07 | Aiden




Der dumpfe Bass von einem Lied, das ich nicht kenne, wird vom lauten Gerede und Gelächter in der gutbesuchten Kneipe The Robin Hood übertönt. Ich muss mich ein kleines Stück vorlehnen, um Hardins Worten folgen zu können, und nehme daraufhin einen großzügigen Schluck von meinem Bier. Der herbe Geschmack vom Spitfire breitete sich in meinem Mundraum aus. Eigentlich bin ich nicht der größte Fan von Bier, aber ab und zu habe ich Lust drauf.

Oder du willst dich bloß ablenken von deinem Versagen.

Kurz gerate ich ins Stocken, als meine innere Stimme plötzlich lauter in meinem Kopf widerhallt und mich somit daran erinnert, warum ich hier mit meinen Kumpeln in der Kneipe sitze und mein drittes Bier in den Händen halte.

Mein Vortrag über die vegetative Physiologie des Herzens, den ich heute während meiner Vorlesung gehalten habe, hat meiner Professorin Mrs. Vesper nicht annähernd so gut gefallen, wie ich erhofft hatte. Ich bin mir so sicher gewesen, dass ich alles hervorragend ausgearbeitet hatte. Doch, als sie mit ihren Fragen begann, saß nur noch ein kleiner Affe in meinem Kopf, der begeistert in die Hände klatschte.

Es war alles weg.

Nur gähnende Leere.

Und ein Gefühl der Hilflosigkeit.

Mir würde ein vermasselter Vortrag sonst nichts ausmachen, aber diese Note geht prozentual mehr in die Endnote mit rein als ein gewöhnlicher Vortrag. Ich habe mich so dämlich gefühlt, als mich die anderen Studenten angestarrt haben und ich keine einzige Frage meiner Professorin beantworten konnte. Es fühlte sich an, als würde sie eine andere Sprache sprechen, als hätte ich noch nie etwas von Medizin gehört oder gar gelesen.

Ein Schlag auf meinen Unterarm lässt mich zusammenzucken.

»Alter, wo warst du gerade?«, fragt Ezra lachend und stupst den breitgrinsenden Hardin an. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass er mit seiner Erzählung fertig war. »Sag nicht du, hängst immer noch an diesem Vortrag?«

Mit einem Schnauben presse ich meine Lippen aufeinander, bevor ich mir einen weiteren Schluck gönne. Wenn es so weitergeht, wird es nicht nur bei drei Bieren bleiben. »Der Vortrag war wichtig. Ihr wisst nicht –«

»Doch ich weiß«, grätscht mir Hardin sofort dazwischen. »Ich bin auch in deinem Kurs oder hast du das schon vergessen?«

Brummend schüttle ich den Kopf. Nein, habe ich nicht. Er saß aber auf der anderen Seite des Raumes. Stand nicht wie ich im Scheinwerferlicht und musste versuchen aus einer verdammt misslichen Lage herauszukommen.

»Mein Vortrag lief auch nicht so perfekt, Aiden. Die Mrs. Vesper ist halt eine alte Schrulle und will ganz genau nach ihrem Plan im Buch gehen. Wenn du bloß ein anderes Wort benutzt, das nicht in ihren Unterlagen steht, dann bekommst du gleich gefühlt zehn Punkte Abzug. Also ...«, er lehnt sich zu mir rüber und tätschelt mitfühlend meine Hand, die auf dem Tisch liegt, »mach dir keine Gedanken. Wir alle kacken bei der ab.«

Kaum merklich zuckt einer meiner Mundwinkel und ich nicke. Hardin hat recht, Mrs. Vesper ist eine sehr strenge Professorin und selbst die Besten in unserem Kurs haben bei ihr so manche Probleme. Dennoch ... fühlt es sich an wie versagt zu haben. Seufzend setze ich die Flasche an und trinke den Rest der Flasche auf einmal aus, ehe ich sie etwas zu laut auf den Tisch abstelle. »Nimmt es mir nicht übel, Jungs, aber ich gehe.«

Ezra grinst. »Braucht die Prinzessin ihren Schönheitsschlaf?«

Ich imitiere sein teuflisches Grinsen. »Die Prinzessin tritt dir gleich in deinen Allerwertesten.« Kurzerhand werfe ich fünf Pfund auf den Tisch, um meinen Anteil zu begleichen, rutsche vom Hocker und klopfe zum Abschied auf den Tisch. Meine Freunde tun es mir gleich und ich drehe mich zum Ausgang.

Gerade, als ich in die kühle Nachtluft treten möchte, hält mich ein glockenhelles Lachen zurück. Ein Lachen, das ist vor drei Wochen noch nicht kannte. Ein Lachen, das ich jetzt sofort erkennen würde. Wie von selbst suchen meine Augen nach der Person, der ich dieses Geräusch zuordnen würde. Und da! Da sitzt Connor umringt von Sophie, Ava und Noah in der Ecke der Kneipe. Die Kraft der Lampen reicht kaum aus, um die Nische zu erleuchten, und hätte Connor in diesem Moment nicht lachend den Kopf zurückgeworfen, hätte ich die vier nicht gesehen.

Unschlüssig bleibe ich drei Sekunden stehen, ehe ich mich wie von selbst auf Connor zubewege. Weg ist die Müdigkeit, weg ist die Wut über mein Versagen. Nur noch der Alkohol pulsiert in meinen Adern - und ein ungewohntes Kribbeln.

Ava scheint etwas zu erzählen, hält plötzlich im Satz inne, als sie mich erkennt. Verwirrt drehen sich drei Köpfe zu mir um, folgen ihrem Blick und landen somit auf mir, der zögerlich grüßend die Hand hebt. »Äh. Hi!«

»Aiden!« Connor springt auf – so gut, wie es mit seinem geprellten Fuß funktioniert – und drückt mich zur Begrüßung an sich. Ich nehme den Duft von Zitrone und einem herben Duschgel war, ehe er auch wieder verschwindet und sein Gesicht vor meinem ist. Hatte er schon die ganze Zeit diese kleinen Sommersprossen auf seiner Nasenspitze?

Fast nehme ich seine Frage nicht wahr. »Was machst du hier?«
Ehe ich antworten kann, werde ich von ihm auf die Eckbank gezogen und finde mich zwischen Noah und ihm wieder. Perplex blinzle ich. Wollte ich nicht gerade The Robin Hood verlassen?

»Also?«

»Oh, eigentlich wollte ich gerade gehen. War mit zwei Kumpeln hier.« Ich deute auf den Ausgang. Dann fällt mein Blick zu Ezra und Hardin, die nicht mitbekommen haben, wie ich von der einen Ecke der Kneipe in die andere verschwunden bin. Sie sitzen lachend am Bartisch und stoßen auf die vierte Runde an.

»Quatsch. Der Abend ist noch jung.« Sophie springt vom Stuhl auf und läuft ohne Widerworte der anderen zur Bar und besorgt eine Runde Bier für uns alle. Dass es schon nach zehn Uhr ist und ich eigentlich morgen um kurz vor neun mein Zimmer verlassen muss, schiebe ich ganz nach hinten in meinem Kopf, als ich Connors Fingerspitzen auf meinem Unterarm spüre. Sanft fahren seine Fingerkuppen über meine Haut, hinterlassen eine angenehme Gänsehaut.

Schluckend schiele ich zu dem Blonden neben mir, merke jedoch, dass er in ein Gespräch mit Noah vertieft ist. Bekommt Connor überhaupt mit, was seine Hände hier tun? Weiß er, was diese Berührung mit mir macht? Mein Körper scheint Connor komplett verfallen zu sein und es ist egal, dass wir uns erst seit drei Wochen kennen.

*

Ein fast stetiges Brummen holt mich aus meinem Schlaf. Irritiert blinzle ich ein paar Mal und realisiere, dass ich in meinem Bett liege. Schon wieder ein Brummen. Kurzerhand strecke ich meinen Arm aus und angle nach meinem Handy. Wer um alles in der Welt bombardiert mich hier mit Nachrichten?

Melanie | 6:02 A.M.
Deine Mutter hat mich zum Weihnachtsessen eingeladen.

Melanie | 6:06 A.M.
Es ist gerade einmal Ende September!

Melanie | 6:07 A.M.
Denkst du, wir sollten Matching-Outftis tragen?

Melanie | 6:09 A.M.
Aiden? Hallo? Notfall hier!

Ich lese Melanies Nachrichten durch und grunze entrüstet, als ich die Uhrzeit bemerke, die oben rechts auf meinem Handy-Display prangt. Was für eine gottlose Uhrzeit, denke ich mir und setze für eine Antwort an.

Aiden | 6:11 A.M.
Du hast mich geweckt!

Ihre Antwort kommt prompt.

Melanie | 6:12 A.M.
Heul nicht. Also?

Typisch ...

Aiden | 6:12 A.M.
Ist mir egal. Es sind noch knapp drei Monate hin. Lass dir Zeit.

Melanie schickt mir nur einen Kuss-Smiley und beendet somit unser Gespräch früh am Morgen. Ich frage mich ernsthaft, wieso sie in den Morgenstunden schon auf ist – oder ob sie überhaupt geschlafen hat.

Ich bleibe noch ein paar Minuten im Bett liegen, genieße die Stille und versuche, gleichzeitig meinen Körper gänzlich in Gang zu kriegen. Keine Ahnung, wann ich ins Bett gestolpert bin. Es muss jedoch mit zwei weiteren Bieren intus und nach Mitternacht gewesen sein. Ich weiß noch, wie der Alkohol anfing, meinen Kopf zu vernebeln.

Oder war es Connors Duft?

Meine innere Stimme ignorierend stehe ich auf und beginne mich langsam für den Tag fertigzumachen. Da ich nun eher wach bin, als ich eigentlich geplant hatte, habe ich noch Zeit mir in der Cafeteria einen Cappuccino zu besorgen. Den brauche ich dringend, nachdem ich mein müdes, verquollenes Gesicht im Spiegel gesehen habe.

Also begebe ich mich zur Cafeteria, fülle meinen Cappuccino in einen Pappbecher und möchte gerade wieder verschwinden, als ich Noah sehe, wie er allein am kleinen Zweiertisch sitzt und stirnrunzelnd seine Nase in einem dicken Wälzer vergraben hat. Kurz hadere ich mit mir selbst, ob ich einfach so tun soll, als hätte ich Connors besten Freund nicht gesehen.

Aber es wäre unhöflich und meine Mutter würde mich kritisch anschauen, wenn sie es herausfinden würde. Und zusätzlich mit tadelnder Stimme sagen: »So habe ich dich nicht erzogen, mein lieber Sohn

»Hey ...«

Mit gerunzelter Stirn hebt Noah seinen Kopf, wobei ihm ein paar seiner welligen Haarsträhnen in die Stirn fallen.

»Hallo.«

»Ähm, ich habe dich hier allein sitzen sehen ...«

»Ja ... ich lese etwas für eine Vorlesung nach, um es besser verstehen zu können.«

»Cool.« Innerlich klatsche ich mir mit der Hand gegen die Stirn. Oh my fucking god. Wie verkorkst will das Gespräch zwischen Noah und mir sein? Etwas unwohl trete ich von einem Fuß auf den anderen, überlege fieberhaft, was ich noch sagen könnte. Doch außer weiterem peinlichen Small Talk fällt mir nichts ein.

»Also dann, ich muss -«

»Ich sehe, wie du ihn ansiehst.« Noahs monotone Stimme lässt mir einen Schauer über den Rücken laufen.

»Äh – was?«

»Ich sehe, wie du Connor anschaust«, sagt er noch einmal und atmet geräuschvoll aus, ehe er das Buch zuklappt und mir tief in die Augen schaut. Meiner Meinung nach etwas zu tief, weswegen ich den Blickkontakt abbreche und auf meine Schuhspitzen starre. »Man muss nicht schlau sein, um zu merken, dass da etwas zwischen euch beiden ist. Aber ich sage es dir nur ein einziges Mal: Wenn du Connor wehtust, dann haben wir ein Problem miteinander. Verstanden?«

Hart schlucke ich den dicken Kloß in meinem Hals runter, der sich während Noahs kleiner Ansage gebildet hat. »Verstanden«, quetsche ich leise hervor und wäre am liebsten aus der Cafeteria gestürmt.

»Gut.« Noah kräuselt zufrieden die Nase und greift nach seinem Buch. »Dann haben wir das geklärt. Schön dich gesehen zu haben, Aiden.« Dann steht er auf, nickt mir zum Abschied zu und lässt mich wie einen begossenen Pudel am leeren Tisch stehen.

Noah ist schon länger verschwunden und mein Gehirn versucht noch immer die letzten Minuten zu rekonstruieren. Zu verstehen, was eigentlich passiert ist.

Hey meine Lieben ☺️
Ich hoffe, dass euch das neue Kapitel gefallen hat. Ich finde hier sieht man schön, was für Selbstzweifel Aiden doch hat 🥺

Lasst mich wissen wie ihr das Kapitel fandet. 🥰über Votes & Kommentare würde ich mich sehr freuen💕
Habt einen schönen Sonntag😘

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