12. Kapitel
Bevor ich über ein besseren Plan nachdenken konnte, riss ich meine Schranktür auf. Behutsam hob ich Louis hoch. Seine Beine baumelten schlaff in der Luft, während er völlig entkräftet sich gegen meine Schulter lehnte. Es war ein wirkliches Wunder, dass er mit seinem Zustand von der Gerage in mein Zimmer klettern konnte. Vorsichtig legte ich ihn auf dem Schrankboden ab und schloss die Türen. Da stand auch schon Liam im Türrahmen.
„Deine Mutter hat mich reingelassen“, erklärte er schnell, da ich ihn für einen Moment erschrocken angesehen haben musste. „Hast du vielleicht etwas von Louis gehört? Ich mache mir echt Sorgen“
Schnell schüttelte ich den Kopf und ließ mein Blick automatisch zu dem Kleiderschrank schwenken. Dann blickte ich schnell wieder zu Liam auf. „Er wird sicher bald kommen“, murmelte ich leise und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. „Ja, das hoffe ich mal. Es ist schon spät“, entgegnete Liam. Er sah so beängstigt aus, dass ich ihm liebendgerne die Wahrheit erzählt hätte. Doch durfte ich Louis unter keinen Umständen verraten.
„Du sag mal“, riss mich Liam aus den Gedanken. „Warum riecht es hier so nach Rauch?“
Augenblicklich stieg mir die Röte in die Wangen. „Hast du etwa?“, forschte er skeptisch nach. „Nur ein bisschen“, stammelte ich reflexartig. In diesem Moment tauchte Mum hinter Liam auf. Hoffentlich hatte sie nichts von unserem Gesprächsthema mitbekommen. „Harry!“, rief sie da entsetzt. Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken. Verzweifelt sah ich von Liam zu Mum und wieder zurück. Schließlich rief Mum kopfschüttelnd: „Darüber reden wir morgen“
Mit einem fassungslosen Blick lief sie davon. Wie schafften es Eltern nach all den Jahren immer noch zu den ungünstigen Zeitpunkten aufzutauchen? Ihr strenger Tonfall gefiel mir ganz und gar nicht. Doch ich konnte ihr nicht die Wahrheit erzählen.
„Erst Louis und jetzt du“, riss mich Liam aus den Gedanken und fuhr sich durch das Gesicht. „Wenn dir etwas auf dem Herzen liegt, dann kannst du immer mit mir reden“
Ich nickte und zwang mir ein Lächeln auf. Da vernahm ich auf einmal ein Würgen aus dem Schrank. „Ich bin immer für dich da“, redetete Liam währenddessen weiter. Unruhig schob ich ihn aus meinem Zimmer. „Danke“, stotterte ich leise und fügte schnell hinzu: „Ich würde jetzt gerne alleine sein“
Schweren Herzens schloss ich die Tür vor seiner Nase und ließ mich erschöpft gegen die Wand sinken. Im nächsten Moment flog die Schranktür auf. Louis kletterte langsam nach draußen. Es verstrich einige Zeit, in der wir schwiegen. Da begann er plötzlich erneut zu würgen. Vorsichtig lief ich zu ihm herüber und strich behutsam über seinen Rücken, als er sich auf dem Laminat übergab.
„Danke“, nuschelte er schließlich. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Morgen wird sie operiert“
Ein Schluchzen verließ seine Lippen. „Ich habe so Angst!“
Noch nie zuvor hatte ich ihn weinen gesehen. Es brach mir das Herz. Langsam strich ich ihm über die Schulter und flüsterte ihn willkürliche Dinge zu, die keiner von uns beiden wahrnahm.
„Ihr Mann hat sich nich mal' gemeldet“, hörte ich auf einmal Louis' Stimme. „Und ich... ich war zu feige, um mit ihr zu reden. Und jetzt glaub' sie, dass keiner an sie denkt... wenn“
Seine Stimme brach ab.
„Sie weiß, dass du sie liebst, Louis“, meinte ich und versuchte meine eigenen Tränen zurück zu halten. „Alles wird gut!“ Erschöpft legte er sich auf den harten Boden und schloss die Augen.
Abermals schlang ich meine Arme um seinen schwachen Körper und legte ihn auf mein Bett. „Ich mache das schnell weg“, murmlte ich und deutete auf den Fleck, den Louis hinterlassen hatte. Leise schlich ich mich in den Flur und sah mich zu allen Seiten um. Jedoch schien Liam nach Hause gegangen zu sein, während Mum sich hingelegt hatte. Ich holte ein Putztuch aus dem Bad und nahm schließlich noch ein Wachlappen mit, welchen ich im Wasser einlegte. Dann lief ich leise zurück in mein Zimmer und legte den kalten Waschlappen auf Louis' Stirn, während ich mit dem Tuch sein Erbrochenes beseitigte.
„Ich hole mir kurz eine Matratze“, meinte ich schließlich. Doch bevor ich mich auf den Weg machen konnte, hielt Louis mich an meinem Handgelenk fest. „Geh nicht!“, nuschelte er und sah mich aus geröteten Augen an. Seine Pubillen schienen ungewöhnlich groß. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was in den vegangen Stunden alles passiert war. Mein Blick fiel auf seine Hand, die sich noch immer an meinem Handgelenk festkrallte.
„Ich bin da“, hauchte ich leise und ließ mich langsam neben ihm nieder. Es war seltsam ihm so nah zu sein. Doch war ich viel zu müde und durcheinander um einen klaren Gedanken darüber fassen zu können. Ich war schon davon ausgegangen, dass er in den Schlaf gefunden hatte, als Louis plötzlich flüsterte: „Ich liebe dich, Harry“
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