Kapitel 3
Vor 4 Jahren
Die erste Sonnenstrahlen des nächsten Morgens schlichen sich durch die leichten Vorhänge der kleinen Wohnung und kitzelten Emma sanft aus ihrem unruhigen Schlaf. Belastet von den Ereignissen des Vortages war sie mehr als einmal aus dem Schlaf hochgeschreckt und auch jetzt war ihr sofort präsent, warum sie die Nacht das Bett mit jemandem hatte teilen müssen.
Müde blinzelte sie mehrmals, bevor sie sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatte. Da sie alleine im Wohnzimmer war, machte sie ein paar mehr als seltsam aussehende Dehnübungen, bevor sie sich auf die Suche nach ihrer Besucherin machte.
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Eileen hantierte derweil schon geschäftig in der Küche, hatte sie doch weit weniger Schlafen können und mit Einbruch der Morgendämmerung den Versuch Schlaf zu finden ganz aufgegeben.
„Ich hoffe, du magst Rührei?", fragte sie mit mäßig lauter Stimme, um die verschlafene Wohnungsbesitzerin nicht gleich zu verschrecken.
„Ja." Wenig motiviert kramte Emma im Kühlschrank herum und zog letztendlich eine Schachtel mit einem Stück Käse hervor, das sie vom Markt mitgenommen hatte und legte zwei Körnerbrötchen in den Ofen.
„Ich hoffe, du magst Kürbiskerne", ahmte sie Eileen nach und zog dann ernsthaft fragend die Augenbrauen hoch.
„Klar. Aber eine Scheibe Brot reicht auch", antwortete Eileen plötzlich sehr zurückhaltend.
„Brot. Zum Frühstück." Vorwurfsvoll zog Emma nun die Augenbrauen zusammen. „Du bist mein Gast, nicht meine Gefangene. Also wirklich." Eileen schaute erst zweifelnd, aber nachdem Emma einen weiteren mahnenden Blick in ihre Richtung warf, verzog sie die Lippen zu einem kleinen Lächeln.
„Wenn du so lieb bist", schob sie noch zweifelnd hinterher, doch das prompte 'Sicher' seitens Emma wischte auch diese Unsicherheit beiseite.
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Nach dem Frühstück holte der Alltag beide wieder ein. Es war mitten in der Woche und Emma musste um neun Uhr auf der Arbeit sein. Also gingen beide nacheinander ins Badezimmer und richteten sich so gut es ging passabel her. Wobei die Definition dann doch recht unterschiedlich ausfiel. Während Emma in gebügelter Bluse und Stoffhose ihre Arbeitsunterlagen zusammen packte, legte sich Eileen zurück auf die Couch in geliehener Jogginghose und übergroßem T-Shirt.
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Als Emma dann wenig später die Wohnung im Eiltempo verließ und die Tür krachend ins Schloss fiel, realisierte Eileen langsam, dass sie nun für neun Stunden alleine in einer ihr fremden Wohnung sitzen und die Vorzüge des Alleinseins genießen würde.
Schockiert über all die Möglichkeiten, die sich ihr auftaten, ließ sie sich tiefer in die plüschigen Kissen sinken und stieß einmal kräftig die Luft aus ihren Lungen.
Wann war sie das letzte Mal alleine gewesen? Unwissend starrte sie an die mit fluoreszierenden Sternen beklebte Decke. Das musste noch vor der Verlobung gewesen sein, an einem dieser seltenen Wochenenden, an denen ihre Eltern ausgegangen und ihr Freund mit Kumpels unterwegs in den angesagten Clubs dieser Stadt gewesen war.
Erleichtert schloss sie einmal mehr die Augen. Wie schön es war, nur mit sich in einem Raum zu sein. In dieser durch und durch verrückten Zeit war es ihr, als käme diese Ruhephase gerade noch rechtzeitig. Melancholisch seufzte sie in die Stille. Wie lange würde dieser kleine Frieden noch halten? Und damit meinte sie nicht Emma, die abends völlig erschöpft in ihre eigenen vier Wände zurückkehren würde. Sie hatte ihre Eltern im Sinn, die sie dazu drängen würden, allen Gästen der geplatzten Hochzeit eine persönliche Entschuldigungskarte zu schreiben; und ihren Ex-Verlobten, der ein ausführliches Gespräch fordern würde. Sie dachte da an den ganzen langen Rattenschwanz, der bald mehr als heftig an die Haustür klopfen würde, um sie einmal mehr den Strudel der besinnungslosen Arbeit hinunter auf den Boden der Erschöpfung zu ziehen.
Über sich selbst schmunzelnd richtete sie sich wieder auf und griff nach der Fernbedienung. Es war definitiv Zeit, Netflix unsicher zu machen.
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Frustriert knallte sie die Haustür hinter sich zu und pfefferte die Handtasche auf den Küchentisch. Es war wohl der beschissenste Tag seit langem. Eine meditierende Eileen ignorierend, warf sie sich stöhnend auf die Couch und verbarg das Gesicht in einem der unzähligen Kissen.
„Du scheinst erschöpft", mutmaßte die andere Frau mit weiterhin geschlossenen Augen.
„Ach, ist dem so?", gab die Angesprochene bissig zurück. Flatternd öffneten sich Eileens Augen und fixierten die mies gelaunte Rothaarige.
„Was möchtest du mir eigentlich sagen?", fragte sie nonchalant und löste die Beine aus dem Schneidersitz, um sich zu strecken.
„Das es unfassbar ist, wie unglaublich dämlich die Menschheit manchmal ist und wie gemein, dass man sich dem auch noch fügen muss, weil man sonst keine Wohnung, kein Essen, einfach gar nichts bezahlen kann." Irritiert runzelte Eileen die Stirn.
„Man, jetzt schau nicht so", fuhr Emma sie unwirsch an. „Ich wurde gefeuert, klar? Weil jemand anderes den Artikel versaut hat und ICH dafür verantwortlich gemacht wurde. Ich hatte nichts mit dem Thema zu tun! Aber das interessiert ja niemanden!" Mit einem wütenden schnauben sprang Emma wieder von der Couch und tigerte in die Küche, um sich ein kaltes Glas Wasser einzukippen. Es besänftigte zwar nicht ihren inneren Vulkan an Gefühlen, aber es linderte das trockene Kratzen im Hals, dass nicht mehr wegging, seit sie im Auto angefangen hatte zu fluchen.
„Und da sitz' ich nun und hab auch noch eine Obdach Suchende zu verpflegen", grummelte sie in ihr Glas, welches sich rasant wieder leerte.
„Das hab ich gehört", meinte Eileen gelassen und lehnte sich ihr gegenüber an die Küchenzeilen.
„Schön. Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?" Sie funkelte Eileen streitlustig an.
„Nichts. Es ist absolut wahr." Nachdenklich sah sie an ihr vorbei aus dem Fenster. Der Keimling eines schlechten Gewissens schlug in Emma Wurzeln und veranlasste sie, völlig überraschend für beide, Eileen in eine Umarmung zu ziehen.
„Ich weiß, dass das hier genauso wenig deine Schuld ist. Ich komm nur nicht mehr hinterher, dass alles zu erfassen und zu verstehen", flüsterte sie aufgelöst. Zögerlich erwiderte Eileen die Umarmung.
„Schon ok."
„Und jetzt lass uns das einfach erstmal bei Seite schieben und zu Abend essen", beendete Emma schließlich das Thema und löste sich wieder.
Als sie später beide im Bett lagen und Emma über die unmöglichsten „Was wäre, wenn"s nachdachte, war schon keine Spur der Spannung zwischen den beiden mehr zu erkennen und Eileen ließ sich dazu hinreißen, eine völlig absurde Idee auszusprechen.
„Wenn hier eh alles den Bach runtergeht, warum bleiben wir dann noch hier?"
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