- Kapitel 4 -

„Na los, mach schon." Drängte er mich und zeigte auf meine Waffe. Mit zitternden Händen hielt ich meine Waffe zwischen den Fingern. Zu dem Zeitpunkt hatte ich zwar bereits einige Male Schießunterricht gehabt, doch es war etwas völlig anderes meine Waffe während eines Auftrags außerhalb des Trainingsgeländes zu halten. „Entsichern und schießen." Befahl Snake herrisch während ich ihn noch immer unsicher ansah. „Ich..ich..weißt nicht ob ich das kann.." Gestand ich kleinlaut und zielte mit der Waffe auf den Mann vor mir. „Du bist eine UT, wenn du nicht abdrücken kannst bist du falsch bei uns." Zischte er und mir flogen etliche Gedanken durch den Kopf. Erinnerungen an meine Zeit in Acadia. An die Worte von Tory, Soma, Roy, Clyde und Principal Welsh.

..Sie haben Potenzial dazu!..Sie werden großes erreichen..

Die Worte erdrückten mich, doch ich ließ mich nicht kleinkriegen. Ich sammelte mich und atmete ruhig aus. Das Zittern hörte auf und ich starrte voller Hass auf den Mann vor mir, der eben nicht gezögert hätte mich einfach abzuknallen. Snake hatte Recht. Wenn ich das nicht konnte war ich definitiv falsch bei den UT's. Ich hatte mich die letzten Jahre nicht umsonst so ins Zeug gelegt! Ich wollte dieses Leben! Ich wusste, wie gefährlich es sein konnte. Und ich wusste ebenfalls, das einmal der Tag kommen würde an dem ich tatsächlich jemanden umbringen musste. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass dieser Tag so früh kommen würde. Snake drehte sich bereits spottend um und entfernte sich ein paar Schritte von mir. Ich sah dem Mann vor mir direkt in die Augen. Sie verdrehten sich seltsam nach oben und ich erinnerte mich daran, wie skrupellos er mich behandeln würde wäre ich an seiner Stelle. Wütend zog ich die Augenbrauen zusammen und zielte.

Ich schoss.

Die Kugel landete direkt in der Mitte seiner Stirn, wo nun ein großes Loch klaffte. Langsam ließ ich die Waffe sinken und steckte sie wieder in meinen Holster unter meiner Lederjacke. Snake drehte sich erschrocken um, als er den Knall vernahm. Ich hatte mich bereits abgewandt und lief ebenfalls in Richtung unseres Sprinters. Als ich Snake einholte warf er mir einen fragenden Blick zu, doch ich starrte nur eiskalt zurück. Dieser Moment hatte mein Leben geprägt. Zum ersten Mal überhaupt hatte ich eigenhändig einen anderen Menschen umgebracht und ich fühlte mich keineswegs schlecht. Ich klopfte Snake einmal auf die Schulter und überholte ihn schließlich. Wir sprachen nie wieder über diesen Tag. Wir brachten Barrows das Koks und die Kohle von der wir die Hälfte unter uns aufteilen durften, da wir die Situation zu seiner höchsten Zufriedenheit lösten.

Am selben Abend betrat ich zum ersten Mal eine Bar in Delta. Meine Tätowierung reichte als ‚Ausweis' da jeder Barbesitzer in der Stadt über die Brutalität der UT's Bescheid wusste. Ich bestellte mir ein paar Bier, als sich plötzlich jemand neben mich setzte. Ich sah neben mich und erkannte Joker. Hinter ihm tauchte Snake auf und setzte sich ebenfalls neben mich. Sie zogen mich damit auf, was ich denn in einer Bar machte und ob ich nicht schon längst ins Bett gehörte, doch mir war nicht nach Scherzen zumute. Trotz des Alkohols in meinem Blut fühlte ich mich kein bisschen beschwingt.

„Du warst gut heute." Meinte Joker anerkennend während er an seinem Bier hing. Snake nickte zustimmend und sah mich dezent lächelnd an. „Es war das erste Mal oder?" Fragte dieser mich nachdenklich und ich nickte stumm. „Das erste Mal ist immer scheiße." Murmelte Joker, der gleich darauf zu lachen begann. „Den Witz verstehst du wenn du älter bist, Archer" gluckste er und ich verdrehte meine Augen. Als wäre ich ein kleines fünf jähriges Kind! Natürlich wusste ich worauf er anspielte, doch ich war noch immer nicht in Stimmung für Witze. „Pff! Tut nicht so als wäre ich ein kleines Kind." Meinte ich abweisend und nahm einen weiteren Schluck meines Getränks. „Hör zu, wir wissen was das mit einem macht..das erste Mal geschossen habe ich vor zwei Jahren. Da war ich einundzwanzig. Du bist erst sechzehn..für dich muss das noch härter sein, als es für mich damals war.." Meinte Joker ernster. Ich sah ihn seufzend an. „Mein erstes Mal war mit Neunzehn..ich war noch als Anfänger dabei. Sie hatten mich noch nicht von der Leine gelassen..ich weiß noch wie wütend ich darüber war. Aber ich musste feststellen, wie naiv ich gewesen war. Ohne die Unterstützung der anderen weiß ich nicht was passiert wäre. Ob ich hätte abdrücken können.." Sagte Snake gedankenverloren. Meine Augen weiteten sich. „Wenn du nicht abdrücken kannst bist du kein UT..das waren Degger's Worte an mich." Fügte er hinzu und sah mich ebenfalls an. „Du bist erst sechzehn und hast schon mehr Eier, als wir beide es mit zwanzig hatten. Ich hätte nicht gedacht, dass du wirklich abdrückst. Und das auch noch ganz allein..ohne, dass jemand neben dir stand und deine Hand gehalten  hat." Sprach er weiter. „Du hast wirklich etwas in dir womit wir arbeiten können. Wer weiß, vielleicht rettest du uns ja irgendwann einmal den Arsch." Zuckte er mit den Schultern. Ich schmunzelte und senkte den Blick. Es tat gut das aus seinem Mund zu hören. „Seh ich da etwa ein Lächeln?" Zog Joker mich auf weshalb ich ihm meinen Ellbogen in die Rippen stieß und laut auflachte. „Na also geht doch. Und jetzt betrinken wir uns so richtig, alles klar?" Rief Joker freudig und hob seine Bierflasche hoch in die Luft. Snake hob seine Flasche lediglich an und wartete darauf, dass auch ich meine Flasche erhob. Seufzend ergab ich mich und stieß mit ihnen an. Mehr wusste ich nicht von dem Abend. Wir hatten uns völlig die Kante gegeben. Das war das erste Mal, dass wir offen und ehrlich miteinander sprachen und sogar Spaß miteinander hatten. Seit diesem Abend verstanden wir uns quasi blind und zogen uns mit zynischen Bemerkungen auf. Nichtsdestotrotz waren sie Schwachmaten – Aber sie waren meine Schwachmaten.

Ich war nur noch wenige Meter vom Hauseingang entfernt und hatte meinen Schlüssel bereits in der Hand, als ich wieder etwas hörte. Schlagartig drehte ich mich um und meine Hand wanderte schon von allein in meine Jackeninnentasche in welcher sich mein Dolch versteckte. Er war ein Geschenk von Soma. Auf der Klinge war etwas eingraviert.

Just because I'm strong enough to handle pain, doesn't mean I deserve it.

Er hatte ihn mir das letzte Mal, als sie mich besuchten mitgebracht. Er meinte, dieser Dolch würde mich beschützen, wenn er es nicht konnte. Er sollte mich daran erinnern das ich keine Schuld trage an den Dingen die geschehen sind. Ich trug ihn immer bei mir und mit Stolz. Die Gravur erinnerte mich immer daran, was ich schon alles hinter mir hatte, was ich schon alles durchlitten hatte und daran, dass Principal Welsh recht hatte als er sagte man solle den Schmerz und den Hass nicht ausschließen.

Principal Welsh..

Mit so vielem hatte er Recht behalten. Mittlerweile sah ich ihn in einem ganz anderen Licht. Ich konnte nur erahnen, was er alles durchlebt haben musste, um so weise zu werden. Wie sagte Magister Raven immer, wer großes Wissen ansammelt trägt eine große Bürde - Die Bürde der Wahrheit. Damals verstand ich seine Worte nicht, doch jetzt begriff ich was er damit meinte. Alles hatte seine Schattenseiten..

Meine Augen schweiften durch die Gegend und tatsächlich lehnten ein paar Jungs an einer Hauswand und unterhielten sich. Erleichtert atmete ich auf und wollte meinen Weg zur Haustür fortführen, als ich plötzlich Schritte im Schnee hinter mir vernahm. Ich schielte über meine Schulter und umklammerte sachte den Griff meines Dolchs. Ich wurde unsanft an der Schulter zurückgezogen und umgedreht. Alexander und ein paar seiner Möchtegern Muskelprotze standen vor mir und grinsten dreckig.

„Cassia, was ein Zufall." Meinte er gespielt überrascht. Ich ließ von meinem Dolch ab und verschränkte meine Arme vor der Brust. „Ja. Große Überraschung mich vor meinem zu Hause anzutreffen." Spottete ich zynisch was mir einen bösen Blick seinerseits einbrachte. „Noch immer so mutig, wie vorhin, huh? Ich frag mich echt woher das auf einmal kommt? Du warst doch sonst immer so verweichlicht." Fragte er übertrieben neugierig was mich meine Augen verdrehen ließ. „Ich wüsste nicht, was dich das angeht du Zwerg." Meinte ich abwertend und setzte zum Gehen an. Erneut wurde ich unsanft nach hinten gezogen, doch diesmal war ich darauf vorbereitet. Ich packte die Hand, die mich festhielt und verdrehte den Arm. Ich hatte Alexander nun in einer Art Schwitzkasten und drückte mit meinem Unterarm gegen seinen Hals.

„Du lernst es auch nie, oder?" Fragte ich ihn lachend während er nach Luft röchelte. „Steht nicht nur so da! Tu..Tut etwas!" verließen die Worte gequält seinen Mund. Seine Jungs reagierten sofort und rissen ihn los. Ich musste zugeben, dass ich ihn losließ, da ich ihn nicht ernsthaft verletzen wollte. Hätte ich das nicht getan, hätten die Jungs ihm vermutlich im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf abgerissen. Sobald er sich gefangen hatte preschte er wütend auf mich zu. „Du miese kleine Schlampe! Was denkst du eigentlich wer du bist, huh?" Er holte mit seiner rechten Faust aus, doch ich wich geschickt aus, weshalb er mit dem Gesicht voraus im Schnee landete. Ich wandte mich ihm zu und kniete mich neben ihn. Wieder einmal packte ich ihn an den Haaren und hatte schon das seltsame Gefühl eines Deja vus.

„Momentan bin ich einfach nur ein Mädchen, dass mit dir auf die gleiche Schule geht. Aber wenn du so weiter machst lernst du mich erst richtig kennen, Alexander. Glaub mir ich kann ganz schön ungemütlich werden." Antwortete ich ihm auf seine rhetorische Frage von eben. Ich ließ seinen Kopf los, weshalb er erneut sein Gesicht in den Schnee drückte. Wütend rappelte er sich auf und rannte erneut auf mich zu. „Was willst du kleine Heulsuse schon machen?" Rief er aufgebracht, so als müsste er sich selbst beweisen - Pff, als hätte er eine Chance.

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