»Schau dir die Sterne an!«

»Tim ... Wach auf. Tim.«

Stegis leise Stimme war es, die mich weckte, flüsternd und so dicht an meinem Ohr, dass ich Gänsehaut bekam. Ich spürte die Nähe meines besten Freundes dicht neben mir und seinen Arm, der sich nun, da er merkte, dass ich wach war, um meinen Oberkörper legte. Ich lächelte müde.

»Was ist los?«

Meiner Stimme war der Schlaf noch deutlich anzuhören, sie klang rau und kratzig.

»Willst du wirklich schlafen?«

»Stegi, was ist los?«

»Ich will raus, in die Nacht!«

Ich seufzte verschlafen, ließ mir diese Idee kurz durch den Kopf gehen. Das war dumm - wir sollten schlafen, es war mitten in der Nacht.

»Okay.«

»Ja?« Die Freude in Stegis Stimme war es wert.

»Ja.«

Die Umarmung des Jüngeren verschwand und er setzte sich so euphorisch auf, dass sogar ich zugegebenermaßen motiviert wurde. Ich versuchte, meine Müdigkeit unter Kontrolle zu kriegen, während ich Stegi beobachtete, der sich eben einen Hoodie überzog und mich dann, in Jogginghose und mit zerzaustem Haar, über das er kurzerhand eine Beanie gezogen hatte, angrinste.

Auch ich zog mir eine Sweatjacke über - mehr würde es bei diesen Temperaturen auch nachts nicht brauchen. Stegi krabbelte im engen Zelt auf mich zu und ich legte meine Arme um seinen Hals, so wie wir es am Vortag bereits perfektioniert hatten. So schaffte er es, mich vor der Luke aufzurichten und in den Rollstuhl zu heben.

Die Räder gingen auf der sandigen Erde schwerer, aber ich schaffte es, bis auf den halbwegs befestigten Weg zu kommen. Von hier an sollte es gehen. Stegi war noch ein Mal im Zelt verschwunden und kam jetzt erneut raus, nur um den Reißverschluss sorgfältigst zu schließen (er hatte sich schon diverse Male über die Mücke hier beklagt) und dann zu mir zu kommen.

»Es ist so toll. Schau dir die Sterne an!«

Ich tat es und, verdammt, Stegi hatte Recht. Der Sternenhimmel sah toll aus.

»Wo willst du hin?«

»Ans Meer!«

Ich nickte zustimmend und gemeinsam verließen wir unseren Stellplatz. Über die Wege des Campingplatzes hinweg, vorbei an schlafenden Zelten, Bussen und Wohnmobilen fanden wir den Weg, den wir schon am Vortag gegangen waren - bloß dass wir es da nicht bis an den Sandstand gewagt hatten, sondern diesen nur von der Terasse des Restaurants dort aus beobachtet hatten. Als wir dort nun vorbeikamen, waren die schweren Holztische und Bänke verlassen und die Bar mit grauen Rollläden verschlossen. Dem einzigen Leben, dem wir bisher begegnet waren, war eine Gruppe junger Menschen, die ein paar Stellplätze weiter noch im Laternenlicht gesessen und leise gefeiert hat.

An der Terrasse des Restaurants vorbei führte der schmale Weg die letzten paar Meter bis hin zum Strand und wurde dort zu einem einfachen Bretterpfad. Erst am Ende von diesem und nur noch ein paar Meter vom Meer entfernt, musste ich mit dem Rollstuhl stehen bleiben. Durch den Sand, der nun ringsherum war, würde ich niemals kommen.

Nicht, dass das für Stegi ein Hindernis wäre. Der stand schon im selben Moment vor mir und ging leicht in die Hocke.

»Halt dich fest.«

Ich tat einfach, was er anbot und schon trug er mich huckepack - wie wir es schon oft getan hatten. Lachend bahnte er sich die nächsten Meter voran, ein Stück näher ans Meer, ein Bisschen zur Seite, bis er mich vorsichtig im überraschend warmen Sand runter ließ und auf den Boden setzte. Gespannt grinsten wir uns an, während Stegi sich einfach entspannt neben mich fallen ließ.

Für einen Moment sagte keiner von uns beiden etwas, bis Stegi die ganze Situation und all unsere Gefühle und Gedanken mit einem Wort ziemlich treffend zusammenfasste: »Wow.«

Ich lehnte mich nun auch im Sand zurück, entspannte meine Muskeln und drehte meinen Kopf so, dass ich meinen besten Freund mustern konnte. Als Stegi meinen Blick bemerkte, lächelte er und rutschte ein Stück näher an mich heran. Einladend streckte ich meinen Arm zur Seite aus und Stegi nahm das Angebt an. Er legte seinen Kopf auf meinen Oberarm und lag nun eng an mich gekuschelt da. In diesem Moment fühlte ich unglaubliche Zuneigung ihm gegenüber und auch Stegi schien es nicht anders zu gehen. Für einen kurzen Moment setzte er sich ein Stück auf, um seine Lippen auf meine zu legen. Wir küssten uns und am liebsten wäre ich für immer geblieben. Hier, genau so, mitten in der Nacht mit Stegi am Strand. Wo unsere Sorgen von Zuhause egal waren und wo sogar meine Behinderung keine Rolle spielte.

Stegi hatte sich wieder von mir gelöst, lag nun aber noch viel näher bei mir und ich genoss es, ihn so im Arm halten zu dürfen. Ich ließ meine Gedanken schweifen.

Was war das mit uns beiden? Wir waren beste Freunde. Wir kuschelten miteinander, genossen das beide - und ab und zu küssten wir uns. War Stegi für mich mehr als nur ein Freund? Wollte ich, dass er das war?

Zwar war es schön, wie es momentan war - aber irgendwie wollte ich auch wissen, was das war. Mussten wir nicht irgendwann ein Mal darüber sprechen?

»Stegi?«

»Hmmm?« Der Kleinere rührte sich nicht, aber ich wusste, dass er mir zuhörte. Vorsichtig strich ich ihm mit der Hand über die Schulter.

»Liebst du mich?«

Kurz schien er zu zögern, dann sah Stegi zu mir auf. Wieder ein Mal fiel mir bewusst auf, wie hübsch ich ihn fand.

»Ja.«

Es war die ehrlichste Antwort, die man wohl jemals hätte bekommen können und in diesem Moment bedeutete sie mir unglaublich viel. Das hieß so viel mehr, als nur, dass Stegi Gefühle für mich hatte. Es hieß, dass er mir genug vertraute, um sich sicher sein zu können, dass er nichts zu befürchten hatte. Und es hieß, dass, egal was jemals aus uns werden sollte, es okay wäre.

»Du? Liebst du mich, Tim?«

Ich wollte ehrlich sein, genau so ehrlich, wie er es gewesen war und so ehrlich, wie er es verdiente.

»Ein bisschen.«

Stegi lächelte süß und ich war froh, dass ihn das wohl nicht störte. Ich wusste nicht, was ich fühlte, ich konnte nicht alles zuordnen - aber ich wusste, dass ein Teil von mir Stegi liebte.

Der Blonde hob den Kopf ein Stück und wieder waren unsere Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt. Erneut küsste Stegi mich, vorsichtig und unschuldig.

»Glaubst du, dass das irgendwann reicht? Für uns?«

Stegis Stimme war leise, nachdenklich. Ich legte meine freie Hand an sein Gesicht, das meinem immer noch so vertraut nahe war.

»Tut es das nicht schon lange?«

Stegi schloss kurz die Augen, lächelte dann aber erneut und nickte.

»Für den Moment ...«

»Nicht nur für den Moment, Stegi. Diese Gefühle sind da und sie werden nicht verschwinden, wenn, dann werden sie stärker. Und ... wenn es uns für jetzt reicht, dann wird es uns immer reichen. Ich weiß nicht, wie sehr ich dich liebe. Aber ich weiß, dass ich dich mehr liebe als jeden sonst. Und ... wenn dir das genug ist ...«

Ich bekam keine Antwort, nur Stegis Lippen, die meine erneut in einen sanften Kuss baten und seine Augen, die so verdammt glücklich aussahen. Ich spürte, wie etwas in mir warm wurde. Stegi glücklich zu sehen war das Schönste, was es gab und der Grund dafür zu sein, machte mich stolz.

Stegi tat so viel für mich, wir hatten so viel zusammen geschafft - er war mein bester Freund und bedeutete mir die Welt. Und vielleicht sogar noch mehr.


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