meinst du mit ‚etwas Altes'?"

Chenle schüttelte langsam den Kopf. „Ich weiß es nicht genau. Aber ich glaube, diese Muschel ist der Schlüssel. Sie hat... mir etwas gezeigt. Fragmente. Und... ich habe gespürt, dass wir nicht die Ersten sind, die sie finden."

Jaemin versuchte, seine Nervosität mit einem Scherz zu überspielen. „Na großartig. Jetzt sind wir in einem alten Meeresfluch gefangen. Fehlt nur noch, dass Geister auftauchen."

Doch keiner lachte.

„Wartet...", murmelte Renjun plötzlich. „Hört ihr das?"

Das Flüstern war zurück, klarer als je zuvor. Aber diesmal war es nicht das Meer. Es kam aus der Muschel.

Eine Stimme, kaum hörbar, flüsterte in einer Sprache, die sie nicht verstanden. Doch eines war sicher: Sie wurden gerufen.

„Wir müssen herausfinden, was das bedeutet", sagte Renjun ernst. „Aber wir sollten vorsichtig sein. Ich glaube, das hier ist größer, als wir gedacht haben."

Chenle nickte langsam. „Und ich habe das Gefühl, dass wir keine Wahl mehr haben."

Die vier Freunde standen still da, während die Wellen langsam wieder an den Strand rollten. Die Muschel in Chenles Hand pulsierte leise weiter.

Und irgendwo da draußen, in der unendlichen Dunkelheit des Meeres, begann sich etwas zu regen.

„Will die Muschel uns sagen, dass wir ins Meer gehen müssen?", fragte Jaemin, streckte seine Hand nach der Muschel aus. Doch Chenle zog sie ruckartig zurück, weshalb er sich einen ungläubigen Blick von Jaemin einfing.

„Du willst sie doch nicht ins Meer zurückschmeißen, um uns an weiteren Nachforschungen zu hindern, oder?", fragte Chenle skeptisch, woraufhin Jaemin ein empörtes Schnaufen entfiel. „Was soll das denn? Vertraust du mir etwa nicht?", fragte er ungläubig nach.

„Ganz ehrlich: Ich würde euch allen mein Leben anvertrauen, doch nicht diese Muschel hier.", entgegnete Chenle, woraufhin Haechan ein amüsiertes Lachen entfiel, als er fragte: „Also ist diese Muschel dir mehr wert, als dein eigenes Leben oder wie?" Auch Renjun und Jaemin schmunzelten darüber.

„Nun, das jetzt nicht. Ich weiß einfach, dass ihr nie etwas tun würdet, dass mich oder die anderen von uns gefährdet, doch diese Muschel könntet ihr ganz einfach wegschmeißen. Doch meine Neugierde ist zu groß, weshalb ich das nicht zulassen kann.", rechtfertigte Chenle seine Worte und Handlungen.

„Ganz ruhig, Chenle. Meine Neugierde ist auch geweckt. Gibst du mir diese Muschel bitte? Ich schwöre auf unsere Freundschaft, dass ich sie nicht ins Meer zurück schmeißen werde.", grinste Jaemin. „Uuh, auf unsere Freundschaft. Hast du das gehört, Chenle?", warf Renjun schmunzelnd ein. „Nun gut. Das nenne ich doch mal ein Wort.", grinste Chenle und legte seinem Freund die Muschel in die ausgestreckte Hand des Älteren.

Augenblicklich spürte Jaemin, ähnlich wie Chenle zuvor, wie eine unbekannte Energie durch ihn fuhr, weshalb er seinen Blick nachdenklich auf das im Mondschein schimmernden Meer schweifen ließ.

„Es fühlt sich so an, als würde sie uns ins Meer ziehen wollen.", stellte Jaemin fest. „Wollen wir diesem Wunsch Folge leisten?", fügte er noch hinzu, drehte sich zu seinen Freunden. Während Chenle eher nachdenklich ebenso auf das Meer blickte, wirkte Renjun eher unsicher und Haechan sah ihn an, als hätte er seinen Verstand verloren.

„Wie bitte? Sind noch nicht genug gruselige Vorkommnisse an diesem Abend geschehen? Eine abgetrennte Hand, ein eigenartiges Flüstern und eine seltsam schimmernde Muschel, die uns ins Meer ziehen will. Einen Ort, der zu gerade mal 5% erforscht wurde. Und jetzt willst du diesem Ruf der Muschel wirklich noch nachkommen und mitten in der Nacht ins Meer gehen?", fasste Haechan ungläubig zusammen.

„Nun, genau genommen gehen wir schon den ganzen Abend den Rufen des Meeres nach, Channie.", lächelte Jaemin. „Ich bin dabei.", stimmte Chenle als erstes zu, ehe auch Renjun nach kurzem Überlegen sein Einverständnis gab. „Gott, ich glaube ich brauche neue Freunde. Lasst uns gehen.", schüttele Haechan seinen Kopf, ehe die Freunde paarweise ins Wasser gingen.

Hand in Hand betraten zuerst Jaemin und Chenle das Meer, gefolgt von Renjun und Haechan, die ebenso die Hand des Anderen hielten. Einfach um sich etwas Sicherheit, Mut und Halt zu geben. Um zu wissen, dass sie nicht alleine sind, sondern dieses Abenteuer gemeinsam antraten. Zu viert.

„Die Muschel pulsiert immer stärker. Ich schätze, wir nähern uns dem Ort, an den sie uns führen will.", teilte Jaemin seinen Freunden mit, der die Muschel noch immer in seiner Hand hielt.

Während Chenle und Jaemin vor gingen, folgten ihnen Haechan und Renjun. Das Meerwasser reichte ihnen bereits bis zur Hüfte, als die Letzteren kurz nach vorne zu ihren Freunden sahen, ehe sie sich wieder darauf fokussierten, nicht auf irgendwelche Wassertiere zu treten.

Als Haechan plötzlich etwas wegknickte, stützte Renjun ihn. „Alles okay?", fragte er den Jüngeren besorgt. „Ja, alles gut.", lächelte Haechan beruhigend, ehe sie beide weiter liefen und Haechan sprach: „Leute? Wie weit...", seine Stimme brach, als er seinen Kopf wieder hob, suchend nach Jaemin und Chenle.

„Wo...Wo sind sie?", fragte Haechan ängstlich, blieb stehen und zwang somit auch Renjun dazu. Fragend hob Renjun mit einem „Hm?" ebenso seinen Kopf, sah erst zu Haechan und dann nach vorne, wo bis eben noch Chenle und Jaemin waren.

Doch jetzt waren sie einfach weg.

Renjun weitete seine Augen, eilte schneller nach vorne, zog Haechan hinter sich her. „Jaemin? Chenle?", rief er nach seinen Freunden, als er sich panisch im Meer umsah.

Doch es war rein gar nichts zu sehen. Keine Wellen, keine Luftblasen, rein gar nichts.

„Leute, wenn das ein Witz sein soll, finden wir ihn nicht komisch!", rief auch Haechan, als er seine Stimme wieder fand, drückte die Hand Renjun's in seiner etwas zu, um sicher zu sein, das wenigstens er auch wirklich noch bei ihm war.

Doch es war kein Witz. Niemals hätten sich Jaemin und Chenle einen solch miesen Witz erlaubt.

Also wo waren sie?

Renjun drehte sich hektisch um die eigene Achse, das Meer schlug ruhig gegen seine Beine, als wäre nichts geschehen. Doch die Stille war beunruhigend. Viel zu still.

„Nein, nein, nein... das kann nicht sein!", murmelte er, während sein Blick suchend über die dunklen Wellen glitt.

Haechan atmete schwer, sein Herz raste. „Sie waren direkt vor uns! Wie können sie einfach verschwinden?!"

Renjun schüttelte den Kopf, als wollte er den Schock abschütteln. „Sie müssen hier irgendwo sein! Vielleicht... vielleicht sind sie nur abgetaucht?"

„Abgetaucht?!" Haechan starrte ihn fassungslos an. „Jaemin? Und Chenle? Ohne uns was zu sagen? Nach all dem? Bist du verrückt? Das passt doch gar nicht zu ihnen!"

Renjun wollte gerade etwas entgegnen, als plötzlich etwas Kaltes und Glitschiges an seinem Bein entlangstrich. Er zuckte zusammen, stolperte einen Schritt zurück.

„Was war das?!" Haechan wich ebenso zurück, seine Augen weit vor Angst.

Renjun drehte sich langsam um. Doch da war nichts. Keine Fische, kein Tang, nur das pechschwarze Wasser, das sich im silbernen Mondlicht kräuselte.

Plötzlich durchbrach ein Licht die Dunkelheit unter ihnen.

Ein schwaches, blaues Glimmen, das vom Meeresgrund aufstieg.

„Siehst du das?!", flüsterte Haechan.

Renjun nickte langsam. „Das muss von der Muschel kommen..."

Ohne groß nachzudenken, zog Renjun Haechan weiter ins Wasser, dem Licht entgegen.

„Renjun! Bist du wahnsinnig? Was, wenn—"

„Wenn wir jetzt nicht handeln, könnten wir sie verlieren!" Renjuns Stimme war fest, fast verzweifelt.

Das blaue Licht pulsierte, wurde heller, stärker. Und dann geschah es.

Wie aus dem Nichts öffnete sich das Wasser um sie herum. Es war, als würde der Ozean selbst auseinanderweichen. Eine unsichtbare Kraft zog das Wasser nach außen, und vor ihnen entstand ein Abgrund – tief, dunkel und gesäumt von schimmernden, blauen Linien, die in die Tiefe führten.

Haechan keuchte. „Das... das ist unmöglich."

Renjun starrte in die Tiefe. „Das ist der Weg. Sie sind da unten."

Ein Schwall kalter Luft drang aus der Tiefe nach oben, als würde der Ozean selbst atmen.

Haechan schluckte hart. „Und wenn wir da runtergehen und nie wieder hochkommen?"

Renjun sah ihn ernst an. „Dann kommen wir eben gemeinsam nicht wieder hoch."

Für einen Moment war da nur das Rauschen des Meeres, das gegen die unsichtbaren Wände der Öffnung schlug. Dann nickte Haechan langsam.

„Okay... aber wenn ich ertrinke, spuke ich euch beiden als Geist heim."

Renjun schmunzelte schwach. „Das werde ich zu verhindern wissen."

Und ohne ein weiteres Wort sprangen sie.

Das Wasser um sie herum war eiskalt, doch das blaue Licht wies ihnen den Weg nach unten. Tiefer und tiefer sanken sie, das Licht wurde stärker, fast wie ein lebendiges Wesen, das sie führte.

Und dann sahen sie es.

Jaemin und Chenle.

Sie schwebten reglos in der Tiefe, umgeben von einem leuchtenden Kreis aus blauen Symbolen, die langsam um sie kreisten. Die Muschel schwebte zwischen ihnen, pulsierend wie ein Herz.

„Jaemin! Chenle!" Renjuns Rufe wurden vom Wasser verschluckt.

Er und Haechan schwammen verzweifelt auf die beiden zu, doch als sie näher kamen, zuckten die blauen Symbole auf, als wollten sie sie fernhalten.

Plötzlich öffnete sich vor ihnen ein Schatten.

Etwas Großes.

Etwas Altes.

Etwas, das lange unter der Oberfläche geschlummert hatte.

Und jetzt war es erwacht.

Egal wie sehr das Licht versuchte, Renjun und Haechan von Jaemin und Chenle fernzuhalten, so konnten sie die beiden nicht einfach hier im Wasser bei dieser seltsamen Kreatur lassen. Aus diesem Grund versuchten sie erneut, ihre Freunde zu erreichen.

Die Muschel protestierte erneut, als ein lautes, kehliges Brüllen von der Kreatur ausging, das selbst hier in der tiefsten Schwärze des dunklen Meeres deutlichst zu hören war.

Da riss bei Renjun der Geduldsfaden. Er musste handeln, wenn er seine Freunde dort weg bringen wollte. Also griff es nach der Muschel...

Renjuns Finger schlossen sich fest um die pulsierende Muschel, deren Oberfläche sich unter seiner Berührung heiß und lebendig anfühlte, als würde sie sich gegen ihn wehren. Ein gellender, durchdringender Ton fuhr durch seinen Kopf, ließ ihn kurz zusammenzucken.

Doch er ließ nicht los.

„Renjun! Was machst du?!" Haechan schrie, doch seine Stimme wurde vom Wasser verschluckt.

Die blaue Aura um die Muschel flackerte hektisch, als würde sie in Panik geraten. Plötzlich spürte Renjun, wie etwas in ihm zerbrach – als hätte er eine unsichtbare Grenze überschritten.

Die Symbole, die um Jaemin und Chenle kreisten, flammten grell auf und zersplitterten in tausend leuchtende Fragmente, die im Wasser versanken.

Das Brüllen der Kreatur wurde lauter, wütender.

Erst jetzt erkannte Renjun, was da vor ihnen lauerte.

Ein gewaltiger Schatten, größer als jedes Lebewesen, das er je gesehen hatte. Tentakel schlangen sich träge durch das Wasser, glitten durch die Dunkelheit. In der Mitte funkelten glühende, gelbe Augen, die direkt auf ihn gerichtet waren.

Die Kreatur war uralt. Und sie war wütend.

Doch Renjun wich nicht zurück. Die Muschel in seiner Hand begann plötzlich, hellweiß zu leuchten, überstrahlte das Blau, das sie umgeben hatte.

Und dann explodierte das Licht.

Eine Welle reiner Energie raste durch das Wasser, stieß die Kreatur zurück. Das Brüllen wurde dumpf, entfernt. Die Tentakel zuckten zurück, als das Licht sie berührte.

Renjun nutzte den Moment. „Haechan! Jetzt!"

Gemeinsam schwammen sie zu Jaemin und Chenle, die wie bewusstlos im Wasser schwebten. Renjun packte Chenle, Haechan schnappte sich Jaemin.

Doch als sie sich abstoßen wollten, bebte das Wasser um sie herum. Die Kreatur hatte sich noch nicht geschlagen gegeben.

Die Tentakel zuckten, rasten durch das Wasser auf sie zu.

Renjun sah sich hektisch um, doch die Muschel in seiner Hand leuchtete nicht mehr. Sie war kalt, als hätte sie all ihre Energie verloren.

„Verdammt! Was jetzt?!" Haechan hielt Jaemin verzweifelt fest.

Da spürte Renjun etwas.

Ein schwaches Flüstern.

Nicht von der Muschel. Vom Meer selbst.

Es war, als würde das Wasser atmen, als würde es ihnen einen Weg zeigen.

Ohne zu zögern, drückte Renjun die leere Muschel fest an seine Brust. „Hilf uns... bitte."

In diesem Moment öffnete sich unter ihnen ein Strudel aus Licht – ein Portal, das tief in die Dunkelheit hinabführte, aber Wärme ausstrahlte.

„Da lang!" rief Renjun.

Ohne weiter nachzudenken, ließen sie sich von dem Licht erfassen.

Die Tentakel schlugen nach ihnen, verfehlten sie um Haaresbreite.

Dann riss das Licht sie mit sich.

Sie fielen.

Oder wurden gezogen.

Durch Wasser, Licht, Dunkelheit.

Bis sie plötzlich hart auf feuchten Sand aufschlugen.

Keuchend hoben Renjun und Haechan die Köpfe.

Sie waren in einer Höhle.

Die Wände waren von leuchtenden Symbolen überzogen, das Wasser war verschwunden, und der Eingang hinter ihnen war verschlossen – als hätte es nie existiert.

Neben ihnen lagen Jaemin und Chenle reglos im Sand.

Und vor ihnen erhob sich etwas.

Nicht die Kreatur.

Etwas anderes.

Eine Gestalt. Menschlich, doch nicht ganz. Die Augen glühten in demselben Blau wie das Licht der Muschel.

„Ihr habt den Pakt gebrochen."

Die Stimme hallte durch die Höhle, als käme sie von überall.

Renjun ballte die Fäuste. „Wer... oder was bist du?"

Die Gestalt lächelte kalt.

„Ich bin der Wächter. Und nun schuldet ihr dem Meer eine Antwort."

Überfordert blickte sich Renjun, der absolut nicht verstand, wie und wo sie hier gelandet waren, in der Höhle um. Dabei fiel sein Blick auf Haechan, der verzweifelt und tropfend nass neben seinen reglosen im Sand liegenden Freunden kniete.

Renjun sah, dass Haechan selbst verletzt war, Blut lief über sein Handgelenk. Doch dieser merkte den Schmerz entweder nicht oder ignorierte ihn, zu groß war seine Sorge um seine beiden Freunde. Trotz des nassen Gesichtes von Haechan konnte Renjun anhand der roten Augen erkennen, das ihm scheinbar sogar Tränen aus den Augen traten.

Aus diesem Grund ignorierte Renjun den Mann, der sich als 'Wächter' vorstellte, eilte ebenso zu seinen Freunden und legte die Muschel, die er noch immer in seiner Hand hielt, achtlos neben sich in den Sand. Er widmete sich voll und ganz den beiden bewusstlosen.

„Sie atmen kaum noch.", stellte Renjun schockiert fest, ehe er mit den Worten: „Haechan, du musst eine Herz-Druck-Massage durchführen. Wir beide konnten uns darauf einstellen, für eine gewisse Zeit keinen Sauerstoff zu bekommen. Wir sind von uns aus gesprungen. Doch Chenle und Jaemin wurden hineingezogen." begann, bei Chenle eine Herz-Druck-Massage durchzuführen.

Durch Renjun's Stimme fand auch Haechan wieder in die Realität zurück und tat es Renjun an Jaemin gleich.

Eine ganze Weile taten sie das, bis ihre Freunde fast zeitgleich wieder zu Bewusstsein kamen und das Wasser, das ihre Lungen gefüllt hatte, aushusten.

Erleichtert schlossen Haechan und Renjun sie in ihre Arme.

Jaemin keuchte heftig, rang nach Luft, während sein ganzer Körper vor Kälte und Erschöpfung zitterte. Chenle stützte sich hustend auf seine Hände, Wasser tropfte von seinem Kinn, seine Augen glasig vor Schwäche.

Renjun atmete schwer, seine Hände zitterten, als er Chenle sanft am Rücken hielt. „Alles gut... du bist wieder da. Es ist vorbei." Doch selbst während er das sagte, wusste er, dass es nicht vorbei war.

Haechan schlang die Arme um Jaemin, drückte ihn fest an sich. „Verdammt, du Idiot. Mach sowas nie wieder!", flüsterte er, seine Stimme überschlug sich beinahe vor Erleichterung. Jaemin wollte kontern, doch stattdessen hustete er erneut, seine Stirn an Haechans Schulter gelehnt.

Doch dann erinnerte sich Renjun an die bedrohliche Gestalt.

Langsam hob er den Blick.

Der Wächter stand regungslos da, seine leuchtenden Augen unbeirrt auf sie gerichtet. Das kalte, wissende Lächeln war nicht von seinem Gesicht gewichen.

„Wie... schön. Ihr lebt noch." Die Worte des Wächters hallten in der Höhle wider, als würden sie von den Wänden selbst gesprochen.

Renjun schob sich schützend vor Chenle, während Haechan Jaemin langsam losließ und ebenfalls aufstand.

„Wer... oder was bist du?", presste Renjun erneut hervor, seine Stimme schärfer als zuvor.

Der Wächter hob langsam eine Hand, in der ein Schimmern aufflammte. Die gleichen blauen Symbole, die sie zuvor im Wasser gesehen hatten, zeichneten sich in der Luft ab.

„Ich bin der Wächter der Schwelle. Der Hüter dessen, was unter dem Meeresspiegel verborgen liegt. Und ihr..." Er machte eine kurze Pause. „...habt etwas entwendet, das euch nicht gehört."

Renjun folgte seinem Blick und sah die Muschel, die achtlos im Sand lag. Doch sie war nicht mehr so, wie sie zuvor war. Die glatte Oberfläche war nun von feinen Rissen durchzogen, aus denen schwaches, bläuliches Licht sickerte.

„Diese Muschel war ein Siegel. Ein uraltes Band, das das Meer und seine Dunkelheit in Balance hielt. Eure Gier, euer Ungehorsam, hat dieses Gleichgewicht gestört."

Renjun spürte, wie seine Kehle trocken wurde. „Wir wollten niemandem etwas wegnehmen! Wir... wir wussten doch nicht einmal, was das ist!"

Der Wächter trat einen Schritt näher, das Licht in seinen Augen flackerte unheilvoll. „Unwissenheit schützt nicht vor Konsequenzen."

Haechan trat nun auch vor. „Was willst du von uns? Dass wir das Ding zurücklegen? Fein, dann nimm sie! Aber lass uns einfach gehen!"

Der Wächter lachte leise. „So einfach ist es nicht mehr. Der Bruch ist geschehen. Die Kette wurde gelöst."

Plötzlich bebte der Boden unter ihnen, feine Risse zogen sich durch den sandigen Höhlenboden. Von irgendwoher hörte man ein dumpfes Grollen, tief und uralt.

„Etwas Erwachtes regt sich in der Tiefe. Etwas, das nicht geweckt werden durfte." Der Blick des Wächters bohrte sich in Renjun. „Und jetzt müsst ihr den Preis zahlen."

Chenle, noch immer schwach, hob mühsam den Kopf. „Was... für einen Preis?"

Der Wächter breitete langsam die Arme aus.

„Ihr werdet den Bruch heilen. Ihr werdet hinabsteigen und das Band erneuern. Oder das Meer wird alles verschlingen, was ihr liebt."

Jaemin, dessen Stimme schwach, aber entschlossen war, presste hervor: „Und wenn wir ablehnen?"

Der Wächter neigte leicht den Kopf. „Dann wird die Dunkelheit selbst an die Oberfläche steigen. Und Busan wird nur der Anfang sein."

Ein tiefer, kalter Schauer kroch Renjun über den Rücken.

Haechan ballte die Fäuste. „Und wie sollen wir das machen? Wir sind keine Magier oder Götter. Wir sind... nur vier Freunde."

Ein dunkles Schmunzeln zog sich über das Gesicht des Wächters.

„Vier Freunde... und ein zerbrochenes Siegel."

Er deutete auf die Muschel.

„Ihr werdet hinabsteigen, tiefer als jeder Mensch zuvor. Dort wartet das, was gebunden werden muss. Doch Vorsicht... nicht alles, was schläft, will geweckt werden."

Die Höhle bebte erneut.

Renjun schluckte schwer, seine Hände zitterten, doch sein Blick war fest.

Er sah zu seinen Freunden.

Zu Jaemin, der sich mühsam auf die Beine zog.

Zu Chenle, der erschöpft, aber aufmerksam lauschte.

Zu Haechan, der trotz Angst nicht zurückwich.

Renjun atmete tief durch.

„Wenn das der einzige Weg ist... dann gehen wir ihn."

Der Wächter lächelte.

„Dann möge das Meer euch gnädig sein."

Und mit einer Bewegung seiner Hand öffnete sich ein neuer Abgrund vor ihnen – schwarz, endlos und von uralten Symbolen gesäumt.

Der Weg in die Tiefe.

Ohne Umkehr.

Während Jaemin, der selbst noch schwächelte, Chenle auf die Beine half, sahen Renjun und Haechan verunsichert in den Abgrund, in dem sich immer mehr Wasser zu sammeln schien. Es schien nicht wie an der Oberfläche in einem wunderschönen Blau, sondern wirkte wie ein schwarzes Loch, das alles aufsaugte, was sich auch nur in seine Nähe wagte. Nur das ab und an schwache Aufleuchten der Symbole an den Wänden spendete etwas Licht.

„Und wie sollen wir das anstellen? Wir sind Menschen. Wir können nicht unter Wasser atmen. Chenle und Jaemin wären fast gestorben. Wie sollen wir noch tiefer in das Meer dringen?", flüsterte Haechan zu Renjun, doch seine Stimme hallte dennoch an den Wänden der Höhle wider.

„Können Sie und wenigstens diesbezüglich unter die Arme greifen?", wandte sich Renjun also an den Wächter.

Der Wächter schwieg einen Moment, seine glühenden Augen hafteten reglos auf Renjun. Das dämonische Flackern in seinem Blick schien für einen Moment nachdenklich zu werden, als würde er abwägen, ob sie es wert waren.

Dann hob er langsam die Hand, und in seiner Handfläche erschien ein schwaches, bläuliches Leuchten – ein schimmernder Tropfen, fast flüssig, doch zugleich von kristalliner Struktur.

„Das Meer nimmt... und das Meer gibt." Seine Stimme hallte durch die Höhle, tief und unheilvoll. „Diese Tropfen stammen aus der Quelle, die jenseits des bekannten Ozeans liegt. Sie verbinden euch mit dem Wasser, lassen euch atmen, wo kein Mensch es vermag."

Er ließ vier der schimmernden Tropfen in der Luft schweben. Sie zogen schimmernde Bahnen, fast hypnotisch, bevor sie langsam vor Renjun, Haechan, Jaemin und Chenle zum Stillstand kamen.

Doch der Wächter blieb regungslos. „Doch seid gewarnt. Diese Gabe ist keine Gnade. Sie ist ein Band. Solange ihr unter Wasser verweilt, gehört ihr dem Meer. Zögert nicht, zurückzukehren, wenn ihr euren Weg vollendet habt. Oder das Meer wird euch behalten."

Renjun schluckte schwer.

Haechan starrte misstrauisch auf den Tropfen vor ihm. „Und was, wenn das Gift ist?"

„Dann würdet ihr es nicht überleben." Der Wächter lächelte kalt.

Ein eisiges Schweigen legte sich über die Gruppe.

Dann, ohne ein weiteres Wort, griff Renjun nach dem Tropfen vor ihm. Kaum hatte er ihn berührt, verschmolz er zu Wasser, das kühl seine Kehle hinabglitt. Ein kalter Schock fuhr durch seinen Körper, als hätte ihn das Meer selbst berührt. Doch dann... nichts. Nur eine seltsame Leichtigkeit in der Brust.

Renjun atmete tief ein. Und wieder aus.

„Es... fühlt sich normal an."

Ohne weitere Zweifel griff auch Jaemin nach seinem Tropfen. Als er das kalte Wasser spürte, zuckte er kurz zusammen, doch dann lachte er schwach. „Das fühlt sich an, als hätte ich gerade Eiswasser getrunken."

Chenle zögerte, warf Renjun einen kurzen Blick zu, dann folgte er stillschweigend.

Nur Haechan stand noch da, starrte den Tropfen an.

„Wenn ich daran sterbe, spuke ich euch allen heimlich. Nur damit ihr's wisst." Und mit diesen Worten schnappte er sich den Tropfen, verzog leicht das Gesicht, als die Kälte ihn traf.

„Jetzt bleibt uns wohl keine Ausrede mehr." Jaemins Stimme war leise, aber er lächelte schief.

Renjun nickte ernst. „Wir bleiben zusammen. Kein Schritt ohne den anderen."

Haechan sah in den pechschwarzen Abgrund, in dem sich das Wasser sammelte, und schauderte. „Ihr habt echt komische Vorstellungen von Freundschaft."

Langsam, einer nach dem anderen, traten sie an den Rand des Abgrunds.

Das Wasser, das sich darin gesammelt hatte, war finster wie Tinte. Die leuchtenden Symbole an den Wänden pulsierten nun in einem langsamen Rhythmus, als würden sie einen uralten Herzschlag nachahmen.

„Bereit?", fragte Renjun leise.

„Nein.", murmelte Haechan.

„Ich auch nicht.", fügte Jaemin hinzu, lächelte jedoch schwach.

Chenle sagte nichts, aber er trat als Erster vor.

Und dann sprangen sie.

Der Aufprall auf das schwarze Wasser war lautlos.

Doch statt Kälte spürten sie Wärme, die sich um ihre Körper legte. Ihre Lungen blieben ruhig. Keine Panik, kein Würgen – nur der leise Rhythmus der Tiefe, der sie umfing.

Um sie herum leuchteten die Symbole an den Wänden des Abgrunds wie Wegweiser, langsam pulsierend, als wollten sie ihnen den Weg zeigen.

Doch irgendwo, tief unter ihnen, regte sich etwas.

Ein uraltes Flüstern, kaum hörbar.

Etwas war erwacht.

Sie schwebten nach ihrem Sprung sachte bis an den Grund, sodass sie ganz normal laufen konnten.

„Nicht schon wieder ein Flüstern...", nuschelte Haechan leise und riss überrascht seine Augen auf. „Ich kann sogar sprechen. Hört ihr, was ich sage?", wandte er sich an seine Freunde. „Ja, kann ich. Die Tropfen helfen uns also nicht nur dabei, unter Wasser zu atmen, sondern ermöglichen uns auch, miteinander zu kommunizieren.", stellte Jaemin fest, lief dicht neben Haechan, ließ seinen Blick kurz auf ihn wandern, wobei ihm auch die Wunde an seinem Handgelenk auffiel.

Hastig blieb er stehen und griff nach dem Arm seines Freundes.

„Du bist ja verletzt! Warum sagst du nichts?!", fragte er mit aufgerissenen Augen. Noch immer trat Blut aus der Wunde, das sich mit dem Wasser vermischte. Auch Chenle und Renjun drehten sich nach Jaemin's Worten um.

Während Chenle ebenso mit aufgerissenen Augen zu Haechan lief und dessen Wunde betrachtete, biss sich Renjun schuldbewusst auf seine Lippe.

Er hatte schon wieder verdrängt, dass Haechan verletzt war...

„Hast du keine Schmerzen?", fragte Chenle, sah Haechan besorgt an. Jaemin erwiderte den Blick. Auch Renjun kam langsam auf seine drei Freunde zu, blieb neben ihnen stehen.

„Das? Das war nichts gegen den Anblick von vorhin.", nuschelte er leise, senkte seinen Kopf. „Welcher Anblick von vorhin?", fragte Chenle. „Der Anblick von euch beiden! Wie ihr fast tot und komplett reglos im Sand lagt. Ihr hattet kaum noch geatmet!", gab Haechan zu. Wieder sammelten sich Tränen in seinen Augen.

Jaemin und Chenle sahen ihren Freund nach dessen Worten mit überraschten Gesichtern an.

„Es ist alles wieder gut. Wir sind doch wieder da. Und dank euch auch wieder am Leben.", lächelte Jaemin schwach, ehe er Haechan erneut in eine feste Umarmung zog. Auch Chenle schloss sich dieser Umarmung an, sodass Haechan seinen Tränen freien Lauf lassen konnte. Ängstlich krallte er sich in die Rücken seiner Freunde, die ihn fest umarmten.

Er war dankbar dafür, dass sie wieder bei ihm waren, doch umso größer war nun die Angst, sie wieder zu verlieren.

Zögernd umarmte auch Renjun seine Freunde, um sowohl Haechan zu trösten als auch sich stumm zu entschuldigen.

Er gab sich selbst die Schuld an alledem. Er war der Älteste ihrer Gruppe und hätte demzufolge besser auf seine jüngeren Freunde aufpassen sollen, doch nun waren sie hier, mitten in den Tiefen des Meeres und sie wussten nicht, was sie erwarten würde.

Ein Weile verharrten sie einfach so. Waren dankbar für die Nähe zueinander.

Doch als Renjun ein Pulsieren in seiner Hosentasche spürte, löste er sich als erster aus der Gruppenumarmung und schaffte ein paar Schritte Abstand. Irritiert zog er die Muschel aus seiner Tasche, die sie erst in diese missliche Lage brachte. Renjun wusste nicht, warum er sie mitnahm, doch nun lag sie in seiner Hand und pulsierte Schwach. Mit großen Augen sah er dabei zu, wie die zuvor brüchige und rissige Muschel sich scheinbar selbst ein bisschen heilte.

Renjun traute seinen Augen nicht.

Kurz blickte er zu seinen drei Freunden, die langsam ihre Umarmung lösten. Besorgt wickelte Jaemin ein Seetangblatt um die Wunde Haechan's, welches er am Rande des Weges gefunden hatte. Mehr konnte er nicht tun. Dann blickte Renjun wieder auf die Muschel, welche nun wieder seelenruhig in seiner Hand lag. Kein Pulsieren, kein Leuchten.

Verwirrt schüttelte er seinen Kopf, steckte die Muschel zurück in seine Hosentasche und behielt diese Sache vorerst für sich. Vielleicht hatte er sich auch nur getäuscht.

Gemeinsam mit seinen Freunden setzte er den Weg fort. Nicht ahnend, dass sie vier mehr mit der Muschel verbunden waren, als sie dachten. Dass die Muschel das fehlende Glied des Bandes war und ihre Freundschaft die Fähigkeit hatte, dieses Glied zu reparieren.

Das dunkle Wasser um sie herum schien dichter und schwerer zu werden, je tiefer sie gingen. Jeder Schritt fühlte sich an, als würde er sie weiter von der Oberfläche entfernen, doch gleichzeitig schien ihre Bindung zueinander sie vor der drohenden Dunkelheit zu schützen.

Die Höhlenwände wirkten lebendig, als ob sie atmeten, und ab und zu flackerte ein schwaches Licht an den uralten Symbolen. Ein leises, kaum wahrnehmbares Summen erfüllte die Stille – als würde das Meer selbst auf sie reagieren.

Renjun warf einen kurzen Blick auf seine Freunde. Haechan hielt seinen verletzten Arm dicht an den Körper gedrückt, während Jaemin und Chenle aufmerksam die Umgebung musterten. Niemand sprach ein Wort, doch sie alle wussten, dass sie jetzt vorsichtig sein mussten.

Nach einigen weiteren Schritten öffnete sich die enge Höhle in eine riesige Kaverne. Vor ihnen ragten zerfallene Säulen aus dem Boden, bedeckt von Moos und Algen. In der Ferne flackerte ein schwaches, bläuliches Licht – wie ein Leuchtfeuer in der Dunkelheit.

„Da vorne... seht ihr das?", fragte Chenle flüsternd.

Jaemin nickte langsam. „Das muss der nächste Ort sein. Vielleicht ein weiterer Splitter."

Doch noch bevor sie sich in Bewegung setzen konnten, vibrierte der Boden leicht unter ihren Füßen. Ein kalter Hauch zog durch das Wasser, begleitet von einem dumpfen Grollen.

Renjun legte instinktiv eine Hand auf seine Hosentasche, in der die Muschel lag. Ein schwaches Pulsieren ging wieder von ihr aus, kaum spürbar, aber deutlich genug, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.

„Habt ihr das gespürt?", fragte er leise.

Haechan blickte unsicher um sich. „Das war doch nicht wieder so ein Ding wie vorhin, oder?"

Chenle schüttelte den Kopf. „Nein... das fühlt sich anders an. Viel näher."

Plötzlich löste sich etwas aus der Dunkelheit. Eine gigantische Silhouette, langsam, bedrohlich. Die Kreatur war aus Felsen, Korallen und dunklem Seetang geformt, als hätte das Meer selbst sie erschaffen. In ihrer Mitte leuchtete schwach ein ähnliches Symbol wie das auf der Muschel.

„Wächter..."

Die Stimme hallte direkt in ihren Köpfen wider, tief und kratzend.

„Das ist der Wächter des nächsten Splitters", flüsterte Jaemin angespannt.

Die Kreatur bewegte sich langsam auf sie zu, jede Bewegung ließ den Boden unter ihnen erzittern.

„Was jetzt?", fragte Haechan panisch. „Wir können doch nicht gegen so ein Ding kämpfen!"

Renjun starrte die Kreatur an, dann auf die Muschel in seiner Tasche.

„Vielleicht müssen wir das auch nicht."

Er zog die Muschel hervor, die nun wieder zu pulsieren begann. Das Licht aus der Muschel flackerte im Einklang mit dem Symbol auf der Kreatur.

Jaemin verstand sofort. „Es reagiert auf die Muschel! Vielleicht... vielleicht ist das unsere Verbindung zu diesem Ding."

Langsam, vorsichtig, hob Renjun die Muschel in Richtung des Wächters.

Doch statt anzugreifen, hielt die Kreatur inne. Das pulsierende Licht wurde stärker, als würde es auf etwas warten.

„Eure Bindung... ist der Schlüssel..."

Das Licht der Muschel flackerte erneut, stärker diesmal.

Chenle trat neben Renjun. „Vielleicht müssen wir das gemeinsam machen."

Ohne zu zögern, legten Jaemin, Chenle und Haechan ihre Hände auf Renjuns Arm, schlossen den Kreis.

Die Muschel begann hell zu leuchten, ein warmes Licht breitete sich aus und umhüllte die Gruppe.

Die Kreatur senkte langsam ihren Kopf. Aus ihrer Mitte löste sich ein weiterer leuchtender Splitter und schwebte direkt auf sie zu.

Renjun streckte die Muschel aus, und der Splitter verschmolz mit ihr.

Ein gleißender Lichtblitz erhellte die Dunkelheit, und als er verging, war die Kreatur verschwunden. Nur Stille blieb zurück.

Schwer atmend sanken sie auf die Knie.

„Zwei von drei", flüsterte Jaemin.

Chenle sah ihn erschöpft, aber entschlossen an. „Einer fehlt noch."

Renjun schloss die Finger fester um die Muschel.

„Dann holen wir uns auch den letzten."

Und so setzten sie ihren Weg fort – stärker und verbundener als je zuvor.

Ihr Weg führte sie durch die Kaverne hindurch, die nun, ohne das gruselige Wesen, unglaublich hell, fröhlich und einladend aussah. Ja fast schon majestätisch.

„Es ist wirklich schön hier. Findet ihr nicht?", fragte Jaemin seine Freunde, während er sich lächelnd umblickte. Dieser Ort gab ihm mehr Kraft.

Chenle nickte langsam, während sein Blick über die hohen, von leuchtenden Korallen überwucherten Säulen glitt. Das schwache, schimmernde Licht, das von den Wänden ausging, spiegelte sich in den Wassertröpfchen, die sanft durch die Strömung getragen wurden.

„Ja... irgendwie fühlt es sich jetzt nicht mehr so bedrohlich an. Als hätte sich dieser Ort verändert, weil wir diesen Splitter gefunden haben.", murmelte Chenle nachdenklich.

Renjun ging langsam voran, die Muschel fest in der Hand. Auch ihm fiel auf, wie friedlich die Kaverne plötzlich wirkte. Wo zuvor dunkle Schatten an den Wänden tanzten, strahlte nun ein sanftes Licht.

„Vielleicht war es der Wächter, der diesen Ort so düster gemacht hat. Oder...", er machte eine Pause, „...vielleicht war es unsere eigene Angst."

Haechan schnaubte leise, ein schwaches Lächeln auf den Lippen. „Jetzt wirst du auch noch philosophisch? Aber du könntest recht haben. Ich fühle mich auch irgendwie leichter."

Jaemin blieb kurz stehen und legte den Kopf schief. „Denkt ihr, dass der Wächter nicht wirklich unser Feind war? Vielleicht hat er uns nur geprüft. Unsere Freundschaft, unsere Entschlossenheit."

Chenle zuckte mit den Schultern. „Dann haben wir den Test wohl bestanden."

Sie gingen weiter, durch einen langen Gang, dessen Wände von hellblauen Kristallen durchzogen waren. Das Licht der Kristalle wirkte fast lebendig, als würde es ihnen den Weg weisen.

Plötzlich öffnete sich der Gang in eine weite, offene Halle. In der Mitte thronte eine gewaltige Statue, halb verwittert, aber immer noch erhaben. Sie zeigte eine Gestalt, die eine ähnliche Muschel in den Händen hielt, und an ihrer Brust glänzte dasselbe Symbol, das nun auch auf Renjuns Muschel zu sehen war.

„Das ist doch...", setzte Jaemin an, doch Renjun schüttelte den Kopf.

„Nein, das ist nicht der Wächter. Das ist jemand anderes."

Sie traten näher heran. Am Sockel der Statue waren Symbole eingraviert, die langsam zu leuchten begannen, als Renjun sich mit der Muschel näherte.

Langsam, fast ehrfürchtig, hob Renjun die Muschel. Plötzlich flackerte das Licht an den Wänden auf und eine warme Stimme hallte durch den Raum.

„Drei Prüfungen. Drei Splitter. Nur die, die das Band des Vertrauens tragen, können das Siegel brechen."

Haechan blinzelte. „Drei Prüfungen? Also noch eine?"

Jaemin nickte langsam. „Das hier war erst die zweite. Es fehlt noch etwas... etwas Entscheidendes."

Chenle sah sich um. „Aber wo sollen wir hin? Es gibt keinen weiteren Weg."

Doch genau in diesem Moment öffnete sich mit einem tiefen Grollen der Boden vor der Statue. Langsam, wie durch eine unsichtbare Kraft, senkte sich eine steinerne Treppe in die Tiefe.

Ein kalter Luftzug wehte ihnen entgegen.

Renjun atmete tief ein. „Das ist unser Weg."

Jaemin legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Ganz gleich, was da unten auf uns wartet – wir gehen da zusammen durch."

Haechan grinste schief. „Und diesmal passen wir besser aufeinander auf."

Chenle nickte entschlossen.

Und so stiegen sie, einer nach dem anderen, die Treppe hinab – dem letzten Splitter entgegen.

Die Treppe führte sie weiter in die Tiefen des unbekannten Meeres. Aus den Wänden ragten blauleuchtende Kristalle, die fast schon eine hypnotisierende Wirkung hatten, so wunderschön wie sie sich im Wasser spiegelten. Etwas, was die Freunde absolut nicht erwartet hatten. Viel eher gingen sie davon aus, dass, je tiefer sie sich vorwagen würden, desto unheimlicher würde es werden.

Doch das Gegenteil war der Fall.

Je weiter sie gingen, umso schöner schien das Meer zu werden.

„Es ist so wunderschön hier.", nuschelte Haechan, fast so, als wäre er in einer Trance. Da fielen Renjun wieder die Worte ein, die der Wächter zu ihnen sprach, als sie sich dieses Abenteuers annahmen.

'Diese Gabe ist keine Gnade. Sie ist ein Band. Solange ihr unter Wasser verweilt, gehört ihr dem Meer. Zögert nicht, zurückzukehren, wenn ihr euren Weg vollendet habt. Oder das Meer wird euch behalten.', wiederholte er die Worte des Wächters in seinen Gedanken.

War das vielleicht ihre letzte Prüfung? War ihre letzte Prüfung, einer verführerischen Versuchung zu widerstehen?

Renjun blieb abrupt stehen, was auch die anderen dazu brachte, innezuhalten. Die hypnotisierende Schönheit des Ortes schien für einen Moment weniger wichtig, als seine ernste Miene.

„Leute... ich glaube, wir müssen vorsichtig sein.", sagte er leise, während sein Blick zwischen den bläulich schimmernden Wänden und seinen Freunden hin und her wanderte.

Jaemin runzelte die Stirn, während Haechan und Chenle ihn verwirrt ansahen.

„Wieso vorsichtig? Es passiert doch nichts.", erwiderte Haechan und deutete auf die glitzernden Kristalle um sie herum. „Es ist so friedlich hier. Nach allem, was wir durchgemacht haben, fühlt es sich fast... verdient an, oder nicht?"

Renjun zögerte, bevor er die Worte des Wächters aussprach, die ihm durch den Kopf gingen. „'Diese Gabe ist keine Gnade. Sie ist ein Band. Solange ihr unter Wasser verweilt, gehört ihr dem Meer.' Habt ihr vergessen, was er gesagt hat? Ich glaube, diese Schönheit hier ist eine Art Prüfung."

Chenle blinzelte überrascht, während Jaemin einen Schritt näher trat. „Du meinst, das Meer versucht uns hier zu halten? Mit all dem..." – er machte eine Geste zu den funkelnden Wänden – „...Glanz und Frieden?"

Renjun nickte langsam. „Es ergibt Sinn. Nach den beiden vorherigen Prüfungen, die gefährlich und unheimlich waren, ist dies... anders. Es spielt mit unserem Verlangen nach Ruhe und Schönheit. Es lässt uns vergessen, warum wir überhaupt hier sind."

Haechan verschränkte die Arme. „Aber wie sollen wir einer schönen Prüfung widerstehen? Wir können nicht einfach die Augen vor allem hier verschließen."

„Es geht nicht nur darum, wegzusehen.", erklärte Renjun. „Es geht darum, sich daran zu erinnern, warum wir hier sind. Wir suchen den letzten Splitter. Das ist unser Ziel. Das Meer will, dass wir vergessen und bleiben. Aber wenn wir uns daran erinnern, wer wir sind und warum wir das tun, dann können wir widerstehen."

Eine Weile herrschte Stille, während die Freunde Renjun's Worte sacken ließen.

Jaemin nickte schließlich. „Okay. Dann halten wir uns gegenseitig im Blick. Wenn einer von uns... na ja... ‚nachlässt', holen wir ihn zurück. Einverstanden?"

Chenle hob die Hand. „Ich bin dabei. Das Meer kriegt mich nicht."

Haechan seufzte, grinste aber schwach. „Na gut, ich bleibe bei euch. Aber ihr müsst mich im Auge behalten. Ich werde leicht abgelenkt."

Renjun schmunzelte und setzte sich wieder in Bewegung. „Dann bleibt dicht beieinander. Und lasst euch von all dem hier nicht einlullen."

Gemeinsam gingen sie weiter, das hypnotisierende Licht der Kristalle stets um sie herum. Doch diesmal waren ihre Gedanken klar. Sie hielten sich gegenseitig wachsam, mit leisen Gesprächen und gelegentlichen Erinnerungen an ihr Ziel.

Das Meer mochte schön sein – aber sie waren entschlossen, ihm nicht zu gehören.

Sie gingen weiter und weiter, doch es gab keinen Hinweis auf den Aufenthaltsort des letzten Splitters, was sie langsam aber sicher verzweifeln ließ.

„Leute, können wir nicht kurz eine Pause machen? Ich bin unglaublich müde.", meinte Chenle, als er sich seufzend auf den Boden fallen ließ und seine Augen schloss. Augenblicklich blieben seine Freunde ebenso stehen und sahen den Jüngsten an. „Das verstehe ich, Chenle. Mir geht es auch so. Aber Renjun und Haechan bestehen darauf, weiter zu machen. Je länger wir warten, desto schwerer wird es, wieder zurück an Land zu kommen.", entgegnete Jaemin, ließ sich aber dennoch ebenso mit einem Gähnen auf den Boden nieder.

„Leute, wir haben keine Zeit uns auszuruhen. Je länger wir warten, desto gefährlicher wird es. Wir wissen nicht, wie lange wir dieser Schönheit hier widerstehen können.", meinte Haechan. „Du hast gut Reden. Du bist heute auch nicht gestorben und wieder reanimiert wurden und musstest direkt in ein weiteres Abenteuer einsteigen, ohne die Möglichkeit gehabt zu haben, dich von deinem Tod zu erholen.", meinte Chenle, mit noch immer geschlossenen Augen.

Doch als er realisierte, was er gerade gesagt hatte, riss er seine Augen auf und setzte sich auf. Blickte seine Freunde an. Während Haechan ihn verletzt und Jaemin ihn ungläubig ansah, ließ Renjun seinen Blick zwischen den Dreien umher schweifen.

Irgendwas war seltsam...

„Tut mir leid!", prustete Chenle direkt heraus. „Ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe! Ich...Ich...", stotterte er, brachte keinen ordentlichen Satz mehr zustande.

Eine schwere Stille legte sich über die Gruppe, während Chenle sich verzweifelt zu erklären versuchte. Doch seine Worte klangen hohl, und seine Freunde sahen ihn mit einer Mischung aus Verwirrung und Misstrauen an.

Renjun, der die Anspannung spürte, trat einen Schritt nach vorne und hob beschwichtigend die Hände. „Beruhigt euch. Es ist okay. Chenle, was war das gerade? Warum hast du das gesagt?"

Chenle schüttelte heftig den Kopf, Tränen der Frustration stiegen ihm in die Augen. „Ich weiß es nicht, Renjun! Es war, als hätte jemand anderes für mich gesprochen. Das wollte ich doch gar nicht sagen..."

Haechan sah ihn misstrauisch an, doch seine eigene Müdigkeit und der Schmerz in seinem Handgelenk ließen ihn den Streit nicht weiter anheizen. Stattdessen kniff er die Augen zusammen und drehte sich von Chenle weg. „Ist ja egal. Wir sollten uns lieber überlegen, wie wir hier rauskommen."

„Nein, es ist nicht egal." Jaemin, der noch immer auf dem Boden saß, funkelte Haechan an. „Chenle hat etwas gesagt, was wir alle fühlen, oder? Wir sind erschöpft, überfordert, und—" Er brach ab und sah zu Renjun. „Was, wenn das Meer nicht nur schön ist? Was, wenn es uns manipuliert?"

Die Worte trafen Renjun wie ein Schlag. Seine Augen weiteten sich, und er drehte sich instinktiv zu den leuchtenden Kristallen an den Wänden. Sie waren schön, ja – aber war es wirklich nur Schönheit?

„Das macht Sinn.", flüsterte Renjun. „Die Müdigkeit, die Verzweiflung, die unüberlegten Worte... Vielleicht versucht das Meer, uns gegeneinander aufzubringen. Wenn wir uns streiten oder nachgeben, dann gehören wir ihm."

Chenle klammerte sich an diese Erklärung, als wäre sie sein Rettungsanker. „Das war nicht ich! Ich schwöre, ich wollte das nicht sagen!"

„Wir wissen es, Chenle.", sagte Jaemin schnell, legte ihm eine beruhigende Hand auf die Schulter. „Aber Renjun hat recht. Wir dürfen uns nicht beeinflussen lassen. Nicht von der Schönheit, nicht von unserer Müdigkeit – und auch nicht von diesen Gedanken, die uns einreden wollen, dass wir gegeneinander stehen."

Haechan wandte sich langsam wieder zu den anderen um, sein Ausdruck weniger hart als zuvor. „Also... was schlagen wir vor? Wie kommen wir aus diesem... Manipulationsspiel raus?"

Renjun atmete tief durch. „Wir bleiben zusammen. Wir erinnern uns daran, warum wir hier sind. Und wenn wir uns seltsam fühlen oder Dinge sagen, die wir nicht meinen, dann sprechen wir es sofort an. Wir lassen das Meer keine Lücken finden, um uns zu spalten."

Die anderen nickten, wenn auch zögerlich. Es war keine perfekte Lösung, aber es war alles, was sie hatten.

„Und jetzt?", fragte Jaemin.

Renjun ließ seinen Blick über die Treppe schweifen, die noch immer tiefer führte. Die leuchtenden Kristalle schienen sie beinahe zu verspotten. „Wir gehen weiter. Zusammen. Und egal, was passiert – wir bleiben stark."

Mit neuem Entschluss rappelten sie sich auf und setzten ihren Weg fort, Schulter an Schulter. Doch in ihren Herzen wuchs die Ahnung, dass dies erst der Anfang war. Das Meer würde sie nicht so leicht gehen lassen.

„Aish! Hat diese verdammte Treppe überhaupt ein Ende?!", schrie Jaemin frustriert, seine Stimme hallte von den Wänden wider. „Wir laufen jetzt schon seit gefühlten Stunden! Ich kann das Alles langsam nicht mehr sehen! Diese zuvor so wunderschönen Kristalle...Ich...Ich bekomme langsam Platzangst...Es sieht alles gleich aus und es ist kein Ende in Sicht.", wurde seine Stimme gegen Ende hin leiser.

Er spürte, wie sein Körper zu zittern begann.
Er spürte, wie seine normale Atmung zu einer Schnappatmung überging.
Er spürte, wie seine Beine nachgaben.

Ängstlich und panisch atmend, legte er seine Arme um seinen eigenen Körper.

Er hatte eine Panikattacke.

Jaemins plötzlicher Zusammenbruch ließ die anderen erstarren. Das Echo seines schwer atmenden Körpers hallte unheimlich durch den Tunnel, während er auf die Knie sank, zitternd und von Panik überwältigt.

„Jaemin!", rief Chenle erschrocken und stürzte zu ihm. Er ging in die Hocke, legte eine Hand auf Jaemins Schulter und sah zu ihm auf, als wolle er ihm versichern, dass alles in Ordnung war – obwohl es das offensichtlich nicht war.

Haechan wirkte zunächst wie versteinert, dann eilte auch er zu Jaemin, kniete sich neben ihn. „Hey, hey! Jaemin, hör mir zu! Du bist hier, okay? Wir sind hier! Atme, langsam. Mit mir, okay?" Er begann tief ein- und auszuatmen, in der Hoffnung, Jaemin würde seinen Atemrhythmus nachahmen.

Renjun, der in solchen Situationen immer das Gefühl hatte, die Verantwortung tragen zu müssen, blickte sich hektisch um. Er fühlte sich hilflos, wusste nicht, wie er in dieser Situation helfen sollte. „Das Meer... Das Meer macht das! Es spielt mit uns! Wir müssen weg von hier! Sofort!", rief er aus, sein eigener Tonfall zitterte vor Anspannung.

„Renjun, beruhig dich!", entgegnete Haechan, seine Stimme fordernd, aber nicht unfreundlich. „Er braucht uns jetzt hier, nicht irgendwo anders! Das wird schon, okay?"

Chenle, der noch immer eine Hand auf Jaemins Schulter hatte, versuchte, ruhig zu bleiben, auch wenn die Situation ihm Angst machte. „Jaemin... Du bist nicht allein. Wir sind bei dir. Egal, wie eng es hier wird, wir lassen dich nicht zurück. Aber du musst atmen, okay? Bitte, versuch es."

Jaemin, noch immer in seiner Panik gefangen, schüttelte den Kopf. „Ich... ich kann nicht! Es ist zu viel! Ich... ich bekomme keine Luft!"

Renjun nahm schließlich all seinen Mut zusammen und trat vor. Er beugte sich zu Jaemin hinunter, legte ihm beide Hände auf die Schultern und sprach ruhig, aber eindringlich: „Jaemin, schau mich an."

Es dauerte einen Moment, doch schließlich hob Jaemin seinen Blick und traf Renjuns Augen.

„Du bist stark. Du hast es bis hierher geschafft, oder? Du hast uns geholfen, als alles ausweglos schien. Du bist nicht allein, hörst du? Wir schaffen das zusammen. Aber jetzt musst du mir vertrauen und atmen. Tief ein... und tief aus."

Langsam, ganz langsam, schien Jaemins Atmung sich zu beruhigen. Er klammerte sich noch immer an sich selbst, aber das Zittern ließ nach, und sein Blick wurde klarer.

„Gut so.", flüsterte Haechan, sichtlich erleichtert.

„Genau, so ist es richtig.", fügte Chenle hinzu und versuchte, Jaemin ein aufmunterndes Lächeln zu schenken, auch wenn es ihm selbst schwerfiel.

Nach einer Weile schien Jaemin wieder Herr über sich selbst zu werden. Er ließ seine Arme sinken, atmete tief durch und sah seine Freunde nacheinander an. „Danke... Ich... Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was mit mir los war."

„Du musst dich nicht entschuldigen.", sagte Renjun und legte ihm kurz die Hand auf den Kopf. „Wir alle sind am Limit. Das hier ist nicht normal, und niemand kann erwarten, dass wir das einfach so wegstecken."

Haechan richtete sich langsam auf und streckte Jaemin eine Hand entgegen. „Komm. Wir schaffen das. Zusammen, okay?"

Jaemin nickte, ergriff Haechans Hand und ließ sich hochziehen. „Okay. Zusammen."

Die Gruppe sammelte sich, und obwohl die Situation sie alle mitgenommen hatte, schien das Band zwischen ihnen stärker geworden zu sein. Mit erneuter Entschlossenheit setzten sie ihren Weg fort, Seite an Seite – in der Hoffnung, dass sie bald ein Ende dieser unendlichen Treppe finden würden.

Und tatsächlich. Nach einer Weile kamen sie in einem kleinen Raum an. Renjun und Chenle waren vorgegangen, während Haechan und Jaemin ihnen, Hand in Hand, folgten.

Es beruhigte Jaemin ungemein, die Hand seines besten Freundes in seiner zu spüren, weshalb er den restlichen Weg der Treppe bis zu diesem Raum ohne eine weitere Panikattacke gemeistert hatte, auch wenn ihm das Atmen stellenweise unglaublich schwer fiel.

„Wo sind wir hier?", fragte Haechan, obwohl er wusste, dass seine Freunde genau so wenig wussten, wie sie selbst.

„Ist das eine Grotte? Ich dachte, die Treppe führte nach unten? Warum...?", gab Chenle ebenso verwirrt von sich.

Der Raum, in dem sie angekommen waren, wirkte auf den ersten Blick wie eine Art Grotte, doch es war keine gewöhnliche. Die Wände schimmerten in einem tiefen Türkis, das von phosphoreszierendem Licht durchzogen wurde. Kristalle ragten aus dem Boden und der Decke, wie Nadeln, die in alle Richtungen wiesen. Trotz der Schönheit des Ortes fühlte sich die Luft – oder besser gesagt das Wasser – schwer und drückend an. Es war, als ob sie in die Lunge hineinpresste, obwohl sie durch die Tropfen atmen konnten.

„Das ist doch nicht normal...", murmelte Renjun, während er sich weiter in dem Raum umsah.

Chenle kniete sich hin und strich mit der Hand über den Boden, der glatt und fast schon künstlich wirkte. „Es sieht aus, als wäre das hier nicht von der Natur gemacht worden. Seht ihr die Symbole auf dem Boden?"

Die anderen kamen näher und schauten auf die Muster, die Chenle entdeckt hatte. Es waren verschlungene Kreise und Linien, die sich wie Wellen umeinander wanden und in der Mitte des Raumes zu einem großen, spiralförmigen Symbol zusammenliefen.

„Es fühlt sich an wie... ein Ritualort oder so etwas.", spekulierte Haechan leise und griff fester nach Jaemins Hand, ohne es bewusst zu bemerken.

„Das erklärt immer noch nicht, warum wir hier gelandet sind.", murmelte Renjun und trat vorsichtig auf das zentrale Symbol zu.

Plötzlich begann das Wasser in der Grotte zu vibrieren, und ein tiefer, hallender Ton erfüllte den Raum. Die Symbole auf dem Boden und an den Wänden leuchteten auf, erst schwach, dann immer heller.

„Was passiert hier?!", rief Chenle, der aufsprang und sich an Renjun klammerte.

Jaemin, der immer noch mit seiner eigenen Atmung kämpfte, spürte, wie die Temperatur des Wassers um sie herum anstieg. „Es fühlt sich an, als ob etwas erwacht...", flüsterte er, seine Stimme von Furcht durchzogen.

In der Mitte des spiralförmigen Symbols erschien plötzlich eine goldene Kugel aus Licht, die langsam größer wurde. Sie wirbelte und funkelte, während sie sich nach oben ausdehnte.

„Das... das muss der letzte Splitter sein!", rief Renjun, seine Augen vor Überraschung und Hoffnung geweitet.

Doch bevor einer von ihnen sich dem Licht nähern konnte, donnerte eine tiefe, fremde Stimme durch den Raum:

„Nur diejenigen, deren Herzen rein und deren Band unzertrennlich ist, dürfen diesen letzten Funken des Meeres berühren. Tretet vor – und beweist eure Stärke."

Die vier sahen sich mit gemischten Gefühlen aus Angst und Entschlossenheit an.

„Zusammen.", sagte Haechan leise und schaute Jaemin an, der mit einem schwachen Lächeln nickte.

Renjun trat vor, blickte seine Freunde an und streckte eine Hand aus. „Zusammen."

Chenle schloss sich ihnen an, und alle vier fassten sich an den Händen, bildeten eine unerschütterliche Kette. Gemeinsam traten sie auf das Licht zu, bereit, sich dem nächsten Teil ihrer Prüfung zu stellen.

Je näher sie dieser Kugel kamen, desto schwerer fiel ihnen das Atmen.

„Habt ihr auch ein Gefühl von Wasser, das eure Lungen füllt?", fragte Haechan und musste husten. Im Augenwinkel sah er, wie seine Freunde nickten, dennoch gingen sie weiter auf die Kugel zu.

Je näher sie der leuchtenden Kugel kamen, desto drückender wurde das Gefühl, als ob das Wasser, das sie umgab, direkt in ihre Körper eindrang. Es war keine körperliche Überflutung, sondern ein metaphysisches Gewicht, das sich in ihren Lungen, in ihrem Kopf und in ihrem Herzen festsetzte.

„Es fühlt sich an, als würde ich ertrinken...", keuchte Jaemin, seine Schritte zögernd, während er Haechan trotzdem fest an der Hand hielt.

„Bleibt ruhig. Wir müssen es schaffen. Wir sind so weit gekommen.", drängte Renjun, obwohl seine eigene Stimme unsicher klang. Auch er hatte das Gefühl, dass jeder Atemzug schwerer wurde, als würde das Wasser seine Fähigkeit, zu denken und zu handeln, beeinträchtigen.

Chenle hielt sich mit zitternden Händen an Renjun fest. „Es... es tut weh... aber wir können nicht umkehren. Wir müssen das beenden!" Seine Stimme klang wie ein Schluchzen, doch er machte einen weiteren Schritt vorwärts.

Die Kugel, die sich wie ein lebendiges Wesen vor ihnen drehte und pulsierte, schien auf ihre Annäherung zu reagieren. Sie begann zu flimmern, als ob sie ihre Präsenz erkannte. Das Licht wurde intensiver, und inmitten dieses blendenden Glanzes erschien eine Vision:

Bilder blitzten vor ihren Augen auf – ihre Vergangenheit, ihre Streitereien, ihre Ängste und Unsicherheiten, aber auch ihre Momente der Freundschaft, des Vertrauens und der Liebe zueinander.

„Seht ihr das auch?", fragte Haechan, sein Atem stockend.

„Ja...", hauchte Renjun. „Es zeigt uns... uns selbst. All unsere Schwächen... und unsere Stärke."

Plötzlich erklang wieder die tiefe Stimme: „Das Meer verlangt von euch die Wahrheit. Eure Seelen müssen unerschütterlich verbunden sein, wenn ihr den letzten Splitter beanspruchen wollt. Doch seid gewarnt – Uneinigkeit wird euch verschlingen."

Die Kugel begann, ihre Form zu verändern, und zeigte nun ein klares Bild: Eine massive Welle, die sich bedrohlich auf sie zubewegte.

„Was bedeutet das?", fragte Jaemin panisch, als er die tobenden Wassermassen sah.

„Es testet uns. Es will sehen, ob wir bereit sind, einander wirklich zu vertrauen!", schrie Renjun, obwohl seine Stimme zitterte.

Die Welle kam näher, und das Gefühl des Ertrinkens wurde unerträglich. Renjun ließ Chenle nicht los, Jaemin klammerte sich an Haechan, und sie alle hielten sich verzweifelt aneinander fest, während die Welle sie zu verschlingen drohte.

„Vertraut auf uns. Vertraut auf unsere Verbindung!", schrie Haechan, kurz bevor die Welle sie erreichte.

Im letzten Moment schloss sich die Kugel um sie, und alles wurde von einem blendenden Licht verschluckt. Sie fühlten keinen Schmerz mehr, keine Schwere, nur eine unendliche Ruhe, als ihre Hände immer noch ineinander verschränkt blieben.

Und dann – Stille.

„Hm?", gab Jaemin verwirrt von sich, der seine Augen zugekniffen hatte. Erst öffnete er ein Auge, sah etwas vor ihnen friedlich im Wasser schweben. Dann öffnete er auch sein anderes Auge und erkannte es. „Die Muschel?", stellte er fest, ehe er sich nach seinen Freunden umsah, die hektisch atmeten und noch immer ihre Augen geschlossen hielten. Ein kleines Schmunzeln entfiel ihm, ehe er die Hände von Haechan und Renjun, die die seinen umgriffen, etwas fester zudrückte und sagte: „Ihr könnt eure Augen öffnen. Wir haben es geschafft. Der letzte Splitter."

Langsam öffneten auch Haechan, Renjun und Chenle ihre Augen, die noch von der Angst und Anstrengung getrübt waren. Ihre Blicke wanderten zu Jaemin, der immer noch die Muschel beobachtete, die wie in Zeitlupe vor ihnen schwebte und dabei sanft golden leuchtete.

„Der... letzte Splitter?", fragte Renjun leise, als hätte er Angst, die friedliche Stille des Moments zu zerstören.

Jaemin nickte, ein sanftes Lächeln auf den Lippen. „Ja. Schaut selbst."

Sie wandten ihre Blicke zur Muschel, die sich langsam öffnete, als ob sie ihre Präsenz erkannte. Und dort, in ihrem Inneren, lag er: der letzte Splitter, ein kristallklarer, funkelnder Edelstein, der das Licht um sie herum zu reflektieren schien, als wäre er die Quelle all ihrer Prüfungen und ihrer Hoffnung.

Chenle schluckte schwer. „Das... ist er wirklich. Das ist es, wonach wir gesucht haben."

„Und das, wofür wir so viel riskiert haben", fügte Haechan hinzu, seine Stimme noch immer leicht zittrig. Doch in seinen Augen war auch ein Hauch von Stolz zu erkennen.

Renjun trat zögernd einen Schritt nach vorn, streckte seine Hand aus, um den Splitter zu nehmen. Doch bevor er ihn berührte, drehte er sich zu seinen Freunden um. „Das ist nicht nur meine Entscheidung. Sollen wir ihn nehmen?"

Die drei nickten fast gleichzeitig, ihre Hände noch immer ineinander verschränkt. „Wir haben das zusammen geschafft. Also holen wir ihn auch zusammen", sagte Haechan mit einem entschlossenen Blick.

Renjun nickte, ein Lächeln huschte über sein Gesicht, bevor er seine Hand vorsichtig weiterstreckte und den Splitter aus der Muschel nahm. Kaum hatte er ihn berührt, wurde das Leuchten des Edelsteins intensiver, und eine warme Welle durchströmte ihre Körper, die alle Schmerzen, Ängste und Erschöpfung hinwegzuspülen schien.

„Wow...", hauchte Chenle, als er spürte, wie die Energie des Splitters sie alle zu berühren schien.

„Es fühlt sich an, als hätte er auf uns gewartet", flüsterte Jaemin, der immer noch Haechans Hand hielt, während sein Blick fasziniert auf dem Splitter lag.

Die Muschel schloss sich langsam wieder, als ob sie ihren Zweck erfüllt hätte, und sank schließlich still zurück in die Dunkelheit des Wassers. Doch sie wussten, dass ihr Abenteuer noch nicht vorbei war.

Renjun hielt den Splitter hoch und sah seine Freunde entschlossen an. „Wir haben ihn. Jetzt müssen wir zurück, bevor das Meer uns endgültig behält."

Sie nickten, hielten einander noch immer fest und machten sich bereit, den Rückweg anzutreten – in der Hoffnung, dass das Meer sie gehen ließ.

Nun standen sie hier. Vor dem Ende der Treppe, die sie zu diesem Raum geführt hatte. Jaemin spürte wieder die Angst und Panik in ihm aufkommen bei dem Gedanken, diesen unendlichen Gang erneut durchqueren zu müssen.

„Gibt...Gibt es keinen anderen Weg?", fragte er, schluckte schwer und verkrampfte seine Hand, wobei er Haechan's Hand, die noch immer in seiner lag, fast zerquetschte.

Haechan spürte den Druck in seiner Hand, schaute zu Jaemin und sah die Angst in dessen Gesicht. Ohne zu zögern, legte er seine andere Hand beruhigend auf Jaemin's Arm. „Hey... Ganz ruhig, Jaem. Wir schaffen das. Wir sind bis hierher gekommen, oder? Da kriegen wir den Rückweg auch noch hin."

Jaemin atmete schwer, sein Blick wanderte nervös zwischen Haechan und dem dunklen Gang hin und her. „Aber was, wenn... wenn es wieder passiert? Was, wenn ich es diesmal nicht schaffe?" Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, das von Panik getränkt war.

Renjun trat einen Schritt näher, den Splitter fest in der Hand. „Jaemin, wir sind alle erschöpft, und ich weiß, wie schwer das für dich sein muss. Aber du bist nicht allein. Wir sind hier. Zusammen. Und wenn es nötig ist, tragen wir dich aus diesem Gang raus, okay?"

Chenle nickte energisch. „Genau. Außerdem... du hältst Haechans Hand, richtig? Er lässt dich nicht los. Und wir auch nicht."

Haechan drückte Jaemin's Hand noch fester, ein sanftes Lächeln auf seinen Lippen. „Ich hab dich, Jaem. Egal, wie lange der Weg ist. Du kannst dich immer an mich klammern, okay?"

Jaemin blickte seine Freunde an, die ihn alle ermutigend ansahen. Er spürte die Wärme, die von ihren Worten ausging, die Stärke, die sie ihm gaben, und die leise Zuversicht, dass er es schaffen könnte.

Er atmete tief ein, dann aus, auch wenn es ihm schwerfiel. Schließlich nickte er langsam. „Okay... Aber... bleibt bei mir. Bitte."

„Das würden wir nie anders machen", sagte Haechan leise und zog Jaemin ein kleines Stück näher, bevor er mit einem Blick zu Renjun und Chenle sagte: „Los, Leute. Der Splitter wartet sicher nicht ewig auf uns, um ihn heimzubringen."

Renjun drehte sich um, die Führung übernehmend, und Chenle folgte dicht hinter ihm. Haechan und Jaemin schlossen die kleine Gruppe ab, ihre Hände immer noch fest ineinander verschlungen.

Der Gang wirkte nicht weniger bedrohlich als zuvor, aber Jaemin spürte bei jedem Schritt die Stärke seiner Freunde – und das half ihm, seinen inneren Dämonen standzuhalten.

Sie kamen ohne große Probleme die Treppe wieder hoch, wobei der Aufstieg körperlich nochmal wesentlich anstrengender war, als der Abstieg. Hinzu kam ihre Müdigkeit, die Erschöpfung und der ganze psychische Stress, dem sie ausgesetzt waren.

Sie alle waren langsam mehr als nur ausgelaugt und kraftlos.

Auch konnte Haechan den immer stärker werdenden Schmerz in seinem Handgelenk nicht mehr ignorieren.

„Haechan, alles okay? Du bist so blass.", fragte Jaemin, als die vier Freunde schweratmend von dem anstrengenden Treppenaufstieg wieder in dem Raum mit der Statue ankamen.

Haechan nickte schwach, doch sein Gesicht verriet, dass es ihm alles andere als gut ging. Er presste seine unverletzte Hand gegen sein schmerzendes Handgelenk, um den pochenden Schmerz irgendwie zu lindern. „Ja... es geht schon. Ich bin nur... müde." Seine Stimme klang brüchig, fast ein Flüstern.

Jaemin kniff die Augen zusammen, musterte Haechan kritisch und ließ seine Hand nicht los. „Das ist nicht nur Müdigkeit, oder? Zeig mir dein Handgelenk."

„Nein, es ist nichts. Es ist—" Haechan wollte abwinken, doch Jaemin ließ sich nicht so leicht abspeisen. Bevor Haechan protestieren konnte, griff Jaemin vorsichtig nach seinem Arm und schob das notdürftige Seetangverband beiseite.

Chenle und Renjun, die inzwischen ebenfalls ihre Atempausen beendeten, kamen neugierig näher. „Oh mein Gott, Haechan!", rief Chenle entsetzt, als er den Zustand der Wunde sah.

Das Handgelenk war angeschwollen, die Haut darum war dunkelrot und wirkte entzündet. Blut mischte sich mit einer durchsichtigen Flüssigkeit, und die Wunde sah alles andere als gut aus.

„Haechan, das ist ernst! Warum hast du uns nichts gesagt?!", fragte Renjun, seine Stimme schwanger vor Sorge und Vorwurf.

Haechan wandte den Blick ab und biss sich auf die Unterlippe. „Weil... weil es nichts bringt, okay? Wir können nichts dagegen tun, und ich wollte euch nicht noch mehr Sorgen machen."

„Sorgen machen wir uns sowieso, wenn du einfach so tust, als wäre alles in Ordnung, obwohl es das nicht ist!", sagte Jaemin. Seine Augen glitzerten vor unterdrückter Sorge, und er hielt Haechan's Hand vorsichtig, aber bestimmt fest. „Das hier könnte sich entzünden, wenn es das nicht schon ist. Wir müssen das behandeln, bevor es schlimmer wird."

„Aber wie?", fragte Chenle leise. „Wir haben doch keine Medizin oder sowas."

Renjun dachte kurz nach und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Die Statue ragte imposant über ihnen auf, und irgendwo in seinem Gedächtnis klingelte etwas. „Vielleicht... vielleicht kann die Statue uns helfen."

Haechan runzelte die Stirn. „Die Statue? Wie soll sie das machen?"

„Der Wächter hat gesagt, das Meer gehört uns, solange wir hier unten sind", erinnerte Renjun sie. „Vielleicht gibt es hier Magie, die wir nutzen können. Wir haben nichts zu verlieren, oder?"

Zögernd nickte Jaemin und half Haechan dabei, näher an die Statue zu treten. Renjun hob den Splitter, den sie zuletzt gefunden hatten, und richtete ihn auf die Statue, wobei das sanfte Leuchten des Kristalls die Umgebung erhellte.

„Wenn das Meer uns wirklich akzeptiert hat... dann gib uns bitte die Kraft, Haechan zu heilen", murmelte Renjun leise, fast wie ein Gebet, während er den Splitter sanft an die Statue hielt.

Nach Renjun's Worten begann nicht nur der Splitter in seiner Hand zu leuchten, sondern auch die Augen der imposanten Statue.

Während der Älteste der vier konzentriert seine Augen geschlossen hatte, blickten die anderen Drei ungläubig nach oben.

Es funktionierte wirklich...

Ein sanftes, fast beruhigendes Leuchten erfüllte den Raum, während die Statue begann, leicht zu vibrieren. Von ihren leuchtenden Augen ausgehend, zogen sich dünne Lichtlinien entlang ihres Körpers, wie ein pulsierendes Netz, das mit jedem Augenblick heller wurde.

Renjun öffnete langsam seine Augen, seine Finger zitterten leicht, als er den Splitter in seinen Händen hielt. Das Licht aus dem Kristall wurde stärker und schien von der Statue direkt in ihn überzugehen. „Es funktioniert...", flüsterte er fast ungläubig.

Haechan, Chenle und Jaemin starrten mit offenen Mündern zu der Statue, unfähig, ein Wort zu sagen. Doch es war Jaemin, der schließlich die Stille durchbrach. „Renjun, pass auf dich auf! Es sieht aus, als ob—"

Bevor Jaemin seine Warnung zu Ende sprechen konnte, floss das Licht aus der Statue plötzlich in alle vier Freunde. Es war, als ob ein warmer Strom durch ihre Körper ging, ein seltsames Kribbeln, das sich von Kopf bis Fuß ausbreitete.

Haechan keuchte laut, als er spürte, wie der pochende Schmerz in seinem Handgelenk plötzlich nachließ. Reflexartig hob er seine Hand, das Seetangverband fiel zu Boden. Seine Freunde starrten überrascht, als sie sahen, dass die Wunde vollständig verheilt war. Keine Spur von der Infektion oder der tiefen Schnittwunde, die ihn so lange gequält hatte.

„Das... das ist weg...", stammelte Haechan, seine Stimme vor Erstaunen brüchig.

„Es hat funktioniert", sagte Chenle ungläubig und fasste vorsichtig Haechans geheiltes Handgelenk an. „Das Meer hat dich geheilt..."

Renjun ließ den Splitter langsam sinken, seine Atmung war schwer, aber er lächelte. „Wir... wir haben es geschafft. Die Statue hat uns wirklich geholfen."

Das Leuchten der Statue verblasste langsam, ebenso wie das pulsierende Licht in den Wänden des Raumes. Alles kehrte wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurück, doch der Raum wirkte wärmer, lebendiger, als hätte die Heilung einen Teil des Lebens hier zurückgebracht.

Jaemin legte eine Hand auf Haechan's Schulter und drückte sie sanft. „Wie fühlst du dich? Wirklich?"

Haechan blickte noch immer ungläubig auf sein Handgelenk, dann auf seine Freunde. „Ich... fühle mich großartig. Es ist, als ob ich nie verletzt gewesen wäre." Seine Augen wurden weich, und er fügte leise hinzu: „Danke, Leute. Ich hätte das nicht ohne euch geschafft."

Renjun nickte und schloss seine Augen für einen Moment, dankbar für das, was gerade geschehen war. „Wir haben es zusammen geschafft. Aber das heißt, wir sind dem Meer jetzt wirklich etwas schuldig."

Die Worte des Ältesten ließen die Stimmung kurz wieder ernster werden. Das Meer hatte ihnen geholfen, ja – aber zu welchem Preis? Sie spürten alle, dass dies erst der Anfang war.

„Da fällt mir ein...", begann Chenle, als sie ihren Weg zurück fortsetzten. „Dieses ganze Abenteuer hat damit angefangen, dass wir eine abgetrennte Hand gefunden haben, die von dem Meer ans Land gespült wurde. Meint ihr, wir stoßen hier auf irgendetwas, das uns verraten kann, wo diese Hand herkam?", setzte er seine Worte fort.

Die Gruppe hielt inne, als Chenle seine Frage aussprach. Seine Worte hallten im Wasser nach und hinterließen eine unangenehme Stille. Renjun runzelte die Stirn und sah über seine Schulter zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

„Du hast recht...", murmelte Renjun. „Wir haben uns so sehr auf die Splitter konzentriert, dass wir die Hand fast vergessen hätten. Das war doch der Auslöser für all das hier."

Haechan schüttelte den Kopf, immer noch etwas blass, aber deutlich gefasster als zuvor. „Ich weiß nicht... Ich habe mich immer gefragt, ob diese Hand überhaupt etwas mit unserer Aufgabe hier zu tun hat. Vielleicht war sie nur ein Warnsignal, dass mit dem Meer etwas nicht stimmt."

Jaemin hob skeptisch eine Augenbraue. „Oder sie gehört jemandem, der das hier vor uns versucht hat und... gescheitert ist."

Die Vorstellung ließ eine unangenehme Kälte durch alle vier fahren, die nichts mit dem Wasser um sie herum zu tun hatte.

„Was, wenn es einen Zusammenhang gibt?", fragte Chenle, diesmal etwas leiser. „Diese Splitter, die Statue, die Hand... Was, wenn wir nicht die Ersten sind, die versucht haben, diese Aufgabe zu erfüllen?"

Renjun atmete tief durch, seine Gedanken rasten. „Wenn die Hand zu jemandem gehörte, der das hier vor uns versucht hat, dann... müssten wir doch irgendwo Hinweise finden. Irgendetwas, das uns sagt, wer sie war oder warum sie hier war."

„Du meinst, ein Zeichen?", fragte Haechan und trat näher an Renjun heran.

„Ja. Wenn wir Glück haben, stoßen wir auf eine Spur. Irgendetwas, das uns mehr über das Geheimnis dieses Meeres verrät."

Jaemin schaute sich um, seine Augen prüften die Wände und den Boden des Raums, in dem sie sich gerade befanden. „Dann sollten wir besser die Augen offen halten. Egal wie müde wir sind, wir dürfen nichts übersehen."

Die Gruppe nickte einstimmig und setzte ihren Weg fort, ihre Blicke nun wachsamer als je zuvor. Die Möglichkeit, dass die abgetrennte Hand mehr mit ihrer Reise zu tun hatte, als sie zunächst dachten, ließ sie nicht mehr los. Und tief in ihren Herzen wuchs die Angst, dass sie am Ende auf eine Wahrheit stoßen könnten, die sie vielleicht gar nicht erfahren wollten.

Schließlich kamen die vier Freunde wieder an der Kaverne an, bei der sie gegen den Wächter standhielten und den zweiten Splitter fanden. Noch immer war die Schönheit dieses Ortes faszinierend und der Wächter war nicht zu sehen.

„Diese Kaverne...Sie ist groß. Vielleicht finden wir hier einen Hinweis auf die Hand? Vorhin sind wir hier einfach schnurstracks durch, um unsere Mission zu beenden und vergaßen die Hand. Vielleicht sollten wir uns hier mal etwas umsehen?", meinte Renjun, was seine Freunde abnickten.

„Schwärmen wir etwas aus. Aber entfernen wir uns nicht zu weit voneinander. Auch wenn wir den Wächter vorher besiegten, heißt es nicht, dass er nicht wieder auftauchen kann.", ergänzte Chenle.

Wieder nickten die Freunde und entfernten sich etwas voneinander, um sich in der Kaverne umzusehen.

Schließlich wurde Jaemin auch fündig.

„Freunde! Kommt mal her!", rief er die drei, welche augenblicklich zu ihm stießen. „Hier ist eine versteckte Höhle. Wollen wir reingehen? Irgendetwas sagt mir, dass wir dort drinnen einen Hinweis zu der gefundenen Hand finden, doch gleichzeitig bildet sich eine enorme Gänsehaut auf meinem Körper, so als wolle er mich warnen.", sprach er weiter, als seine Freunde bei ihm ankamen.

Die vier standen nun vor der schmalen Öffnung, die sich in der Felswand der Kaverne verbarg. Ein schummriges, bläuliches Leuchten drang aus der Höhle und warf ein unruhiges Muster auf ihre Gesichter.

„Ich weiß nicht..." Renjun trat näher an Jaemin heran und legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. „Wir sollten vorsichtig sein. Wenn dein Instinkt dir sagt, dass es gefährlich sein könnte, sollten wir das ernst nehmen."

Chenle schnaubte leise, aber nicht abfällig. „Ja, aber genau das war doch bisher bei allem der Fall, oder nicht? Das Meer will, dass wir zögern. Es testet uns ständig. Vielleicht ist das nur ein weiterer Trick."

Haechan biss sich auf die Lippe und spähte in die Dunkelheit der Höhle. „Aber was, wenn es kein Trick ist? Was, wenn da drinnen etwas wirklich Gefährliches wartet? Wir sind schon ausgelaugt..."

„Oder was, wenn es die Antworten enthält, die wir suchen?", warf Jaemin ein und blickte entschlossen in die Runde. „Vielleicht finden wir hier endlich heraus, was es mit der Hand und diesem Meer auf sich hat. Wenn wir jetzt kneifen, werden wir nie wissen, was wir verpasst haben."

Es folgte eine lange Stille. Die vier tauschten Blicke aus, suchten Halt und Zuspruch in den Augen der anderen.

„Also gut.", sagte Renjun schließlich mit einem entschlossenen Nicken. „Aber wir bleiben zusammen, kein Trennen mehr. Wir wissen, was passiert, wenn wir uns voneinander entfernen."

Die anderen stimmten zu, und so betraten sie die Höhle, einer nach dem anderen.

Im Inneren war es noch beeindruckender – und unheimlicher. Die Wände schimmerten vor Nässe, und die Kristalle, die die Höhle erleuchteten, pulsierten leicht, als würden sie im Takt eines unsichtbaren Herzens schlagen.

Chenle zog die Schultern hoch. „Es fühlt sich an, als würde uns dieser Ort beobachten..."

Haechan nickte und rieb sich die Arme, obwohl die Temperatur nicht wirklich kälter war. „Ja, und das macht es nicht besser."

Plötzlich blieb Jaemin stehen und deutete auf den Boden. „Da vorne... seht ihr das?"

Vor ihnen lag eine bizarre Formation aus Kristallen, die in der Mitte eine seltsame, organische Struktur zu umarmen schienen. Es sah aus wie... eine Hand. Oder das, was davon übrig war.

„Das ist nicht... das kann nicht...", flüsterte Renjun und trat langsam vor.

Die Hand war schwarz verfärbt, als wäre sie verbrannt, doch die Finger schienen in einem letzten Krampf gefroren zu sein. Die Kristalle hielten sie fest, und dennoch wirkte es, als würde sie noch etwas von ihrer alten Kraft besitzen – etwas Dunkles, etwas Unruhestiftendes.

„Das ist sie", murmelte Haechan. „Die Hand. Die, die wir am Strand gefunden haben. Oder zumindest... etwas Ähnliches."

Jaemin schluckte schwer und trat näher heran. „Aber was bedeutet das? Wieso ist sie hier? Und warum sieht es aus, als hätten die Kristalle sie umschlossen, als wollten sie... sie festhalten?"

Niemand hatte eine Antwort. Doch alle vier wussten, dass sie dem Mysterium des Meeres einen Schritt näher gekommen waren – und gleichzeitig die Gefahr spürbar größer wurde.

Suchend sah sich Haechan in der kleinen Höhle um und fand eine Art Stock. Zögerlich nahm er diesen und trat zurück zu seinen Freunden, die ihn fragend ansahen.

„Was hast du vor?", fragte Chenle ihn. „Sie berühren.", antwortete Haechan kurz angebunden und streckte den Stock langsam der schwarzgefärbten Hand entgegen. Doch seine eigenen Hände zitterten zu stark.

„Lass uns dir helfen.", meinte Jaemin und griff ebenso nach dem Stock, sah Chenle und Renjun an. „Wir wollten alles zusammen machen.", sprach er dabei, woraufhin die Beiden ebenso nach dem Stock griffen. Gemeinsam berührten sie die Hand mit diesem.

Plötzlich zerbrachen die Kristalle, die die Hand umschlossen hielten, deren Finger sich bewegten. Erschrocken ließen die Vier den Stock fallen und traten einige Schritte zurück.

Mit großen Augen sahen Renjun, Haechan, Jaemin und Chenle dabei zu, wie sich ein Mensch vor ihren Augen aus dem vom Meer gebauten Gefängnis aus Kristallen befreite. Bis letztlich ein großer, stämmiger Mann vor ihnen stand.

Die eine Hand bis zum Ellenbogen schwarz gefärbt, die andere Hand fehlte. Ein fieses Lächeln umspielte seine Lippen.

„Jetzt wissen wir, wo die Hand am Strand herkam.", nuschelte Jaemin, sah bei dem Mann an die Stelle, an der eine Hand sein müsste.

Die vier Freunde hielten den Atem an, während sie den Mann musterten, der nun vor ihnen stand. Sein großer, muskulöser Körper wirkte, als hätte er die Kristalle mit purer Willenskraft gesprengt, und die schwarze Färbung seines Arms strahlte etwas Düsteres, fast Bedrohliches aus. Seine Augen funkelten in einem seltsamen Licht, das zwischen Wahnsinn und Triumph lag.

„Danke, dass ihr mich befreit habt.", sprach der Mann mit tiefer, rauer Stimme. Sie hallte unheimlich von den Höhlenwänden wider. „Ihr habt keine Ahnung, wie lange ich dort festsaß... und wie sehr ich darauf gewartet habe, dass jemand wie ihr kommt."

Haechan wich instinktiv einen Schritt zurück, seine Knie fühlten sich schwach an. „Wer... wer bist du? Und warum warst du hier eingesperrt?"

Der Mann lachte leise, ein dunkles, vibrierendes Lachen, das die kleinen Härchen auf ihren Armen aufstellte. „Ihr könnt mich Kiros nennen. Wer ich bin... oder besser gesagt, wer ich war, ist jetzt nicht mehr wichtig. Ihr habt mich aus einem ewigen Albtraum befreit, in den das Meer mich verbannt hat. Aber glaubt mir, Kinder... es wird sein Bedauern sein, nicht meins."

Renjun trat vorsichtig vor, auch wenn er die Unsicherheit nicht aus seiner Stimme verdrängen konnte. „Du... bist also wegen dem Meer hier? Bist du einer von denen, die das Meer als Feind betrachtet?"

Kiros' Lächeln wurde breiter, und in seinen Augen blitzte etwas Unheilvolles auf. „Das Meer... ah, das Meer. Es hat mich einst als Werkzeug benutzt. Ich war sein Diener, sein Krieger, bis ich ihm zu gefährlich wurde. Es hat mich fallen gelassen, mich gefangen und hier verrotten lassen."

Chenle spürte, wie ein Schauer seinen Rücken hinablief. „Warum... warum hat es dich als Gefahr gesehen?"

Kiros sah ihn direkt an, und seine Worte trugen eine kalte Schärfe. „Weil ich zu viel wusste. Zu mächtig war. Ich war ein Teil des Meeres und doch... anders. So wie ihr."

Diese letzten Worte ließen die vier verstummen. Die Spannung in der Höhle war greifbar.

„Was meinst du damit?", fragte Jaemin schließlich, seine Stimme zitterte leicht.

Kiros trat einen Schritt näher, und sie spürten die Präsenz seiner Dunkelheit wie eine Welle, die über sie hinwegrollte. „Ihr seid nicht einfach nur Abenteurer. Das Meer hat euch gewählt, weil ihr das Band in euch tragt. Eure Freundschaft, eure Verbindung – sie ist stärker, als ihr glaubt. Doch genauso wie es mich benutzt hat, wird es euch benutzen. Es wird euch geben, was ihr sucht, nur um es euch später wieder zu nehmen."

Haechan spürte, wie sein Magen sich zusammenzog. „Das... das ist nicht wahr. Das Meer hat uns geholfen..."

Kiros unterbrach ihn mit einem spöttischen Lachen. „Glaubt, was ihr wollt, Kinder. Aber eines verspreche ich euch: Wenn ihr mich freigelassen habt, dann habt ihr das Spiel geändert. Für euch. Für das Meer. Und vor allem... für mich."

Bevor einer der Freunde etwas erwidern konnte, wandte Kiros sich um und ging mit bedrohlicher Gelassenheit in Richtung des Ausgangs der Höhle.

„Ich hoffe, wir sehen uns wieder. Vielleicht werde ich euch dann zeigen, was es wirklich bedeutet, das Meer herauszufordern."

Mit diesen Worten verschwand er in der Dunkelheit, zurück ließ er die vier Freunde, die sich an ihre gegenseitige Nähe klammerten, während die Worte des Fremden noch lange in der Luft nachhallten.

„Sollten wir nicht etwas unternehmen? Ich glaube, der Typ hat nichts gutes im Sinne.", meinte Renjun, als Chenle jedoch schon rasch hinter Kiros hinterher rannte. „Warte!", riefen seine Freunde und folgten ihm.

„Was hast du vor? Sag es uns!", bestand Chenle, als er Kiros eingeholt hatte. Er wusste nicht, woher dieser Mut kam. Doch eines war klar: Er und seine Freunde hatten diesen Mann befreit und das machte sie unfreiwillig zu Mittätern für das, was dieser Krieger geplant hatte.

Nachdem er und seine Freunde unfreiwillig als Diebe abgestempelt wurden, nur weil sie eine Muschel aufhoben, die das Meer ans Land gespült hatte, wollten er nicht, dass sie noch als etwas viel schlimmeres bezeichnet werden, nur weil sie unabsichtlich jemanden befreit hatten, der besser eingesperrt bleiben sollte.

Kiros blieb abrupt stehen, drehte seinen massigen Körper langsam um und blickte Chenle mit einem durchdringenden Blick an. Ein dunkles Schmunzeln spielte um seine Lippen. „Mutig, Kleiner. Aber Mut allein reicht nicht aus, wenn man das Meer herausfordert."

Jaemin, Haechan und Renjun holten keuchend auf, ihre Gesichter angespannt vor Sorge und Entschlossenheit. Renjun stellte sich neben Chenle, seine Augen funkelten entschlossen. „Du hast unsere Frage noch nicht beantwortet. Was hast du vor?"

Kiros verschränkte seine Arme vor der Brust und musterte die vier Jungen mit einer Mischung aus Belustigung und Ernst. „Was ich vorhabe? Ich nehme mir zurück, was mir gehört. Und wenn ihr klug seid, haltet ihr euch da raus. Ihr wisst nicht, mit wem ihr euch angelegt habt."

Chenle schüttelte den Kopf, seine Stimme fest. „Doch, wir wissen es. Du bist ein Feind des Meeres. Und wenn das Meer dich eingesperrt hat, dann gab es sicher einen guten Grund dafür."

Kiros' Lächeln verschwand augenblicklich, und für einen Moment verdunkelten sich seine Züge. „Das Meer ist nicht das, was ihr denkt. Es gibt keine Gnade in seinen Wellen, keine Freundschaft in seinen Tiefen. Nur Macht. Es hat mich benutzt, und es wird euch benutzen."

Jaemin trat mutig einen Schritt nach vorne. „Dann sag uns, was genau du meinst. Wenn du wirklich glaubst, dass wir benutzt werden, dann hilf uns, es zu verstehen. Aber wenn du uns nur von deinem eigenen Hass überzeugen willst, dann verschwinde."

Kiros lachte leise, als hätte er diese Reaktion erwartet. „Ihr seid klüger, als ihr ausseht. Aber auch viel zu naiv." Er musterte sie einen Moment lang, dann hob er seine schwarzgefärbte Hand und streckte sie ihnen entgegen. „Ich gebe euch einen Rat. Wenn ihr wirklich wissen wollt, was ihr da in euren Händen haltet... dann sucht die Geister der Tiefe. Sie wissen mehr, als ihr euch vorstellen könnt."

Haechan schluckte schwer. „Geister der Tiefe? Du meinst... die alten Wächter des Meeres?"

Kiros nickte langsam. „Genau die. Wenn ihr Antworten wollt, werdet ihr sie dort finden. Aber ich warne euch... manche Wahrheiten sind gefährlicher als jede Lüge."

Mit diesen Worten wandte er sich wieder um, seine Gestalt verschwand langsam in den schimmernden Tiefen der Kaverne. Sie standen da, während das Echo seiner Schritte langsam verhallte.

„Was machen wir jetzt?", fragte Renjun leise, seine Augen auf die Stelle gerichtet, an der Kiros verschwunden war.

Jaemin sah seine Freunde entschlossen an. „Wir finden diese Geister der Tiefe. Wir müssen wissen, was wirklich los ist – mit dem Meer, mit der Muschel, und mit uns."

Chenle nickte langsam, seine Augen noch immer voller Entschlossenheit. „Ja. Wir haben das hier angefangen. Jetzt müssen wir es auch beenden."

Haechan seufzte tief und schüttelte den Kopf. „Warum geraten wir immer in sowas rein?" Doch trotz seiner Worte war ein schwaches Lächeln auf seinen Lippen zu erkennen.

Die vier Freunde sahen sich an, bevor sie gemeinsam tiefer in die Kaverne vordrangen – bereit, sich der nächsten Wahrheit zu stellen, egal, wie gefährlich sie sein mochte.

Ihre Erschöpfung ignorierend, sahen sich die vier Freunde aufmerksam in der Kaverne um. Sie war noch immer wunderschön anzusehen. Auf dem Meeresboden lagen wunderschöne Muscheln und etwas, das wie kleine Perlen aussah. Die Säulen, die wie Bäume nach oben ragten und die Decke zu stützen schienen, waren geschmückt mit bunten Korallen.

Es war zu perfekt, um wahr zu sein.

Auch Chenle spürte das, als er abrupt stehen blieb, was seine Freunde ebenso dazu veranlasste.

„Was hast du?", fragte Renjun den Jüngsten, als dieser sich mit gerunzelter Stirn in der Kaverne umblickte. „Ist euch eigentlich aufgefallen, dass wir, seit wir hier unten umherirren, neben Muscheln und Korallen nicht ein Wasserlebewesen zu Gesicht bekommen haben? Kein Fisch, keine Krabbe ja nicht mal einen Seestern oder Schwamm. Nur Muscheln und Korallen.", setzte er seine Worte fort.

Und mit einem Schlag war die bis eben friedliche Idylle dahin.

„Du hast Recht. Ist an Kiros' Worten vielleicht mehr dran, als wir dachten? Ist das Meer wirklich so hinterhältig und gefährlich?", überlegte Renjun.

„Wir sind immer an den Strand gegangen, weil der Blick über das Meer uns mit einer seltsamen Ruhe erfüllt hat. Am Strand konnten wir entspannen, während wir dem Wellenrauschen lauschten. Es strahlte immer eine friedliche Ruhe aus. Außerdem hat das Meer uns geholfen, Haechan's Wunde zu heilen. Warum tut es das? Warum hilft es uns in der einen Sekunde und lässt uns in der nächsten daran zweifeln, dass uns das Meer nichts Böses will?", ließ auch Jaemin seine Gedanken dazu verlauten.

„Der Wächter vom Beginn, dieser Wächter der Schwelle, wie er sich vorgestellt hatte...Er hatte uns doch gesagt, dass das Meer nimmt und gibt und dass die Muschel, die wir unwissentlich am Strand an uns genommen haben, Teil einer Kette ist, die all die Dunkelheit unterhalb des Meeresspiegels verbannt hält. Wir haben dieses Siegel, diese Muschel an uns genommen und die Kette somit gelöst. Dies bedeutet doch, dass die Dunkelheit machen kann, was sie will, so lange die Kette instabil ist, oder? Vielleicht kommt es uns deshalb so vor, als wäre das Meer selbst zwiegespalten. Es will uns helfen, doch zeitgleich will die freigesetzte Dunkelheit uns daran hindern.", überlegte Haechan.

Über die Freunde legte sich eine tiefe Stille. Die Worte Haechan's hallten in ihnen nach und stimmten sie nachdenklich.

„Du hast Recht. Das würde Sinn ergeben. Die Tiere selbst fühlen sich nicht sicher, weshalb sie geflohen sind oder die Dunkelheit hat sie bereits in ihren Fängen. Deshalb sehen wir keine.", brach Renjun als erster die Stille, blickte sich misstrauisch um.

„Und was ist dann mit Kiros? Können wir seinen Worten trauen oder ist er vielleicht selbst von der Dunkelheit erwischt worden? Oder schlimmer, ist er selbst die Dunkelheit, die die Kette mit aller Kraft bändigte?", fragte Jaemin, hatte Angst, dass es wirklich so war. Dass die verbliebenen Glieder der Kette, die die Dunkelheit verbannte, mit ihrer letzten Kraft versuchten Kiros in Zaum zu halten, er und seine Freunde ihn aber befreiten, weil die Kette nicht mehr genug Kraft hatte, um sie zu warnen und davon abzuhalten.

„Diese Geister der Tiefe, die Kiros erwähnt hatte...", riss Renjun seine Augen auf. „Vielleicht können sie uns helfen, wenn wir sie gefunden haben!", setzte er fort. „Falls es sie wirklich gibt. Wenn Jaemin Recht hat und Kiros selbst die Dunkelheit ist, könnte er uns aber auch eine Falle gestellt haben. Er wollte uns zu diesen Geistern schicken, um Zeit zu haben, seine wahre Kraft zu entfalten. Wir haben die Splitter, die das fehlende Glied der Kette reparieren können. Wir wären somit vielleicht die einzigen, die Kiros beziehungsweise die Dunkelheit davor abhalten können, noch mehr Schaden anzurichten.", gab Chenle zu bezweifeln.

„Also egal was wir machen, es könnte falsch sein und noch mehr Schaden anrichten.", ließ Haechan verzeifelt seufzend seinen Kopf sinken.

Renjun blickte seine Freunde an. Sie alle drei waren verzweifelt, erschöpft und müde. Sie alle wussten nicht, was sie tun sollten, doch dass sie sich aufteilten, kam genau so wenig in Frage. Denn das wäre noch die einzige Möglichkeit, die ihnen in den Sinn kam, wie sie alles herausfinden konnten, ohne Zeit zu verlieren. Doch zeitgleich war ihre Verbindung zueinander der Grund, weshalb sie es überhaupt so weit geschafft hatten. Nur zusammen konnten sie gewinnen, da konnten sie sich nicht aufteilen.

„Was sollen wir bloß tun?"

Eine angespannte Stille legte sich über die Gruppe, während jeder von ihnen versuchte, die Situation zu durchdenken. Die Kaverne, die vor wenigen Momenten noch wie ein magischer Zufluchtsort gewirkt hatte, fühlte sich nun bedrohlich leer und kalt an.

Jaemin strich sich mit einer zitternden Hand durchs Haar und sah seine Freunde nacheinander an. „Wir haben keine Wahl. Wir müssen uns auf unsere Instinkte verlassen. Bisher hat uns das Meer nicht völlig im Stich gelassen. Vielleicht... vielleicht führt es uns genau dorthin, wo wir sein müssen."

Chenle runzelte die Stirn. „Und wenn unsere Instinkte uns täuschen? Wenn wir nur Spielfiguren in einem größeren Plan sind?"

Renjun trat einen Schritt nach vorne und sah entschlossen aus. „Dann machen wir es wie immer – wir improvisieren. Wir haben es bis hierher geschafft, oder? Und wir haben die Splitter. Wir können sie nutzen, um das Siegel wiederherzustellen, aber wir müssen sicherstellen, dass wir alle Teile haben und dass wir es an der richtigen Stelle tun."

Haechan seufzte schwer. „Dann bleibt uns also keine andere Wahl... Wir müssen zu diesen Geistern der Tiefe gehen. Ob es eine Falle ist oder nicht, wir müssen dieses Risiko eingehen."

Jaemin nickte langsam, seine Augen voller Sorge. „Wir tun es zusammen. Wenn Kiros wirklich gelogen hat und es eine Falle ist, dann stellen wir uns ihr – gemeinsam."

Ein schwaches Lächeln huschte über Renjuns Gesicht. „Zusammen."

„Zusammen.", wiederholten Haechan und Chenle gleichzeitig, wenn auch mit unsicherer Stimme.

Renjun nahm einen tiefen Atemzug und deutete in die Richtung, aus der ein schwaches, fast schon unwirkliches Glühen kam. „Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass wir da lang müssen."

Sie folgten dem schwachen Leuchten, das sich durch die Kaverne schlängelte wie ein lebendiges Wesen. Mit jedem Schritt, den sie weitergingen, spürten sie, wie das Wasser dichter und schwerer wurde – als ob es ihre Anwesenheit bemerkt hätte.

Jaemin blickte nervös über die Schulter. „Wenn wir wieder an Land sind, schwöre ich, ich werde nie wieder ans Meer gehen."

Chenle schnaubte leise. „Ja klar. Wir beide wissen, dass du das keine Woche durchhältst."

Trotz ihrer Unsicherheit brachte der kleine Moment der Normalität ein wenig Ruhe in ihre erschöpften Herzen. Doch das Glühen wurde stärker – und mit ihm das beklemmende Gefühl, dass sie nicht alleine waren.

„Wo sind wir jetzt schon wieder gelandet? Warum gibt es überall hier unten, so nah beieinander diese Räume mit diesen blauschimmernden Symbolen?", fragte Haechan, als sie dem Glimmern gefolgt waren, das sie in einen weiteren solchen Raum führte.

„Insgesamt haben wir jetzt vier davon gesehen, oder? Der Gang, der uns zu dieser Kaverne geführt hatte, der Raum, in dem wir Kiros gefunden haben, der grottenähnliche Raum am Ende der unendlichen Treppe von zuvor und jetzt hier dieser Raum.", überlegte Chenle, was seine Freunde abnickten. „Was hat es bloß mit diesen Räumen auf sich?", fragte sich Renjun, als er sich im Raum etwas umsah.

„Diese Räume verbinden Leben und Tod miteinander.", durchschnitt eine unbekannte Stimme die Ruhe, weshalb die vier Freunde instinktiv die Nähe zueinander suchten, auf der Suche nach mehr Sicherheit und Halt, um dem Unbekannten gegenüberstehen zu können.

„Wer ist da? Und wo?", fragte Renjun, als er sich ebenso wie seine Freunde in dem Raum umsah, um den Ursprung der Stimme ausfindig machen zu können.

Langsam trat eine Gestalt aus dem Schatten. Einer der sieben Geister der Tiefe, stellvertretend für eines der sieben Weltmeere.

Die Gestalt, die langsam aus dem Schatten hervortrat, war von einer unnatürlichen Aura umgeben. Ihr Körper schien aus Wasser zu bestehen, das in ständiger Bewegung war, und ihre Augen leuchteten in einem tiefen, unergründlichen Blau. Ihre Präsenz war zugleich beruhigend und furchteinflößend, als ob sie das gesamte Wissen und die Geheimnisse des Meeres in sich trug.

„Ich bin Neryon, Hüter des stillen Ozeans," sprach die Gestalt mit einer Stimme, die wie ein Flüstern der Wellen klang. „Diese Räume sind Knotenpunkte zwischen den Welten – Orte, an denen das Meer das Gleichgewicht zwischen Leben und Tod bewahrt."

Die vier Freunde sahen sich nervös an. Jaemin trat vorsichtig einen Schritt nach vorne. „Gleichgewicht? Heißt das, das Meer kann entscheiden, wer lebt und wer stirbt?"

Neryon neigte den Kopf leicht zur Seite, als würde er über die Frage nachdenken. „Das Meer gibt und das Meer nimmt, wie ihr bereits erfahren habt. Diese Orte sind Ankerpunkte, die es ermöglichen, Seelen, Erinnerungen und Energien zu binden oder freizulassen."

Haechan spürte einen Schauder über seinen Rücken laufen. „Also bedeutet das, dass wir vielleicht... versehentlich etwas freigelassen haben, das besser hier geblieben wäre?"

Ein leises, beinahe melancholisches Lächeln zeigte sich auf Neryons Gesicht. „Eure Unwissenheit hat viele Fesseln gelöst. Kiros war nur der Anfang."

Die Worte ließen die Freunde erstarren. Renjun ballte die Fäuste. „Was ist Kiros? Ist er... die Dunkelheit, die in diesen Tiefen versiegelt wurde?"

„Kiros war einst ein Wächter wie wir," erklärte Neryon, während sein Blick in die Ferne schweifte. „Doch Gier und Zorn trieben ihn in die Finsternis. Er begehrte die Kontrolle über das Meer, über das Gleichgewicht – und bezahlte den Preis dafür. Die Kette, die ihr zerstört habt, hielt ihn gefangen. Nun ist er frei."

Chenle fühlte, wie seine Kehle trocken wurde. „Und wenn wir ihn nicht aufhalten, was wird dann passieren?"

Neryons Blick wurde ernster. „Dann wird das Meer seine wahre Macht zeigen – und nicht nur euch, sondern alles, was ihr liebt, verschlingen."

Die Worte trafen die Freunde tief. Sie hatten das Gefühl, dass sie einen Fehler gemacht hatten, der vielleicht nicht mehr rückgängig zu machen war. Jaemin schluckte schwer. „Gibt es... einen Weg, das Gleichgewicht wiederherzustellen?"

Neryon schwieg einen Moment, bevor er langsam nickte. „Die Splitter, die ihr gefunden habt, sind Teile der gebrochenen Kette. Doch sie allein reichen nicht. Ihr müsst den wahren Kern der Dunkelheit finden – das Herz der Tiefe – und es erneut versiegeln. Aber seid gewarnt: Das Meer wird euch prüfen. Es wird euch alles abverlangen."

Renjun atmete tief durch. „Wir sind bereit. Wir müssen es sein."

Neryon trat näher und legte eine kalte, nasse Hand auf Renjuns Schulter. „Dann folgt dem Licht der Gezeiten. Es wird euch leiten – wenn ihr den Mut habt, ihm zu folgen."

Mit diesen Worten begann das blauschimmernde Symbol auf dem Boden zu pulsieren, und langsam zeichnete sich ein neuer Weg vor ihnen ab, der tiefer in die unbekannten Tiefen führte.

Sie sahen kurz in die Richtung, in die der Weg führte, ehe sie sich nochmals an Neryon wandten und ihn sowohl etwas fragen als auch danken wollten, doch dieser war weg.

„Okay, vertraut ihr seinen Worten?", versicherte sich Jaemin nochmal bei seinen Freunden, der sich schon nicht mehr darüber wundern konnte, dass er ohne weiteres verschwunden war. „Ich denke schon. Er klang glaubwürdig und freundlich.", beantwortete Renjun.

„Also los. Wagen wir uns auf einen neuen unbekannten Pfad.", seufzte Chenle, woraufhin die Freunde los gingen. Ihre Schritte waren langsam, da ihre Erschöpfung es nicht zuließ, dass sie schneller gingen.

Wie viel Zeit war überhaupt schon vergangen? Wie lange waren sie nun schon unter dem Meer?

Sehnsüchtig blickte Haechan nach oben, wo er die Meeresoberfläche vermutete, überlegte ob er und seine Freunde jemals wieder die Sonnenstrahlen auf ihrer Haut spüren würden und ob sie wie so oft wieder am Strand sitzen, quatschen, herumalbern und der Sonne dabei zusehen würden, wie sie sich immer mehr dem Horizont näherte. Den Himmel dabei in warme Rottöne tauchte, ehe sich der Mond und die Sterne auf der Wasseroberfläche spiegelten.

Ein kleines Schmunzeln entfiel ihm bei diesem Gedanken, weshalb seine Freunde ihn fragend anblickten.

„Erinnert ihr euch noch, wie wir so oft am Strand waren, aufs Meer hinausblickten und uns fragten, wie es wohl unter der Meeresoberfläche sein mag?", Haechan machte eine kurze Pause, ließ seine Freunde sich an diese Momente erinnern, ehe er fortsetzte: „Jetzt frage ich mich, wie es wohl oberhalb der Wasseroberfläche aussieht. Ob die Sonne schon am Himmel steht, Kinder lachend am Strand fangen spielen oder Sandburgen bauen und ob vielleicht jemand nach uns sucht."

Seine Worte ließen eine melancholische Stille zwischen ihnen entstehen. Jeder von ihnen dachte an ihr Leben über der Wasseroberfläche – an die unbeschwerten Tage, an die kleinen Sorgen des Alltags, die ihnen jetzt so nichtig erschienen.

Jaemin seufzte leise und ließ seinen Blick auf den sanft leuchtenden Pfad vor ihnen sinken. „Ich vermisse es auch... die Sonne auf der Haut, den Wind in den Haaren. Selbst die salzige Meeresluft. Hier unten fühlt sich alles so... schwer an."

Renjun nickte nachdenklich. „Aber wir können nicht zurück, nicht bevor wir das hier zu Ende gebracht haben. Wir haben das Meer aus seiner Balance gebracht, und es liegt an uns, es wiederherzustellen."

Chenle lächelte leicht, wenn auch müde. „Ihr wisst, wenn wir hier wieder rauskommen, werde ich nie wieder einfach so eine Muschel vom Strand aufheben."

Die anderen lachten leise, auch wenn die Erschöpfung in ihren Stimmen mitschwang. Haechan sah in ihre Gesichter und spürte, dass sie trotz allem Hoffnung hatten.

„Wir werden zurückkommen. Wir haben so viel geschafft – wir können das hier auch schaffen." Seine Stimme klang fester, zuversichtlicher.

Renjun sah ihn an und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Dann lass uns weitergehen. Je schneller wir das hinter uns bringen, desto eher können wir zurück an unseren Strand."

Und so setzten sie ihren Weg fort, das blauschimmernde Licht leitete sie tiefer in die unbekannten Tiefen. Trotz der Müdigkeit trieb sie die Hoffnung an, dass irgendwo da oben, jenseits des Wassers, ihr altes Leben auf sie wartete – wenn sie es nur schafften, das Gleichgewicht des Meeres wiederherzustellen.

Sie liefen den blauen Pfad entlang, fragten sich, was sie wohl erwarten würde, doch damit hatten sie nicht gerechnet.

Der Pfad war zu Ende, doch geführt hatte er sie mitten ins nirgendwo. Vor ihnen erstreckte sich nichts weiter, als der so verlassene, sandige Meeresgrund.

„Sonst wäre es ja auch zu einfach gewesen.", seufzte Haechan enttäuscht. „Also müssen wir wieder suchen.", fügte Renjun hinzu. „Na dann mal los.", sprach auch Chenle, ehe die vier nach etwas suchten, dass das Herz der Tiefe bewahrte.

Sie begannen, sich in alle Richtungen zu verteilen, ihre Augen wachsam auf den sandigen Meeresboden gerichtet. Die Stille war bedrückend, und das Fehlen jeglichen Lebens machte die Atmosphäre nur noch gespenstischer.

Jaemin ließ seine Finger durch den feinen Sand gleiten, in der Hoffnung, eine versteckte Spur oder einen Hinweis zu finden. Doch außer kleinen, glatten Steinen war da nichts. „Vielleicht haben wir irgendwo eine Abzweigung verpasst?", murmelte er mehr zu sich selbst als zu den anderen.

Renjun schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht. Der Pfad hat uns genau hierhergeführt. Das kann kein Zufall sein." Er ließ seinen Blick über die weite Leere schweifen, seine Stirn in Falten gelegt. „Vielleicht... liegt die Antwort nicht im Sand, sondern darüber?"

Die anderen sahen auf und betrachteten das endlose Blau, das sich über ihnen ausbreitete. Haechan kniff die Augen zusammen, als er versuchte, etwas in der Ferne auszumachen. Und dann – ein flüchtiges Flackern, kaum sichtbar, als würde das Wasser selbst eine Täuschung erzeugen.

„Habt ihr das gesehen?", fragte er aufgeregt und deutete nach vorne.

Chenle trat näher und folgte Haechans Blick. „Ja... da ist etwas. Ein Schimmer."

„Vielleicht eine Illusion? Oder ein Schutzmechanismus?", überlegte Renjun laut.

„Nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.", sagte Jaemin entschlossen und machte den ersten Schritt in die Richtung des flackernden Lichts. Zögernd folgten ihm die anderen, bereit für alles, was sie erwarten könnte.

Je näher sie kamen, desto deutlicher wurde das Flackern – ein seltsames Licht, das zwischen den Strömungen zu tanzen schien, als würde es sich ihnen entziehen. Plötzlich spürten sie einen Widerstand, als ob das Wasser schwerer wurde, dichter.

„Spürt ihr das?", fragte Chenle, während er vorsichtig seine Hand ausstreckte.

Bevor jemand antworten konnte, flammte das Licht auf, und für einen Moment war alles um sie herum in gleißendes Blau getaucht. Als das Licht nachließ, fanden sie sich nicht mehr am Meeresgrund wieder – sondern inmitten eines riesigen, unterseeischen Palastes aus Korallen und Kristallen, der in einem ruhigen, fast ehrfürchtigen Licht schimmerte.

„Wow...", hauchte Haechan, unfähig, den Blick abzuwenden.

„Ich glaube, wir haben das Herz der Tiefe gefunden.", flüsterte Renjun ehrfürchtig.

„Nun, wir haben einen versteckten Seepalast gefunden, doch wie geht es jetzt weiter?", fragte Jaemin, sah sich mit großen Augen in dem majestätischen Meeresschloss um. Doch auch hier fehlte jegliches Anzeichen von Leben. Nur die Korallen und sie selbst.

„Es ist unglaublich schön hier."

„Ja... fast zu schön, um wahr zu sein.", meinte Renjun leise, während seine Finger vorsichtig über eine der leuchtenden Korallen glitten. Ihre pulsierenden Farben reflektierten sich in seinen Augen, doch anstatt Trost zu spenden, erfüllten sie ihn mit einem seltsamen Unbehagen.

Chenle schritt langsam über den perlmuttfarbenen Boden, seine Schritte hallten kaum hörbar durch die riesige Halle. „Ich frage mich, ob hier mal jemand gelebt hat... oder ob das hier einfach eine Art Illusion ist, um Eindringlinge zu täuschen." Seine Stimme klang vorsichtig, fast ehrfürchtig.

„Eine Illusion?", wiederholte Haechan, seine Augen wanderten über die kunstvoll geschnitzten Säulen, die sich bis zur gewölbten Decke erstreckten. „Aber... warum fühlt es sich dann so echt an?"

Jaemin blieb stehen und seufzte. „Es ist egal, ob es echt ist oder nicht. Wir müssen uns darauf konzentrieren, das Herz der Tiefe zu finden. Wenn das hier wirklich ein Palast ist, dann gibt es bestimmt einen zentralen Ort, an dem so etwas wie ein Herz aufbewahrt wird."

„Der Thronsaal?", schlug Renjun vor, seine Augen funkelten vor plötzlichem Tatendrang.

„Wäre naheliegend.", stimmte Chenle zu und deutete auf eine breite Treppe, die mit Korallen geschmückt spiralförmig nach oben führte. „Lasst uns da hochgehen. Vielleicht finden wir dort Antworten."

Die vier Freunde tauschten einen kurzen, entschlossenen Blick, bevor sie sich langsam der Treppe näherten. Jeder Schritt ließ den Palast um sie herum lebendig erscheinen – als würden die Wände aus sich heraus atmen, als würden die Korallen leise flüstern.

Doch je weiter sie stiegen, desto stärker wurde das Gefühl, beobachtet zu werden. Haechan war der Erste, der stehen blieb. „Wartet mal... spürt ihr das?", flüsterte er angespannt und drehte sich abrupt um, doch hinter ihnen war nichts als die leere Halle.

„Ja...", Jaemin nickte, seine Hand verkrampfte sich leicht. „Etwas stimmt hier nicht."

Plötzlich flackerte das Licht der Korallen – einmal, zweimal. Dann war es, als würde der gesamte Palast kurz in Dunkelheit getaucht, bevor das sanfte Leuchten wieder zurückkehrte.

„Wir sollten uns beeilen.", murmelte Renjun und nahm die letzten Stufen schneller.

Oben angekommen, standen sie vor einer massiven Tür, kunstvoll verziert mit Darstellungen des Meeres – und in der Mitte prangte eine Muschel, die verdächtig an diejenige erinnerte, die ihr gesamtes Abenteuer überhaupt erst ausgelöst hatte.

„Ich schätze, wir sind auf der richtigen Spur. Lasst uns rein gehen.", lächelte Jaemin, als er mutig seine Hand an die Griffe der beiden großen Türen legte und diese aufschwingen.

Der Thronsaal war prächtig geschmückt. Von der Decke hingen goldenverzierte Kronleuchter, die Throne vor ihnen sahen gemütlich aus doch ließen die daran prangenden, dekorativen Muscheln und Korallen sie unglaublich ehrfürchtig wirken.

Langsam gingen die vier weiter in den Thronsaal, waren überwältigt von der Schönheit und majestätischen Ausstrahlung.

Doch sie konnten ihren Augen nicht trauen, als sie in der Mitte des Thronsaals, über ihren Köpfen etwas schweben sahen.

„Ich vermute, das da oben ist das Herz der Tiefe.", meinte Renjun, wies auf die schwebenden, in Splitter zerfallenen Muscheln, die wie hypnotisiert um etwas drehten.

„Was ist das?", fragte Haechan, als er ebenso wie seine Freunde nach oben blickte. „Müssen wir es irgendwie herunterholen oder klappt es auch, wenn es da oben fast an der Decke schwebt?", fügte er zu seiner Frage hinzu.

„Was müssen wir überhaupt machen?"

Doch bevor irgendjemand darauf antworten konnte, öffneten sich die Türen hinter ihnen mit so einer Wucht, dass die vier Freunde instinktiv die Nähe zueinander suchten.

„Danke, dass ihr mich zum Herz der Tiefe geführt habt. Doch das war's für euch. Ihr seid nicht länger von Nöten. Ich kann nicht zulassen, dass ihr meinen Plan durchkreuzt.", ertönte die kalte Stimme von Kiros, als er sie mit einem spitzen und scharfen Gegenstand bedrohte, was den Freunden das Blut in den Adern gefrieren ließ. Zumal er nicht mehr alleine war.

„Naja, wenigstens bedankt er sich für unsere unfreiwillige Hilfe, bevor er uns umbringt.", versuchte Jaemin wie immer seine Nervosität und Angst mit einem Späßchen zu überspielen.

„Jaemin, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für Witze.", flüsterte Renjun angespannt, während seine Augen unruhig zwischen Kiros und den unbekannten Gestalten neben ihm hin und her huschten.

Chenle schluckte schwer und trat einen Schritt zurück, spürte, wie sein Herz heftig gegen seine Rippen schlug. „Was machen wir jetzt? Wir können ihn nicht einfach gewähren lassen..."

Haechan atmete tief durch, versuchte seine Angst zu unterdrücken. „Wir müssen das Herz der Tiefe beschützen, irgendwie. Vielleicht... vielleicht können wir die Splitter benutzen, um es wieder zusammenzusetzen, bevor er es in die Hände bekommt."

„Ach, ist das euer Plan?" Kiros' Lächeln wurde noch breiter, während er den scharfen, glänzenden Dreizack in seiner Hand angriffslustig schwang. „Ihr seid wirklich naiv. Ihr habt keine Ahnung, welche Macht dieses Herz besitzt. Die Dunkelheit, die ihr fürchtet, ist nichts im Vergleich zu dem, was ich entfesseln kann."

„Wir haben vielleicht keine Ahnung, aber das hat uns bisher nicht davon abgehalten, dich aufzuhalten!", rief Jaemin trotzig, während er langsam die Hand in seine Tasche gleiten ließ, wo er die Splitter sicher aufbewahrte.

Kiros' Blick verengte sich gefährlich. „Genug geredet." Mit einem Ruck seines Arms deutete er seinen Begleitern an, sich auf die Freunde zuzubewegen. Sie waren größer, kräftiger – ihre Gesichter leer und ausdruckslos, als wären sie nur Schachfiguren in Kiros' Spiel.

Renjun packte Haechan an der Schulter. „Wir müssen uns aufteilen. Wenn wir ihn ablenken können, könnte einer von uns versuchen, die Splitter irgendwie zu vereinen."

„Und wie genau sollen wir das anstellen, während er uns jagt?", fragte Chenle mit Panik in der Stimme.

Jaemin biss sich auf die Lippe, sein Blick schnellte nach oben zum schwebenden Herz der Tiefe. „Ich werde es versuchen. Ihr haltet sie so lange auf, wie ihr könnt!"

Haechan zögerte, wollte protestieren, doch Renjun nickte entschieden. „Dann los!"

Ohne zu zögern stürmten sie auseinander – Haechan und Chenle versuchten, Kiros' Anhänger abzulenken, während Renjun sich in eine der dunklen Ecken des Thronsaals schlug, um eine bessere Sicht auf das Herz zu bekommen.

Jaemin sprintete zur Mitte des Raumes, seine Augen fixiert auf die schwebenden Splitter. Sein Herz pochte in seinen Ohren, während er die kleinen Fragmente in seinen Händen hielt. „Komm schon... bitte funktioniert das...", murmelte er, während er versuchte, sie in Richtung der größeren Muschelfragmente zu heben.

Kiros lachte spöttisch. „Denkst du wirklich, du kannst das Herz reparieren, bevor ich euch alle aus dem Weg geräumt habe?" Er schritt langsam auf Jaemin zu, bereit, seinen Dreizack zu schwingen.

Plötzlich begann ein leises, melodisches Summen den Raum zu erfüllen. Jaemins Augen weiteten sich, als die Splitter in seinen Händen leicht zu leuchten begannen.

„Jaemin, es funktioniert!", rief Renjun, doch Kiros reagierte sofort und schleuderte eine dunkle, pulsierende Welle in Jaemins Richtung.

„Nein!", schrie Haechan und warf sich dazwischen, wurde von der Welle erfasst und zu Boden geschleudert.

„Haechan!", riefen die anderen erschrocken.

Doch in diesem Moment schien das Licht des Herzens stärker zu werden, als hätte Haechans Opfer die Dunkelheit für einen Moment zurückgedrängt.

Jaemin nutzte die Gelegenheit, um die Splitter in Richtung des schwebenden Herzens zu werfen. Sie fügten sich langsam ineinander, und mit einem plötzlichen, gleißenden Leuchten begann sich das Herz der Tiefe zu regenerieren.

„Nein!", brüllte Kiros wütend, doch es war zu spät.

Das Herz pulsierte mit einer immensen Kraft und sandte eine Welle reinen, blauen Lichts durch den Thronsaal. Kiros und seine Begleiter wurden von der Welle erfasst und zurückgeschleudert, während Jaemin keuchend zu Boden sank.

„Habt ihr das gesehen?", keuchte er, während Renjun und Chenle ihm aufhalfen.

Haechan rappelte sich mit einem erschöpften Lächeln auf. „Wir haben's geschafft..."

Doch die Freunde wussten, dass es noch nicht vorbei war. Kiros war zwar geschwächt, aber nicht endgültig besiegt. Und das Meer selbst hatte vielleicht noch weitere Prüfungen für sie bereit.

Doch dies war für sie vorerst Nebensache. Viel wichtiger war ihnen in diesem Moment ihr Freund.

Jaemin eilte besorgt auf Haechan zu, dessen Gesicht ungesund blass erschien auch schaffte er es zwar, auf seinen Beinen zu stehen, doch zitterten diese so sehr, dass er bereits drohte, wieder unter diesen zusammen zu sacken.

Und genau das geschah auch, als Jaemin bei Haechan ankam, ihn somit noch rechtzeitig stützen konnte, bevor er auf den Meeresboden fallen konnte.

„Haechan, wie geht es dir?", fragte Jaemin seinen Freund besorgt.

Haechan versuchte ein schwaches Lächeln, doch es wirkte mehr wie eine gequälte Grimasse. „Schon besser... glaube ich..." Seine Stimme war leise, kaum mehr als ein Flüstern.

Renjun kniete sich neben ihn, seine Augen voller Sorge. „Du hast die volle Wucht von Kiros' Angriff abbekommen. Kein Wunder, dass du kaum stehen kannst."

Chenle ballte die Fäuste. „Verdammt... wir hätten ihn aufhalten müssen, bevor es so weit kommt."

„Hey...", murmelte Haechan müde und griff nach Jaemins Arm, um sich besser abzustützen. „Macht euch keine Vorwürfe... Immerhin haben wir es geschafft, oder?"

Jaemin biss sich auf die Lippe und nickte zögerlich. „Ja... aber du bist verletzt. Wir müssen etwas tun."

Renjun sah sich hektisch um, als könnte er irgendwo in den Trümmern des Thronsaals eine Lösung finden. „Das Herz der Tiefe... Es ist jetzt wieder intakt. Vielleicht kann es ihm helfen?"

Jaemin und Chenle sahen gleichzeitig nach oben. Das Herz pulsierte sanft in der Luft, seine Splitter nun wieder vereint. Es strahlte eine ruhige, fast heilende Energie aus.

„Es hat doch auch seine Dunkelheit vertrieben... vielleicht kann es auch Haechans Wunden heilen!", sagte Chenle hoffnungsvoll.

Renjun nickte. „Einen Versuch ist es wert!"

Vorsichtig halfen sie Haechan, näher an das schwebende Herz zu treten. Das Licht des Herzens begann heller zu leuchten, als würde es ihre Absichten verstehen.

Plötzlich löste sich ein einzelner Lichtfaden aus dem Herz und schwebte sanft auf Haechan zu. Als er seine Haut berührte, spürte er eine warme, beruhigende Welle durch seinen Körper fließen. Der Schmerz ließ nach, seine zitternden Beine fühlten sich stabiler an, und seine blasse Haut gewann wieder etwas Farbe.

„Wow...", hauchte er überrascht und sah seine Hände an, als könnte er selbst kaum glauben, was gerade geschehen war.

Jaemin grinste erleichtert. „Scheint, als hätten wir nicht nur das Meer gerettet, sondern auch dich."

Haechan lachte leise. „Dann hat sich das Ganze ja gelohnt."

Doch noch bevor sie weiter feiern konnten, erklang ein tiefes, drohendes Knurren hinter ihnen.

Kiros war noch nicht besiegt. Und dieses Mal wirkte er noch gefährlicher als zuvor.

Die Freunde drehten sich zu Kiros um und wie aus einem Instinkt heraus, stellten sich Jaemin, Chenle und Renjun schützend vor Haechan, als sie sahen, wie Kiros erneut mit dem Dreizack herumwedelte.

„Ich werde euch alle vernichten!", schrie er wütend aus, seine Stimme war durch das blaue Licht, welches ihn erfasste und welches vom Herzen der Tiefe ausging, kratzig und man sah ihm an, dass die Macht des Herzens ihn geschwächt hatte. Jedoch nicht genug.

„Nur wegen euch, kann ich mein Ziel nur noch erschwert erreichen! Dafür werdet ihr bezahlen!", schrie er weiter, seine Augen strahlten nichts weiter als Hass und Rache aus, was die vier Freunde ängstlich etwas zurücktreten ließ.

„Das ist also der Dank dafür, dass wir dich befreit haben? Sag mal, hast du sie nicht mehr alle? Was bist du nur für ein undankbarer Kerl! Nutze die Chance, die wir dir ermöglicht haben, lieber um ein besseres Leben zu führen! Du hast durch deine Rache bereits eine Hand verloren! Willst du auch noch die andere verlieren? Oder vielleicht gleich den ganzen Arm?!", entfiel Jaemin empört, als er im nächsten Moment seine Hände vor seinen Mund schlug und seine Freunde ansah, die ihn ebenso aus ungläubigen und fassungslosen Augen musterten.

Selbst Kiros brachten diese Worte aus dem Konzept.

Für einen Moment herrschte eine angespannte Stille. Selbst das Licht des Herzens der Tiefe schien für einen Augenblick schwächer zu flackern.

Dann jedoch verzog Kiros wütend das Gesicht. „Du wagst es, mich zu verspotten?!" Seine Stimme bebte vor Zorn, und er hob den Dreizack, als wollte er Jaemin auf der Stelle niederstrecken.

Renjun, Chenle und Haechan reagierten sofort. Instinktiv drängten sie sich noch enger zusammen, bereit, Jaemin zu verteidigen. Doch bevor Kiros angreifen konnte, begann das blaue Licht, das ihn umhüllte, sich weiter zu verstärken.

„Was... ist das?!" Kiros taumelte einen Schritt zurück, als würde ihn das Licht zurückdrängen. Seine Haut, vorhin noch von dunkler Energie durchzogen, begann zu flackern.

Renjun keuchte. „Das Herz der Tiefe... es wirkt immer noch auf ihn!"

Jaemin riss seine Hände von seinem Mund, seine Empörung wich langsam einer Idee. „Wartet mal... Wenn das Herz ihn schwächt, vielleicht können wir—"

Doch bevor er seinen Gedanken aussprechen konnte, stieß Kiros einen markerschütternden Schrei aus. Seine Knie gaben nach, und er sank auf den Boden. „Nein! Das ist nicht möglich! Ich... Ich bin stärker als das!"

Chenle wich nicht zurück. „Gib es auf, Kiros. Du hast verloren."

Doch Kiros' Atem ging schwer, seine Muskeln zitterten – und in seinen Augen glomm noch immer ein Funken unerbittlichen Hasses. „Niemals..."

Er packte den Dreizack fester. Und dann geschah es.

Mit einem letzten Aufbäumen schleuderte er die Waffe in Richtung des Herzens der Tiefe – mit all seiner verbliebenen Kraft.

„Nein!", riefen die vier Freunde gleichzeitig.

Doch gerade, als die Spitze des Dreizacks das Herz treffen sollte, entlud sich eine letzte, gewaltige Welle des blauen Lichts. Ein ohrenbetäubendes Grollen erfüllte den Thronsaal, als eine Druckwelle Kiros nach hinten schleuderte. Der Dreizack wurde von der Kraft erfasst und in tausend glitzernde Splitter zerrissen.

Kiros' Körper begann sich in Schatten aufzulösen, sein Blick schwankte zwischen Wut und Panik. „Das... Das ist nicht vorbei..."

Dann riss ihn die Macht des Herzens endgültig fort. Mit einem letzten, von Hass erfüllten Aufschrei verschwand er in einem Strudel aus Dunkelheit – bis nichts mehr von ihm übrig war.

Stille.

Das Herz der Tiefe pulsierte ein letztes Mal hell auf, bevor es langsam in eine sanfte, ruhige Leuchtkraft zurückfiel.

Die vier Freunde standen wie erstarrt da.

„Ist... ist es vorbei?", flüsterte Haechan schließlich.

Renjun sah sich um, suchte nach einer Spur von Kiros. Doch da war nichts mehr. Kein Schatten, keine Bedrohung. Nur das beruhigende Leuchten des Herzens der Tiefe.

Jaemin atmete schwer aus. „Ja... Ich glaube, wir haben es geschafft."

Chenle ließ sich erschöpft auf den Boden fallen. „Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll."

Haechan tat es ihm gleich und grinste schwach. „Wie wäre es mit beidem?"

Jaemin lachte leise und setzte sich ebenfalls. „Was auch immer... Hauptsache, wir sind am Leben."

Renjun sah zum Herz der Tiefe hinauf und nickte. „Und das Meer ist gerettet."

Die vier Freunde blickten sich an – müde, erschöpft, aber erleichtert.

Sie hatten es wirklich geschafft.

Eine Weile saßen die Freunde erschöpft und aneinander gelehnt auf dem Meeresboden und hatten ihre Augen geschlossen. Pure Erleichterung machte sich in ihnen breit.

Chenle war der Erste, der seine Augen wieder öffnete, sodass sein Blick auf seine Freunde fiel, was ihn automatisch lächeln ließ. Denn dieses Abenteuer hatte ihm deutlichst vor Augen geführt, wie viel ihm seine Freunde bedeuteten und dass er alles schaffen konnte, so lange er sie an seiner Seite hatte. Sie würden ihn immer unterstützen und ihm helfen, wo sie konnten.

Während er seine Freunde so betrachtete, nahm er jedoch eine Bewegung im Augenwinkel wahr, weshalb er seinen Blick augenblicklich in jene Richtung wandern ließ. Er konnte seinen Augen nicht trauen. Mit großen Augen und einem vor Überraschung geweiteten Mund, erhob er sich vom Boden, ehe er zu lächeln begann.

„Die Fische. Sie sind wieder zurück.", teilte er seinen Freunden glücklich mit, woraufhin auch diese ihre Augen wieder öffneten und sich in dem nun nur so von Fischen wimmelten Thronsaal umsahen.

„Wow. Das ist wohl das eindeutige Zeichen dafür, dass wir es tatsächlich geschafft haben.", lächelte Renjun, genoss den Anblick der unterschiedlichsten Fischarten in den verschiedensten Farben.

Endlich wirkte das Meer wieder lebendig und so schön, wie sie es sich immer erdacht haben, wenn sie am Strand waren und ihren Blick auf die Weiten des Meeres liegen hatten.

„Das stimmt. Ihr habt es geschafft.", ertönte eine den Freunden bekannte Stimme, weshalb sie sich wieder zu den Thronen drehten, auf welchen der Wächter der Schwelle stand, der sie erst auf dieses Abenteuer geschickt hatte.

„Euer Mut hat das Meer beeindruckt. Eure Freundschaft und die Opfer die ihr bereit wart, füreinander einzugehen, um einander zu beschützen, hat das Herz der Tiefe tief berührt."

Die vier Freunde blickten den Wächter der Schwelle an, noch immer überwältigt von all den Ereignissen, die hinter ihnen lagen. Das Lob in seiner Stimme ließ etwas Warmes in ihren Herzen aufsteigen – eine Mischung aus Stolz, Erleichterung und der Gewissheit, dass sie das Richtige getan hatten.

Jaemin richtete sich langsam auf und half Haechan hoch, der immer noch etwas wackelig auf den Beinen war. „Heißt das... wir dürfen jetzt nach Hause?"

Der Wächter nickte sanft. „Ja. Eure Aufgabe ist erfüllt. Das Meer ist wieder im Gleichgewicht, und ihr habt euren Mut und eure Stärke bewiesen."

Chenle lachte leise und klopfte Jaemin auf die Schulter. „Dann können wir endlich wieder am Strand sitzen und die Sonne genießen, anstatt uns mit verrückten Kriegern und uralten Flüchen herumzuschlagen."

Renjun schmunzelte, doch dann wurde sein Blick nachdenklich. „Aber... was ist mit dem Herz der Tiefe? Wird es in Sicherheit bleiben?"

Der Wächter trat näher an das leuchtende Herz heran, das nun wieder in voller Kraft erstrahlte. „Das Herz hat seine Wächter – und es hat euch. Ihr habt bewiesen, dass ihr die Kraft besitzt, das Meer zu schützen. Sollte das Gleichgewicht jemals wieder bedroht sein... wird es euch rufen."

Die Freunde tauschten Blicke aus. Die Vorstellung, dass sie vielleicht eines Tages wieder gebraucht werden würden, war beängstigend – und doch auch irgendwie tröstlich.

„Na toll, jetzt sind wir also offiziell Helden des Meeres?", murmelte Haechan gespielt genervt, doch ein Grinsen stahl sich auf seine Lippen.

Der Wächter hob eine Hand, und plötzlich begann das Licht des Herzens der Tiefe heller zu leuchten. Ein sanfter Strudel aus Energie umhüllte die Freunde, ließ sie sich leicht und schwerelos fühlen.

„Es ist Zeit, zurückzukehren", sagte der Wächter mit einem Lächeln.

Das Licht wurde immer intensiver, bis es alles um sie herum einhüllte. Die Fische, die Korallen, der Palast – alles verblasste, als ob das Meer selbst sie sanft zurück an die Oberfläche trug.

Dann wurde alles weiß.

Und als sie ihre Augen wieder öffneten...

...lagen sie am Strand.

Die warme Sonne strahlte auf ihre Gesichter, die Wellen plätscherten sanft an den Sand. Ein leichter Wind streichelte ihre Haut.

„Wir sind... wirklich zurück", flüsterte Renjun ungläubig.

Jaemin setzte sich auf und blinzelte in die Sonne. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mich so über ein bisschen Sand freuen würde."

Chenle lachte, während er sich den Sand durch die Finger rieseln ließ. „Das Meer hat uns nach Hause gebracht."

Haechan ließ sich zurück in den Sand fallen und seufzte zufrieden. „Und diesmal bleibe ich hier. Zumindest für eine ganze Weile."

Die Freunde tauschten ein Lächeln.

Sie waren wieder daheim. Und egal, was die Zukunft bringen würde – solange sie zusammen waren, würden sie alles schaffen.

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