011

Als Namjoon das Dach betrat, zog er sich automatisch seine schwarze Maske wieder vor die Nase. Er hatte nicht mit diesem stechenden Geruch gerechnet und bereute es auch sofort wieder, als er von allen Seiten Gelächter wahrnahm.

„Nich' gewöhnt, huh?“, kam es von links und nachdem sich seine Augen an die hellen Lichter der Lampions gewöhnt hatten, konnte er auf einem der Sitzsäcke Taehyung erkennen. Allerdings saß der jüngere so komisch verrenkt dort, dass Namjoon sich fast schon Sorgen um dessen Knochen machte. Den Joint hatte er sich zwischen die Lippen gesteckt. Nachdem er einen kräftigen Zug nahm, hielt er ihn in Namjoons Richtung und lehnte den Kopf in den Nacken, um ihn besser sehen zu können. „Mal probieren?“

„Nicht in der Stimmung“, antwortete er nur stumpf. Schon der Geruch bereitete ihm langsam Kopfschmerzen, aber wahrscheinlich musste er sich langsam mal daran gewöhnen. So ein Angebot sollte er auch nicht ewig ablehnen und es war auch nicht das erste mal, das er einen Joint sah. Aber seinen letzten Trip hatte er noch gut in Erinnerung und der war eher abschreckend als einladend.

Taehyung gab nur ein Geräusch von sich, was wohl soviel heißen sollte wie selbst Schuld und setzte sich ein bisschen bequemer hin um über die Dächer Seouls zu schauen. Namjoon tat es ihm gleich, nur sah er über das Dach, um zu sehen, wer sich alles auf dem Dach befand.

Aber Taehyung blieb das einzige bekannte Gesicht. Außer ihnen beiden befanden sich noch zwei weitere Männer und eine Frau auf dem Dach, so wie es aussah waren alle mit einem Joint ausgestattet, abgesehen von der Frau, die noch mit Drehen beschäftigt war.

„Wie wäre es mit einer Vorstellungsrunde?“, ertönte ein Lachen hinter Namjoon. Erschreckt drehte er sich um und sah in die dunkle Ecke, in der er jetzt auch Kang erkennen konnte. Er lag direkt am Rand des Daches, den Kopf auf seinen Armen drapiert und in Namjoons Richtung gedreht. Auch zwischen seinen, zu einem Grinsen verzogenen Lippen, steckte ein Joint.

Namjoon antwortete nicht. Er war nicht mal sicher, ob Kang das ernst meinte, oder sich nur wieder darüber lustig machte, dass er der Neuling war. Es schien ihm immer wieder aufs Neue Spaß zu machen, Namjoon zu zeigen, wie unerfahren er noch war. Dafür war Namjoon aber zu erschöpft. Seine Nerven reichten nicht für alles aus, der Tag war lang. Allein der Stripclub hatte seine Nerven strapaziert, weil er es einfach hasste von Menschen umgeben zu sein. Doch was war schon das bisschen spitzeln und Fotos schießen, im Vergleich zu seinem Vater? Erst kurz bevor Namjoon das Dach erreicht hatte, hatte sein Handy die Stille der Nacht und das Rauschen des Adrenalins in seinen Ohren durchbrochen. Durch den Schreck war seine nächste Landung nicht perfekt gewesen und er konnte sich nicht richtig abrollen. Er spürte deutlich, wie feucht sich seine Jacke an der verwundeten Stelle anfühlte, bis jetzt hatte er aber nichts sehen können, als dunkle Flecke, die seine Jacke trängten. Sein Vater hatte zum Glück die Ausrede geschluckt, er würde wegen einem Schulprojekt noch lernen, nachdem er sich beschwert hatte, wo er um die Uhrzeit bliebe. Seit Namjoons Mutter gestorben war, war sein Vater ein wenig überfürsorglich und versuchte immer auf ihn aufzupassen. Dass Namjoon sich praktisch jeden Tag in Gefahr begab wusste sein Vater ja nicht, aber viel zu oft, wenn er mit neuen Wunden nach hause kam und den besorgten Blick seines Vaters auf sich spürte, fühlte er sich schuldig. Vielleicht verbrachte er deswegen so wenig Zeit Zuhause. Deswegen und weil nun immer diese komische Stille herrschte.
Hoffentlich würde sein Vater nicht auf ihn warten, denn sonst könnte er die blutigen Spuren nicht so leicht verstecken, wie jetzt in der Dunkelheit vor Kang. Wenn der das sah, fand er darin nur einen neuen Grund sich über ihn Lustig zu machen.

„Du bist ja immer noch nicht sehr gesprächig. Hmm, vielleicht sollten wir dir mal was zu Trinken besorgen, vielleicht lockert das deine Zunge.“ Kang lachte und auch hinter sich hörte Namjoon die anderen mit einstimmen. „Hast du denn wenigstens deine Arbeit erledigt?“

Daraufhin warf Namjoon ihm das Handy entgegen, welches er erst vor ein paar Stunden von Hoseok überreicht bekommen hatte. Dieses und die Nachricht von Kang, er solle sich in dem Club umsehen.

Obwohl Kang es ohne Probleme fing, sah er Namjoon drohend an. „Pass bloß auf, Junge! Das Ding ist wichtiger Bestandteil deiner Arbeit. Verlierst du es, bist du dran.“

Ja, das hatte Hoseok ihm auch schon gesagt. Er schaute einfach nur stur zurück und wartete darauf, dass Kang sich die Bilder ansah. Zum Glück entsperrte er das Smartphone auch gleich und warf es ein paar Minuten später wieder zurück. Natürlich war Namjoon schlau genug gewesen, die Bilder von Seokjin vorher seinem eigenen Handy zu schicken und hatte sie gleich darauf gelöscht, sodass Kang nur die paar Bilder der anderen Clubbesuchern sehen konnte. Er würde sich mies vorkommen seine Arbeit und Kangs Vertrauen für eigene Zwecke auszunutzen, aber Kang nutzte ihn ja selbst aus, um in diesen Club zu kommen. Namjoon war ja nicht blöd, dort musste er bestimmt noch öfter seine Zeit verbringen. Heute hatte er ja immerhin so gut wie nichts abgeliefert.

„Geh nach Hause“, rief Kang und legte sich wieder auf den Rand des Daches. „Ruh dich schön aus“

Er verdrehte die Augen, entfernte sich aber wirklich vom Dach. Er war genervt und wollte schlafen, vielleicht noch einmal schön heiß duschen. Die Wunde an seinem Arm musste er auch noch versorgen, denn so wie es sich anfühlte, würde ein Pflaster nicht reichen. Wahrscheinlich auch nicht drei.

... und schnell verheilen würde es wahrscheinlich auch nicht.

Das merkte er, als er sich auf eine Mauer ziehen wollte, um auf das nächste Gebäude springen zu können. Sobald er mit seinem Gewicht an der Mauer hing, zog sich der Schmerz seinen ganzen Arm entlang, er konnte sich nicht halten und er landete auf dem Asphalt.

„Ach shit!“, er zog sich genervt die Maske aus dem Gesicht und sah hoch. Er würde es nicht schaffen, über die Mauer zu kommen. Sobald er stand trat er einmal kräftig dagegen. Jetzt musste er ernsthaft laufen! Bis zu ihm nach Hause war es noch ein ganzes Stück. Wann war er den Weg zuletzt wie ein normaler Mensch gegangen? Sein Weg führte über Häuser und deren Dächer, über Mauern und Geländer, der Fußweg war so unspektakulär, dass Namjoon wirklich enttäuscht war.

Er fluchte die ganze Zeit vor sich hin. Es war, als wurde ihm sein liebstes Spielzeug weggenommen. Über seinen ganzen Ärger vergaß er auch total, an Hoseoks Worte zu denken. Er hörte die Schritte hinter sich viel zu spät.

„HEY!“

Als er sich umdrehen wollte hatten sie ihn schon eingeholt und mit starkem Druck an die nächste Mauer gedrückt. Sein Gesicht wurde direkt dagegen gedrückt und er fühlte die neue Schürfwunde an seiner Wange.
Sein Herz begann besonders stark gegen seinen Brustkorb zu hämmern. Wer war das? Seine Gedanken überschlugen sich. War das Kangs Werk? Wollte er ihn einfach nur testen? Oder waren ibm die Leute aus dem Club gefolgt? Was sollte das? Er konnte nicht mal ausmachen, wie viele es waren. Vielleicht nur einer, vielleicht auch fünf. Niemand sagte etwas und er selbst spürte nur den Körper desjenigen hinter sich, der ihn an die Mauer drückte. Mit seinem ganzen Gewicht. Egal wie stark Namjoon sich wehrte, es klappte nichts, er konnte seine Arme nicht aus dem Griff des anderen befreien.

Dann hörte er jemanden lachen.

„Was wollt ihr?“

Er bekam keine Antwort. Jedenfalls nicht verbal. Er spürte, wie jemand in seine Hosentasche Griff. Wie aus Reflex, trat er nach hinten, aber wer auch immer das hinter ihm war hatte damit schon gerechnet. Eine weitere Hand fand ihren Weg in seine andere Hosentasche. War das etwa nur ein Überfall? Er hatte kein Geld bei sich. Aber sie schienen trotzdem etwas gefunden zu haben.

Er hörte das Klimpern, als der Kerl sich seine Schlüssel nahm. Was wollte er bitte mit dem? Er erwartete, dass die Hände bald weiter nach etwas von Wert suchen würden, aber nein. Es dauerte ein wenig, aber dann hörte er, wie sein Schüssel weggeworfen wurde und weiter hinten auf der Straße aufprallte. Hinter ihm ertönten Schritte und kurz dachte er, sie würden ihn mitreißen. Er wurde von der Mauer gedrückt und riss sofort den Kopf zurück, um zu sehen wer hinter ihm war, wer ihn festhielt und was eigentlich ihr Ziel war. Aber im nächsten Moment war die Mauer plötzlich wieder nah. So nah, dass er von dem Aufprall nur wenig mitbekam. Im nächsten Moment war er schon bewusstlos.

°.:★:.°

„Junge. Hey Junge, wach auf“

Zuerst hörte er nur dieses nervende, stetige Summen in seinem Kopf, dann aber kehrte langsam wieder Gefühl in seinen Körper zurück, sodass er jetzt deutlich das Pochen an seiner Schläfe wahrnahm, das Gefühl des kalten und harten Asphalts unter sich und das konstante Stupsen von Fingern in seine Seiten. Seine Augen zu öffnen schien wie etwas unmögliches, allein schon weil sein Kopf so sehr schmerzte. Alles tat weh und am liebsten würde er zurück ins Nichts wandern, als er nichts gespürt hat.

„Ich will keinen Mord melden“

Die Stimme hörte er deutlich, vielleicht sogar ein bisschen zu laut. Er erkannte, dass jemand neben ihm war und dieser jemand die ganze Zeit in seine Seiten pikste.
Er gab ein Grummeln von sich, als Zeichen dass er nicht tot war und die Hände verschwanden sofort.

Er versuchte sich aufzurichten, was deutlich schwerer war, als er sich vorgestellt hatte. Er war genau auf seinwm verletzen Arm gelandet, aber er schaffte es sich in eine aufrechte Position zu setzen und die Person neben sich anzusehen.

Diese starrte ihn regelrecht an. Es war eine ältere Frau, ihr Haar war bereits ergraut und sie wirkte untersetzt, obwohl sie sich vor ihm auf den Boden gehockt hatte. Neben ihr saß ein kleiner Dackel, brav und ruhig mit dem schwanz wedelnd.

„Hast dich wohl geprügelt?“, die Frau grinste und Namjoon fand das alles ziemlich absurd. Wieso sollte er sich prügeln und warum schien es sie so zu amüsieren? Und was war eigentlich passiert?
Er dachte zurück und erinnerte sich daran, an die Mauer hinter der Frau gedrückt zu werden, die Hände in seinen Taschen, sein Schlüssel...

Sein Schlüssel! Alarmiert griff er in beide Hosentaschen, fand beide aber leer vor. Sein Kopf schnellte von links nach rechts, sah über die Straße, die nur von den Laternen ringsum erhellt wurde. Wie viel Zeit war vergangen, seit er bewusstlos wurde? Hatte jemand seinwn Schlüssel mitgenommen? Er konnte ihn nirgends sehen, was wenn-

„Suchst du den?“

Als er das Klimpern hörte, drehte er seinwn Kopf reflexartig zurück zu der Frau, was er zutiefst bereute, als ihn der Schmerz durchzuckte. Er hielt sich die Stirn, sah aber auf den Schlüsselbund, den die alte cor sein Gesicht hielt, immer noch grinsend.

„Musst ja ordentlich verdroschen worden sein, wenn du dich nicht erinnerst. Kannst du überhaupt sprechen? Ins Krankenhaus kann ich dich nicht bringen.“

Namjoon verkniff sich jeden Kommentar. Die Alte war äußerst unsympathisch und wichtigtuerisch.

„Ich bin nicht verprügelt, sondern überfallen worden.“, gab er genervt zurück und griff nach dem Schlüssel.

„Was sollte man von dir den abstauben wollen?“, sie lachte. „Die waren aber wohl nicht besonders helle“

Ernsthaft? Namjoon hatte kein Bock darauf, wünschte sich fast schon, sie wäre einfach weitergelaufen, wenn sie ihn jetzt eh nicht für voll nahm.

„Anscheinend“, presste Namjoon hervor. Die Alte kicherte noch einmal wir ein kleines Mädchen und stand dann auf, zog an der Leine des Hundes und marschierte dann in ibren Puschen den Weg entlang und ließ Namjoon auf dem Bürgersteig sitzen. Kam ihm gerade recht.

Er seuftze und fragte sich erneut, was dieser Überfall sollte. Er hatte durchaus etwas wertvolles bei sich (das Handy war schließlich ziemlich neu), aber dich waren sie nur interessiert an seinem Schlüssel. Hatten sie vielleicht einfach Panik bekommen und wollten deswegen nicht noch weiter suchen? Verwirrt blickte Namjoon seinen Schlüssel an und ihm wurde schlagartig klar, dass seine Angreifer doch etwas genommen hatten. Sein Herz sank ihm in die Hose sobald er bemerkte, dass der kleine Anhänger mit dem Eiffelturm vom Schlüsselbund gerissen wurde und nur der Ring zur Halterung kläglich und allein noch da hing.

Plötzlich kam ihm die Nacht noch finsterer vor. Alles um ihn herum wirkte fremd und egal, er selbst fühlte sich klein und einsam, etwas fehlte plötzlich und er hatte das Gefühl es schon einmal verloren zu haben, nur traf ihn die Realität in diesem Moment noch unvorbereiteter, als damals, als sein Vater weinend vor ihm auf die Knie gefallen war und ihm die traurige Wahrheit verkundet hatte, dass seine Mutter gestorben war.

Und jetzt, wo ihm diese kleine Erinnerung an sie genommen wurde, fühlte er sich genauso hilflos und allein wie damals, aber dieses mal fühlte er sich schmerzhafter an.

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