Kapitel 13 | Archer

Hallöchen,
da es mir nicht ohne Weiteres möglich ist, eine detaillierte Karte vom West Coast Trail einzufügen (für deren Veröffentlichung mir die Rechte vorliegen) habe ich Canva durchstöbert und bin zumindest auf diesen Kartenabschnitt gestoßen. Die roten Pins markieren ungefähr das nördliche und südliche Ende des Trails.
Liebe Grüße

„Ich kann mich zwar nicht mehr an meine erste Nacht im Freien erinnern, aber ich hatte bestimmt auch die Hosen voll", sagt Hunter, als ich die Zeltklappe hinter mir schließe.

„Oh ja. Da draußen ist es gruselig."

Mein Bruder dreht sich auf die Seite. Den Kopf stützt er auf der Handinnenfläche ab.

„Soll ich Mallorys Zelt nehmen? Dann könnt ihr hier zusammen schlafen", schlägt Hunter vor, wendet dabei aber den Blick ab. Daher bezweifle ich, dass ihm ein Tausch tatsächlich so recht wäre, wie er vorgibt.

Ich winke ab.

„Nicht nötig. Peach ist zäh. Sie schafft das schon. Wir mussten da alle mal durch. Aber danke."

„Okay, wie du meinst."

Sein Tonfall wirkt beiläufig, doch mir entgeht nicht, dass er aufatmet. Auch die tiefe Furche zwischen seinen Augenbrauen verschwindet mit einem Mal wieder. Offenbar hat er gehofft, genau das von mir hören.

Dann schaltet Hunter seine Stirnlampe aus, die er als eine Art Camping-Kronleuchter am Zeltgewölbe befestigt hat und murmelt ein: „Nacht, Arch."

Ich ziehe mir den Schlafsack bis unters Kinn, obwohl ich kaum glaube, dass ich so zur Ruhe kommen werde.

„Du solltest öfter mit deinem Bruder reden, Arch. Ihm auch mal was anvertrauen. Ich glaube, er braucht das. Ihr beide", schwirren zudem Mallorys Worte von eben in meinem Kopf herum und ich frage mich, worüber Hunter und sie sich vorhin gestritten haben. Auch, wenn beide darauf beharren, nicht aneinander geraten zu sein.

„Ich muss dir da noch was erzählen, Hunt", wispere ich in die Dunkelheit.

Vielleicht bekomme ich eine Wahrheit für eine Wahrheit.

„Hm?"

„Mein Arbeitsverhältnis wurde aufgrund psychischer Probleme pausiert. Deshalb bin ich nach Hause gekommen, nicht nur, um Urlaub zu machen. Tut mir leid, dass ich dir das verschwiegen habe."

Nach meinem Geständnis herrscht für einige Sekunden Stille. Keiner von uns beiden atmet. Dann raschelt Hunters Schlafsack, als er die Stirnlampe wieder einschaltet. Die Helligkeit ist so aggressiv, dass ich die Augen mit meiner Armbeuge bedecken muss.

„Bist du okay, Mann? Kann ich irgendwas tun?"

Ich seufze angestrengt.

„War eben nicht die beste Idee, mich als Hinterbliebener eines Mordopfers beruflich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Am Anfang bin ich noch klargekommen, aber die letzten Wochen waren die Hölle."

„Wegen der Albträume?"

Ich zucke mit den Schultern.

„Unter anderem. Morgan vermutet eine posttraumatische Belastungsstörung."

„Aber hättest du dann nicht dabei sein müssen, als-"

„Keine Ahnung, ich bin kein Psychologe", unterbreche ich Hunter, noch bevor er die Frage beenden kann. Er reißt beim harschen Klang meiner Stimme erschrocken die Augen auf. In einem weitaus ruhigeren Tonfall erkläre ich ihm, was in mir vorgeht: „Tut mir leid, es ist nur ... Mit dir über Mom zu reden, das ist ... Keine Ahnung."

Seine Augen füllen sich mit Traurigkeit.

„Wieso?", flüstert er.

„Na, ich kann dir wohl schlecht sagen, dass ich wünschte, sie wäre noch da, weil es dich dann höchstwahrscheinlich nicht gäbe. Und ihr gegenüber hab' ich ein schlechtes Gewissen, weil ich mir genau das nicht wünschen kann, egal, wie sehr sie mir fehlt."

Hunters Unterlippe bebt, als er kaum hörbar erwidert: „Ich hätte es doch verstanden."

Mit meinem Geständnis ist mir eine erdrückende Last von den Schultern gefallen ist, trotzdem muss ich schwer schlucken.

„Ich wollte dich nicht enttäuschen", krächze ich aufgrund des Kloßes in meinem Hals, bevor Hunter mich in eine feste Umarmung zieht.

„Du kannst mit allem zu mir kommen. Immer. Ich bin in deinem Team."

Dankbar klopfe ich ihm zwischen die Schulterblätter.

„Das gilt aber auch für dich, okay? Wenn du ein Problem hast, kommst du zu mir und lässt deine Wut nicht an Mallory aus."

Es war ein Schuss ins Blaue und mir ist bewusst, dass es mich nichts angeht, was die zwei unter vier Augen besprochen haben. Aber was immer es war, ich werde das Gefühl nicht los, dass es mich ebenfalls betrifft. Gott, klingt das paranoid.

„Hat ..." Er schnieft. „Hat sie sich über mich beschwert?"

„Nein, aber ich hab' euch vorhin am Strand beobachtet. Du bist zu ihr hingegangen und irgendwann habt ihr wild gestikuliert. Es sah aus, als hättet ihr euch angeschrien. Was war da los?"

Hunter setzt sich auf. Er sieht weg und kurz befürchte ich, dass gerade wieder eine neue Mauer zwischen uns entsteht.

„Na schön", murmelt er eher zu sich selbst, als dass er es an mich richtet. „Ich hab' ihr gesagt, dass du sie magst und sie dich nicht ausnutzen soll."

„Okay, was noch?"

Die Augen meines Bruders fixieren seine Ecke des Zelts.

„Dass ich auch Zeit mit dir verbringen will und ..."

Mit der flachen Hand reibt er sich mehrfach über das Gesicht.

„Und?", hake ich nach, als meine Geduld langsam schwindet.

„Ich hab' ihr was über mich verraten, was sonst keiner weiß." Er atmet hörbar aus. „Dass ich schwul bin."

Ungläubig studiere ich Hunters Seitenprofil.

„Jetzt sag mir bitte nicht, dass du mit einer negativen Reaktion gerechnet hast. Hunt, hattest du Angst, es mir zu sagen?"

Zaghaft suchen seine Augen meine.

„Nicht so richtig. Ein bisschen vielleicht." Kurz hält er inne. „Manchmal seid ihr mir so fremd. Jeder von euch hat seine Geheimnisse - du, Mom und selbst Dad. Dann hab' ich das Gefühl, niemand nimmt mich ernst, einfach, weil ich jung bin. Und mir will auch keiner erklären, wieso du dich mit Neen und Dadee zerstritten hast."

Mit neen spricht man in der Ditidaht-Sprache seine Großmutter und mit dadee seinen Großvater direkt an. Hunter und ich verwenden die beiden Begriffe aber auch, wenn wir über sie sprechen.

Vorsichtig lege ich meinem Bruder die Hand an den Kiefer und drehe seinen Kopf zu mir.

„Hunt, jeder hat Geheimnisse, schon allein, weil keiner gern Schwäche zeigt. Bitte nimm das nicht als Anlass, zu verbergen, wer du bist oder wie es in dir aussieht. Und das zwischen unseren Großeltern und mir hat nichts, aber auch gar nichts, mit dir zu tun. Die beiden lieben dich zum Mond und zurück. Das merkt man daran, wie du über sie sprichst."

„Aber dich lieben sie doch genauso. Ständig fragen sie mich nach dir. Ob ich ein aktuelles Foto von dir hab, was es bei dir neues gibt, oder ob du eine Freundin hast", erklärt er mir. „Ich will endlich wissen, was zwischen euch passiert ist. Komm schon, Arch."

Mit dem Rücken lasse mich wieder auf meine Isomatte sinken.

„Das ist ... Es ist kompliziert."

Hunter, der immer noch sitzt, lässt seine Arme geräuschvoll zur Seite fallen.

„Das sagt ihr immer. Ich bin kein Kind mehr, verdammte Scheiße."

„Tut mir leid. Natürlich bist du kein Kind, aber es kam mir auch nicht richtig vor, unsere Großeltern bei dir anzuschwärzen."

Mein kleiner Bruder legt sich ebenfalls hin und lässt seine Arme im Schlafsack verschwinden.

„Was haben sie denn angestellt, dass du gleich nach Saskatchewan ziehen musstest?"

„Was hast du gegen unsere schöne Prärie-Provinz?"

„Jetzt lenk nicht ab."

Ich seufze.

„Es ... hat mir nicht gefallen, dass sie deine Mom dazu gedrängt haben, bei Dad und mir einzuziehen. Sie war damals gerade mal achtzehn und ich weiß noch, dass ihr oft alles zu viel wurde. Kein Wunder, weil sich Neen und Dadee immerzu in alles einmischen mussten. Ich meine, Tante Sue hatte gerade die Highschool abgeschlossen und wollte Krankenschwester werden. Was haben die beiden denn erwartet? Sollte sie sich zerteilen?"

„Aber Mom hat doch gar kein Problem mit ihnen."

„Mag sein, aber sie haben sich trotzdem viel zu oft ins Leben anderer eingemischt. Als ich ihnen gesagt habe, dass ich Polizist werden will wie Mom, waren sie komplett dagegen. Sie haben sogar Roland, Moms damaligen Partner, auf mich angesetzt, damit er mir meine Pläne ausredet. Und als ich den Platz an der Polizeiakademie bekommen habe, hat Dadee eiskalt dort angerufen und meinen Ansprechpartner gebeten, den Platz an jemand anderen zu vergeben." Für einen Moment kneife ich die Augen zusammen. „Tut mir leid, aber ich kann mich nicht mit Leuten umgeben, die mich nicht unterstützen. Das ist mein scheiß Leben. Deswegen hab' ich damals den Kontakt abgebrochen."

Ein schmerzerfüllter Ausdruck legt sich über Hunters Gesicht. Trotzdem fühlt es sich befreiend an, reinen Tisch gemacht zu haben.

„Arch, Neen und Dadee haben einfach Angst um dich. Ich meine, sie haben ein Kind verloren. Das macht was mit einem", erwidert Hunter. „Ich sage ja nicht, dass sie sich richtig verhalten haben, aber vielleicht kannst du sie einfach mal besuchen, mal mit ihnen reden. Irgendwann sind sie nicht mehr da und, dann bereust du, so viele Jahre ihres Lebens verpasst zu haben."

Meine Augenlider sind schwer wie Blei. Darüber kann ich mir heute keine Gedanken mehr machen.

„Ich überleg's mir, okay? Mehr kann ich dir aktuell nicht versprechen."

Müde lächelt er.

„Besser als nichts."

Als meine Lider aufflattern, dauert es einige Sekunden, bis sich meine Augen scharf stellen und ich das Kondenswasser am orangen Zeltdach klar erkennen kann. Kühle Luft umspielt die freiliegende Haut meines Gesichts, die Zeltplanen flattern und gedimmtes Tageslicht fällt hinein. Was mich aber genervt aufstöhnen lässt, ist das vereinzelte Prasseln dicker Regentropfen, die es durch das Geäst der Bäume schaffen.

Dass kräftiger Regen untrennbar zum West Coast Trail dazugehört, ist mir schon klar. Begeistert bin ich trotzdem nicht, denn nasses Wetter führt zu Schlamm und Schlamm erhöht den Schwierigkeitsgrad, gerade wenn man im Wald unterwegs ist.

Ich strecke meinen verspannten Körper aus, soweit es die Begrenzungen unseres Kuppelzeltes zulassen. Ein Blick zu meiner Linken verrät mir, dass Hunter schon aufgestanden ist.

Also schäle auch ich mich aus dem Schlafsack und spüre klammen Stoff auf meiner Haut. Gleichzeitig gehe ich im Kopf sämtliche mitgebrachte Kleidungsstücke durch und entscheide, dass eine lange Unterhose, ein Langarmshirt aus Merinowolle und eine Regenhose mit passender Jacke mich am ehesten trocken durch den Tag bringen werden. Letztere verfügt über Reißverschlüsse in den Achselhöhlen, die ich gleich zu Beginn öffne, damit sich beim Wandern keine Körperhitze staut.

In einer fließenden Bewegung schiebe ich die Zeltklappe beiseite. Der Wind trägt die Stimmen meiner Wanderkollegen, das Klappern von Kochgeschirr und das Rauschen der Brandung an mein Ohr. Die Luft riecht salzig, wenn auch ein wenig modrig - der Duft meiner Heimat.

„Ah, Dornröschen ist auch wieder unter den Lebenden", flötet Hunter, als ich mich aus dem Zelt erhebe.

Er hat sich zu Astrid und Mallory gesellt, die im Stehen irgendeine graue Pampe - vermutlich Porridge - direkt aus dem Kochgeschirr löffeln.

Mallory sieht sogar in ihrer quietschgelben Regenjacke zum Niederknien aus. Sie strahlt über das ganze Gesicht, als sich unsere Blicke treffen. Scheiße, es hat mich echt erwischt.

Ihre Schüssel drückt sie Hunter in die Hand, bevor sie in die Hocke geht und aus ihrem Campingkocher dampfend heißes Wasser in eine kleine Metalltasse mit Henkel füllt und mit einem klackenden Geräusch umrührt.

Meine Füße tragen mich ganz von allein in ihre Richtung. Ich könnte ihr nicht fernbleiben, auch wenn ich es wollte.

„Für mich?", hake ich nach, als sie mir den rabenschwarzen Kaffee entgegengestreckt. Für wen denn sonst, du Idiot?

„Ich dachte, zur Abwechslung mache ich mal etwas Nettes für dich."

Als ich meinen Zeigefinger um den Henkel der Tasse lege, um sie ihr abzunehmen, hebe ich diese einmal an, als würde Mallory zuprosten.

„Danke Peach. Der kommt wie gerufen."

Ohne nachzudenken, beuge ich mich vor, um ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken. Es ist sexy, wie sie schon der kleinste Körperkontakt mit mir erröten lässt. Mallory hat aber auch ein freches Funkeln in den Augen, als sie sich plötzlich Hunter und Astrid zuwendet, die unseren Austausch mit Interesse verfolgen.

Sie deutet hinter die beiden aufs graue Meer hinaus.

„Leute, da sind Buckelwale", ruft sie ihnen aufgeregt zu, was Hunter und Astrid herumfahren und nach den Tieren Ausschau halten lässt.

Natürlich habe ich bereits durchschaut, dass sie die beiden nur verarscht. Womit ich jedoch nicht gerechnet habe, ist, dass sie mich am Kragen meiner Regenjacke zu sich heranzieht. Vor Schreck lasse ich beinahe die Tasse fallen.

Ein weicher, warmer Mund trifft auf meinen, als sie mich stürmisch küsst. Ich öffne die Lippen, will sie schmecken und ihre Zunge mit meiner massieren.

Mallorys Körper schmiegt sich an meinen, während die hübsche Blondine meine Regenjacke und das Oberteil anhebt, um ihre kühlen Hände unter dem Stoff verschwinden zu lassen. Sie gleiten über meinen Brustkorb, huschen über meine Bauchmuskeln und fahren die Konturen meines Rückens nach.

„Peach", knurre ich, als sich unsere Münder voneinander lösen. „Du spielst mit dem Feuer."

Kurze Atemstöße kitzeln meinen Hals, als sie hörbar gegen meine Haut lächelt, die sie mit hauchzarten Küssen übersät. Fuck, jetzt werde ich den ganzen Tag unter Strom stehen.

„Ist das eine Drohung oder ein Versprechen?"

„Beides", hauche ich, als sie ihre inzwischen warmen Hände weiter über meinen Oberkörper wandern lässt. Dabei kann ich sie mir frühestens heute Abend auf dem Zeltplatz in Tsusiat Falls - unserem heutigen Etappenziel - schnappen.

Um dorthin zu gelangen, müssen wir laut Karte - wie gestern - zwölf Kilometer schaffen. Mit dem Unterschied, dass uns heute - schon allein aufgrund des Regens - weitaus anspruchsvolleres Terrain bevorsteht.

„Ich sehe keine Wale", lässt mich Hunters Stimme zusammenzucken. „Sicher, dass du dich nicht verguckt hast, M?"

Hat er ernsthaft bis eben Ausschau nach den nicht vorhandenen Buckelwalen gehalten?

Mallory schüttelt den Kopf und blickt ihn mit beeindruckend ernster Miene an.

„Ganz sicher."

„Mist, die sind weitergezogen", schmollt Hunter und fährt sich dabei mit einer Hand durch die Haare, die vorher schon in alle Richtungen abgestanden haben. „Schade, ich hätte sie den anderen gern gezeigt."

„Vielleicht haben wir heute Abend mehr Glück", werfe ich ein.

Hunter lässt die Hände in den Taschen seiner Regenhose verschwinden.

„Ja vielleicht." Ein letztes Mal schaut er in Richtung Horizont, bevor er sich mit enttäuschter Miene abwendet. „Packt langsam zusammen. Um acht ziehen wir los."

Ein Blick auf meine Armbanduhr verrät mir, dass es bis dahin noch fünfundzwanzig Minuten sind.

Vierzig Minuten später hat die gesamte Gruppe ihre Rucksäcke geschultert und ist beinahe pünktlich bereit, loszugehen.

Um die zwei Kilometer werden wir nun dem steinigen Strand bis nach Darling River folgen. Dabei passieren wir gleich zu Beginn den rostigen Dampfkessel der im Januar 1893 gesunkenen Michigan, eines von zahlreichen Schiffswracks. Nicht umsonst spricht man von der Gegend hier als Graveyard of the Pacific.

Als wir den Zeltplatz in Darling River erreichen, müssen wir über ausgeblichene Baumstämme und sonstiges herumliegendes Treibholz klettern, um wieder in den Wald zu gelangen.

Der Boden ist glitschig, überall haben sich Matschpfützen gebildet, von denen einige vermutlich noch vom letzten Regen stammen. Zum Glück bieten meine Wanderstöcke ausreichend Halt, um einigermaßen gut durchzukommen, ohne auszurutschen.

Noch immer regnet es, der Tag ist trübe, was die Baumriesen noch düsterer wirken lässt. Gavin folgt meinem Blick nach oben und boxt mit seinem Ellenbogen spielerisch gegen meinen, bevor wir uns wieder in Bewegung setzen.

„Hat was von Game Of Thrones, oder?"

„Keine Ahnung. Hab' ich mir nie angesehen."

Das lässt Gavin mitten im Schritt innehalten und da er sich schräg vor mir befindet, somit auch mich.

„Nicht dein Ernst, Alter. Das ist eine Bildungslücke."

So bestürzt wie er deswegen dreinblickt, kann mir ein Lachen nicht verkneifen.

„Fantasy-Serien sind irgendwie nicht so mein Ding", kläre ich ihn auf.

„Keiner ist vollkommen, hey? Aber ich wollte dich sowieso was anderes fragen."

„Worum geht's?", hake ich nach.

Wir passieren eine hölzerne, auf Stelzen erbaute Parkwächter-Kabine mit Spitzdach und Treppe. Der Ozean entfaltet sich rechts von uns in seiner ganzen Pracht, sodass Gavin unsere Unterhaltung kurz unterbricht, um den Ausblick mit seiner GoPro einzufangen.

Dann wendet er sich wieder mir zu und sagt: „Also, was ich dich fragen wollte." Er nimmt einen langen, tiefen Atemzug. „Ich bin ja nicht so der Landschaftsfotograf. Mein Schwerpunkt liegt eher auf lebendigen Momentaufnahmen von echten Menschen, vorzugsweise attraktiven echten Menschen."

Meine Augenbrauen wandern kollektiv nach oben.

„Du willst mich fotografieren?", frage ich ungläubig.

Gavin nickt.

„Astrid und dich, weil ihr auf Fotos von der Größe her vermutlich am besten zur Geltung kommt. Keine Angst, ihr sollt euch nicht knutschen oder so. Ich will euch einfach an ein paar coolen Locations ablichten. Einmal in Tsusiat Falls, vor Hole in the Wall und bei den Meereshöhlen am Owen Point. Keine Nahaufnahmen und eure Gesichter bekommt frontal auch keiner zu sehen."

Mit seiner kleinen Ansprache hat er gleich zwei Gründe, abzulehnen, eliminiert.

„Okay, ich bin dabei", sage ich und Gavin vollführt mit dem rechten Arm eine Siegergeste.

Aus dem Augenwinkel bekomme ich mit, dass Astrid und Mallory unsere Unterhaltung ebenfalls verfolgen. Erstere scheint sich über meine Zusage zu freuen, nur Mallory verzieht den Mund zu einer schmalen Linie. Ob sie enttäuscht ist, dass ich mich mit einer anderen Frau fotografieren lasse?

Vorsichtshalber nehme ich mir vor, ihr nachher, wenn wir allein sind, zu erklären, warum ich Gavins Bitte zugestimmt habe. Denn er ist unwissentlich im Besitz von etwas, das wir für unsere Suche gut gebrauchen können.

Die beiden Mädels ziehen weiter und auch für Gavin scheint alles geklärt zu sein, doch ich halte ihn mit einer Hand am Oberarm auf.

„Kannst du mir im Gegenzug einen kleinen Gefallen tun?", frage ich mit leiser Stimme, sodass nur er mich verstehen kann.

Das Grinsen des Fotografen bleibt an seinem Kopf festgetackert.

„Klar. Was brauchst du? Verlobungs-Shooting mit deiner Süßen?"

Seine Frage ignoriere ich, weil ich keine Lust habe, ihm unseren Status zu erklären. Ich weiß ja selbst nicht einmal, welcher das ist und was nach diesem Trip aus Mallory und mir werden wird.

„Deine Drohne ... Für die hast du doch eine Genehmigung, oder?"

Seine Stirn legt sich in Falten.

„Klar. Ohne sind die Dinger hier nicht erlaubt und ich muss die Genehmigung auch jederzeit auf Ansprache vorzeigen können. Dann darf ich meine Drohne für Luftaufnahmen nutzen. Wieso?"

„Ich möchte, dass du dir ein bestimmtes Gebiet von oben anschaust."

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