Achtes Kapitel

„Chaos, weil ich nicht weiß, was du für mich bist. Ein Freund oder kann da mehr sein?" - Chaos, Mathea

Der nächste Tag beginnt viel zu früh und als mein Wecker um kurz nach sechs an einem Samstag klingelt, verfluche ich mich dafür, diesen Job angenommen zu haben.

Grummelnd quäle ich mich aus dem gemütlichen Bett und gehe ins Badezimmer, um mich fertig zu machen. Sobald ich mich entsprechend der Temperaturen angezogen habe, schleiche ich nach unten in die Küche, wo meine Mutter mit einer Tasse Kaffee und müden Augen sitzt und schon auf mich wartet.

„Guten Morgen", wünscht sie mir mit einem warmen Lächeln, obwohl sie meinetwegen so früh auf den Beinen sein muss, und bietet mir an, mir Frühstück zu machen, doch ich verneine.

„Ich habe noch keinen Hunger."

Auf dem Weg zu Harrys Haus schreibe ich genau dem die alltägliche, morgendliche Nachricht und bereite mich dann mental darauf vor, ihm erneut gegenüber zu treten.

Doch als ich die Eingangstür öffne, sehen mir nur Joe und Billy freudig hechelnd entgegen und so trete ich den ersten Spaziergang des Tages an, ohne auf meinen Mathelehrer zu treffen.

Ich bemühe mich die größtmöglichste Runde zu gehen, bei der ich noch nicht die Orientierung verliere, was mir die Hunde mit glitzernden Augen und wedelnden Ruten danken. Es freut mich, ihren Ansprüchen gerecht werden zu können und so sehr ich Harry aus dem Weg gehen will, bin ich doch froh, als ich mit eiskalter Nase und spröden Lippen wieder im warmen Haus bin.

Joe und Billy weichen mir nicht von der Seite, als ich in die Küche gehe, um ihr Futter zu holen und legen sich nach ihrem Frühstück für eine weitere Runde erholsamen Schlafs in ihre Körbchen.

Etwas ratlos, was ich jetzt tun soll, stehe ich herum und reibe mir die Nasenspitze wieder warm.

Nach langem Überlegen erlaube ich es mir dann, mich auf das Wohnzimmersofa zu legen und die Augen für einen Moment zu schließen.

***

Blinzelnd und orientierungslos hebe ich den Kopf und blicke direkt in Joes friedliches Gesicht, der seelenruhig neben mir schlummert und sich an mich gekuschelt hat.

Die alte Standuhr neben dem Fernseher zeigt zehn Uhr morgens und ich bekomme ein schlechtes Gewissen, weil ich zwei Stunden meiner Arbeitszeit einfach verschlafen habe.

„Brauchst du eine Decke?", ertönt da eine tiefe Morgenstimme hinter mir und ich fahre so erschrocken hoch, dass ich den Bullterrier an meiner Seite aus dem Schlaf reiße.

Verlegen sehe ich zu Harry hinüber, der, im Vergleich zu gestern, heute eine Jeans und eines seiner Hemden trägt.

Er sieht selbst noch etwas verschlafen aus und seine Frage hat auch nicht sarkastisch sondern schlichtweg aufrichtig geklungen.

„Nein, sorry, ich wollte nicht einfach einschlafen", entschuldige ich mich und rapple mich auf. „Ich war mit den Hunden draußen und habe sie gefüttert und dann wollte ich mich nur kurz ausruhen."

„Na dann passt doch alles", meint er schulterzuckend und fährt sich durch die zerzausten Haare. „Möchtest du etwas zu essen haben?"

„Das wäre nett", stimme ich schüchtern zu, denn mein Magen grummelt mittlerweile ziemlich.

Knapp lächelt er mich an und zieht sich dann in die Küche zurück, wo ich ihn mit Geschirr hantieren höre.

Bei der Gelegenheit greife ich nach meinem Smartphone und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich seine Nachrichten lese.

Harry: Verdammt, du bist heute aber ganz schön früh wach. Viel „Spaß" bei der Arbeit, melde dich, wenn du Zeit hast :)

Harry: Der Hundesitter meiner Schwester liegt gerade auf meiner Couch und schläft. Dafür möchte ich auch bezahlt werden. Aber er musste wahrscheinlich ähnlich früh aufstehen wie du, also will ich mal nicht so sein.

Harry: Was mögen die Leute in deinem Alter denn so zum Frühstück?

Weil es mir dann doch etwas zu auffällig wäre, ihm genau zu antworten, nachdem ich wach geworden bin, lasse ich es sein und gehe stattdessen zu ihm in die Küche.

Harry wärmt gerade Bohnen in einem Backrohr und sieht nur kurz zu mir herüber, als ich mich an den bereits gedeckten Tisch setze.

Es ist furchtbar seltsam, wenn man die Situation als das sieht, was sie ist. Schüler und Lehrer essen bald gemeinsam Frühstück. Doch mit dem Hintergrundwissen, dass das vor mir auch der Mann ist, mit dem ich nun schon einige Tage schreibe, ist es irgendwie angenehmer.

Keiner scheint so richtig zu wissen, was er sagen soll, und so sitzen wir in erdrückendem Schweigen, bis er mir die Bohnen mit Toast und Kaffee serviert.

„Danke", murmle ich in die Stille und er nickt nur, was das Ganze auch nicht besser macht.
„Wieso hat Ihre Schwester einen anderen Nachnamen als Sie?", frage ich schließlich.

„Sie ist verheiratet, aber ihr Mann ist gerade im Ausland", antwortet er und nippt an seiner Tasse.

„Es tut mir leid, uns in diese unangenehme Situation gebracht zu haben", entschuldige ich mich zum zweiten Mal an diesem Tag bei ihm. „Hätte ich gewusst, wessen Haus das ist oder wem die Hunde gehören, hätte ich mit Sicherheit nicht zugesagt."

„Jetzt ist es eben so", erwidert er, was ziemlich deutlich macht, wie begeistert er davon ist.

„Es sind ja nur noch zwei Tage", versuche ich ihn aufzumuntern, doch ich erhalte nur einen ausdruckslosen Blick von ihm. „Irgendwie sind Sie in der Schule sympathischer", rutscht es mir da heraus und ich schiebe dem Gesagten schnell eine volle Gabel Bohnen hinterher.

„Danke." Seine Mundwinkel zucken zuerst nur verdächtig, doch dann lässt er das amüsierte Lächeln zu.

„Ich hatte nicht vor, in Ihrem Privatleben herumzuschnüffeln", versichere ich ihm, weshalb sich sogleich ein schlechtes Gewissen in mir breit macht, denn mit meinem Fakeaccount tue ich das bewusst täglich.

„Ist schon gut." Er beobachtet mich, als ich von der Toastscheibe abbeiße, und nimmt abermals einen Schluck Kaffee. „Wie heißt du noch gleich?"

„Tomlinson", antworte ich und bin fast ein bisschen eingeschnappt, weil er meinen Namen nicht kennt.

„Nein, das weiß ich", rettet er meine Stimmung gerade noch und lehnt sich auf seinem Stuhl zurück. „Ich meine den Vornamen."

„Oh. Louis."

„Louis", wiederholt er und nickt, als hätte er irgendwo in seinem Gehirn eine Erinnerung, die das bestätigt.

„Wie heißen Sie?", stelle ich eine Gegenfrage, deren Antwort mir einen eventuellen Namens-Patzer ersparen würde. Nicht, dass ich ihn beim Vornamen nenne, obwohl ich den eigentlich nicht wissen sollte.

„Harry", gibt er tatsächlich seinen Namen preis und schiebt die Bohnen auf seinem Teller hin und her.

Mit einem Lächeln nehme ich seine Offenheit zur Kenntnis und widme mich dann dem Rest meines Frühstücks, um ihn nicht anzustarren, wie ein Tier im Zoo. Doch bei dem Gedanken an das gestrige Gespräch, wandert mein Blick mehr als einmal zu ihm hinüber und ich versuche zu begreifen, dass mein mies gelaunter Lehrer auch derjenige ist, der mir gestern aus seinem Schlafzimmer ein unaussprechlich attraktives Bild geschickt hat.

-

Wenn jemand aus Wien kommt und „My Policeman" im Kino anschauen möchte, wenn der Film denn bei uns in die Kinos kommt. I'm down.

Alles Liebe,
Maybe

[1150 Wörter]

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