10. Ich mag Fliegen nicht
In dem Moment, in dem ich bemerkte, dass ich an diesem Flughafen mehr Zeit in irgendwelchen Schlangen stehend als irgendwie anders verbringen würde, beschloss ich, dass ich Fliegen nicht mochte. Nach dem Abschied von meiner Mutter war ich erst einmal für eine Weile ziellos herumgeirrt, bis ich bemerkt hatte, dass es wohl intelligent wäre, mir eine Bordkarte zu besorgen. Da stand ich dann erst einmal eine halbe Stunde in der Schlange am Schalter. Danach verbrachte ich noch einmal eine halbe Stunde, um für einen Kaffee anzustehen, und hatte mich dann in die Schlange für die Sicherheitskontrollen eingereiht. Was ich nicht bedacht hatte, war, dass der Kaffee verdammt heiß und der Becher aus verdammt dünner Pappe bestand. So hatte ich mir natürlich bei der ersten Gelegenheit, bei der ich von hinten angerempelt wurde, den Kaffee über meine Finger gekippt. Wie durch ein Wunder war meine Hose trocken geblieben. Das war aber nur ein schwacher Trost dafür, dass ich nun mit verbrühten Händen darauf wartete, dass ich endlich meine privaten Sachen durch ein Sicherheitsscanröhrendingens jagen durfte.
Inzwischen bedauerte ich sehr, dass ich meinen Koffer hatte abgeben müssen, denn mittlerweile vermisste ich eine adäquate Sitzgelegenheit sehr. Die einzige gute Nachricht war wohl, dass ich das meiste von der Schlange schon geschafft hatte. Als ich meinen Rucksack in eine von diesen Plastikkisten legte und mein Handy nach Anweisung herausnahm, hatte ich ein ungutes Gefühl im Bauch. Ich wusste nicht, ob es an den gelangweilt bis grimmig aussehenden Sicherheitstypen lag oder daran, dass ich generell wegen jedem Scheiß vor irgendetwas Angst bekam. Meine Jacke zog ich aus und legte sie ebenfalls in eine Kiste auf dem Laufband.
Ich überstand ohne Überraschungen den Körperscan. Angespannt wartete ich darauf, dass sich unter dem Gummivorhang mein Rucksack erschien.
Der Bildschirmtyp starrte gebannt auf seinen Bildschirm. Ein buntes Röntgenbild spiegelte sich in seiner Nickelbrille. Nichts kam. Der Typ starrte weiter. Ich schluckte. Hatte ich irgendetwas Illegales dabei? Oder hatte mir irgendjemand eine Bombe untergeschoben?
Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, bewegten sich die schwarzen Gummistreifen und der dunkelblaue Stoff meines Rucksacks schob sich hervor. Erleichtert trat ich vor und wollte ihn wieder nehmen. Der Bildschirmtyp sah auf. Er hatte etwas von Mr. Saunders, das musste ich schon sagen. Gut, ganz so alt war er nicht. Aber eine gewisse Ähnlichkeit bestand. Er hatte aber nicht den freundlichen Blick einer Schildkröte. Seine Augen waren wachsam, wie die eines Hundes. Als unsere Blicke sich trafen, geschah etwas Merkwürdiges. Für einen Moment trat eine überraschte, wenn nicht geschockte, entsetzte Miene auf sein Gesicht, aber nur für einen Moment. Dann war es eher Unverständnis und gleich darauf Neugier, oder Interesse. Kein wohlwollendes Interesse aber. Eher die Art Interesse, mit der ein Raubtier ein potenzielles Beutetier beäugt und sich fragt, ob es sich wohl lohnen würde, Energie darauf zu verwenden, es zu fangen. Ohne seinen Blick von mir zu wenden, zog er mit seiner runzeligen, behaarten Wurstfingerhand die Kiste zu sich.
Ich sah zu, wie er meinen Rucksack öffnete und alles, was sich darin befand, einzeln rausholte. Meine Kopfhörer, mein Geldbeutel, der Zettel mit ein paar Notfalltelefonnummern, den mir Mum beim Abschied noch in die Hand gedrückt hatte. In der Schlange wurden die Leute ungeduldig und gingen zu anderen Reihen, er wurde von einigen Sicherheitsleuten kritisch beäugt, doch niemand sagte etwas. Ich auch nicht.
Ich war mir eigentlich ziemlich sicher, dass das nicht so üblich war und hätte ihm gerne alles aus der Hand gerissen, aber Ich hatte hier ja wohl kaum etwas zu sagen. Woher sollte ich denn wissen, was erlaubt war und was nicht? Und selbst wenn, der Typ würde wohl kaum etwas hören, würde ich protestieren. Er schien nichts mehr von seiner Außenwelt mitzubekommen. Mit glasigen Augen, als hätte er einen Schatz gefunden, öffnete er meinen Reisepass und las sich alles mehrmals durch. Ich verstand nicht. Was hatte mein Reisepass damit zu tun, ob ich nun ein Terrorist war oder nicht? Ich fühlte mich zunehmend unwohl. Ich vergrub die Hände in der Bauchtasche meines Pullovers. Ich mochte das hier nicht, ich mochte das ganz und gar nicht. Ich sah zu, wie er sich auch noch meinen Boardingpass krallte. Was wollte dieser Mann?
„So, so", murmelte er vor sich hin, „So, so". Es machte mir Angst. Warum interessierte er sich so sehr dafür, wer ich war und nicht für das, was er am Bildschirm entdeckt haben musste?
Ich räusperte mich. „Entschuldigen Sie, Sir, darf ich fragen, wofür meine, ähm, persönlichen Daten von Belangen sind?" Im selben Moment hätte ich mich dafür ohrfeigen können. Jetzt klang ich nur noch mehr wie jemand, der etwas zu verbergen hatte.
„Hm?"
Er sah auf und beäugte mich. „Haben Sie etwas gesagt?", fragte er und klang dabei so, als würde er mich umbringen, sollte ich mit ‚Ja' antworten.
„Nein, Sir.", sagte ich schnell und hoffte, dass er mir glauben würde.
„Darf ich fragen, zu welchem Zweck Sie nach London reisen?", fragte er beiläufig.
„Ähm...", antwortete ich (kann ich eigentlich auch normal reden?), „Studienzwecke."
„Gut", sagte er mehr zu sich selbst als zu mir, „Gut." Ein maskenhaftes Lächeln schob sich auf sein Gesicht. Er sah mir in die Augen. „Ich wünsche ihnen einen angenehmen Flug, Mr. Hawk." Die letzten beiden Wörter betonte er besonders. Es fiel schwer, zu glauben, dass er das auch wirklich meinte.
„Vielen Dank", sagte ich so selbstbewusst und kühl, wie es mir nur irgendwie möglich war (Überraschung: Das war weder besonders selbstbewusst noch besonders kühl) und sammelte meine Sachen aus den Kisten zusammen. Ich konnte erst wieder normal atmen, als ich außer Sichtweite war. Meine Finger spielten mit dem Zettel in meiner Tasche. Olivia. Ich hatte zwar keine Ahnung, was da gerade passiert war, aber in diesem Moment war ich einfach nur dankbar dafür, dass der Typ, wer auch immer er sein mochte, meinen wertvollsten Besitz nicht in die Finger bekommen hatte.
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(Yay, 10 Teile. Dachte ehrlich gesagt nicht, dass ich überhaupt so weit komme ¯\_(ツ)_/¯) ( Und warum schreibe ich eigentlich immer am besten, wenn ich eigentlich für irgendwelche Arbeiten lernen müsste?) (Rip)
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