012
Am nächsten Morgen fühlte Seokjin sich elend. Er hatte üble Kopfschmerzen, weigerte sich aber eine Kopfschmerztablette zu nehmen, weil ihn der Anblick davon nur wieder unnötig an die gestrige Situation erinnerte. Dann war automatisch wieder Yuhwan in seinem Kopf, aber von dem wollte er nicht noch am Tag heimgesucht werden, wo er doch schon von ihm geträumt hatte.
Egal wie oft er sich in seinem Bett umherwelzte, er fand keine gemütliche Position, weswegen er den Versuch noch einmal zu schlafen einfach aufgab. Es war erst neun Uhr an einem Samstag, normalerweise wäre er nicht mal wach, wenn er am Vorabend nicht feiern war.
Apropos Feiern...
Er warf einen Blick auf sein Handy, das nach wie vor lautlos auf seinem Nachtschrank lag. Er hatte kein Bock auf Jimins Party zu gehen. Allein schon weil sein Kopf dröhnte, aber dort wären auch mehrere Menschen, die Seokjin lieber nicht sehen sollte. Angefangen bei Dongho, denn der würde mit großer Wahrscheinlichkeit dort auftauchen und rum stressen. Wenn sich Seokjin ein zweites Mal von dem Idioten provozieren ließ, dann hatte er ein größeres Problem als einfach nur Kopfschmerzen. Wie eine Maschine hob er seine Hamd und betastete vorsichtig das Pflaster an seiner Schläfe. Das Gefühl von Namjoons Fingern darauf kam automatisch dazu.
„Ich seh dich auf Jimins Party", hatte Namjoon gesagt umd auf den wollte Seokjin ganz sicher auch nicht treffen. Er war wütend und genervt von ihm, aber viel größer war die Nervosität. Er hatte nicht vergessen, wie verrückt sein Körper gespielt hat, nur weil Namjoon ein bisschen harsch mit ihm umgegangen war. Mega peinlich.
Aber andererseits scheint es so, als würde er diesen Begegnungen aus dem Weg gehen... Was er auch tat. Aber mit seinem Ego wollte er das nicht vereinbaren.
„Ach man", murrte er. Er würde das jetzt so lange wie möglich in die hinterste Ecke seines Kopfes verdrängen. Damit machte er sich nur selbst verrückt, deswegen beschloss er frühstücken zu gehen und rollte sich von seinem Bett herunter.
Das große Haus war wie gewohnt leer und begrüßte ihn mit einer angenehmen Stille. Nicht mal die Haushälterin kreuzte seinen Weg, was er erleichtert zur Kenntnis nahm. Die Frau war ihm einfach noch nie sympathisch, er hatte nie verstanden, warum seine Mutter die Alte eingestellt hatte.
Allerdings konnte man ihr wirklich nicht vorwerfen, ihren Job falsch zu machen, denn das Haus sah jeden Tag aus wie geleckt. Alles war ordentlich und sauber.
Seokjin war gerade dabei im Kühlschrank nach irgendetwas Essbarem zu schauen, als er die Eingangstür hörte. Überrascht drehte er den Kopf, denn weder seine Mutter noch sein Vater würden um diese Uhrzeit hier aufkreuzen. Als er die Stimme seines Bruders hörte, wollte er eigentlich auch sofort wieder dem Kühlschrank seine ganze Aufmerksamkeit schenken, aber dann hörte er seinen Bruder plötzlich lauter werden.
„Das ist mir egal!", Seokhyun versuchte seine Stimme leise zu halten, wahrscheinlich weil er auch die Haushälterin erwartete, aber leider klappte das wohl nicht sehr gut, oder er war wirklich sauer. „Das ändert gar nichts! Was denkst du, wer du bist?"
Seokjin würde wirklich gerne wissen, mit wem sein Bruder da stritt, aber mindestens genauso gern wollte er wissen, wo sein Bruder bereits um diese Uhrzeit gewesen war.
„Ich hab dir gesagt ich brauche deine Hilfe nicht!", Seokhyuns Stimme näherte sich langsam der Küche. Aber das war gerade viel zu spannend, deswegen machte Seokjin schnell und vorsichtig den Kühlschrank zu und begab sich hinter die Ecke, die den Gang zum Wohnzimmer bildete. Gerade rechtzeitig, denn er hörte, wie sein Bruder seine Schlüssel auf den Esstisch legte (Oder eher klatschte).
„Natürlich weiß ich was er vor hat! Aber soll ich mich gegen ihn stellen, oder was? Hör zu", seine Stimme wurde wieder ruhiger und dazu schwieriger zu verstehen. „Du hast deine Chance verkackt, also misch dich da nicht ein, ich brauche deine Hilfe nicht. Es wird dich nicht weiter bringen, gib endlich auf. Es ist vorbei."
Danach war es still. Seokjin machte sich schnell vom Acker, sein Frühstück komplett vergessen. Mit wem hatte sein Bruder telefoniert?
Die Gedanken schwirrten in seinem Koof herum. Er war so beschäftigt damit nachzudenken, dass er nur gefühlt jede Minute eine Treppenstufe bewältigte.
Dann spürte er sein Handy vibrieren. Er blieb auf der Treppenstufe stehen und sah auf dem Display eine Nachricht von einer unbekannten Nummer. Eigentlich hätte er sie sofort ignoriert oder gelöscht, aber die Nachricht zeigte ein Video an. Verwirrt öffnete er es also und spielte es ab, aber dann traf ihn fast der Schlag.
Er war zu sehen, zusammen mit Dongho, in der Sporthalle. Er hielt den Atem an, konnte den Blick aber nicht vom Display nehmen
Das Video startete völlig abrupt und zeigte nicht mal den Anfang ihrer ‚Konversation', es begann einfach mittendrin.
„... wie der König der Schule?", Donghos Stimme erklang und das Bild zeigte schnell auch sein wütendes Gesicht.
„Was willst du Dongho?"
„Dich von deinem hohen Ross runter bringen", Es war komisch genau zu wissen was als nächstes passieren würde, aber Seokjin sah trotzdem dabei zu, wie Dongho ihn schubste.
„Hast du sie noch Alle?!" Er sah selbst dabei zu, wie sein eigener Gesichtsausdruck sich wütend verzog und er sofort wieder den Schritt auf Dongho zu machte. Es kam alles wieder in ihm hoch, er spürte erneut wie sein Blut rauschte, die Wut, das Gefühl, völlig bloßgestellt zu werden und einfach verschwinden zu wollen.
„Sei du mal leise. Wie viel zahlt dein Vater den Medien, dass sie das Geheimnis deines Bruders geheim halten huh? Ich weiß genau, dass deine Familie nicht so perfekt ist, wie sie vorgibt zu sein. Fängt ja schon bei deinem Bruder an. Wie viele Leute haben ihn abgezogen? Wie hoch sind seine Schulden? Wen-"
Seokjin schaltete das Video entgültig aus, nachdem er dabei zusah wie Dongho durch seinen Faustschlag nach hinten stolperte.
Erneut überflog ihn die Wut wie eine Welle, die er selbst ausgelöst hat und nur ihn treffen konnte. Es war doch praktisch eine Bestätigung für Dongho. Warum sollte er sich so provozieren lassen, wenn nicht ein bisschen Wahrheit hinter dessen Worten steckte?
„Was machst du da?", hörte er es auf einmal hinter sich. Verwirrt sah er über seine Schulter und sah seinen Bruder am unteren Ende der Treppe stehen. Er selbst stand noch immer auf einer der Stufen und hatte sich nicht vom Fleck bewegt. „Steh nicht so dumm rum", sagte der ältere und schob sich ruppig an ihm vorbei. Dass seine Laune nicht die beste war konnte man leicht erkennen.
Seokjins Blicke bohrten sich in den Rücken seines Bruders, während der die Treppen hoch stieg.
Es war alles seine Schuld!
Was nahm er sich das Recht, ihn jetzt blöd anzumachen!? Was verheimlichte dieser Idiot? Er würde sich nur noch weiter in die Scheiße reiten und Seokjin hatte auf das alles keine Lust mehr! Warum jetzt? Alles fiel in diesem Moment auf ihn zusammen und die verschiedensten Sachen flogen ihm durch den Kopf. Sein Bruder, der ihn in jenem dunklen Viertel zu Boden bringt, Yuhwan, mit diesen drohendem Ausdruck im Gesicht, der Seokjin eine Gänsehaut bescherte und dann Namjoon, der so unverschämt frech und selbstbewusst vor ihm steht, viel zu nahe und dann konnte Seokjin die ganzen Gefühle in ihm nicht mehr verarbeiten. Er wusste nicht, was das alles zu bedeuten hatte, was er tun sollte und wie er reagieren sollte, deswegen schuf sein Körper Platz für ein einziges Gefühl, welches er verstand. Eines, das er eigentlich lernen sollte zu kontrollieren, aber jedesmal scheiterte. Deswegen konnte er die Wut auch nicht einfach runterschlucken. Sein Atem hatte sich schon verschnellert, die Hände ballte er zu Fäusten, sodass seine Handinnenflächen schmerzten, aber das war gut! Es war endlich etwas, was er verstand! Schmerz war Schmerz und komischerweise hatte er noch nie etwas befreienderes verspürt. Darüber musste er sich keine Gedanken machen und es verwirrte ihn nicht.
Er schlug gegen die Wand. Der dumpfe Aufprall verschluckte das Knacken seiner Knöchel. Der Schmerz trat augenblicklich ein und Seokjin wollte mehr davon. Es pochte und schmerzte, aber er konnte die Hand noch bewegen. Er schlug nochmal. Und nochmal. Und nochmal....
Nein. Kurz vor der Wand wurde seine Hand angefangen. Das durfte nicht sein! Warum war das so? Seokjin wollte nicht noch mehr fragen, er wollte nur weiter gegen diese Wand schlagen und den Schmerz spüren. Er wehrte sich, wollte die Hand befreien, aber der Griff war fest. Er drehte den Kopf und sah in das Gesicht seines Bruders. Was sollte dieser Blick? War er etwa besorgt?
Seokjin lachte. Jetzt war Seokhyun also besorgt? Obwohl er doch gerade dafür sorgte, dass es ihm besser ging? Er konnte hören, dass Seokhyun etwas sagte, aber er verstand es nicht. Die Wörter kamen in seinem Kopf an, aber er verstand sie nicht.
Je stärker er versuchte sich zu wehren, desto kräftiger schmerzte sein Kopf. Es fühlte sich an, als würde jemand ununterbrochen gegen seine Schläfe drücken. Ihm wurde schwindlig. Aber als er die Augen schloss, um wieder an eine klare Sicht zu gelangen, sah er diese dunkle Ecke, spürte die alte abgenutzte Matratze wieder unter sich und die Kälte, die sich in ihm ausbreitete.
Er riss die Augen auf und erbrach.
Dann fiel er.
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