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Seokjin hörte hinter sich nur lauter Gelächter, als er sich nach vorne beugte und das Gebüsch des Parks vollkotzte.

Da war ein kleines bisschen Schuld in der hintersten Ecke seines Gewissens, denn das Gebüsch stand unmittelbar neben einer Bank, mitten im Park, aber eben weil es ein so kleines bisschen war, konnte er es auch ganz leicht noch weiter nach hinten schieben und ignorieren, als er hörte wie ihn die Jungs hinter ihm anfeuerten. Er spuckte noch einmal, wischte sich dann mit dem Jackenärmel über den Mund und ging zurück zu den anderen.

Minhyuk war der Erste, der ihm auf die Schulter klopfte. „Hast du etwa schon genug?", fragte er und hielt ihm dabei aus Provokation seine Bierflasche vor die Nase. Seokjin ließ sich nicht beirren, schließlich hatte Jinsung als erstes gereiert. „Es fängt erst an", antwortete er trocken, nahm dem Anderen die Flasche aus der Hand und trank.

Es war irgendwann nach zwei Uhr nachts, der Park in dem sie sich befanden war wie leer gefegt, obwohl er tagsüber so viele Besucher anlockte. Sie, die Gruppe Jugendlicher, bestand aus Kim Seokjin, seinem Bruder Kim Seokhyun, Park Jinsung, Song Yeonjin und Cha Yuhwan. Irgendwann später war Park Minhyuk dazugekommen, den sie vorher damit beauftragt hatten genug Alkohol zu besorgen - und das hatte er.

Das Meiste hatten die Jungs schon intus, ein kleiner Teil war bereits auf dem Asphalt oder jetzt im Gebüsch. Seokjin schnappte sich eine kleine Wasserflasche die sich zwischen die ganzen Alkohol Flaschen verirrt hatte, spülte sich den Mund aus und spuckte das Wasser wieder aus. Den Geschmack war er nicht losgeworden, aber dann musste er den wohl einfach überdecken. Genau, mit mehr Alkohol.

Er wollte gerade nach seiner Flasche greifen, die noch angefangen an der Bank stand, da hielt sein Bruder ihm plötzlich am Handgelenk fest.

„Denkst du nicht, du hast genug?"
„Wie jetzt?", Seokjin lachte höhnisch auf. „Das sagst du mir, während du da selbst mit 'ner Pulle Hochprozentigem sitzt?"

„Lässt du jetzt den großen Bruder raushängen?", mischte sich Minhyuk ein. Und auch Yuhwan fand seinen Weg zu ihnen, legte dem jüngsten einen Arm um die Schultern und hielt ihm seine Flasche hin. „Warum schleppst du ihn dann erst an?", Seokjin huschte ein Grinsen über die Lippen, denn sein Bruder hatte ihn nicht freiwillig mitgenommen. Viel eher hatte er den älteren erpresst. „Ich denke, Jin ist alt genug und brauch keinen Aufpasser."
Warum Yuhwan sich plötzlich für ihn einsetzte wusste Seokjin nicht, aber er war betrunken und Yuhwan auch, warum sollte er sich also jetzt darüber Gedanken machen? Auch wenn der Blondhaarige anfangs gar nicht gut auf seine Anwesenheit reagiert hatte. Und was sollte der Spitzname?

Seokjin wusste eigentlich auch ohne Yuhwans plötzliche Unterstützung, dass sein Bruder ihn nicht stoppen würde. Er hatte ihn in der Hand und das wusste Seokhyun ganz genau. Wenn er nicht wollte, dass Seokjin ihn an ihre Eltern verpfiff, dann sollte er lieber den Mund halten. Und das tat er.
Um seinen Sieg richtig auszukosten, nahm Seokjin provokant die Flasche von Yuhwan, der eigentlich gerade vor hatte zu trinken und setzte sie sich stattdessen selbst an die Lippen. Er grinste und sah seinem Bruder in die Augen, dem das deutlich missfiel.

Es machte ihm Spaß, seinen Bruder so zu reizen. Gerne würde er das noch weiter auskosten - wie weit er wohl gehen konnte? - aber wenn der wegen seiner miesen Laune den Abend ruinierte, dann schoss er sich selbst ins Bein. Dumm war er ja nicht. Also drehte er sich wieder weg und sah kurz nach oben in den dunkeln Himmel.

„Etwa doch zu viel?", lachte Minhyuk, aber Seokjin ignorierte ihn. Er war sich sicher, er konnte den anderen locker unter den Tisch trinken. Natürlich behielt er es für sich. Er kannte die anderen praktisch gar nicht, es waren immerhin die Freunde seines Bruders. Yeonjin war der einzige, von dem er behaupten konnte, ihn zu kennen. Er und Seokhyun waren schon seit der Schulzeit Freunde, natürlich hatte Seokhyun ihn dann auch mal mit zu ihnen nach Hause gebracht. Unumstritten war Yeonjin der ruhigste von allen Anwesenden, aber stille Wasser waren bekanntlich tief. Wie weit er gehen konnte und wo die Grenzen ihres Egos waren musste er erst noch heraus finden. Im Moment waren sie die einzige Möglichkeit, seinem langweiligen Alltag zu entkommen, die konnte er nicht einfach verstreichen lassen.
Allerdings war es wohl nicht die klügste Idee Minhyuk zu ignorieren, denn der schubste ihn plötzlich an der Schulter. Weil es unerwartet kam und er betrunken war, konnte Seokjin sich nicht halten und stolperte ein paar Schritte zurück, genau gegen Yuhwan. Der fasste ihn - unnötigerweise wohlgemerkt - an den Schultern und grinste ihn dämlich an. Sein betrunkenes Hirn konnte es nicht verarbeiten, aber er konnte sowieso nicht lange darüber nachdenken, denn Minhyuk drängte sich vor ihm auf und sah ihn angriffslustig an. Ob er wohl immer so schnell aggressiv wurde, oder ob das am Alkohol lag?

„Deinen Bruder hast du vielleicht in der Tasche, aber du solltest dieses arrogante Verhalten uns gegenüber lieber lassen, zeig ein bisschen Respekt."

Minhyuk ließ eine Art komisches Knurren aus aber Seokjin fühlte sich von seiner Ansage nicht im geringsten bedroht. Er hörte sich an wie ein Hund, weswegen er einfach anfing zu lachen. Das gefiel Minhyuk gar nicht, denn er spannte sich an, aber auch Yuhwan zeigte eine Reaktion.

Er drehte den jüngeren ruckartig zu sich um und packte ihn am T-Shirt. Langsam bemerkte Seokjin, dass die Situation nicht mehr ganz zum Lachen war und auch der Alkohol benebelte seinen Verstand nicht so sehr, dass er diese Drohung nicht wahrnahm. Denn das und nichts anderes konnte man in Yuhwans Augen ablesen, eine einzige Drohung. Auch Seokhyun stand von der Bank auf und wollte sich ihnen nähern, wahrscheinlich um seinen Bruder aus dem Griff seines besten Freundes zu befreien, aber er war wie erstarrt, nachdem ihm Yuhwan drohend angesehen hatte. Ganz langsam, Seokjin nahm es wie in Zeitlupe wahr, drehte er ihm dann wieder den Kopf zu.
„Hör zu doll-face, wir sind kein Kindergarten. Zeig uns ein bisschen Respekt und nimm es nicht als Selbstverständlichkeit, dass du hier mit uns bist. Ich mag dich, also sorg dafür, dass es so bleibt."

Seokjin sagte dazu erst mal nichts, versuchte nur den Blick stand zu halten. Mit Yuhwan war nicht zu scherzen, das merkte er spätestens jetzt. Er versuchte sich nicht zu regen, aber der ältere schüchterte ihn wirklich ein. Bis jetzt hatte ihm nie jemand gedroht. Er war der verzogene jüngste Sohn einer wohlhabenden Familie, niemand würde sich trauen, Kim Seokjin zu drohen. Das war etwas komplett Neues für ihn und er empfand zum ersten Mal in seinem Leben sowas wie Angst.

Seine Kindheit hatte er natürlich nicht ohne das Gefühl der Angst überstanden. Früher hatte er sich immens vor Gewittern gefürchtet, genau so wie vor dem großen Keller des Hauses, den hatte er sehr lange Zeit gefürchtet und auch in der Gegenwart seines Vaters, ein strenger Mann mit Kurzhaarschnitt und Anzug, war ihm mulmig zu mute.

Aber das hier war ein komplett anderes Gefühl und Seokjin fühlte sich extrem unwohl, er wusste nicht was als nächstes passieren würde. Würde Yuhwan ihn schlagen, ihn frei lassen, oder hatte er Irgendwas anderes vor? Er hatte keine Ahnung und die Situation so wenig im Griff zu haben gefiel ihm gar nicht aber irgendwie fühlte es sich auch... gut an? Der Blick in Yuhwans Augen und das Gefühl ihm komplett ausgeliefert zu sein, brachte sein Blut zum rauschen und sein Herz zum schlagen. Plötzlich wurde er nervös und er fühlte wie seine Wangen in der kalten Nachtluft zu glühen begannen.

Niemand sagte ein Wort, dafür war es umso lauter in Seokjins Kopf. Die Situation war vollkommen eskaliert und genau das verwirrte ihn gerade viel zu sehr. Das Yuhwan plötzlich zu grinsen anfing machte es nicht besser, eher schlimmer. Er realisierte am Rande wie er die Hand hob und machte sich auf einen Schlag gefasst. Reflexartig schloss er die Augen und spannte sich an.

„Jetzt chill mal", hörte er Jinsung. Seine Stimme klang überrascht, wahrscheinlich hatte er selbst nicht erwartet, dass Yuhwan so reagieren würde. „Er wird's schon verstanden haben, nicht nötig, dir Ärger einzuhandeln."

Langsam öffnete Seokjin seine Augen wieder und bemerkte, wie Jinsung versuchte ihn aus Yuhwans Griff zu befreien. Der andere ließ tatsächlich nach, ließ es sich aber nicht nehmen, Seokjin zurück zu schubsen. Er stolperte zurück, hätte aber einen härteren Schubs erwartet. Er konnte sich sogar selbst noch halten und fiel nicht um.

„Jetzt schieb kein Stress hier", sagte Jinsung ein bisschen lauter. Im Gegensatz zu den anderen sah er nicht wirklich gefährlich aus, vielleicht auch wegen seiner Größe, denn er war viel kleiner noch als Seokjin, aber in diesem Moment wirkte er durchaus in der Lage, einer Prügelei stand zu halten. Er ballte die Hände zu Fäusten und sah Yuhwan ins Gesicht, der grimmig zurück blickte. Seokjin wartete nur auf den Moment, in dem sich die beiden an die Gurgel sprangen, aber gerade als Yuhwan einen Schritt nach vorn trat, sprang Minhyuk dazwischen.

„Jetzt lasst diesen Kinder Scheiß und schaut lieber was dahinten abgeht."

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