Kapitel 7: Kapitän und Hüter

Hätte er gewusst, dass es etwas Unangenehmeres gab, als Hunderte kleine Schnätze im Bauch zu haben, dann wäre er nicht so genervt von dem aufgeregten Flattern in seinem Inneren gewesen. Aber hier stand er, Marcus Flint, und da war ein Ziehen. Ein ganz seltsames Gefühl, das er noch nie wirklich verspürt hatte, ganz tief in seinem Inneren. 

Er war verdammt, wenn es das war, was er glaubte dass es war.

Nervosität. 

Dabei war sein Tag doch vollkommen normal verlaufen. Es war Samstag, das hieß in der Regel lange schlafen und die ganze Zeit machen, was man wollte. Das hatte er auch getan, war mit seinen Freunden draußen unterwegs gewesen, hatte eine Runde auf dem Besen gedreht und sogar mit den Hausaufgaben angefangen (auch wenn er nach zwei Sätzen bereits wieder aufgehört hatte). 

Alles in allem war es ihm also nicht schlecht gegangen – naja, bis er Wood mit unzähligen Blättern auf den Knien, welche mit haufenweise Quidditch Strategien vollgekritzelt waren, in einem der eher stillen Korridore auf dem Treppenabsatz sitzend erwischte. 

Und im gleichen Augenblick, als er den Gryffindor erblickte, fing dieses Ziehen an. Widerlich. Marcus besaß in der Regel keinerlei Gefühle abseits von Wut oder emotionaler Abweisung, und dass auf einmal ständig etwas Ungewohntes dazukam, machte ihn rasend. 

Wie, bei Salazar, sollte man mit etwas umgehen, von dem man keine Ahnung hatte? Er versuchte zu ignorieren, dass sein Körper verrücktspielte, und trat auf Wood mit der Absicht ihn zu ärgern zu. 

„Na, sind deine anfänglichen Vorschläge etwa nicht gut bei eurem ominösen Kapitän angekommen?", stichelte er. 

Wood kritzelte seinen Gedanken erst noch zu ende, ehe er langsam den Kopf hob und sich mit einer genervten Miene ein paar Haarsträhnen aus der Stirn pustete. „Manchmal bist du wirklich so doof wie du aussiehst, Flint." 

Marcus presste die Lippen zusammen und verschränkte die Arme. „Gut, klär mich auf.", verlangte er. 

Wood begann, seine Blätter zu sortieren und schien sich dabei alle Zeit der Welt zu lassen. Der verdammte Mistkerl wollte ihn ebenfalls provozieren – leider klappte das auch. Wieso war er in letzter Zeit nicht mehr in der Lage, auch nur einen noch so kleinen Sieg gegen Wood davonzutragen? 

„Hast du's bald?" 

„Ich dachte eigentlich, dass ich dich jetzt da rumstehen lasse, bist du allein drauf kommst.", meinte Wood, für Marcus Geschmack einen Tick zu selbstsicher. Er musste umdenken, wenn er endlich aufklären wollte, was sich im Gryffindor Team verändert hatte. Hier ging es um Taktik, fast wie beim Quidditch. Und das hieß, dass er seine gemeine Slytherinseite auf jeden Fall deutlich zum Vorschein bringen musste. 

Also marschierte Marcus auf Wood zu und grabschte ungehalten nach den Blättern, die der Hüter noch immer in eine Reihenfolge zu bringen versuchte. 

„Hey!" 

Marcus achtete nicht drauf, wie empört Wood aufsprang, als er sich mit vielleicht drei bis vier Seiten außer Reichweite von Woods Fäusten brachte. Die Blätter zwischen seinen Fingern knickten ein wenig, weil er zu stark zugepackt hatte, aber das war ihm relativ egal. Aufmerksamkeit war Aufmerksamkeit, auch wenn sie negativ war. 

Damit aber nicht zu sehen war, warum er das eigentlich getan hatte, betrachtete er stattdessen Woods Arbeit. Verwirrt zog er die Augenbrauen ein wenig zusammen. Interessant. 

„Fuck, Flint, gibt das wieder her!" Wood versuchte, ihm die Strategien wieder abzunehmen, aber der Slytherin grinste nur und drehte sich von ihm weg, den freien Arm dabei ausgestreckt. Damit hielt er Wood davon ab, sein Eigentum wiederzuerlangen. 

„Ich hab mir ja schon gedacht, dass du nicht ganz richtig im Kopf bist, aber das übersteigt ja alles. Willst du dein Team damit zu Tode quälen?" 

„Oh, halt doch einfach die Fresse." 

vWood versuchte nochmals, an seine Aufzeichnungen zu kommen, aber Marcus hielt ihn weiterhin mit einem Arm zurück, obwohl er mittlerweile die Finger im seine Robe gekrallt hatte, um zusätzlichen Halt zu kriegen. Was das in ihm auslöste, tat er einfach als Freude darüber ab, endlich mal wieder über Wood zu trumpfen. 

„Wie wär's mit nem Deal, hm Wood?", fragte er und schwenkte herausfordernd die Seiten vor der Nase des jüngeren herum. „Du kriegst deinen Wisch zurück und ich erfahre, wer bei euch aktuell das Sagen hat. Das klingt doch fair." 

„Als ob du jemals fair spielen würdest.", murmelte Wood mit grimmiger Miene.

„Vorsicht Wood, du verletzt meine Gefühle." 

„Ja klar.", der Gryffindor stieß ein halb belustigtes halb genervtes Schnauben aus. 

„Also?", wollte Marcus wissen. Wood zuckte leicht mit den Schultern. Er schien noch einen Moment abzuwägen, ob er seinem Feind diese Information wirklich preisgeben sollte. Andererseits hätte Marcus es ja früher oder später sowieso erfahren. 

„Also gut.", gab Wood sich schließlich geschlagen. Er sah nicht begeistert aus. „Ich. Ich bin dieses Jahr Kapitän.", dabei reckte er den Kopf ein wenig in die Höhe. 

Wir sind heute aber eitel, schoss es durch Marcus Gedanken. Dann erst begriff er, was sein Gegenüber soeben gesagt hatte. Entgeistert ließ er Woods Robe los und senkte seinen Arm. „Du verarscht mich." 

„Nein." 

„Doch." 

„Bist du taub, Flint? Wir sehen uns bald auf dem Feld, spätestens dann kannst du mir Glauben schenken. Jetzt gib mir meine Blätter wieder. Was da drauf steht hast du nicht gelesen, sonst sage ich Hooch, dass du unsere Taktiken kopierst. Klar?" 

Marcus streckte ihm das Papier gedankenverloren hin, eine Frage im Geist. „Und warum diese ganze Geheimnistuerei? Bist du nicht, keine Ahnung, sowas wie stolz?" 

Als Wood ihm die Blätter wieder abnahm, mehr aggressiv als alles andere, streiften sich ihre Finger und Marcus spürte dieses furchtbare Ziehen erneut, tief in der Magengegend. Schlimmer als die Schnatze, wirklich bei Weitem schlimmer. Weil es dafür sorgte, dass sich die Situation ernst anfühlte. Als wären das ernsthafte, richtige, echte Gefühle. Irgendetwas konnte doch nicht mit ihm stimmen. 

„Ich dachte irgendwie, dass es besser so wäre. Damit . . .", Wood zögerte. 

„Was? Komm schon, spucks aus.", drängte Marcus. Fuck, er brauchte irgendwas zur Ablenkung von diesen beschissenen Gefühlen, die er nicht einordnen konnte!

„Ich hatte halt keinen Bock von euch aufgezogen zu werden. Sich so Sachen anzuhören. Sowas wie ich wäre ein schlechter Spieler, ich nehme das Spiel viel zu ernst oder ich bin zu blöd für diese Position." 

Irgendwie hatte sich die Atmosphäre vollkommen gewandelt. Marcus war nicht ganz sicher, was er davon halten sollte. Gerade waren sie noch drauf und dran gewesen, sich wieder gegenseitig anzuspringen, aber jetzt? Er fühlte sich, als hätte Wood ihm gerade etwas sehr Privates anvertraut. Und das war angesichts ihrer Feindschaft ein seltsamer Umstand. 

Die Stille, die danach zwischen ihnen entstand, schien Tonnen zu wiegen und die Luft im Raum dicker zu machen. Wie sollte er reagieren? Wood als schwach betiteln und ihm ins Gesicht lachen? Versuchen etwas zu sagen, damit es ihm besser ging? Oder doch lieber gehen? Marcus war hin und hergerissen. 

Schließlich nahm Wood ihm die Entscheidung selbst ab, indem er auch die restlichen Blätter einsammelte, welche vorhin auf seinem Platz liegengeblieben waren. 

„Häng es nicht an die große Glocke, Flint, wenn du beim nächsten Spiel noch auf nem Besen steigen willst.", sagte Wood leise. Trotzdem klang es bedrohlich. 

Marcus nickte leicht, zog es aber vor, zu schweigen. So gingen sie schließlich beide ihrer Wege, jeder in Gedanken an diese seltsame Begegnung. 

Auch als es längst Nacht war, konnte Marcus nicht einschlafen. Ein Detail aus Woods Aufzeichnungen ließ ihn nicht los. Es war wirklich nichts Besonderes, aber irgendwie hing es in seinem Kopf fest. Neben einem halben Trainingsplan für die kommende Saison hatte Marcus auch eine grobe Skizze seines eigenen Teams gesehen, teils mit analytischen Notizen darunter, wer zum Beispiel auf bestimmte Manöver setzte und wie diese eventuell zu umgehen waren. 

Wood hatte seinen Namen eingekreist, auch noch mit Rot. Ausgerechnet rot. Was auch immer das zu bedeuten hatte. Stellte er eine besondere Gefahr dar? War es, weil sie sich nicht leiden konnten? 

So sehr er auch darüber grübelte, er kam zu keiner akzeptabel klingenden Lösung. Das ärgerte ihn, und es ärgerte ihn noch mehr, dass er sich darüber ärgerte. Und das führte zu Frust und der ließ ihn nicht schlafen.

Es sollte ihn nicht beschäftigen. Absolut nicht. Wegen einem Kreis schlug man sich doch nicht die Nacht um die Ohren. Und doch, es ließ Marcus nicht los. 

Als er nach Stunden endlich den Schlaf fand, zeigte ein wirrer Traum, wie sehr ihn das Thema beschäftigte. Mit dem kleinen aber feinen Unterschied, dass Wood dort ein Herzchen anstatt eines Kreises um seinen Namen gezeichnet hatte. An diesen Traum erinnerte er sich am nächsten Tag allerdings nicht mehr. 

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