»Du bist mein Freund.«
Stegi hatte mir noch am selben Nachmittag mein Bett überzogen, den Kühlschrank soweit umgeräumt, dass Käse, Butter und Aufstriche - alles was irgendwie vegetarisch war - jetzt ganz unten standen, wo ich ran kam und hatte es schließlich nach einigen vergeblichen Versuchen und viel Gelächter sogar geschafft, mich huckepack nach oben und in mein altes Zimmer zu tragen, wo ich auf dem Schreibtischstuhl gesessen hatte und Stegi für mich meine Reisetasche mit Klamotten und anderen Dingen, wie der Lautsprecherbox, Ladekabeln und ein paar Büchern, gepackt hatte. Als meine Mutter am frühen Abend heim gekommen war, hatte ich Stegi als einen guten Freund vorgestellt, sie jedoch hatte ihn nur flüchtig begrüßt und war dann ins Wohnzimmer verschwunden.
Am Abend schließlich hatte Stegi mir sogar noch geholfen, mir meinen Schlafanzug anzuziehen - er hatte darauf beharrt, dass ich nicht nur in Boxershorts schlafen dufte, solange ich noch keine gute Kontrolle über meine Körpertemperatur hatte und stattdessen eine Jogginghose anziehen sollte. Irgendwann war es elf Uhr abends und wir lagen beide in meinem Bett, mit ein bisschen Abstand zwischen uns, und unterhielten uns. Am liebsten hätte ich ihn gebeten, noch zu bleiben, als Stegi schließlich doch noch meinte, er würde so langsam Mal nach Hause fahren müssen. ich wusste allerdings, wie unfair das ihm gegenüber wäre und so nickte ich bloß und machte Anstalten, aufzustehen. Sofort drückte Stegi mich zurück auf die Matratze.
»Bleib liegen. Ich finde auch alleine raus. Du musst nicht extra aufstehen.«
Ich nickte bloß und beobachtete, wie der Kleinere sich aufsetzte. Nachdenklich musterte er mich.
»Brauchst du noch irgendetwas? Kommst du zurecht, Tim?«
Ich nickte, versuchte, möglichst stark zu wirken.
»Ich komm schon zurecht. Ich schaff das Meiste alleine.«
»Wenn du willst ...«, Stegi zögerte kurz, sah mich unsicher an, »Wenn du willst, kann ich morgen früh vor der Schule kurz vorbeikommen und dir helfen. Also ... wenn du deine Eltern nicht bitten willst. Wie es dir lieber ist.«
»Das würdest du tun?«
Stegi sah mich kurz irritiert an, zuckte mit den Schultern.
»Klar. Du wohnst keinen Kilometer von der Schule entfernt. Es wäre halt ziemlich früh, schon gegen halb acht oder so. Ich hab morgen zur ersten Stunde. Wenn du das überhaupt willst.«
»Ja. Bitte, das wäre ... toll. Ich glaube kaum, dass meine Mutter mir sonderlich helfen würde.«
»Sorry, dass ich das so sage, aber deine Eltern sind Idioten. Sie können dich damit doch nicht einfach so alleine lassen.«
Ich zuckte mit den Schultern. Auch wenn es weh tat - ich wusste, dass Stegi recht hatte.
*
Wie versprochen war Stegi am nächsten Morgen vor meiner Tür gestanden. Ich hatte meine Eltern gar nicht gebeten, mir beim Umziehen zu helfen - lieber ließ ich mich von einem bis vor kurzem noch wildfremden Jungen ausziehen, auch wenn das unlogisch klang.
Mein Vater hatte sich beschwert, wer denn bitte so früh am Morgen schon an der Tür klingeln würde und als ich gesagt hatte, dass das Besuch für mich war, hatte er bloß ungläubig geschaut.
Stegi hatte sogar meine Eltern kurz aber höflich begrüßt und war dann mit mir fast sofort ins Bad verschwunden.
»Ich habe sie gebeten, es nicht zu tun. Aber tada: Hier ein Beispiel für die Rücksichtnahme meiner Eltern auf ihren behinderten Sohn.«
Sarkastisch lachte ich auf und deutete dann auf die Zahnpasta, die in einem offenen Regalfach stand - ein ganzes Stück über der Höhe, an die ich aus dem Rollstuhl kam. Stegi sagte nichts und reichte mir wortlos die Tube. Sein Schweigen verunsicherte mich etwas. Es passte nicht zum fröhlichen, gut gelaunten Stegi. Das war sein Schul-Ich, der ruhige, introvertierte und fast schon verängstigte Einzelgänger.
»Ist ... ist alles okay?«
»Was?«, er schien irgendwie desorientiert, wie aus Gedanken gerissen, »Achso, ja. Alles gut. Was brauchst du noch?«
Ich seufzte, während Stegi sich auf den Wand der Badewanne neben mir setzte.
»Wirklich? Du ... wenn das hier dir zu viel Stress ist, musst du mir nicht helfen! Das ist kein Problem, wirklich!«
Stegi schüttelte bloß den Kopf.
»Lüg nicht. Natürlich wäre das ein Problem für dich.«
Geschlagen nickte ich.
»Ja. Schon. Aber ... Es wäre okay. Es ist deine Wahl. Du bist nicht verpflichtet, mir zu helfen oder so.«
»Nein, schon okay, wirklich. Ich helfe dir gerne, wo ich kann. Und jetzt putz endlich Zähne, wir haben noch einiges vor uns.«
Stegi versuchte ein Grinsen, was jedoch nicht ganz überzeugend wirkte. Irgendetwas stimmte heute nicht mit ihm.
Es dauerte eine ganze Weile, in der ich mich im Bad fertig machte und mit Stegi in mein Zimmer verschwand, bevor der Kleinere mit der Sprache herausrückte:
»Tim, bevor ... du - du solltest etwas wissen, bevor ich weiter mache.«
Unsicher sah Stegi auf seine Hände. Ich hatte gerade Anstalten gemacht, mir das Oberteil zu angeln, das Stegi für mich bereitgelegt hatte, hielt aber jetzt inne, um dem Kleineren zuzuhören.
»Ich - ich bin schwul. Ich stehe auf Typen.«
Ich brauchte einen kurzen Moment, um zu begreifen, was Stegi mir dort eben gestanden hatte, dann jedoch zuckte ich mit den Schultern.
»Okay?«
Stegi sah leicht unsicher zu mir.
»Okay? Einfach nur okay?«
»Natürlich. Was erwartest du denn?«
»Dass ... keine Ahnung. Dass du nicht mehr willst, dass ich dir mit dem Umziehen und Baden helfe?«
Ich seufzte.
»Du guckst mir doch trotzdem schon nichts weg. Aber jetzt weiß ich wenigstens Bescheid, was Sache ist, wenn du das nächste Mal, wenn ich mich umziehe, ne Latte bekommst.«
Stegi schien erschrocken, ging sofort in Abwehrhaltung.
»Was? Nein, ich - das ist doch -«
»Ganz ruhig, Kleiner. Ich mach bloß Witze.«
Ich versuchte, dem Blonden versöhnlich zuzulächeln und unsicher erwiderte er es.
»Also - Ändert das nichts?«
»Nein. Mal ganz abgesehen davon, dass ich eigentlich gar keine Wahl habe - ich brauche dich momentan, ob ich will oder nicht, und damit meine ich nicht nur beim Umziehen und so - du bist mein Freund. Das wird daran nichts ändern.«
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