Kapitel 9: Ärger im Anflug

Marcus dachte noch lange über den Zusammenstoß auf dem Quidditchfeld nach. Es hatte die Atmosphäre zwischen ihm und Oliver erneut geändert. War der Gryffindor ihm jetzt was schuldig, weil er ihn vor dem Aufprall bewahrt hatte? Zumindest mehr oder weniger. Aber irgendwie hatte Marcus keine Ahnung, was er als Entschädigung hätte fordern können – außer vielleicht einen sehr intensiven Kuss. Der gehörte jedoch zu absolut verbotenen Wunschvorstellungen und er würde nicht im Traum daran denken, diesen Gedanken jemals laut auszusprechen, erst recht nicht wenn Oliver dabei war. Leiste vor Frustration stöhnend rieb sich Marcus über das Gesicht und schloss müde die Augen. Er wollte, dass das alles endlich vorbei war. Nicht nur die Sache mit dem Gryffindor, sondern die Schule im Allgemeinen. Abgesehen vom Quidditch natürlich, von dem er sich wünschte, es bis ans Ende seiner Tage mit seinen Klassenkameraden gegen die anderen Häuser (natürlich aber vor allem gegen die Löwen) spielen zu können. Doch das war unmöglich, vor allem jetzt. Er war ein miserabler Schüler, was ihn immer weiter in die Missgunst seiner Eltern rückte. Außer in Zaubertränke, was natürlich an Snape lag, der die Schüler seines Hauses stets bevorzugte, und in Kräuterkunde, was ihn selbst überraschte. Seit dem Vorfall im letzten Jahr hatte er sich bei Professor Sprout nichts mehr zu Schulden kommen lassen und gutmütig wie die alte Hexe war unterstützte sie ihn ganz hufflepuff-mäßig beim Üben des Lernstoffs, der wirklich gar nicht allzu schwer war. Die komischen Gewächse, um die sich die Schüler kümmern mussten, pflegten sich fast von allein, wenn man nur ein bisschen darauf achtgab, wann sie was benötigten. Aber vom Rest des Schulstoffs fühlte Marcus sich so entfremdet wie in den Jahren davor. Das hatte er vor allem in den Prüfungen gemerkt. Er wusste, dass er keine von ihnen bestanden haben konnte. Es war nicht so, dass er nicht versucht hatte, dafür zu lernen. Dennoch wollte ihm einfach nichts im Kopf hängen bleiben. Irgendwie war der Lernstoff so langweilig, dass er sofort jedes Wort vergaß, nachdem er es gelesen hatte. Außer Quidditch und einem gewissen Gryffindor hatte irgendwie nichts mehr Platz in seinen Gedanken. Und so war ihm klar, dass ihn unangenehme Post erwartete, sobald seine Eltern davon erfuhren. Die Schimpftirade, die ihn erwarteten würde, wollte er sich gar nicht erst ausmalen. Er war sowieso schon Schande genug in ihren Augen, weil er einen eigenen Traum vom Leben besaß – und dieser nichts mit dem Weg zu tun hatte, den man für ihn vorbestimmte. Wood konnte sicher wählen, was er nach der Schule mit seinem Leben anfing. Sicherlich würde er versuchen, professioneller Quidditchspieler zu werden; Marcus konnte ihn praktisch vor seinem inneren Auge sehen, in der Spielerkleidung von Puddlemere United, einem Waschlappenverein, den Oliver jedoch wärmstens verehrte. Und während sein eigenes Leben stetig den Bach runterging, würde Oliver aufsteigen, Ruhm und Ehre kassieren und einer der bekanntesten und beliebtesten Spieler der Welt werden. Er würde Mannschaftskapitän werden, das Beste aus seinem Team holen und irgendwann die Weltmeisterschaften gewinnen. Und dann, nach ein paar Jahren, würde er sich zur Ruhe setzten und sich um seine Familie kümmern. Mit den Kindern im Garten Quidditch spielen und mit seiner Frau – Marcus stoppte sich selbst. Das war zu viel. Er musste aufhören, sich Dinge auszumalen, die ihn nicht zu interessieren hatten! Oliver war nicht seine Angelegenheit, nur auf dem Spielfeld als Gegner. Dass er aus seinen Gedanken seit Langem nicht mehr wegzudenken war, konnte Marcus dennoch nicht mehr ignorieren. Er rieb sich über die Schläfen, als würde dies etwas nutzen. „For fucks sake, Wood", wisperte er leise, als könnte er den attraktiven Jungen so endlich vertreiben, „Geh endlich raus aus meinem Kopf!"

Einige Tage später saß Marcus mit seinen Freunden in der Großen Halle beim Frühstück, als die Eulen der Schüler wie ein wilder Sturm aus Federn, Schnäbeln und Klauen in der Luft auftauchten. Sie brachten die Post. Normalerweise war für ihn nie etwas dabei, weshalb er gar nicht erst aufblickte – bis ein Brief in schneeweißem Umschlag mitten in seinem Rührei landete. Angeekelt zog Marcus ihn heraus und drehte ihn verwundert um, um nach dem Absender zu sehen. Schlagartig wurde ihm kalt. Seine Eltern! Neben ihm mampfte Lucian Bole zufrieden seinen Speck und laß dabei mit halbvollem Mund Bletchley einen aus seiner Sicht interessanten Artikel aus dem Tagespropheten vor. Dessen Stimme im Ohr, jedoch ohne genaue Worte wahrzunehmen, öffnete Marcus mit ängstlicher Erwartung seinen Brief, wobei er sein Messer benutzte, an dem noch ein wenig Butter klebte. Es war ihm egal. Das, was auf den Zeilen stand, würde über sein Schicksal entscheiden. Seine ganze Zukunft hing von der Reaktion seiner Eltern ab. Er schluckte hart, und es kostete ihn einige Überwindung, den sorgfältig gefalteten Zettel überhaupt aus dem Umschlag zu ziehen. Es war eine noch größere Überwindung, die wenigen Zeilen zu lesen, die sorgfältig auf das Papier gebracht worden waren. Seine Augen flogen über die Worte, dann ließ er den Brief entgeistert sinken. Sein Gesicht war ganz bleich geworden. Adrien, der eben von seinem eigenen Frühstück aufblickte, bemerkte (ganz der beste Freund, der er für Marcus war) sofort, dass etwas nicht stimmte. „Was ist los?", fragte er leise über den Lärm hinweg, den die anderen Slytherins um sie herum veranstalteten. Marcus sah ihn an, die Verwunderung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Mit dieser Art Antwort hatte er nicht gerechnet. „Ich muss das Jahr wiederholen." 

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