24 | Connor




»Frohes neues Jahr«, zwitschert Sophie mit ihrer hellen Stimme und reckt voller Begeisterung ihren roten Plastikbecher in die Höhe, um mit uns auf das neue Jahr anzustoßen. Noah, Ava und ich tun es ihr gleich.

Aus dem Augenwinkel sehe ich am Fenster, wie die Nacht mit buntem Feuerwerk erhellt wird. Das Knallen, Knistern und Rauschen der Raketen und freudiges Gelächter dringen bis in mein Zimmer und ich bin der Meinung zu hören, wie ein paar Leute lachend draußen den Flur entlang rennen.

Wir haben es uns in meinem Zimmer gemütlich gemacht. Alle Decken und Kissen, die wir finden konnten, auf den Boden geworfen, damit wir es uns dort bequem machen können. Sophie hat einen kleinen Projektor von sich mit dem Laptop verbunden und an der einen weißen Wand erkennt man wunderbar das Standbild von König der Löwen.

Einer von Avas und Sophies Lieblings-Disneyfilmen.

Während ich an meinem süßen Sekt nippe, sehe ich dabei zu, wie Noah Ava an sich ran zieht, um ihr einen Kuss auf die Lippen drücken zu können. Ich kann an einer Hand abzählen, wie oft sich Noah und Ava vor meinen Augen geküsst haben. Die beiden sind kein Paar, das wie Kletten aneinanderhängt. Das könnte ich mir bei Noah auch gar nicht vorstellen, dafür ist er ein zu introvertierter Typ.

Sophie lehnt sich zu mir rüber, die Unterlippe schmollend vorgeschoben. »Die zwei sind manchmal widerlich süß, oder?«

»Mhm.« Ich nicke bestätigend und kriege von Noah nur einen entnervten Seitenblick zugeworfen.

Ich lache auf. »Kriege ich von dir auch meinen Neujahrskuss?« Ich forme meine Lippen zu einem spitzen Kussmund und mache dazu die passenden Geräusche. Noah zieht eine Augenbraue hoch, hält die Hand seiner Freundin fest in seinen, während Ava und Sophie prustend losgackern.

»Nee du.«

Gespielt entrüstet, mit geweiteten Augen und scharfem Einatmen, lege ich mir die flache Hand auf den Brustkorb. »Hast du mir nicht mal gesagt, dass du auf mich stehen würdest?«

Stöhnen legt Noah den Kopf in den Nacken. »Wenn ich schwul wäre!«

Mein Grinsen wird breiter. Wir beide wissen, wovon wir sprechen. Das liegt jetzt knapp eineinhalb Jahre zurück und trotzdem kommt es mir so vor, als wäre es gestern gewesen, als Noah neben mir auf meiner Schlafcouch saß. Als er über Ava gesprochen hat, die mit ihm Interviews zu unserem Frühlingsturnier geführt hat. Oder, als ich mir Popcorn hinter die Backen geschoben habe und verzweifelt auf irgendwelchen Datingplattformen unterwegs war.

Ich zucke zusammen, als Sophie sich plötzlich direkt neben mich hinkniet, meinen Kopf zwischen ihre Hände nimmt und mir einen dicken Schmatzer auf die Wange drückt. Kichernd reibt sie mir ihren Lipgloss von der Haut und ich blinzle verdutzt zu ihr auf.

»Du wolltest einen Kuss, da hast du einen Kuss«, meint sie keck und wirft mir ein Augenzwinkern zu. Ich schnaube leise. Dann lasse ich mich zurück in die Kissen sinken, während Sophie zurück zum Laptop krabbelt, um den Film fortzusetzen. Ich blende die Geräusche von draußen aus und konzentriere mich nur noch auf Simba, wie er mit Timon und Pumba eine wunderschöne Zeit erlebt.

*

Ich vergrabe meine untere Gesichtshälfte inmitten meines warmen Schals, als ich den dunklen Kiesweg entlanggehe. Es ist fast vier Uhr morgens und meine Gedanken halten mich wach. Wie sollte es auch anders sein.

Noah, Ava und Sophie haben sich schon um drei Uhr verabschiedet, nachdem wir den zweiten und dritten Teil von König der Löwen angeschaut haben. Die zwei Flaschen Sekt sind ausgetrunken, die einst volle Schale an süßem und salzigem Popcorn ist bis auf ein paar Krümel leer.

Eigentlich müsste ich sterbensmüde sein. Doch das bin ich nicht.
Normalerweise gehöre ich nicht zu dem Typ Mensch, der sich über alles regelrecht den Kopf zerbricht. Klar gibt es Dinge, mit denen ich mich gedanklich mehr beschäftige als mit anderen, aber es kommt so gut wie nie vor, dass es mir schlaflose Nächte bereitet.

Und es kommt ebenso selten vor, dass in meinem Kopf mindestens zehntausend verschiedene Unterthemen herumschwirren, noch dazu Fragen, die ich nicht mal mir selbst beantworten kann. Es ist mühselig. Es ist anstrengend. Es bereitet Kopfschmerzen und von Entspannung ist keine Rede.

Von weitem erkenne ich eine dunkle Gestalt, die in meine Richtung stolpert. Wankend von links nach rechts, ehe sie anhält und die Arme ausstreckt, um damit das Gleichgewicht zu halten. Ich grinse in mich hinein. Da hat jemand etwas zu tief ins Glas geschaut.

Ich gehe auf die Person zu, um meine Hilfe anzubieten, bleibe aber wie angewurzelt stehen, als ich erkenne, wer die fremde Person ist.
Aidens Blick war bis vor wenigen Sekunden noch auf den Boden gerichtet, doch jetzt starrt er mich an wie ein Reh im Scheinwerferlicht.

Die Zeit scheint still zu stehen, als ich Aiden vor mir stehen sehe. Er sieht erstaunt aus und ich fühle mich merkwürdigerweise ertappt.

»Connor«, nuschelt Aiden undeutlich und schwankt leicht nach rechts. Seine Hand zuckt in meine Richtung, hält auf halbem Weg inne und fällt wieder nutzlos zurück an seine Seite. »Isch habe dir geschrieben ...«

Gott. Wie viel hat er bitte schön getrunken?
Ich muss mich räuspern. »Ich weiß, ich habe es gelesen.«

Sein Blick wirkt traurig und trüb, als er mich anstarrt. »Du hascht nischt geantwortet ...« Fahrig fährt er sich durch die Haare, die ohnehin schon in alle Richtungen abstehen. »Isch ... brauche disch ...«

Ich runzle die Stirn und lege meinen Kopf schief. Wut lodert plötzlich in meinem Bauch. »Du brauchst mich?«, wiederhole ich seinen Satz und ernte dafür ein heftiges Nicken. »Du. Brauchst. Mich?« Ich betonte ich jedes einzelne Wort und schnaufe laut auf. Dass ich nicht lache. Wenn er mich so sehr brauchen würde, dann hätte er mir so etwas nie angetan. »Du bist ein Lügner, Aiden Reed.«

Vehement schüttelt er mit dem Kopf und ich habe fast Angst, dass er dabei umfällt. »Nein. Isch - nein.« Mit der flachen Hand fährt er sich quer übers Gesicht und schluckt hart, während sein Körper schaukelnd auf einer Stelle steht. Dann durchbricht plötzlich ein leises Schluchzen die Nacht und ich sehe mit an, wie Aiden vor mir auf die Knie fällt.

Meine Wut schlägt in Mitleid um, während ich auf die weinende und kauernde Person vor mir schaue. Scheiße. Dicke Tränen rollen ihm über das gerötete Gesicht, als er versucht, nach passenden Wörtern zu suchen, jedoch höre ich nur Genuschel.

»Esch tut mir leid!« Zitternd schließt er die Augen und wiegt sich hin und her.

»Aiden, du kannst hier nicht -« Ich breche ab, weil ich weiß, dass es nichts nützen wird, wenn ich ihn auffordere aufzustehen. Er scheint in einem Rauschzustand zu sein. Und ich weiß auch, dass ich ihn nicht allein hochziehen und in sein Zimmer bringen kann.

Daher hole ich, ohne groß zu überlegen, mein Handy aus der Tasche und wähle die einzige Nummer, die mir gerade in den Sinn kommt. Fast gebe ich die Hoffnung auf, da ertönt die krächzende Stimme von Noah.

»Wenn du nicht stirbst, brauchst du einen guten Grund.«

Fast hätte ich über seinen Spruch gelacht.

»Ich brauche deine Hilfe.«

»Wo bist du?« Ich höre das Rascheln der Bettdecke und stelle mir vor, wie er aus dem Bett steigt und bereit ist, sich anzuziehen.

»Kennst du den Kiesweg zwischen meinem Wohnkomplex und der Kneipe The Robin Hood

»Ja, gib mir zehn Minuten.« Dann hat er aufgelegt und ich stecke mein Handy zurück in die Jackentasche, um mich voll und ganz auf Aiden zu konzentrieren. Er ist meiner Meinung nach plötzlich zu ruhig.

Ich lasse mich zu Aiden auf den Boden nieder. Die kleinen Steinchen drücken sich unangenehm in meine Knie. Sanft umfasse ich sein Kinn und hebe es etwas an, damit ich in sein Gesicht schauen kann. Seine Augen sind geschwollen und gerötet. Ich habe das Gefühl, dass sein Blick versucht mich zu fokussieren, aber er scheint es nicht zu schaffen.

»Scheiße Aiden, wie viel hast du getrunken?«

Er zuckt mit den Schultern. »Isch wollte, dasch es aufhört.«

»Was sollte aufhören?«

»Die Gedanken ... in meinem Kopf ...«, nuschelt er leise.

»Hat es funktioniert?«

»Nein.«

Hart presse ich meine Lippen aufeinander, als sich ein kleines Lachen über meine Lippen schleichen möchte. Wie ähnlich wir doch in dieser Hinsicht sind.

»Connor?« Ich schaue auf und sehe, wie Noah von weitem angelaufen kommt. Das war schneller als zehn Minuten. Sein Atmen geht stoßweise, als er vor mir zum Stehen kommt und mit gerunzelter Stirn erst auf mich und dann auf den zusammengekauerten Aiden starrt.

»Geht es dir gut?«

Ich nicke. »Ja, aber Aiden hier nicht. Ich weiß nicht, wie viel er getrunken hat. Ich konnte nicht schlafen und wollte etwas frische Luft schnappen und dabei ist er mir wortwörtlich über den Weg gestolpert.«

Seufzend legt Noah den Kopf schief und zuckt dann mit den Schultern. »Lass uns ihn wegbringen. Nicht, dass ihr euch beide noch eine Erkältung einfangt.«
Noah beugt sich zu Aiden runter und umfasst seinen linken Oberarm, während ich das Gleiche auf der rechten Seite übernehme und wir gemeinsam Aiden in eine stehende, leicht wackelige Position bringen.

Aiden gibt ein Geräusch von sich. Ich kann aber nicht verstehen, was er versucht zu sagen. Daher sage ich nur leise »Komm« und wir drei torkeln in Richtung unseres Wohnkomplexes. Ich weiß, dass ich die letzten paar Stunden in dieser Nacht nicht schlafen werde.



So☺️ hier kommt direkt zum ersten Mai das neue Kapitel. Entschuldigt bitte meine Dusseligkeit, dass ich es für Sonntag vergessen habe 🥲

Connor ist also auf dem betrunkenen Aiden gestoßen🙈😂 Die Szene hatte ich am Anfang an im Kopf, als ich mit der Geschichte gestartet bin ☺️

Lasst wie immer eure Gedanken da ☺️♥️
Genießt das schöne warme Wetter ☀️
Eure Rahel 😘



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