Kapitel 28 | Mallory

Die zwei großen schlanken Gestalten meiner Komplizen verschmelzen geräuschlos mit der Dunkelheit. Andererseits trommelt mir der Puls so lautstark in den Ohren, dass ich es vermutlich nicht einmal hören würde, wenn jemand meinen Schädel mit einem Presslufthammer bearbeitet.

Die Nacht ist noch jung und vielleicht findet sich jemand, der diese Theorie an mir testen möchte. Denn auch, wenn wir vorhin ganz selbstsicher festgelegt haben, dass ich hier zwischen ein paar popeligen Büschen in Sicherheit bin, kenne ich die Realität meiner Situation.

Sicherheit ist die hinterlistigste und, ironischerweise, gefährlichste Illusion von allen. Manche Menschen kommen nicht einmal mehr dazu, das zu begreifen, weil die Lichter längst aus sind, bevor die Erkenntnis einsetzen konnte.

Gute Arbeit, Criminal Minds und Cabin in the Woods! Dank euch bin ich nur ein komisches Geräusch von vorübergehender Harninkontinenz entfernt.

Dabei ist es von uns beiden Cynthia, die mit Gewissheit in realer Gefahr schwebt.

Seit zwei Wochen ist meine Schwester verschwunden und heißt es nicht, dass die Chancen, ein Entführungsopfer lebend zu finden, nach vierundzwanzig Stunden drastisch abfallen?

Mir wird speiübel bei dem Gedanken, dass sie tot sein könnte. Auch, wenn ich überzeugt bin, dass ich das auf irgendeine Art gespürt hätte. Ich habe mir das immer so vorgestellt, dass man von einer Art böser Vorahnung beschlichen wird, wenn einem geliebten Menschen etwas zustößt. Wie eine merkwürdige Energie in der Luft, die einen nicht loslässt.

Auf meinem Körper breitet sich Gänsehaut aus, was teilweise daran liegt, dass die Temperaturen um einige Grad abgefallen sind und ich nur ein dünnes Oberteil und kurze Jeans trage.

Langsam richte ich mich auf, weil mir von dem ganzen Hocken die Beine einschlafen. Die schuppenförmigen Blätter der Koniferen streifen die freiliegende Haut meiner Gliedmaßen. Meine Füße fühlen sich an, als wäre eine Ameisenautobahn für den Berufsverkehr freigegeben worden. Abwechselnd verlagere ich das Gewicht von rechts nach links, damit das unangenehme Kribbeln verschwindet.

Wie lange Archer und Wren inzwischen durch das verlassene Wohnhaus schleichen, weiß ich nicht. Ich lasse den Blick über die dunkle Fassade gleiten. Vielleicht flackert gelegentlich der Hauch eines Lichtscheins in einem der Fenster auf. Es würde mir jetzt wirklich helfen, ein kurzes Lebenszeichen der beiden zu erhaschen.

Doch ich werde von einem unüberhörbaren Knacken unterbrochen, das irgendwo hinter mir, ganz in der Nähe ertönt. Der Laut fährt mir bis ins Mark. Ich erstarre, als hätte mich Medusas Blick getroffen.

Was zur Hölle war das?

„Hallo, ist da jemand?", möchte ich rufen. Natürlich halte ich die Klappe. Lächerlich. Es ist ja nicht so, als würde mich mein Jäger in so einer Situation freundlich auf seine Absichten hinweisen. „Ja, ich schleiche mich momentan an dich heran, um teuflische, teuflische Dinge mit dir zu tun. Foltern, ein bisschen Psychoterror - das Übliche. Bleib einfach, wo du bist."

Ich wage es nicht, zu atmen. Blanke Angst hat Körper und Geist infiziert. Meine Herzfrequenz geht durch die Decke. Wenn mir nicht bald etwas einfällt, muss ich fürchten, den Verstand zu verlieren.

Da kommt mir eine Technik in den Sinn, die mir schon öfter geholfen hat, Prüfungsangst zu überwinden. Ich löse meinen Pferdeschwanz, bis blonde Strähnen mein Gesicht umspielen. Den Haargummi schiebe ich über mein Handgelenk, nur um es mit dem Zeigefinger wiederholt gegen meine Haut schnipsen zu lassen, als würde ich an den Saiten einer Gitarre zupfen. Der kurze Schmerz erlaubt es mir für gewöhnlich, der negativen Gedankenspirale zu entkommen und damit meine Anspannung zu lindern.

Dieses Mal bleibt der gewünschte Effekt aus und wenn ich ehrlich bin, würde ich Arch und Wren am liebsten über unseren Gruppenchat zurückpfeifen.

Nackte Furcht frisst sich durch mein Innerstes wie Säure. Sie infiltriert und konsumiert mich, bis alles andere in den Hintergrund gerät. Als wäre ich umgeben von Mündern, die sich bewegen und doch höre ich nur einen markerschütternden Schrei, der jedes andere Geräusch ertränkt.

Der Drang, mir die Ohren zuzuhalten wird überwältigend. Dabei kommt der Schrei nicht von außen, sondern von innen. Niemand sonst kann ihn hören. Hier draußen bin ich allein, ganz allein.

Die Gewissheit legt sich wie ein warmes Band fest um meine Kehle und drückt zu. Die Nacht hat mich gefunden.

──⇌••⇋──

„Peach, komm schon", hallt in der Dunkelheit eine tiefe, melodische Stimme wider, die mir seltsam bekannt vorkommt. Eine Stimme, die den Anschein weckt, sie würde eine Geschichte erzählen. Wärme durchströmt mich mit jeder Silbe. „Bitte wach auf. Scheiße."

Etwas berührt mich an der Schulter, bevor sich ein Kokon aus Wärme um meine Hand legt.

Eine zweite, eher rauchige Stimme dringt von anderswo her an mein Ohr: „Das Navi sagt, zum Victoria General Hospital sind es rund achtunddreißig Minuten."

„Victoria General Hospital", wiederholen sich dieselben Worte in meinem Kopf, so als würde ich zwar die Sprache kennen, aber die Bedeutung der Worte nicht verstehen.

Mit einem Mal kommt es mir vor, als würde ein Damm brechen. Eine Flut aus Erinnerungen stürzt auf mich nieder: Archer, Wren, die Holland Farm und plötzliche Finsternis.

Wie von allein flattern meine Augenlider auf und ich fahre in eine leicht nach vorn gekrümmte Sitzhaltung hoch.

„Wren", bellt Archer direkt vor meinem Gesicht. „Wren, Wren, Wren halt sofort an."

„Was-"

„Mach schon", befiehlt er erneut, energischer dieses Mal und meine Sitzunterlage - ein Auto - hört mit einem Mal zu wackeln auf. Grelles Licht erhellt das Wageninnere. „Sie ist wieder da."

Knurrend kneife ich die Augen zusammen und werfe mir die Armbeuge über das Gesicht.

„Was ist denn los?"

Archers große Hand wickelt sich um mein Handgelenk, bevor er sachte daran zieht. Ich gebe nach, bis der Arm von meinem Gesicht fällt und locker neben meinem Körper landet.

„Gott sei Dank", entfährt es ihm keuchend. Und auch, wenn ich nicht weiß, was geschehen ist, schwindet meine Furcht einfach, weil er bei mir ist. „Scheiße, Peach, ich hatte echt Angst um dich."

„Kannst du bitte das Licht wieder ausmachen?" Meine Stimme hört sich an, als hätte ich Halsschmerzen.

„Ja, klar." Wren kommt meiner Bitte ohne zu zögern nach, sodass nur noch die Scheinwerfer brennen. Er schlingt einen Arme um die Lehne des Fahrersitzes, als er sich zu mir herumdreht. „Was ist denn passiert, Mensch? Ist dir wieder schwarz vor Augen geworden?"

Langsam blinzle ich. Ich will mich weiter aufrichten, doch mein Kopf dreht sich wie die Zutaten eines Grünkohl-Smoothies im Mixer.

Wrens Frage kann ich ihm nicht ohne Weiteres beantworten. Was ist das Letzte, woran ich mich ganz klar erinnern kann?

Melancholische Countrymusik, eine einsame Straße in mondheller Nacht, eine Flasche Bärenspray, eine beleuchtete Scheune und Wren, der Arch und mir berichtet hat, dass darin nichts Ungewöhnliches zu sehen war - diese Bilder kann ich in gestochen scharfer Qualität abrufen. Nur, was danach passierte, bleibt hinter einer Milchglasscheibe verborgen.

„Hast du Panik bekommen, weil Wren und ich dich allein gelassen haben?" Archers Hand landet auf meiner Schulter - streichelnd, in kreisenden Bewegungen. „Hat dich jemand angegriffen?"

Der knackende Ast, der plötzliche Anflug von Angst und ein warmes Band um meinen Hals, das mir den Atem nahm, - natürlich könnte mich jemand angegriffen haben. Doch auch Angst kann sich derartig intensiv auf den menschlichen Körper auswirken, das man zusammenklappt. Oder?

„Keine Ahnung. Schon möglich." Ich seufze. „Habt ihr jemanden gesehen?"

Erwartungsvoll blicke ich zwischen den beiden Männern hin und her, die aussehen, als würden sie sich über Telepathie miteinander unterhalten. Mehrere Sekunden sehe ich mich mit ihrem Schweigen konfrontiert. Das kann nichts Gutes bedeuten. „Oh mein Gott, ihr habt jemanden gesehen. Habe ich recht?"

Archer seufzt.

„Als Wren und ich im Haus fertig waren und auf dem Weg zu dir waren, haben wir Motorgeräusche gehört, aber Scheinwerfer waren keine zu gesehen."

Sanft lege ich mir eine Hand um die Kehle.

„Denkt ihr, das könnte Connor gewesen sein?"

Der Fahrersitz knarzt, als Wren sich schwer hineinsinken lässt. Im halbdunklen Wageninneren kann ich die Umrisse seines Seitenprofils erkennen.

„Entweder das oder es ist nur zufällig in dem Moment irgendein Anwohner vorbeigekommen." Kurz hält er inne. „Kannst du dich wirklich an gar nichts mehr erinnern?"

„Offen gestanden", mischt Archer sich ein, „ist mir das gerade vollkommen egal. Wir bringen dich jetzt erst mal ins Krankenhaus."

Zustimmend brummt Wren.

„Mh, klingt vernünftig."

Trotz anhaltendem Schwindelgefühl drücke ich mich hoch, bis ich beinahe aufrecht sitze.

„Auf keinen Fall. Mir geht's schon viel besser. Außerdem ..." Ich blicke auf meine Hände, die in meinem Schoß gefaltet sind. „Wie sollen wir den Ärzten erklären, was passiert ist? Wir dürfen gar nicht hier sein. Erinnert ihr euch?"

Wren reibt sich mit einer großen Hand dreimal quere über das Gesicht.

„Shit, da hat sie nicht ganz unrecht."

„Na schön." Archer schlingt den Anschnallgurt um meinen Oberkörper. Es klackt, als der einrastet.

„Und was heißt das jetzt?", will Wren wissen.

„Wir fahren zu uns nach Hause. Tante Sue ist Krankenschwester."

Obwohl ich diese Option auch nicht ideal finde, weiß ich es besser, als mit ihm zu diskutieren. Inzwischen kenne ich Archer gut genug, um zu wissen, dass er alles in seiner Macht Stehende tut, um all jene zu schützen, die ihm etwas bedeuten. Und auch wenn die ganze Situation zwischen uns gerade in der Schwebe ist, hat er mir schon oft gezeigt, dass ich zu diesem Menschen gehöre.

Zehn Minuten später rollen wir in die Einfahrt des Channing/Tuffin Grundstücks. Bis auf ein Zimmer, in dem blaues Licht flackert, ist das Haus dunkel.

„Im Wohnzimmer ist noch jemand", bestätigt Archer meine Vermutung. „Na komm. Hoffen wir, es ist Tante Sue."

Seine Hand legt sich um meine, als er uns durch die Garage und die Wäschekammer ins Haus führt. Ich stakse auf wackeligen Knien hinter ihm her und blinzle hektisch, als im Flur das Licht angeht.

„Hier ist die Küche. Fühl dich ganz wie Zuhause. Wir sind gleich zurück", lässt Archer Wren über seine Schulter hinweg wissen.

Wir betreten das Wohnzimmer, wo Wilbur in dem großen Sessel schläft, der mir bereits an meinem ersten Abend hier aufgefallen ist, weil er so bequem aussah. Das einzige Licht im Raum kommt vom Fernseher. Sue Ellen hat sich seitlich auf seinem Schoß drapiert. Ihr Kopf ruht in seiner Halsbeuge und der Anblick hat so etwas Inniges, dass ich die zwei für einen Moment nur anstarren kann.

Mit einem Lächeln auf den Lippen drücke ich Archers Hand. Er lächelt zurück, doch es liegt eine seltsame Traurigkeit in seinen Augen.

Sosehr er seinen Vater und Sue Ellen auch liebt, frage ich mich, ob Schmerz und Verlust solche Momente für ihn immer begleiten. Denn anstelle von Sue Ellen könnte jetzt seine eigene Mutter dort liegen.

Er löst sich sachte von mir. Ich bleibe in der Tür zurück, als er sich dem schlafenden Pärchen nähert und seine Tante sanft an der Schulter berührt.

Ihre Lider flattern auf, sie zuckt zusammen, als sie ihn erblickt. Sie trägt einen karierten Flanell-Pyjama.

„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken", flüstert Archer. Beruhigend streicht er an der Stelle über ihrer Schulter, wo er Sue Ellen eben noch wachgerüttelt hat.

„Was ist denn los?" Sie klingt genau, wie man sich die Stimme von jemandem vorstellt, der eben aus dem Schlaf gerissen wurde - belegt und beinahe ungläubig.

„Kannst du dir Mallory mal anschauen? Sie ist umgekippt."

Sue Ellens Blick landet so abrupt auf mir, dass ich mich nur mit Mühe davon abhalten kann, einen Schritt zurückzustolpern. Dann schaut sie wieder Archer an - lange und unnachgiebig. Die beiden scheinen mit ihren Augen allein eine ganze Unterhaltung zu führen, wie die beiden Männer das vorhin im Auto schon getan haben.

„Na schön", sagt sie schließlich, „gehen wir in die Küche."

Sie klettert vom Schoß ihres Mannes herunter, der, ohne aufzuwachen, den Kopf in die andere Richtung dreht. Seine Frau hebt eine braune Wolldecke vom Boden auf, die von den beiden heruntergerutscht sein muss, um ihn damit zuzudecken, bevor sie Wilbur einen Kuss auf die Stirn haucht.

Ihre Präsenz brennt sich in meinen Rücken, als Sue Ellen uns durch den langen Flur folgt.

„Sagt mir jetzt bitte nicht, dass ihr mitten in der Nacht zu dritt auf dieser Farm herumgeschlichen seid", fährt sie uns in dem Moment an, als wir die Küche erreichen. Allesamt schweigen wir, woraus sie die richtigen Schlüsse zieht. „Ihr seid solche-" Sie beendet den Satz nicht, doch ein frustriertes Knurren entfährt ihr. „Also, was ist passiert?"

Erneut landen Sue Ellens Augen auf mir.

„Ich-"

„Was ist mit deinem Hals?"

Automatisch finden meine Hände die weiche Haut unterhalb meines Kinnes. Ich fühle keinerlei Schmerz.

Mit seinen Händen an meinen Schultern dreht Archer mich zu sich herum, hebt mein Kinn mit dem Zeigefinger an - und schließt die Augen.

„Scheiße!"

Sämtliche Farbe weicht aus Archers Gesicht. Seine Hände fallen von mir herunter, als wäre ich unter seiner Berührung zu Staub zerfallen.

Und während meine Teilchen zu Boden rieseln, vergräbt er der die Finger in den Haaren, wie er das manchmal tut. Viel zu grob, so als wolle er sich denselben Schmerz körperlich zufügen, unter dessen Wucht sich seine Seele windet.

„Arch?" Meine Stimme wird beinahe vom Klacken der Küchenuhr verschlungen, so leise ist sie.

„Du hast einen roten Abdruck über dem Karotisdreieck", springt Wren ein, während Archers Rücken mir zugewandt bleibt.

„Jetzt reicht's." Sue Ellen durchquert die Küche und zerrt so lange am Ellenbogen ihres Neffen, dass ihm keine Wahl bleibt, als sie anzusehen. „Du sagst mir sofort, was hier los ist."

„Wir waren auf der Holland Farm - im Dunkeln - wie du vermutet hast. Da war niemand, also hat sich Mallory zwischen ein paar Koniferen versteckt und auf uns gewartet, während wir uns im Wohnhaus umgeschaut haben. Als wir rauskamen, lag sie da."

„Das Ding war", drei Köpfe wippen in Wrens Richtung, „dass mir die Position gleich komisch vorkam, in der wir dich gefunden haben."

Es gefällt mir, dass er mit mir und nicht über mich spricht.

„Auf der Seite ...", murmelt Archer mehr zu sich selbst als für uns. „Angewinkeltes Bein, Hand unter dem Kinn, geöffneter Mund."

Sue Ellen lässt sich am Esstisch langsam auf einen Stuhl sinken.

„Stabile Seitenlage."

Endlich finden Archers Augen meine.

„Die Rötung an deinem Hals ist eher durchgehend, also hat der Angreifer vermutlich seinen Arm benutzt, um das Karotisdreieck abzudrücken. Und als du ohnmächtig warst, hat er dich so gelagert, dass du dich nicht an deiner eigenen Zunge oder Erbrochenem verschluckst."

„Der Angreifer", spottet Wren, der locker mit der Hüfte an der Kücheninsel lehnt. „Connor war's. Sag es ruhig." Mit der Hand fährt er sich durchs Haar, bevor der große Blonde die Arme über der Brust verschränkt.

Jetzt, wo ihm kurzzeitig keine Locken in die Stirn baumeln, die sein Gesicht in eine Schattenwelt verwandeln, fällt mir erst auf, wie hell seine Haut ist. Durchsichtig beinahe. Feine Äderchen verleihen ihr einen bläulichen Schimmer, so als wäre Wren ein Glasmensch.

„Wer auch immer es war", sagt Sue Ellen und steht vom Esstisch auf, „ich werde jetzt erst einmal deine Vitalwerte nehmen und deine Pupillenreaktion prüfen. Und sofern alles in Ordnung ist, gehen wir schlafen." Sie stöhnt. „Nehmt es mir nicht übel, Leute, aber ihr seht genauso beschissen aus, wie ich mich fühle. Wir können alle eine fette Mütze Schlaf gebrauchen."

──⇌••⇋──

„Schlaf bei mir, Peach. Bitte."

Nachdem Sue Ellen mich in die Nacht entlassen hat, flüsterte Archer diese vier kleinen Worte gegen meinen Hinterkopf. Es tut so gut, ihm nahe zu sein. Seine ruhige Aura teilt das Meer wie ein Felsen. Mein Felsen, meine Brandung.

Ich halte seinem Blick stand, während er im schwummrigen Licht der Nachttischlampe vor mir in die Knie geht, um mir aus meinen Jeans-Shorts zu helfen. Dabei streift mich sein Atem zarter, als es jede noch so flüchtige Berührung seiner Haut je gekonnt hätte.

„Kann ich eines deiner T-Shirts haben?"

Archer öffnet den obersten der drei Schieber seiner Holzkommode und nimmt eines aus weißer Baumwolle heraus, das er achtlos auf sein Bett fallen lässt. Dasselbe Bett, in dem wir zum ersten Mal Sex hatten. Die Erinnerung jagt mir einen wohligen Schauer über Rücken.

Seine Augen funkeln spielerisch, als er am unteren Saum meines hellblauen Oberteils mit Volantärmeln, V-Ausschnitt und überkreuzter Schnürung zwischen den sonst freiliegenden Schulterblättern zieht. Archers Haare sind offen. Die chaotischen Wellen bilden einen sinnlichen Rahmen für sein kantiges Gesicht. Mein perfekter Sturm.

„Darf ich?" Aus dieser Nähe spüre ich die Vibration seiner Stimme an meinen Lippen.

Das Oberteile zieht er mir in einem Rutsch über den Kopf, als ich einmal nicke. Archers Kehlkopf bewegt sich, als er schluckt. Der Mann ringt sichtlich um Fassung, denn jetzt stehe ich nur noch in einem Bustier aus beinahe durchsichtiger weißer Spitze und dem dazu passenden Höschen vor ihm.

Die Intensität, mit der er meinen beinahe nackten Körper betrachtet, macht diese Freundschafts-Sache, an der wir uns versuchen, nicht einfacher. Oder dass er sein Gesicht in mein Oberteil drückt und mich einatmet.

„Mhm, das wird mein neuer Kissenbezug. Ich liebe deinen Geruch."

Ich zwinge mich, den Mund zu schließen, damit sich keine Fliege hineinverirrt. Mir fehlen die Worte und ich bin mir sicher, dass meine Wangen gerade das gesamte Farbspektrum von Rottönen abbilden.

Doch die Rüstung hat Risse. Ich merke es daran, wie sein Lächeln zu wanken beginnt. Ich denke, keiner von uns wird so schnell vergessen, dass ich heute vermutlich vom Entführer meiner Schwester ohnmächtig gewürgt wurde.

Wir wissen beide, dass es besser ist, wenn ich meinen Oberkörper samt Bustier unter Archers weichem T-Shirt verschwinden lasse.

Er räuspert sich, als ich an mir herunterschaue. Es reicht mir zur Mitte meiner Oberschenkel, beinahe wie ein Nachthemd.

„Steht dir." Automatisch muss ich lächeln. „Willst du ... Kann ich dich im Arm halten?"

„Das wäre schön", flüstere ich.

„Na komm." Er schlägt die Bettdecke zurück und bedeutet mir, mich zu ihm zu legen. Habe ich erwähnt, dass er nicht mehr als eine lange schwarze Jogginghose trägt?

Archers Bett vermittelt mir das Gefühl, auf Wolken zu ruhen. Die Matratze wirkt ein wenig durchgelegen, während sich das weiche Bettzeug an meinen müden Körper schmiegt.

Bevor er sich über mich hinweg nach dem Schalter der Lampe auf seinem Nachttisch ausstreckt, drückt er mir einen Kuss auf die Nasenspitze.

„Träum süß, Peach."

──⇌••⇋──

Wie lange ich Archers langsamen Atemzügen inzwischen lausche, weiß ich nicht. Wie die Arme eines Oktopus sind seine Gliedmaßen um mich gewickelt.

Mit meiner Schlaflosigkeit hat das aber nichts zu tun. Vielmehr muss ich ununterbrochen darüber nachgrübeln, was ich in Bezug auf Connor unternehmen will.

Am liebsten würde ich ihn einfach zur Rede stellen, ihm zeigen, wie sehr Cynthia geliebt wird, auf seine Menschlichkeit plädieren. Connor muss verstehen, was er meiner Schwester antut, was er unseren Eltern und mir antut. Nur muss ich ihn dazu erst einmal erreichen, und zwar ohne Archer und Wren im Schlepptau zu haben. In deren Nähe würde er sicher vollkommen dichtmachen.

Vom Nachttisch nehme ich mein iPhone hervor und öffne den Messenger.

„Hunt, ich brauche deine Hilfe. Kannst du mich zu Connor fahren?"

„Was, jetzt?", erreicht mich einige Sekunden später ganz überraschend eine Nachricht von ihm. So schnell habe ich nicht mit einer Antwort gerechnet. Ich wusste zwar, dass er zu den frühen Vögeln gehört, aber vier Uhr morgens kommt mir recht übertrieben vor. Oder habe ich ihn geweckt? Vielleicht hat er den Ton nicht ausgeschaltet.

Ich tippe eine neue Nachricht.

„Nicht sofort, aber morgen früh, bevor die anderen aufstehen? Können wir reden? Oder wolltest du gerade schlafen gehen?"

Drei blinkende Punkte sind zu sehen.

„Bin wach. Habe von heute Nachmittag bis eben gerade geschlafen. Küche in fünf? Willst du Kaffee?"

„Ja und ja. Bis gleich."

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