15 | Aiden




Das Kratzen eines Stuhlbeines, das über den Boden gezogen wird, lässt mich von meinen unzähligen Blättern und Büchern - die vor mir auf dem Tisch liegen - aufschauen. Verdattert sehe ich dabei zu, wie Sophie mit einem breiten Grinsen auf dem gerade zurechtgeschobenen Stuhl gegenüber von mir Platz nimmt und mich erwartungsvoll anschaut.

Ich blinzle ein paar Mal, ehe ich eine Augenbraue hebe. »Ähm ... hi?« Meine Stimme ist leise, obwohl um uns herum in der Bibliothek niemand ist. Trotzdem habe ich nicht das Bedürfnis, meine Lautstärke anzuheben. Kurz überlege ich, ob ich noch etwas zu Sophie sagen sollte. Ob ich fragen sollte, ob alles in Ordnung ist. Doch dann geht ein Ruck durch ihren Körper und sie lässt sich laut seufzend auf dem Stuhl nach unten rutschen.

»Kann ich meine Pause bei dir verbringen?«

Nun ziehe ich beide Augenbrauen hoch. »Hier?«

Sie nickt und verzieht gequält das Gesicht. »Im Pausenraum ist Cody und er erzählt ununterbrochen von diesem Marvel-Gedöns.« Sie rollt mit den Augen. »Ich habe noch nie einen Menschen so viele Wörter in einer Minute sagen hören.«

Erst möchte ich Sophie darauf hinweisen, dass sie selbst auch viel und schnell sprechen kann. Doch ich kann meine vorlaute Zunge im letzten Moment davon abbringen, weil ich glaube, dass sie es gerade gar nicht hören möchte. Leicht lächelnd schließe ich die zwei offenen Bücher vor mir und lehne mich dann zurück. »Eine Pause könnte ich vertragen.«

Erleichtert blickt Sophie mich an und pustet eine lockige Strähne vor ihrem Gesicht weg. »Ich danke dir!«
Dann setzt sie sich auf und kramt etwas in ihrem Beutel rum, der mir jetzt ins Auge sticht. Ein paar Sekunden später hält sie mir schon einen Schokoriegel hin. »Hier, als Pausensnack.«

Dankend nehme ich ihn an. Mein Magen knurrt leise und ich frage mich ehrlich, wann ich das letzte Mal richtig etwas gegessen habe. In zwei Wochen beginnen die Abschlussprüfungen vor der Winterpause. Ich möchte dieses Mal vorbereitet sein und mit gutem Gewissen zu meinen Eltern fahren.

»Noah und Connor kommen heute zurück.« Mit dicken Backen sitzt Sophie vor mir und hat den halben Schokoriegel in den Mund geschoben, während ich meinen noch eingepackt in der Hand halte. Vorsichtig nicke ich. Ich stehe im ständigen Kontakt mit Connor und weiß, dass der Zug zurück nach Bristol in fast einer Stunde abfährt. Dass ich mich freue, ihn zu sehen, ist untertrieben. Mein Körper lechzt förmlich nach ihm.

»Dann sind wir fünf wieder vereint.

»Wir fünf?«, hake ich irritiert nach, öffne die Verpackung und beiße ein Stück vom Riegel ab.

Sophie nickt sofort. »Natürlich. Du gehörst jetzt auch zu uns. Du und Connor seid doch ein Paar, oder nicht?«
Ich halte kurz durch ihre Frage inne. Sind Connor und ich ein Paar? Wir haben uns bis jetzt noch nicht darüber unterhalten, aber wir verhalten uns wie eins. Hocken aufeinander, können unsere Finger nicht von dem jeweils anderen lassen. Ja ... wie ein Paar. Ein weiches Lächeln schleicht mir auf die Lippen, während ich mit dem angebissenen Schokoriegel in meiner Hand spiele.

Ein Paar. Das Wort gefällt mir und mein Körper wird mit einem Cocktail von Euphorie und purer Freude überschwemmt. Schüchtern senke ich meinen Blick, kann aber das Lächeln, das weiterhin auf meinem Gesicht feststeckt, nicht verstecken. »Ja ... ich denke schon. Ich vermisse ihn zumindest.«

Sophie gibt ein schmachtendes Seufzen von sich und klatscht freudig in die Hände. »Ich wusste es! Eure Blicke, die schreien einfach nur nach Liebe!«

Ich lache laut auf und klatsche mir danach direkt die Hand vor den Mund. Immerhin befinden wir uns in einer Bibliothek. Aber die Gefühle, die mich gerade umgeben, lassen mich lebendig fühlen. So als ob das, was hier gerade passiert richtig ist.


*

Connor | 6:24 P.M.
Ich bin gleich da.

Die Worte lassen mich verrückt werden und ich fühle mich wie ein eingesperrtes Tier in einem Käfig, während ich in meinem Zimmer auf und ab laufe. Ungehalten, aufgeregt und voller Emotionen. Dann endlich geht die Tür auf und Connor steht mitten im Türrahmen. Seine dunkelblonden Haare stehen in alle Richtungen ab, was wahrscheinlich dem Novembersturm zu verdanken ist.

Keuchend lässt er seine Reisetasche fallen und zeigt damit, dass er nach dem Ankommen direkt zu mir gekommen ist. Meine Brust schwillt vor Freude an und ich schaue dabei zu, wie seine blauen Augen mich fokussieren. Wie ein Tier seine Beute. Ich muss schlucken.

»Connor, ich -« Ich komme gar nicht dazu meinen Satz zu beenden, da ist er schon mit drei großen Schritten zu mir rübergekommen und schubst mich nach hinten aufs Bett. Ein Keuchen fährt mir über die Lippen, als sich Connor eine Sekunde später auf meinen Schoß setzt und seinen kalten Zeigefinger auf meinen Mund drückt.

»Nicht reden, sondern küss mich!« Der dunkle kratzige Unterton in seiner sonst so hellen Stimme lässt meinen ganzen Körper weich werden. Würde ich nicht schon sitzen, hätten meine Beine mich nicht mehr halten können.

Ich tue das, was mir aufgetragen wurde. Vergrabe meine Hände in seinem Haarschopf und ziehe seinen Mund an meine Lippen. Es waren nur drei Tage, in denen ich seine Lippen nicht kosten konnte.

Drei Tage zu viel.
Hungrig und gierig zu gleich küsse ich ihn mit all meinen Emotionen, die durch meine Adern fließen. Um ihm zu zeigen, wie sehr ich ihn vermisst habe. Wie sehr ich seine Lippen und seinen Körper vermisst habe. Blind taste ich nach dem Reißverschluss seiner Winterjacke, ziehe ihn runter und die Jacke fällt mit einem leisen Rascheln zu Boden.

Connor legt seufzend den Kopf in den Nacken, während ich sanfte Küsse und leichte Bisse von seinem Mundwinkel runter zur Halsbeuge verteile. Ich bekomme kaum mit, dass er seinen Schoß an meinem reibt. Alles ist wie in einem Nebel. Ein Rausch, der mich in Watte gepackt und auf den Kopf gestellt hat.

»Aiden.« Connor stöhnt. Lauter und hingebungsvoller als sonst. Mein Körper friert in der Bewegung ein, während meine Augen sein Gesicht absuchen. Das Blau seiner Iriden ist verschleiert, die Lippen rot und geschwollen. Er öffnet die Lippen einen kleinen Spalt, schluckt laut und schließt die Augen. »Hör jetzt nicht auf ... bitte.«

Rastlos fahren meine Hände an seinen Seiten auf und ab. Die Klamotten an seinem Körper stören mich ungemein. »Wenn wir weitermachen ... ich kann für nichts garantieren«, raune ich leise und meine es auch so. Die Endorphine rauschen wie eine Droge durch meine Blutbahn. Setzen meinen Körper in Wallung.

Sanft umfasst Connor mein Kinn und hebt es hoch, wobei unsere Blicke sich erneut treffen. Ich erkenne Offenheit und Vertrauen in seinen Augen. »Ich will dich.«

Der Satz ist eine Art Startschuss für meinen Körper, denn ich umschlinge ihn mit den Armen und drehe seinen Körper nach rechts, sodass er auf der Matratze unter mir liegt. Verwirrt blinzelt er zu mir hoch, während ich mich zu ihm runter beuge. »Sag Stopp, wenn du nicht mehr möchtest.« Ich gebe ihm die Chance währenddessen abzubrechen, hoffe aber gleichzeitig, dass das nicht passieren wird.

Er nickt und unsere Lippen treffen sich erneut. Meine Hände streichen unter seinen Pullover, fahren nun die nackten Seiten hoch, über die Brust, bevor sie erneut nach unten streichen und den Saum des Oberteils ergreifen. Er lässt sich mühelos ausziehen. Den Pullover werfe ich ungeachtet zur Seite und lehne mich etwas zurück, um Connor zu betrachten.

Sein muskulöser Oberkörper hebt und senkt sich mit schnellen Atemzügen. Ich kann nicht anders und zeichne mit dem Zeigefinger den Rippenbogen bis zu seiner linken Brustwarze nach. Scheiße verdammt, er ist wunderschön. Wie von selbst wandern meine Finger runter zum Knopf der Jeans. Ich öffne diesen und helfe Connor dabei Jeans, Schuhe und Socken auszuziehen.

Während er nach hinten aufs Bett rutscht, ziehe ich mein T-Shirt aus und krabble nur noch in Jogginghose gekleidet ihm hinterher. »Shit, Connor, du machst mich verrückt.«

Keuchend lacht er auf und fährt sich zitternd mit gespreizten Fingern durch seine Haare. »Dann weißt du ja, wie es mir gerade geht.« Seine Stimme bebt, aus Lust und Verlangen. Meine Lippen fahren seinen Kiefer entlang zur Brust und verteilen dort federleichte Küsse. Connors Hände rutschen derweil unter den Bund meiner Jogginghose und umfassen mit bestimmtem Druck meinen Hintern.

Scheiße.

Ich weiß jetzt schon, dass ich nicht lange durchhalten werde.
Japsend windet sich Connor unter mir, als meine Zunge über seinen Bauchnabel streicht und dem hellen Flaum folgt, der in seiner Unterhose verschwindet. Verspielt fahren meine Finger den Saum entlang. »Kann ich?«
Letztes Mal hat er mich an diesem Punkt aufgehalten. Gesagt, dass er noch Zeit braucht. Waren die drei Wochen genug Zeit gewesen?

Hektisch nickt Connor. »Ja. Scheiße verdammt.«

Ich greife zu meiner Nachttischschublade und hole Gleitgel sowie ein Kondom hervor. Mit einem bestimmten Ruck ziehe ich Connor das letzte Kleidungsstück aus.

Dann vermischt sich alles zu einer aufbauenden Welle aus Lust und Geborgenheit. Seine Berührungen auf meiner Haut, sein Stöhnen und Keuchen, als ich ihn in den Mund nehme. Das Jammern, als meine Finger anfangen, seine empfindlichste Stelle zu berühren.

Ich befinde mich in einem Rausch und komme erst wieder zur Besinnung, als mein Höhepunkt über mich hereinbricht. Währenddessen hätte draußen die Welt untergehen können, ich hätte nichts mitbekommen. Behutsam löse ich mich von Connor, was er mit einem gequälten Stöhnen quittiert, und knote das benutzte Kondom zusammen. Ich werfe es Richtung Mülleimer und hoffe inständig, dass ich ihn auch getroffen habe.

Keuchend lasse ich mich auf Connor fallen, vergrabe ihn unter meinem Körper und spüre sein zittriges Nachbeben.

Die Luft in meinem Zimmer ist stickig. Immer noch leicht benebelt von den vergangenen Minuten schlinge ich meine Arme um seinen schwitzigen Körper und vergrabe mein Gesicht in seiner Halsbeuge. Spüre, wie sich seine Brust hebt und senkt. Wir beide sagen gar nichts. Genießen nur den Moment der Zweisamkeit. Der Moment, der nur uns gehört und den uns niemand wegnehmen kann.

Meine Lider werden schwer und nur halb bekomme ich mit, wie die warme, schwere Decke über meinen und Connors Körper gezogen wird.

*

Am nächsten Morgen fühle ich mich wie im Film Verwünscht, als wäre alles rosarot, als würden die Vögel singen und mir die Eichhörnchen beim Putzen helfen wollen. Als ich aufwache, schläft Connor noch und somit habe ich Zeit, ihn zu betrachten. Seine Haare sind zerzaust und ich kann einen dunklen blauroten Fleck an seinem Hals entdecken. Verwundert versuche ich, mich daran zu erinnern, wann ich das gemacht habe. Eigentlich ist es nie meine Absicht gewesen, ihm einen Knutschfleck zu machen - muss wohl im Affekt passiert sein.

Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, schaue ich mich in meinem Zimmer um. Das Bett ist komplett zerwühlt und unsere Klamotten liegen zerstreut herum. Bilder von letzter Nacht tanzen vor meinem inneren Auge rum. Ich muss mich zusammenreißen, um nicht über den schlafenden Connor herzufallen.
Ich beuge mich zu ihm runter und gebe ihm sachte einen Kuss auf die Wange, bevor ich mich zur anderen Seite drehe und mein Handy vom Nachttisch nehme. Mein Glücksgefühl wird innerhalb der Sekunde zunichtegemacht, in der ich das Datum auf dem Display erblicke.

27. November.

Die Zahl brennt sich quasi in meine Netzhaut ein.
Heute ist der Todestag.

Der Tag, an dem mein Bruder gewaltsam aus dem Leben gerissen wurde.

Der Tag, den ich verflucht habe.

Der Tag, an dem ich schuld war, dass unsere Familie in zwei gebrochen ist.

Wie von selbst öffne ich den alten Chat von ihm und mir. Unzählige Nachrichten kann man ihm Verlauf entdecken. Nachrichten, von denen ich weiß, dass sie nie beantwortet werden. Ich beiße mir auf die Unterlippe, versuche, das Zittern meiner Lippen zu unterdrücken.
Connor regt sich neben mir. So sanft wie er nur kann, kuschelt er sich an mich und gibt ein zufriedenes Seufzen von sich.

Hastig lasse ich mein Handy in die Bettdecke fallen und wende mich ihm zu. »Hi«, flüstere ich leise und versuche zu lächeln. Doch Connor sieht sofort, dass etwas nicht stimmt. Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen, während er vorsichtig eine Hand auf meine Wange legt.

»Was ist los?«

Ich schließe die Augen, kann das Brennen hinter den Lidern nicht unterdrücken.
»Wenn ich sage, dass alles in Ordnung ist ... glaubst du mir?«

»Nein.«

»Mhm-« Ich lache leise. »Habe ich mir gedacht.«

»Aiden ...« Connors Stimme klingt warnend. So, als würde er sich auf das Schlimmste gefasst machen.

»Ich mache unseren schönen Moment kaputt«, gebe ich gequält zurück und atme tief ein, ehe ich geräuschvoll die Luft aus meiner Lunge entweichen lasse. »Heute ist der Todestag meines Bruders.« Meine Lider öffnen sich einen Spalt und ich kann nicht verhindern, dass eine verirrte Träne über meine Wange rollt.

Sanft streicht Connor sie mit seinem Daumen weg. »Es tut mir so leid.«

Ich sage nichts und vergrabe mein Gesicht in seiner Halsbeuge, atme seinen Duft ein und lasse mich für ein paar Minuten von ihm hin und her wiegen. Tue so, als ob alles in Ordnung wäre. Nur für diesen einen Moment.




Aiden und Connor haben den nächsten Schritt gewagt 😱😊 aber mal ehrlich, das war doch alles noch eine Frage der Zeit 🤭

Umso trauriger ist es, dass der Todestag von Aidens Bruder ist 😢

Was denkt ihr ? Was ist passiert ? Und warum gibt sich Aiden selbst die Schuld?

Wie immer würde ich mich über Votes & Rückmeldungen freuen ☺️❤️

Bis dahin eure A. ❤️

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