8. Ich packe meinen Koffer


Ich packte meinen Koffer und nahm was mit? Ich hatte keine Ahnung. Wie immer hatte ich meine einzige Aufgabe auf den letzten Drücker hinausgezögert. Es war vier Uhr morgens. In knapp zwei Stunden fuhr ich zum Flughafen, und ein paar Stunden danach würde ich schon im Flieger sitzen. Ich konnte mir das kaum vorstellen. Ein großer Koffer lag aufgeklappt auf dem Boden meines Zimmers. Seit Tagen stolperte ich jedes mal darüber, wenn ich den Raum verlassen wollte.

Trotzdem hatte ich kein bisschen gepackt. Es war mir bis jetzt einfach zu surreal vorgekommen. Ich hatte schon mein ganzes Leben lang hier gelebt, in diesem verschlafenen Vorort, und hatte bis jetzt erst einmal in meinem Leben das Land verlassen. Geflogen war ich noch nie. Klar hatte ich ein bisschen Angst davor, mehr als nur ein bisschen sogar. Aber noch mehr bereitete mir das, was danach kam, Sorgen. Das Oakham-Internat, dessen Namen ich inzwischen bei Mum in Erfahrung gebracht hatte, kam mir immer noch suspekt vor. Im Internet war nichts darüber in Erfahrung zu bringen, absolut nichts. Entweder schien das ganze ziemlich elitär und abgeschlossen zu sein (weniger wahrscheinlich) oder meine Mutter war einfach nur durchgedreht und hatte sich alles nur ausgedacht (leider sehr viel wahrscheinlicher). Ich wusste nicht, was schlimmer war. Lustlos begann ich, ein paar Klamotten in den Koffer zu pfeffern, hörte auf, als sich ein ansehnlicher Haufen angesammelt hatte, bemerkte, dass ich höchstwahrscheinlich eine Schuluniform bekommen würde und stopfte das meiste wieder zurück in den Schrank. Was übrig blieb, füllte eine Kofferhälfte kaum aus. Dazu kamen ein Paar Schuhe, meine Schulutensilien (also ein paar Kulis und ein halb leerer Collegeblock) und meine Winterjacke. Ratlos stand ich da. Es kam mir vor wie ziemlich wenig, und wahrscheinlich war es das auch, aber ich brauchte auch wenig. Der Rest – meine Wertsachen, meine Reiseunterlagen– befand sich in meinem Rucksack. Na ja, nicht ganz. Ich tastete mit den Fingern in meine Hosentasche. Da befand sich, sorgfältig zusammengefaltet, Olivias Zettel. Meine Finger schlossen sich um das Papier. Und in gewisser Weise half es mir.

„Emily! Helen!", rief meine Mutter zwei Stunden später. Ich war schon halb aus dem Haus. „Verabschiedet ihr euch noch?"

Ich rollte mit den Augen. „Mum, ist schon in Ordnung. Lass sie schlafen." Sie warf mir einen giftigen Blick zu.

Beide kamen verschlafen die knarzende Treppe heruntergeschlurft. Emily hingen ihre lockigen braunen Haare ins Gesicht. Helen, die kleinere von beiden, sah aus, als könnte sie gleich im Stehen einschlafen.

„Tschüss", gähnte Emily. „Tschüss", antwortete ich wenig gefühlvoll. Eine kalte Spannung lag zwischen uns. Es war nicht so, als hätte ich sie nicht gerne, aber wir pflegten kein sehr enges Verhältnis. Wie verabschiedete man sich von einer Schwester, mit der man sowieso nur wenig redete? Ich hatte keine Ahnung. Ich umarmte schließlich erst sie und dann Helen. „Macht's gut", murmelte ich. „Wir... sehen uns."

Mit diesen Worten verließ ich das Haus. Kalte Luft schlug mir entgegen. Es regnete leicht. Meine Mutter folgte mir. Während ich den Koffer in den Kofferraum hievte, warf ich einen Blick auf unser Haus. Es war nichts Besonderes. Ein einfaches Reihenhaus, das genau so aussah wie ungefähr jedes andere Haus im Umkreis. Ich sah zum obersten Fenster hinauf. Mein Zimmer. Da hatte ich den Großteil meines bisherigen Lebens verbracht. Trotzdem fühlte es sich jetzt fremd an.

Ich riss den Blick los, knallte den Kofferraumdeckel zu und setzte mich auf den Beifahrersitz. „Bereit?", fragte meine Mutter. Nein, dachte ich, ganz und gar nicht.

Die Fahrt verging ziemlich ereignislos. Schweigend kämpften wir uns durch den dichten Verkehr. Es hatte angefangen, zu regnen; die Scheibenwischer unseres alten Fords quietschten rhythmisch über das Glas. Ich lehnte meinen Kopf gegen das kühle Fenster.

Wir fanden nach langer Suche einen Parkplatz. Mum begleitete mich zum Terminal. Sie erklärte mir, was ich machen musste. „Eingecheckt bist du schon, du musst bloß dort dein Gepäck abgeben, durch die Sicherheitskontrolle und dann zum Gate." Ich bemerkte, wie sehr sie sich bemühte, fröhlich zu klingen. „Ja.", antwortete ich tonlos. „Wirklich, ist nicht schlimm, ich bin schon oft geflogen, alles wird gut gehen-" Sie beruhigte gerade mehr sich selbst als mich. Sie sah auf die Uhr. „Verdammt, ich muss los!" Sie kramte in ihrer Handtasche, zog einen zusammengefalteten Zettel heraus und drückte ihn mir in die Hand. „Da stehen ein paar Telefonnummern drauf, für den Notfall", sagte sie schnell und umarmte mich fest. „Ich hab dich lieb, Aiden", murmelte sie. „Ich dich auch", sagte ich. Nach einer gefühlten Ewigkeit lösten wir uns wieder voneinander. „Wir sehen uns wieder", versprach sie, „spätestens im Sommer." Sommer. Das war fast ein Jahr. Ich schluckte.

Ein letzter Blick, ein ermutigendes Lächeln, und ich ging, meinen Koffer hinter mir herziehend, planlos, allein. Ich wagte es nicht, mich noch einmal umzudrehen. Bloß nicht emotional werden. Nach vorne blicken.


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Hi an alle, die das hier lesen,

Es tut mir leid, dass ich die letzten paar Wochen ausgesprochen inaktiv war, ich war auf einem Schüleraustausch (ich will wieder zurück ;-;).

Ich wollte michaber auch bei allen mal bedanken, die mein Buch lesen. Wie ihr merkt, schreibe ich nicht unter jedem Kapitel ewig lange Nachrichten, in denen steht, wie sehr ich euch alle lieb habe. (Das heißt aber nicht, dass es nicht so ist^^) (Das hat den Grund, dass ich sozial inkompetent bin und nicht weiß, wie ich so etwas schreiben soll, ohne dass es basic af rüberkommt) (Yay)

Laurie



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