Zwielicht
Nach einer siebzehnminütigen Fahrt, die Schackqueline hauptsächlich damit verbracht hatte, in Ohnmacht zu fallen (und es nicht schaffte), erreichte das zukünftige Paar das Haus des Bad-Boyys. Es war ein normales, langweiliges, mittelgroßes Vorstadtreihenhaus. Nichts würde darauf hindeuten, dass dort einer der übelsten Bad-Boyys der Stadt wohnte, wäre da nicht ein winziges Detail.
Schackqueline starrte mit weit aufgerissenen Augen auf den riesigen Totenschädel, der die gesamte Frontseite des Hauses einnahm.
Hinter ihr betätigte der Bad-Boyy den Garagentüröffner. Schackqueline konnte gerade noch so das leise Piepen erahnen, bevor zwei Feuersäulen aus den Augenhöhlen des Schädels schossen und zwei zufällig vorbeifliegende Tauben rösteten.
»Arme Flap-Flaps.« murmelte sie, als der Bad-Boyy den Audi R8 durch den geöffneten Mund des Schädels in die Garage fuhr.
Die Garage war auch nichts besonderes, mit grauen, untapezierten Wänden und Stahlrohrregalen, die mit allerhand Werkzeug und sonstigen Zeug, welches man sich einmal anschafft und dann nie wieder nutzt, gefüllt waren.
Der Bad-Boyy stieg aus, ging um den Audi R8 herum und öffnete Schackqueline galant die Tür. »Danke!« sagte sie erstaunt, versuchte, aus dem Auto auszusteigen, verfing sich jedoch mit dem Fuß in der Tür und fiel nach vorne.
Starke, glitzernde Arme fingen sie auf.
Verliebt guckte sie in die ozeanblauen Augen des Bad-Boyys und verlor sich darin. Für gefühlte zwei Stunden spielte sie darin herum und wälzte ihren perfekten Strandkörper in den Wellen.
»Hallo? Lebst du noch, Schlampe?«, hörte sie die voluminöse, alles durchdringende Stimme des Bad-Boyys aus der Ferne. Schlagartig kehrte sie in die Realität zurück.
»Und jetzt da lang, du verfickte Hure!« gaffte der Bad-Boyy sie an und schubste sie unsanft in Richtung Tür. Vom Schwung stolperte Schackqueline und fiel unsanft auf den Betonboden - kurz vor der Tür. »Ey, du Fotze! Hinlegen kannst du dich in meinem Bett, aber nicht hier!« keifte sie der Bad-Boyy an. Sie schaute ihn nur verliebt an und rappelte sich mit einem Seufzer wieder auf, ging durch die Tür (dicht gefolgt vom Bad-Boyy) und befand sich daraufhin im Flur des Hauses.
Eine blanke Neonröhre flackerte auf, scheinbar durch einen Bewegungsmelder. Sie warf einen kurzen Blick hinter sich und sah die unglaublichen Brustmuskeln des Bad-Boyys sich im Rhythmus seiner Atemzüge auf und ab bewegen. Seine Muskeln waren so unglaublich, dass selbst seine Brustwarzen jede ihr eigenes Sixpack hatte.
»Da vorne ist die Küche, du dreckige Hure!« blaffte der Bad-Boyy sie an und wies auf eine Tür am Ende des Flures.
Es war eine kleine, stinknormale Baumarkttür (die für 157,99€), weiß angestrichen und mit einem rostenden Türschloss. Schackqueline guckte dem Bad-Boyy noch einmal tief in die Augen, seufzte und ging langsam den Flur entlang. Auf der linken Seite befanden sich zwei Türen, die leider geschlossen waren. Schackqueline hoffte, dass sie bald hinter einer davon auf dem Bad-Boyy liegen würde. Auf der rechten Seite gab es eine Tür, die leicht angelehnt war. Durch den Spalt konnte sie Fliesen sehen. Ganz am Rand des kleinen Lichtkegels, den das Licht durch den Türspalt warf, waren kleine Tropfen roter Flüssigkeit. Oh, der Arme! dachte Schackqueline. Er muss auch mit dieser plöden Periode klarkommen!
Sie ging weiter und musterte die Wand neben der Tür. Dort stand eine kleines Sideboard, auf dem mehrere Bilderrahmen waren. Auch war auf den Bildern etwas zu sehen, nur kam Schackqueline das irgendwie seltsam vor. Nach ein paar Momenten, in denen es ihr so vorkam, als würde ihr Hirn in den Turbomodus schalten, fiel ihr auch auf, was so komisch war: Auf den Bildern war niemand zu sehen. Nur Hintergründe. Eine Picknickdecke mit Brot und einem roten Getränk in Gläsern, eine leere Couch mit einer Girlande die freudestrahlend „Happy Birthday" verkündete, zusammen mit einem Kuchen, auf der eine lächerliche Anzahl an Kerzen stand und ein Foto von einem - wieder einmal leeren - Klettergerüst. Was soll's. dachte Schackqueline. Der Typ fotografiert halt gerne Hintergründe. Hat halt keine Freunde.
»Ey, wir ham' hier nich' den ganzen Tach Zeit, Schlampe!« raunzte sie der Bad-Boyy an.
Mist, den hab' ich ja komplett vergessen! Na, je schneller wir das hinter uns haben, desto schneller kann ich seinen Körper bewundern. Schackqueline war so sehr in ihren Gedanken versunken, dass sie gegen die Küchentür lief, die scheinbar schon einige Jahre alt war, denn als Schackqueline gegen sie knallte, ging das Schloss ganz einfach auf.
»Das mit der Klinge üben wir nochmal, ne?« murrte der Bad-Boyy und wies auf die Kaffeemaschine. »Und jetzt mach' mir Kaffee. Pulver ist im Kühlschrank.«
Schackqueline seufzte verliebt, ging zum Kühlschrank und öffnete ihn.
Ah, er ist soooooo süß! dachte sie, während sie zwischen einer unheimlich großen Menge an Blutorangen nach dem Kaffeepulver tastete. Nach ein paar Kommentaren des Bad-Boyys fand sie es endlich hinter mehreren Bio-Schweineherzen.
Als sie die Cafèmaschine befüllte, spürte sie die brennenden Blicke des Bad-Boyys an ihrem Hals. Obwohl sie es nicht wollte, musste sie rot anlaufen, als sie an seine ozeanblauen Augen auf ihrer Haut dachte. Während die Maschine mit einem beruhigenden Krachen die Bohnen zerkleinerte, verlor Schackqueline sich in einen Tagtraum:
Sie und der Bad-Boyy lagen an einem Strand, das Meer rauschte in der Ferne und der Sand war warm und weich. Schackie lag in den muskulösen Armen des Mannes und fühlte, wie eine Welle der Glückseligkeit...
»Krieg' ich meinen Kaffee heute noch, oder wie?« unterbrach die schroffe Stimme des Bad-Boyys die Romantik. »J-ja.« stammelte Schackqueline, die noch einige Sekunden brauchte, um sich wieder an die reale Welt zu gewöhnen. Sie nahm die Kanne mit dem noch dampfenden Heißgetränk aus der Halterung und goss es in die bereitstehenden Tassen.
Als sie sich gerade setzten wollte, unterbrach der Bad-Boyy sie wieder: »Und was ist mit der Milch, du Hure?« »Oh, entschuldigung, vergessen~« sagte Schackie liebevoll. »Ich bin ja so dusselig!«
Der Bad-Boyy sagte nichts, sondern grummelte nur ein wenig, als sie zum Kühlschrank eilte um Milch zu holen. In der Tür des Kühlschranks stand die Milchtüte, neben einigen halb leeren Flaschen Rotwein. Schackqueline nahm sie, drehte sich um und schloss den Schrank mit einem gekonnten Hüftschwung. »Pass auf!«, schrie der Bad-Boyy sie an. »Der Schrank ist mehr wert wie dein Leben!«
Dieser Satz rief in Schackie eine erneute Ekstase hervor. Er ist ja soo ein Bad-Boyy, dachte sie und lächelte den Muskelprotz an. Während sie die Milch in die Tassen schüttete (sie trank nur Milch, ohne Kaffee), achtete sie darauf, sich so vorzubeugen, dass der Blick des Bad-Boyys genau in ihren Ausschnitt fallen musste. Doch dieser hatte in der Zwischenzeit sein Handy (ein iPhone 36281 Max) herausgeholt, begann darauf herumzuspielen und griff nach der Tasse. Schackqueline wackelte noch ein wenig vor ihm herum, bevor sie sich auch hinsetzte und an ihrer Milch nippte. Eine Weile saßen sie schweigend am Tisch, nur gelegentlich von einem kleinen Husten unterbrochen. Als Schackie ihre Tasse leer hatte, tat sie trotzdem noch so, als würde sie trinken, weil sie die Stille nicht brechen wollte. Sie wartete weiter und allmählich begann ihre Blase sich bemerkbar zu machen. »Ähem.«, räusperte sie sich. Der andere sah von seinem Handy auf. »Was?«, fuhr der Bad-Boyy sie grob an. »Äh... w-wo ist die Toilette?«, brachte sie hervor, kurz abgelenkt durch die Wucht, mit dem das einzige Wort ihres Gegenübers abgefeuert worden war. „Den Flur runter und die erste Tür links.« Plötzlich schien der Bad-Boyy viel freundlicher. Schackqueline lächelte ihn an, und verließ den Raum, wobei sie darauf achtete, ihre Hüfte möglichst in Bewegung zu halten. Doch als sie sich im Türrahmen verstohlen umschaute, sah sie, dass der Bad-Boyy wieder in sein Handy vertieft war. Er lächelte, wobei seine Zähne im Licht der IKEA-Lampe an der Decke glitzerten und funkelten. Schackqueline schob die Küchentür hinter ihr zu, ohne sie komplett zu schließen und ging nach einem kleinen Luftsprung den Flur entlang. Auf der rechten Seite waren zwei geschlossene Türen, auf der linken Seite eine geöffnete, die den Blick auf Fliesenboden freigab. Das musste das Bad sein. Doch die verschlossenen Türen strahlten eine geheimnisvolle Ausziehung aus. Langsam begann Schackie, auf die rechte Wand zuzuschleichen. Plötzlich hörte sie, wie ein Stuhl in der Küche verschoben wurde. Schnell wie der Blitz war sie im Badezimmer verschwunden und schloss die Tür hinter sich - diesmal richtig. Ihr fiel nicht auf, dass der Schlüssel von der anderen Seite steckte.
Das Badezimmer war ein kleiner Raum ohne Fenster. Es gab ein Waschbecken, unter dem eine kleine Kommode stand. An der Wand darüber befand sich ein großer Aufkleber eines lächelnden Oktopusses. Hinten in der Ecke hing das Klo an der Wand, mit hochgeklapptem Sitz und Brille und falschherum aufgehängtem Klopapier. Auf der gegenüberliegenden Wand befand sich eine Dusch/Badewannenkombination. Sie stand mitten im Raum, so dass Schackquline die Ecke dahinter nicht sehen konnte. Nachdem dieser Ersteindruck bestätigt hatte, dass der Raum harmlos war, ging sie in Richtung der Toilette. Schackqueline klappte die Brille herunter, öffnete ihre Jeans und wollte sich gerade setzen, als sie die Leiche sah.
Sie lag dort, verschrumpelt wie eine Mumie, zwischen der Badewanne und der Wand. Sie trug einen ehemals weißen, nun aber dreckig grauen Hoodie, eine verwaschen und verblichene Jeans und seltsamerweise weder Schuhe noch Socken. Langsam schloss Schackie ihre Hose, schlich langsam zu der Toten und berührte ihn leicht. »Hallo...?« flüsterte sie fragend. Keine Antwort. Vorsichtig nahm Schackie den Kopf der Leiche in ihre Hände und drehte ihn so, dass er nun nur noch auf die Badewanne gucken würde. Plötzlich knirschte es laut. Schackqueline hatte den Kopf wohl zu weit gedreht und der Leiche das Genick gebrochen. »Tur mir leid...« murmelte sie, als sie langsam zur Toilette zurückwich.
Als sie fertig war, wusch sie sich die Hände, ohne noch einmal in die Ecke zwischen Wand und Badewanne zu blicke, und schlich sich verstohlen aus dem Badezimmer, bebor sie in die Küche zurückkehrte.
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