007

Seokjin war mehr als nur sauer, als er endlich Zuhause ankam. Die Tür knallte er hinter sich zu und seinen Rucksack schmiss er ohne Rücksicht auf sein Bett. Er war unglaublich wütend. Es wäre so leicht einfach auf Dongho wütend zu sein, das würde die Situation viel leichter machen, aber Seokjin war auch wütend auf seinen Freund Jimin, seinen Bruder und auf sich selbst auch. Weil Jimin recht hatte. Warum hatte er sich provozieren lassen? Donghos Worte wiederholten sich in seinem Kopf, pflanzten sich dort fast schon fest und er konnte sie nicht einfach abschütteln. Einfach weil es die Wahrheit war...

Normalerweise hatte er sich um einiges besser im Griff. Er konnte sich nicht von jedem provozieren lassen, vor allem, weil es genug Leute gab, die genau darauf warteten. Eine Schlägerei, an der er beteiligt war, war pures Gift für seinen Vater. Ob es jetzt an die Öffentlichkeit kam oder nicht. Würde Seokjin starke Wunden davon tragen, würden sich die Menschen fragen, woher die kamen. Bei dem Vorzeigesohn Seokjin dachten sie natürlich nicht an eine Schlägerei. Die gingen direkt von schlimmeren aus und da musste viel Arbeit geleistet werden, um sie zu beruhigen. Würde es in den Medien landen, war sofort schlechtes Licht auf sie alle geworfen. Auf ihn wahrscheinlich noch am wenigsten. Selbst wenn er es angezettelt hätte, sein Vater würde mit allem am meisten zu kämpfen haben. Vor allem wenn dann solche Kommentare vorkamen...

„Wie viel verheimlicht deine Familie noch?"

Seokjin konnte die Worte nicht ignorieren. Sie verfolgten ihn und hinterließen in ihm eine eklige Unruhe, den Wunsch dagegen etwas zu tun, aber egal was er tat, es brachte nichts.

Er vergrub seine Hände in seinen Haaren und starrte raus aus dem Fenster. Wie hatte Dongho alles erfahren?

Er konnte nicht einfach alles daher gesagt haben. Dafür wusste er zu viel. Aber woher? Und warum musste er das unbedingt öffentlich machen? Er hatte Jin einfach erpressen können, in seinen Augen hätte das Dongho viel mehr gebracht. Aber woher wusste er das alles nur?

Wie lang würde es dauern, bis sein Vater davon erfuhr? Wenn er Glück hatte gar nicht, aber wann war denn bitte das Glück auf seiner Seite?

°.:★:.°

Er hatte keine Ahnung wie spät es war, als ihn der laute Nachrichtenton seines Handys weckte. Nachdem er aus der Schule kam hatte es nicht lang gedauert, bis er eingeschlafen war, schließlich hatte er die vorherige Nacht nicht geschlafen. Seine Energie war verbraucht, komplett, da hatte ihn auch seine Wut auf Dongho nicht wachgehalten.

Er grummelte leise, als er sich aufrichtete und den stechenden Schmerz an seiner Schläfe spürte. Jimin hatte ihn zwar nach dem Zwischenfall notdürftig verarztet, mit dem Schmerz musste er jetzt aber wohl klar kommen. Ein weiterer Grund, warum er das hätte verhindern sollen. Die Wunde an seiner Stirn konnte er easy mit einem Pflaster abdecken und seine Haare konnten es auch ganz gut verstecken, aber wie sollte er verhindern, dass seine Eltern seine aufgeplatzte Lippe sahen? Wirklich verstecken konnte er die nicht.

Draußen war es bereits stockdunkel, genau wie in seinem Zimmer. Nur sein Handy leuchtete ihm mit unangenehmen Licht entgegen.
Vorsichtig griff er danach und schaltete erstmal die Helligkeit runter, bevor er sich der Nachricht zuwandte.

Verhalt dich morgen normal, sonst kommst du nicht auf meine Party.

Jimin. Angepisst legte Seokjin das Handy wieder zurück (vorher schaltete er noch jeglichen Ton aus) und ließ sich wieder in die Kissen sinken. Diese dämliche Party war gerade das Letzte was er wollte. Ihm war es voll egal, ob Jimin ihn gehen lassen würde oder nicht. Er wollte gerade einfach nur schlafen und am besten mit niemandem reden und alles blöde auf dieser Welt vergessen und nichts tun.

... Bis er hörte, wie die Zimmertür nebenan geschlossen wurde. Er war schon fast wieder eingeschlafen, aber sobald das Klicken des Schlosses seine Ohren erreichte, war er hellwach und setzte sich langsam im Bett auf. Das einzige Zimmer neben ihm war das seines Bruders, das Schlafzimmer seiner Eltern war auf der anderen Seite des Flures. Seokhyun schloss seine Tür nur ab, wenn er wegwollte. Und wo könnte er um diese Uhrzeit schon hin wollen, an einem Freitagabend, ohne, dass seine Eltern es mitbekommen sollten? Denn die schliefen schon, da war Jin sich sicher, als er sah, wie spät es war.
Seokhyun wollte eindeutig abhauen. Sowohl vor seinen Eltern, als auch vor Seokjin. Tja, dumm gelaufen.

Leise stieg er selbst aus dem Bett und schlich zu seiner Zimmertür. Er hörte es fast nicht, aber lauschte angestrengt den Schritten seines Bruders. Als er sich sicher war, dass er vor seiner Tür entlang lief, machte er die Tür auf.

„Wohin des Weges?", sagte er, dabei machte er sich nicht mal die Mühe leise zu sein. Es hörte sich fast an wie ein Rufen in der Stille des Hauses. Genau so empfand es wohl auch Seokhyun, denn, obwohl es dunkel war und Seokhyuns leuchtender Handydisplay die einzige Lichtquelle, konnte Seokjin gut erkennen, wie stark sein Bruder zusammen zuckte, weil er sich so erschrak.

„Scheiße Alter, was willst du?", gab der Ältere pissig zurück, was Seokjin schon reizte. Was sollte er schon wollen? Als Seokhyuns Bildschirm sich verdunkelte standen sie sich im Dunkeln gegenüber.

„Wir hatten eine Abmachung", hatte er das echt vergessen? So wie Seokjin ihn erpresst hatte, konnte er eigentlich nicht glauben, dass Seokhyun das vergessen hatte. Und warum sollte er sich dann so davon schleichen?

„Was ich vor hab zählt bestimmt nicht zu unserer Abmachung."

„Und was hast du vor?"

„Das geht dich n' Scheiß an!", Seokhyun hob die Stimme und der jüngere von beiden fragte sich, ob er damit vielleicht die Haushälterin wecken würde. Die wäre vor ihren Eltern auf der Matte und hatte einen viel leichteren Schlaf (das hatte er rausgefunden, in der ersten Nacht, in der er versucht hatte sich nachts aus dem Haus zu schleichen).

Seokjin lehnte sich an den Türrahmen. Er überlegte, wie er das Ganze am geschicktesten lösen konnte, aber seine Müdigkeit erschwerte ihm das ganz schön. Die Dunkelheit wollte ihn zurück zu seinem Bett, in seine weiche Matratze ziehen und ihn davon überzeugen die Augen zu schließen, aber da war jemand, der bereits andere Pläne hatte.

Seokhyuns Display leuchtete wieder auf und mit dem Licht ertönte auch gleichzeitig die Stimme von BewhY, der seinen Text aus GOTTASADAE runterratterte. Im ersten Moment waren sie beide so erschrocken, dass sie gar nicht realisierten was geschah.
Beide sahen geschockt auf das Smartphone, das Seokhyun hielt.

„Shit!", flüsterte der ältere, schubste seinen Bruder in dessen Zimmer und trat mit einem großen Schritt ebenfalls in den Raum. Die Tür schloss er noch im selben Moment, in dem er sich umdrehte und nahm dann den Anruf entgegen, während er sich an die Tür lehnte.

„Ja?", sagte er mir seltsam belegter Stimme, weswegen Seokjin wie gebannt lauschte. Er kam langsam einen Schritt näher an seinen Bruder und versuchte zu erkennen, wer der Anrufer war.

„Wie lang brauchst du noch?"

Das war ganz klar Yuhwan. Seine Stimme hatte sich in Seokjins Kopf eingenistet, er würde sie immer wieder erkennen. Er fuhr sich über seine Arme. Er bekam immer noch Gänsehaut, wenn er an die Drohung des Älteren zurück dachte.

„Seokjin stresst rum", gab Seokhyun an, was seinem Bruder gar nicht passte. Fast schon hätte er wie ein kleines Kind „Stimmt gar nicht!" gerufen und dabei mit den Füßen gestampft, aber er war dafür mittlerweile zu klug und zu alt.

Yuhwan lachte. Er lachte. „Sag nicht, der Kleine macht dir Ärger."

Dem ging's wohl zu gut. Allein schon, dass er ihn klein genannt hatte, verärgerte Seokjin, aber Yuhwan hatte diesen belustigten Ton aufgesetzt. Er hielt es für witzig, dass Seokhyun sich von seinem kleinen Bruder dazwischen Funken ließ. Weil er nicht erwartete, dass Seokjin wirklich viel ausrichten konnte.

„Er will unbedingt mitkommen"

Seokjins Wut stieg immer mehr. Er war doch kein kleines Kind, welches seinen Bruder auf Schritt und Tritt verfolgen wollte. Yuhwan nahm ihn doch eh nicht Ernst, solche Worte unterstützen seine Meinung von Seokjin als der kleine nervige Bengel voll und ganz. Er wollte gerade seinen Bruder daran erinnern, dass sie eine Abmachung hatten, als Yuhwan sich wieder zu Wort meldete.

„Nimm ihn mit."

„Bist du bescheuert?", rief Seokhyun sofort zurück. „Er soll nicht denken, dass er mit der Nummer durchkommt, er-"

„Nimm ihn mit. Er könnte nützlich sein, verstehst du?"

„Dir ist schon klar, dass er nicht mal volljährig ist?" diskutierte er weiter. Seokjin konnte nicht fassen, wie ungerne sein Bruder ihn dabei haben wollte. Seine Neugier steigerte sich immer mehr bei Seokhyuns Worten. Was hatten die bitte vor?

„Und er wird nicht der einzige sein. Erzähl mir nicht, dass er keinen gefakten Ausweis hat. Jetzt macht hinne, ich steh seit zehn Minuten hier und warte auf dich, die Kameras, die die ganzen Säcke an ihren Häusern haben, machen mich paranoid."

Yuhwan legte auf, der Display des Handys wurde wieder schwarz. Seokjin ging zum nächsten Lichtschalter und benutzte gezielt den, der seinen begehbaren Kleiderschrank beleuchtete. Kurz sah er nochmal zu seinem Bruder und grinste ihn überlegen an. „Wohin gehen wir denn?", fragte er nett nach.

„Du solltest nicht mitkommen", sagte Seokhyun noch einmal und Seokjin hätte eigentlich genervt die Augen verdreht und nicht darauf gehört, aber etwas an der Art, wie sein Bruder plötzlich die Stimme senkte und so ernst wie er ihn ansah, brachte ihn dazu innezuhalten. Das Licht des Schrankes brachte nicht viel Helligkeit in den Großteil des Zimmers und vor allem nicht zu der Stelle, an der Seokhyun stand. Trotzdem sah Seokjin das Gesicht seines Bruders. In seinem Blick lag nichts als Ernsthaftigkeit und... Sorge?

„Was?", flüsterte Seokjin verwirrt, dabei ging es ihm nicht um die Worte Seokhyuns, sondern um dessen Mimik. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er diesen Blick das letzte Mal, oder überhaupt schon ein Mal an seinem Bruder gesehen hatte, deswegen war er komplett verwirrt. Er machte schon einen Schritt aus dem Schrank heraus, aber dann fielen ihm die Worte von Yeonjin wieder ein, zusammen mit dem Geschmack grüner Äpfel auf seiner Zunge. „Du solltest das nächste Mal nicht mitkommen. Hör auf deinen Bruder."

Und dann kam die Wut wieder zurück, die ihn traf, wie einer der Faustschläge, die er heute Mittag erst eingesteckt hatte.

„Vergiss es!", pfefferte er seinem Bruder entgegen. „Ich bin doch kein Kind mehr, von dir lass ich mir nichts mehr sagen", wütend griff er sich die nächsten Klamotten aus dem Schrank und stapfte an die Tür. Der Türgriff wurde fast wie sein Anker, würde er stärker zudrücken, würde er vielleicht abfallen.
„Denk nicht, du weißt was gut für mich ist und was nicht. Du kriegst dein Leben ja selbst nicht auf die Reihe, warum sollte ich dann auf dich hören?"
Völlig in Rage machte er die Tür zu, war aber klug genug, sie nicht ins Schloss knallen zu lassen.
Während er sich umzog, begann er sich wieder zu beruhigen, oder wenigstens einen Gang runterzuschalten. Allein das ihn das alles so aus der Ruhe brachte, missfiel ihm total. Auch Dongho hatte ihn dermaßen provoziert, mit nur wenigen Worten. Langsam richtete sich seine Wut auf sich selbst, aber als er schließlich zurück in sein Zimmer trat und seinen Bruder startklar an der Tür stand, war die fast schon wieder verschwunden.

„Bist du endlich soweit?"

„Es hätte uns deutlich weniger Zeit gekostet, hättest du nicht so ein Drama aus allem gemacht", erwiderte Seokjin bissig, während er seine Jacke anzog. Seokhyun antwortete nicht darauf, öffnete einfach die Zimmertür und ging langsam auf den Flur, aber nicht ohne vorher nach links und rechts zu sehen. Auch Seokjin wartete nur darauf, dass die Haushälterin wie ein Gespenst vor ihnen auftauchte und sie an ihre Eltern verpfiff.

„Komm jetzt endlich!"

„Jaja", Seokjin verdrehte die Augen und folgte seinem Bruder schließlich. Der ältere hatte bereits seine Taschenlampe angemacht und wartete ungeduldig, bis Seokjin hinter sich die Tür geschlossen hatte.
„Los jetzt, bevor jemand aufwacht."

„Wohin gehen wir eigentlich?"

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