Fünfzig Schattierungen des Grauens
Schackqueline. Der Bad-Boyy. Schackqueline. Sie guckten sich schweigend an, während beide geräuschvoll an ihrem Kaffee schlürften, um die unheilvolle, erdrückende Stille zu übertönen - zumindest tat Schackqueline das. Um ehrlich zu sein, konnte sie gar nicht hören, was der Bad-Boyy tat, da sie so laut schlürfte. Ihre Gedanken kehrten immer wieder zu der Mumie im Badezimmer zurück: War der Bad-Boyy vielleicht insgeheim Goth? Aber warum wies dann nichts anderes in der Wohnung darauf hin? Die Wände waren hell und freundlich, und außer seinen Haaren hatte der Bad-Boyy nichts schwarzes. Da war selbst Schackqueline mit ihren schwarz lackierten Fingernägeln mehr goth als er. Plötzlich kam ihr ein schrecklicher Verdacht in den Sinn: War der Bad-Boyy vielleicht ein Werwolf, oder ein Vampir oder etwas viel schlimmeres? Schackqueline fiel wieder die merkwürdige Abwesenheit von Spiegeln in der Wohnung ein, und die ausgetrocknete Leiche würde auch passen... Unsinn, beruhigte sie sich. Vampire gab es doch nicht wirklich, es gab nur einige unglaubwürdige Berichte aus winzigen Dörfern und einigen irren Protagonist:innen. Aber was könnte der Grund für die Leiche im Badezimmer dann sein? Schackqueline nahm einen weiteren tiefen Schluck aus ihrer Kaffeetasse, wobei sie sich aber bei der Menge des Kaffees verschätzte, und sich deswegen verschluckte. Sofort packte sie der Hustenanfall und ihre Augen begannen zu tränen. "Hilfe..." krächzte sie. Der Bad-Boyy stand auf (durch das laute Husten konnte man sein Seufzen nicht hören) und klopfte ihr einmal hart auf die Wirbelsäule. Schackqueline hörte blitzartig auf zu husten und bedankte sich. Grummelnd setze sich der Bad-Boyy wieder hin, wobei ihr ein großer Goldring an seiner rechten Hand auffiel. Da kam ihr der Geistesblitz: Der Bad-Boyy, nein, ihr Bad-Boyy war ein Mafia-Boss! Sie hatte schon immer eine Vorliebe für Mafia-Bad-Boyys: Schon als Kleinkind verschlang sie jeden Trailer eines Mafiafilms, in der Schule versuchte sie, sich mit den Mafia-Bossen anzufreunden und als das nicht funktionierte, tat sie alles dafür, um sich kidnappen zu lassen, wie es die coolen Protagonist:innen immer erzählten. Doch nichts hatte Erfolg. Mehrmals passierte es, dass sie eine Mafia-Aktion um Minuten verpasste, oder sie im Café nebenan stattfand. Jahrelang versuchte sie, zur BFF von hunderten Protagonistinnen in ihrer Schule zu werden, um dann entführt zu werden, aus welchem Grund auch immer. Bei Chantalle Sky Hope war ihr endlich gelungen, zur BFF zu werden und dann wurde nicht sie entführt sondern Chantalle! Aber jetzt war die Chance, das zu ändern. Schackqueline war überzeugt, dass der Mafia-Bad-Boyy sie nicht einfach so gehen lassen würde. Schließlich hatte sie sein Opfer gesehen! Sie war fest überzeugt, dass dies der Anfang einer wunderbaren Beziehung war, und so sprach sie den Mafia-Bad-Boyy auf ihren Fund an. Dieser wurde schien noch bleicher zu werden und zeigte zum ersten Mal Interesse an Schackqueline: "Was hast du gesehen?!" schrie er sie an. "Na, den Toten in deinem Badezimmer! Das war wohl bestimmt ein Klient, der sein Schutzgeld nicht bezahlt hat?" antwortete sie ohne Argwohn. Plötzlich geschah alles ganz schnell. Der Mafia-Bad-Boyy sprang auf, wobei seine muskulösen Waden seinen Stuhl an die Wand donnerten, und stürzte sich auf Schackqueline. Diese schloss die Augen und wartete darauf, seine Hände um ihre Kehle zu fühlen, doch ein Urinstinkt in ihr übernahm die Kontrolle und mit einem Sprung, den sie sich niemals zugetraut hätte (Reck'n'Boden-Mann hätte ihr dafür die Bestnote gegeben) katapultierte sie ihren Stuhl weit weg und sich quer durch die Küche vor die Tür. Der Mafia-Bad-Boyy hatte mit dieser Reaktion nicht gerechnet und krachte auf die Stelle, wo Schackqueline eben noch war. Durch den Schwung machte er eine unfreiwillige Rolle vorwärts, wodurch er in den Geschirrschrank krachte und sich eine Ladung Keramik auf und um ihn herum verteilte.
Auch wenn sie eigentlich vor Schock sitzen bleiben wollte, sie konnte nicht. Irgendetwas hatte dafür gesorgt, dass ihr Körper, ihre Angst, ihr Hirn einfach aushebelte und stattdessen die Kontrolle übernahm. Schaqueline konnte nur zusehen, wie ihre Arme und Beide das Adrenalin, das ihren Körper flutete, nutzen und sie begann, zu rennen. Sie wusste nicht wohin, sie wusste nur, dass sie auf gar keinen Fall zurück wollte. Als sie auf Höhe des Badezimmers war, hörte sie hinter sich ein Stöhnen und das Kreischen von Keramik auf Steinfliesen. Etwas zerbrach. Das Adrenalin in Schackquelines Körper versiegte - so schnell, wie es gekommen war. Sofort blieb sie stocksteif stehen und konnte gerade so verhindern, dass sie nach vorne fiel. Ihr Blick fiel auf eine Pendeluhr an der Wand und sie stellte voller Entsetzen fest, dass die Zeiger gerade im Begriff waren, auf die Zwölf zu zeigen. Das Läuten der Uhr vermischte sich mit einem animalischen Brüllen aus der Küche. Ein Brüllen, das in keinster Weise etwas Menschliches an sich hatte. Sofort war das Adrenalin wieder da und Schackqueline rannte so schnell sie konnte in Richtung der Tür, hinter der sie die Garage vermutete. Ihr Hirn registrierte ein Geräusch hinter sich, ein Geräusch eines Tuches, das über Laminat gezogen wird, zusammen mit dem unangenehmen Knirschen von Zähnen, die über Zähne reiben. Sie roch eine Brise der Verwesung, die durch den Flur strich. Und es roch nach Eisen. Stark nach Eisen. Blut. Das war das einzige Wort, an das Schackqueline denken konnte, als sie durch die richtige Tür (wie sie die gefunden hatte, wusste sie auch nicht) in die Garage stolperte. Doch was für ein Wesen auch immer im Flur war, der Mafia-Bad-Boyy war es nicht. Und was noch schlimmer war, es war direkt hinter ihr. Kalte, abgestandene Luft blies in Schackquelines Nacken. Sie zuckte, dann nahm sie allen Mut zusammen und drehte sich um. Sie schrie, als sie sah, wer hinter ihr stand. Es war der Bad-Boyy, nur sah er diesmal anders aus - viel anders. Seine Augen waren gelb geworden und ähnelten mehr denen einer Katze als denen eines Menschen. Ihr Blick wanderte weiter nach unten. Inmitten von blutleeren Lippen waren die gelblichen Zähne des Bad-Boyys plötzlich strahlend weiß und zwei Zentimeter lange Eckzähne ragten beinahne bis zum Kinn. Als Schackqueline davon stürmte, bemerkte sie, dass der Bad-Boyy scheinbar noch muskulöser geworden war - zu muskulös für sein T-Shirt. Das hing in Fetzen von seiner Brust. Normalerweise wäre das schöner Anblick gewesen, doch nun sah seine Haut alt aus. Sie war grau und teilweise hing sie in Fetzen hinab, nur um genau so graues Fleisch frei zu geben. Schackqueline hätte schwören können, dass sich unter dieser Haut etwas bewegte. Und nun rannte dieses Etwas, was mal der Bad-Boyy gewesen war auf sie zu. Schackqueline drehte sich um, nahm das erstbeste in die Hand und machte einen grimmigen Gesichtsausdruck. Doch das Ding in ihrer Hand fühlte sich komisch an. Sie wandte den Blick nach rechts und sah, dass sie sich eine Schwimmnudel gegriffen hatte. Mit einem Seufzer warf sie sie weg und wandte sich wieder dem Bad-Boyy zu. Dieser stand mittlerweile kaum zwei Meter von Schackqueline entfernt und setzte zum Hechtsprung an. Diese war schon kurz davor, mit ihrem Leben abzurechnen, doch eine unwahrscheinliche Mischung aus Erinnerungen an den Sportunterricht und purem Glück rettete sie. Sie duckte sich genau im richtigen Augenblick (eine Fähigkeit, die sie bei Völkerball perfektioniert hatte) und scheinbar hatte der Bad-Boyy die Kraft seines Sprunges unterschätzt, denn er flog über sie hinweg und krachte mit dem Kopf voran in die Rigipswand, die er - natürlich - durchschlug. Die Dämmwolle bremste ihn ein wenig, doch der Schwung ließen ihn noch ein paar Meter über den Boden dahinter schlittern - es war übrigens Buchenlaminat - wobei er eine unansehnliche Spur an Schleim, Glitzer und einige Brocken von einer Substanz, die Hirn sein könnte, hinter sich her zog. Schackqueline war gleichzeitig angeekelt und glücklich, denn dies schien vorerst das Ende dieses Abenteuers zu sein.
Neugierig stieg sie durch das Loch, wobei sie darauf achtete, mit keinerlei "Körperflüssigkeiten" des Ex-Bad-Boyys in Kontakt zu kommen. Auf der anderen Seite angekommen, schaute sie sich um. Sie befand sich in einer Garage, die fast genau so aussah wie die, aus der sie gerade eben gekommen war. Doch eine Sache war anders: Das Tor war offen und in der Öffnung stand ein 1969er Ford Mercury in Beige mit laufendem Motor. Die Fahrertür öffnete sich und heraus stieg eine Gestalt, die Schackqueline nur schwer beschreiben konnte. Würde sie es in einem Wort machen, wäre es "Schwarz". Das stimmte allerdings nur zu einem gewissen Grad, denn so schwarz die Kleidung der Gestalt auch war, so bleich war ihre Haut. Innerlich bereitete sich Schackqueline darauf vor, so schnell wie möglich wieder wegzurennen. Doch sie zwang sich, hierzubleiben und zu gucken, was passieren würde. "W-was zum Teufel ist hier passiert?" rief die Gestalt mit einer erstaunlich hohen Stimme. "Äh... der lag da schon. Und das Loch war auch schon da!" versuchte Schackqueline, sich zu verteidigen. "Ah ja." sagte die Gestalt und kam auf Schackie zu. Nun konnte man ihre blauen Augen erkennen. Aber im Gegensatz zu den Augen des Ex-Bad-Boyys, die ein Ozean zu sein schienen, schienen diese Augen das Universum selbst zu sein. Schackqueline meinte für eine Moment, sie könnte durch diese Augen wieder sich sehen, wie sie ihn dieser Garage stand, voller Staub und Schweiß und diese Gestalt vor ihr, die, wie Schackqueline jetzt auffiel, kleiner als sie war. Sie musste kichern. "Was gibt es hier zu lachen!" zischte die Gestalt sie an. "Nichts, nichts..." antwortete Schackie glucksend.
"Jaja."
"Ja!"
"Nun ja," fuhr die Gestalt fort. "Mein Nachbar liegt scheinbar tot auf dem Boden, meine Wand ist kaputt und ein staubiges Mädchen steht in meiner Garage und will mir sagen, es wäre nichts passiert?"
"So in etwa, ja", antwortete Schackqueline.
"Soso. Na, du möchtest doch sicher etwas zu trinken haben."
Schackqueline starrte die Gestalt perplex an. Diese seufzte. "Ich denke ich sollte zumindest ein paar Worte mit dir wechseln, was hier jetzt genau passiert ist. Also, geh, ich muss das Auto reinfahren." Die Gestalt fuchtelte mit den Armen und wies schlussendlich auf eine Tür.
Beinahe schon automatisch begann Schackqueline, sich auf die Tür zuzubewegen. Sie hörte gerade noch so, wie die Gestalt rief: "Und probier' gar nicht erst, zu lügen! Du möchtest nicht erfahren, was dann passiert!"
Schackqueline trat durch die Tür. Diese fiel hinter ihr ins Schloss und blendete das Geräusch des Motors schlagartig aus.
Schackqueline fühlte sich plötzlich elend. So, als wäre sie vom Regen in die Traufe gekommen.
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