- Kapitel 3 -
Die nächsten Tage verliefen ruhiger, als die Vorigen. Anscheinend hatte meine kleine zur Schau stellung von Alexander Früchte getragen. Ich genoss die Ruhe in der Schule. Noch nie hatte ich solch ein entspanntes Leben, wie zu dieser Zeit. Ich musste so gut, wie nichts lernen, musste mich nicht verstecken, nicht in Angst leben und musste mir keine dummen Sprüche oder Aktionen geben lassen. Das Leben hier begann allmählich wirklich erträglich zu werden, dennoch hatte ich mein Ziel vor Augen. Nach meinem Abschluss hielt mich hier nichts mehr! Die Gang musste nur noch eine geeignete WG für uns finden und schon konnte es losgehen.
Nach der Schule lief ich direkt zum Krankenhaus. Ich hatte so viel Energie übrig, das ich mich dazu entschied zu laufen und nicht mit dem Bus zu fahren. Seit ich das harte Training hier absolvierte war ich abends einfach nicht müde genug um einzuschlafen ohne mich davor nicht völlig ausgepowert zu haben. Auch wenn ich eigentlich so müde war, das ich hätte umfallen können. Ich wollte eben auf Nummer sicher gehen.
Ich lief durch die grell leuchtenden Korridore des Krankenhauses. Alles war so weiß und steril hier drinnen. Ich war anscheinend einfach zu oft im Training. Eine alte Lagerhalle in der Nähe des Industriegebiets diente uns als Trainingshalle. Es war nichts Besonderes, doch es reichte aus. Natürlich beschäftigte Barrows dort keine Putzfrauen, weshalb es auch nicht sonderlich sauber war. Auf dem Boden fanden sich immer wieder vertrocknete Blutreste und fetzen von zerrissenen Kleidern. Die alten Matten stanken fürchterlich nach einer Mischung aus Schweiß Blut und Tränen der Verzweiflung – undefinierbar.
Ich schüttelte kurz meinen Kopf um meine Gedanken wieder auf Dad zu konzentrieren, da ich nun vor seinem Zimmer stand. Wie immer schlief er tief und fest. Er sah so friedlich aus, so als hätte er keine Sorgen mehr und würde glücklich in seiner Traumwelt leben. Wer wusste schon, was er in dem Moment wirklich träumte? Ob er überhaupt noch träumen konnte? Es kam mir komisch vor mein Leben in die Hand zu nehmen während Dad friedlich vor sich hin schlummerte und wer weiß in welcher Welt lebte. Er hatte bereits eineinhalb Jahre verpasst, in denen sehr vieles geschah. Ich musste wahnsinnig schnell erwachsen werden. Manchmal konnte ich es selbst nicht fassen, wie sehr sich doch alles verändert hatte. Noch vor drei Jahren war alles so anders. Ich war so klein, so schüchtern und so unschuldig. Nun war nichts mehr davon übrig geblieben. Das Leben hatte mich kalt gemacht, mich abstumpfen lassen. Ob sich jeder Erwachsene so fühlte? So als wäre ein Teil seiner Seele gestorben?
„Hey Dad! Du ahnst nicht was heute in der Schule passiert ist..ich weiß, ich weiß..du hältst das bestimmt wieder für übertrieben aber ich habe mich wirklich noch zurückgehalten!" fing ich an ihm zu erzählen. Ich setzte mich auf den Stuhl, der neben seinem Bett stand und griff nach seiner Hand. Sie fühlte sich warm an. Er war noch am Leben, dachte ich mir unterbewusst und atmete erleichtert auf. Manchmal hatte ich den Eindruck nur das konnte mich daran erinnern, dass er noch immer unter uns weilte. Das noch immer Leben in ihm steckte. An manchen Tagen war es härter als an anderen..
Nach zwei Stunden des Monologs verließ ich das Krankenhaus wieder und schlug den Weg nach Hause ein. Es war ein relativ kurzer Fußmarsch von etwa dreißig Minuten, wenn man langsam lief. Früher wäre ich eine solche Distanz nie zu Fuß gegangen, doch das machte mir nichts mehr aus. Der Wind wehte eisig durch die Straßen und winzige Schneeflocken flogen mir ins Gesicht. Ich strich mir meine langen schwarzen Haare aus dem Gesicht und blies mir die restlichen Haare aus dem Mund. Ich verfluchte mich insgeheim dafür kein Haargummi mitgenommen zu haben, doch ich hatte es schließlich nicht mehr weit. Das würde ich schon noch überleben. Als ich noch zwei Blocks vom Apartment meines Dad's entfernt war legte sich der Sturm etwas. Der Wind wurde von den hohen Hauswänden der Mehrfamilienhäuser abgeblockt. Dankbar darüber kramte ich bereits nach meinem Schlüssel, als ich plötzlich stoppte. Mein Blick scannte sofort die Umgebung ab. Ich hatte eindeutig etwas gehört. Es war ein Gemurmel oder Geflüster gefolgt von Schritten im Schnee nicht weit entfernt. Viele würden meine Vorsicht als paranoid bezeichnen, doch als Gang Mitglied lebte man ein gefährliches Leben. Sogar in solch einem Kaff, wie Delta. Unsere Gang hatte durchaus ihre Feinde in den umliegenden Dörfern und Städten. Niemand traute sich uns anzugreifen, da wir viel zu viele waren, als das eine der konkurrierenden Gangs auch nur den Hauch einer Chance hätte. Aber man konnte ja nie wissen - Vorsicht war besser als Nachsicht.
Fieberhaft versuchte ich in dem Schneegestöber etwas zu erkennen, doch außer den Straßenlaternen und den umliegend angepflanzten Bäumen konnte ich nichts entdecken. Vielleicht waren es auch nur ein paar Nachbarn, dachte ich und lief unbeirrt weiter. Allerdings behielt ich die Umgebung besser im Blick, denn so ganz traute ich der Ruhe nicht. Oft genug hatte meine Intuition mich schon gerettet - Mich , Joker und Snake. Auch wenn sie es nie zugeben würden, doch auch sie legten viel Wert auf mein Bauchgefühl. Der gestrige Auftrag war Beweis genug dafür. Ich hatte bereits aufgehört zu zählen, wie oft ich Joker schon das Leben rettete. Fairerweise musste ich an dieser Stelle allerdings zugeben, dass auch er mich schon einige Male aus einer verzwickten Situation befreite. Aber auch Snake hatte bereits ein paar Punkte auf dem Konto gesammelt. Nie würde ich vergessen, wie Snake einmal sein Leben für mich riskierte. Jedes Mal auf's Neue war ich schockiert, wenn ich mich daran zurück erinnerte. Von Snake erwartete man einiges aber nicht, dass er bereit war sein Leben für einen zu geben.
Ich hatte die Bilder vor mir, als wäre es erst gestern gewesen. Wir hatten unseren dritten gemeinsamen Auftrag und lernten erst noch miteinander umzugehen. Niemand von uns war ein Teamplayer, weshalb wir uns schwer taten. Einige Male brachte uns das wirklich in Schwierigkeiten. Wir mussten einen Drogendeal über die Bühne bringen und man sah mir die Nervosität an, weshalb Snake mich anfangs noch damit aufzog erschossen zu werden, wenn ich mich nicht endlich zusammenreißen würde. Seine Worte brachten nicht wirklich Linderung und so verkrampfte ich mich nur noch mehr. Die Sache mit dem Pokerface hatte ich damals noch nicht drauf und so war ich ein offenes Buch für alle Beteiligten. Es lief alles glatt bis zu dem Punkt an dem unsere Käufer dachten wir hätten sie verarscht. Ihr Boss sagte ihnen, das sie drei Kilo Koks von uns bekommen würden, doch mit Barrows war abgemacht ihnen zwei Kilo zu liefern. Sie bemerkten den Gewichtsunterschied natürlich sofort und zückten ihre Waffen. Mir entwich zu dem Zeitpunkt jegliche Farbe aus dem Gesicht und auch Snake und Joker spannten sich an. Die Beiden waren etwas älter als ich und auch schon etwas länger ein Teil der Gang, doch auch sie hatten sich erst einmal in solch einer ähnlichen Situation wieder gefunden. Joker versuchte zu schlichten und zeigte die Nachricht von Barrows in der schwarz auf weiß zwei Kilo stand. Sie glaubten uns allerdings nicht und unterstellten uns, dass wir uns etwas abgezwackt hätten um auch etwas davon zu haben. Abgesehen davon, dass Barrows uns eigenhändig töten würde, wenn wir an sowas auch nur dachten, hätten wir uns das niemals getraut. Damals war ich noch sechzehn gewesen, während Snake und Joker schon dreiundzwanzig waren. Niemals hätten wir die Eier in der Hose dafür gehabt, doch das kaufte man uns anscheinend nicht ab. Einer der Männer packte mich und zerrte mich zu ihnen rüber. Er hielt mir die Waffe an die Schläfe und ich zitterte am ganzen Körper. Ich musste mich fürchterlich zusammenreißen nicht die Fassung zu verlieren und einfach los zu weinen. Snake versuchte einen kühlen Kopf zu behalten und half Joker dabei zu schlichten, doch es brachte nichts. Als der Mann, welcher mich festhielt seine Waffe entsicherte reagierte Snake sofort.
Er zog seine Waffe und schoss.
Er traf den Mann hinter mir direkt am Kopf. Ich war wie erstarrt vor Schock. Noch nie hatte ich jemanden sterben sehen. Jedenfalls nicht hautnah und durch einen Schuss. Sein Partner zog nun ebenfalls die Waffe und richtete sie auf Snake, der noch immer auf den Mann hinter mir zielte, der mittlerweile zu Boden sank und röchelte.
Joker schoss als zweites.
Hätte er eine Sekunde länger gezögert wäre Snake nun tot. Der Mann, der von Joker erschossen wurde war auf der Stelle tot. Lediglich der Mann hinter mir am Boden röchelte noch immer. Er musste wahnsinnige Schmerzen gehabt haben. Snake kam auf mich zu und zerrte mich einen Schritt zur Seite. Nachdem er sicher war, das er keine Gefahr mehr für mich war atmete er erleichtert auf. Schockiert sah ich zu ihm auf, da er mindestens zwei Köpfe größer gewesen war als ich. Joker kümmerte sich um die Ware und um den Koffer voller Geld, den er in unseren Sprinter warf. Ich starrte noch immer auf den röchelnden Mann vor mir. In diesem Moment wurde mir klar, das auch ich an seiner Stelle hätte sein können. Das Leben in einer Gang war nun Mal so - Entweder du tötest oder du wirst getötet.
Ich hatte Snake mein Leben zu verdanken weshalb ich ihm unbeholfen um den Hals fiel. Er erwiderte die Umarmung sachte für ein paar Sekunden bevor er sich löste. „Lass uns gehen." Meinte er schroff, da Joker bereits im Sprinter auf uns wartete. „Wir können ihn doch nicht so leiden lassen?!" Entkam es mir schrill, da ich dachte ich hätte meine Stimme verloren. Snake sah mich verwundert an bevor er wütend ein paar Schritte auf mich zukam.
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